Schon in ersten Coronawelle begründete der Hamburger Pathologe Klaus Püschel seine Sicht auf Corona als „harmlose Grippe“ mit dem Hinweis, die allermeisten obduzierten Patienten wären an den Vorerkrankungen „zeitnah auch ohne Corona gestorben“. Seine Forschungsergebnisse wurden kurz darauf von seinen Kolleg*innen auf den Kopf gestellt. Und inzwischen ist klar, dass Covid-19 überhaupt keine Lungenkrankheit ist, sondern die Gefäße im Körper angreift. Statt diese Möglichkeit zu bedenken und weiter zu forschen, prägte Püschel mit seinen Aussagen die Diskussion. Immer wieder wird zum Zweck der Verharmlosung das Argument gebraucht, Covid-19 treffe doch nur Menschen mit Vorerkrankungen.
Den Tod von Menschen mit einem schlechten gesundheitlichen Zustand in Kauf zu nehmen, ist in dieser Pandemie zu einem Argument geworden, das niemand mehr ernsthaft zu erschrecken scheint. Oft bleibt es in Diskussionsrunden unwidersprochen. Hat die Rede von einer natürlichen Auslese also wieder Konjunktur?
Natürlich kommt das Argument massiv aus einer Ecke, in der sich solches Gedankengut vermuten lässt. Aber eben auch von Menschen, von denen ich jedenfalls, so einen Gedanken nicht erwartet hätte. Und ihn wohl auch anders verstehen muss als der erste Reflex anbietet.
Menschen, die den Tod als ein natürliches Ereignis akzeptieren können und ihr Leben nicht als Kampf gegen dessen Ende anlegen, sind mir grundsätzlich sympathisch. Es ist für mich auch unbestreitbar, dass Krankheiten den Sinn haben können, auf schlechte Gewohnheiten hinzuweisen und ein Anstoß sein können, etwas zu ändern.
Wenn allerdings zwischen dem Handeln eines Menschen und dem gesundheitlichen Ergehen ein zwingender kausaler Zusammenhang konstruiert wird – aus können also ein müssen wird – schlägt es ins Gegenteil um. Der Mensch hat dann die alleinige und volle Verantwortung für seinen Körper und wie es ihm geht. Auch eine andere Weltanschauung geht in die selbe Richtung, die uns Menschen ein Karma mitgegeben sieht, das unser Leben prägt. Aus beidem folgt: Krankheiten und letzten Endes auch der Tod haben einen Grund in uns selbst.
Aus diesem Verständnis des Menschen machen Maßnahmen gegen eine Pandemie und auch Impfungen keinen Sinn, weil sie sich gegen unsere Bestimmung oder unsere Selbstverantwortung stemmen. In der Konsequenz ist auch die Toleranz gegenüber dem Erbringen von Opfern wesentlich größer, weil hinter deren Tod ja ein Grund gesehen wird.
Diese Haltung ist keineswegs boshaft oder menschenverachtend, weil sie ja die eigene Todesoption mit einbezieht. Sie ist aber in gewisser Weise gnadenlos. Im normalen Leben fällt das wenig auf, weil es in wenigen Situationen um Leben und Tod geht. Die Pandemie spült aber an die Oberfläche, dass wir schwer vereinbare Unterschiede in den Auffassungen vom Leben haben.
Es ist die Geschichte von Hiob und seinen Freunden, die wieder und wieder durchgespielt wird. Und wie damals zerstört sie Freundschaften. Verständnis füreinander ist in dieser Frage wirklich nicht leicht. Wer aber das Leben als Geschenk sieht und von Gnade redet, die unsere Verantwortung entlastet, sollte eben diese Gnade auch in hitzigen Gesprächen nicht vergessen. Und das sage ich nicht für einen Freund.