Wir hören es im Zug von Mitreisenden, wenn mal wieder wegen einer Betriebsstörung sich die Weiterfahrt um 20 Minuten verzögert: „Das war das letzte Mal, dass ich Bahn fahre“. Nach jedem Tatort lauten etwa ein Drittel der Kommentare auf Facebook sinngemäß: „Das war das letzte Mal, dass ich mir das angetan habe“. Und so hören wir es auch hin und wieder: „Da geht man schon einmal in die Kirche und dann sowas. Nie wieder tue ich mir das an!“
Lieber stehen sie stundenlang im Stau oder sitzen einen halben Tag am Flughafen herum, schauen sich Serien an, die so gemacht sind, dass alle sie gut finden. Und sie wundern sich im Alter, dass dann doch eine Seelsorgerin bereit ist zu kommen, wenn die Not groß ist.
Bahn, Tatort und Kirche haben gemeinsam, dass sie Institutionen sind. Auf unterschiedliche Weise sind sie für Bereiche unseres Lebens zuständig: für den Transport, für gute Unterhaltung und für die Seele. Daraus, dass sie altbewährt und irgendwie auch alternativlos sind, ergibt sich die Anspruchshaltung: Die haben zu liefern! Und wenn sie es nicht tun, dann bestrafen wir sie mit unserer Verweigerung. Oder wenigstens der lauten Ankündigung derselben.
Dieser Bestrafungsattitüde zu begegnen, ist schwierig. Oft ist die emotionale Bindung längst gründlich gestört: Das Auto als Statussymbol ist immer attraktiver und Bahnfahren per se schon eine Demütigung. Der Tatort am Sonntagabend hat einerseits Kultstatus, ist aber halt auch gebührenfinanziertes öffentlich-rechtliches Bildungsfernsehen. Und das provoziert Widerstand. Und die Kirche ist Vielen wegen der Steuern lästig und Anderen wegen ihres moralischen Anspruchs.
Sympathien zurückzugewinnen kann zwar nur das Ziel sein – aber nicht um den Preis, allen gefallen zu wollen. Das ist ja eine Binsenweisheit, dass wer das versucht, am Ende niemand wirklich begeistert. Also muss die Bahn an ihrer Pünktlichkeit arbeiten und an der Kommunikation ihrer Pannen. Wer viel Bahn fährt, weiß, dass sie das auch tut. Die Tatort-Autor*innen und Regisseur*innen werden hoffentlich so experimentierfreudig bleiben und uns weiter Stoff für die Nachbesprechungen am Montag bieten.
Und wir als Gemeinden und Kirchen? Auch wir dürfen uns von frustrierten Reaktionen nicht glattbügeln lassen. Wenn Fehler passieren, dann müssen wir daraus lernen. Aber die Verkündigung dessen, was Gott uns Menschen zu sagen hat, entspricht nicht dem, was die Leute eh schon denken oder in jedem Fall dankbar annehmen. Es ist ein schmaler Grad, so zu sprechen und zu handeln, dass es die unangenehmen Botschaften transportiert und trotzdem die Herzen öffnet. Das gelingt nur mit dem Geist Gottes. Genau deshalb reden wir von ihm, bekennen wir ihn und bitten um ihn.
Georg Rieger