„Der neue Mensch ist das ganze Evangelium“, so hat Karl Barth es 1950 gesagt und anderthalb Jahre später habe er dementsprechend seine Versöhnungslehre als Reflexion der Wirklichkeit des neuen Menschen konzipiert. Mit dieser Sicht auf Barths Versöhnungslehre setzte Georg Plasger, Professor für Systematische Theologie in Siegen, einen deutlichen Akzent zum Thema „Karl Barth als Lehrer der Versöhnung“.
Der Kritik, der Mensch selbst komme bei Barth in der Versöhnung Gottes mit dem Menschen nicht vor, hielt Plasger entgegen: Jesus Christus sei nach Barth der wahre Mensch, und die entscheidende Frage sei nicht, ob Christus „so wird wie wir, sondern dass wir in ihm Mensch werden“. Christus und Adam sage Karl Barth in seiner Auslegung von Römer 5, nicht wie Rudolf Bultmann „Adam und Christus“.
Das wahre Menschsein ist im Glauben verheißen, aber es bleibt die Spannung, „dass in unserer Erfahrung diese neue Wirklichkeit de facto immer wieder, wenn nicht gar fast immer verborgen ist“, räumte Plasger ein. Barths Versöhnungslehre jedoch atme viel weniger das „Noch nicht“ als das „Schon“.
Im Weg Jesu Christi erkannte Barth die Erniedrigung Gottes und die Erhöhung des Menschen. Gott sei dem Menschen „bis in die äußerste Tiefe solidarisch“, aber ebenso sei in Jesu Christi Weg zu erkennen, wie der Mensch von Gott gewollt sei: als aufrecht Gehender und vom Kreisen um sich selbst Befreiter.
Den Weg Jesu Christi sah Barth als Geschichte des dreieinigen Gottes und Geschichte des Menschen. Die Beziehung Gott – Mensch und Mensch – Gott könne als Bundes- und Erwählungsgeschichte eigentlich nicht beschrieben, sondern nur erzählt werden, betonte Plasger. Barth selbst sei es gelungen, die Zwei-Naturen-Lehre des wahrer Mensch und wahrer Gott in die „Dynamik der göttlichen Geschichte“ aufzunehmen.
Als weiteren „klassischen Kritikpunkt“ an Barths Versöhnungslehre griff Plasger den Vorwurf auf, es ermangle ihr an einer adäquaten Theologie des Heiligen Geistes. Die Statistik spricht eine andere Sprache: Die sechs dem Heiligen Geist gewidmeten Paragrafen der Versöhnungslehre in KD IV umfassen 25% des Gesamtvolumens.
Das prophetische Amt Christi ist für Barth „aus Engste“ mit dem Wirken des Heiligen Geistes verbunden. Darin zeigt sich eine besondere Ausrichtung der Lehre Barths vom Heiligen Geist, wie ein Zuhörer es nach dem Vortrag prägnant formulierte: Der Geist Jesu Christi ist der Heilige Geist.
In KD IV/1 spreche Barth von „der subjektiven Realisierung der Versöhnung“ sowie der „aktiven Teilnahme des Menschen an Gottes Versöhnungstat“ und gebe in seiner Rede von der Gemeinde und vom Glauben der Erfahrung „deutliches Gewicht“, führte Plasger aus.
Für alle, die Barth vornehmlich als „Offenbarungstheologen“ wahrnehmen, kam er zu einem erstaunlichen Ergebnis: Barth betreibe „erfahrungsgesättigte Theologie“. Ausgehend von einer „größtmöglichen Pluralität des Handelns Gottes“ spricht Barth selbst von der „grenzenlosen Individualisierung des göttlichen Tuns nach außen“, so in KD II/1,355. Gott sei frei genug, seine Gegenwart mit Rücksicht auf die Verschiedenheit der Kreatur ins Unendliche zu differenzieren.
Die Dialektik einer Theologie, die das Handeln Gottes nicht relativiert, aber darauf verzichtet, über das konkrete Ankommen Gottes bei jedem einzelnen Menschen zu urteilen, bringt Plasger auf den Satz:
„Gott zeigt sich als derselbe bei jedem Menschen anders.“
Wer nun in Barths „erfahrungsgesättigter Theologie“ konkrete Handlungsanweisungen für die Sendung der Kirche sucht, wird enttäuscht. Barth bietet keine Programme. Ohne Kirche allerdings, wäre Barths Theologie nur ein Glasperlenspiel, meint Plasger und gibt dann doch eine Richtung an fürs kirchliche Handeln: Wo Kirche sich als „Versorgungskirche“ verstehe, müssten einer an Barth geschulten Theologie alle Alarmglocken läuten.
Wenn Barth fragt. Wo ist der neue Mensch?, heißt die Antwort: In Jesus Christus. Aber diese Antwort sei exklusiv und inklusiv zugleich, so Plasger: Denn der neue Mensch Jesus Christus ist in seinem Leib, der Kirche, gegenwärtig.
Was dies für die Gemeindearbeit heißt, deutete Plasger im anschließenden Gespräch an: In der Seelsorge etwa, werde ein Mensch nicht nur in seiner gegenwärtigen Situation wahrgenommen, sondern auch die ihm verheißene Zukunft in Blick genommen: „Ich muss dem anderen Menschen nicht sagen, was er nicht ist, sondern von der Zukunft reden, die ihm verheißen ist. Der Mensch ist mehr als das, was seine äußeren Daten herbegen.“
Weitere Infos zur Tagung / Programm:
http://www.reformiert-info.de/11485-0-300-10.html
Interview mit Prof. Dr. Michael Beintker zur Versöhnungslehre Karl Barths:
http://www.reformiert-info.de/12969-0-300-10.html
Barbara Schenck, Emden, 1. Mai 2014