Der heutige Abend soll dazu dienen, dass wir uns von der Bibel und kirchlichen Bekenntnistexten bzw. Verlautbarungen her auf die Suche nach gemeinschaftsgerechten Lebensformen machen.
Der konkrete Anlass, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen ist das seit 1996 diskutierte Diskussionspapier der rheinischen Landekirche "Sexualität und Lebensformen sowie Trauung und Segnung".
Den Anfang nahm die ganze Diskussion ca. Mitte der 80er Jahre dabei, wie die Kirche sich zu dem Anliegen homosexueller Paare stellen soll, in der Kirche in ähnlicher Form um Gottes Segen für ihre Partnerschaften bitten zu dürfen, wie es heterosexuellen Paaren im Rahmen eines Gottesdienstes anlässlich einer Eheschließung schon lange möglich ist.
Man merkte schnell, dass allein mit der Frage nach der Stellung der Kirche zu homosexuellen Lebensgemeinschaften kein Weiterkommen erreicht werden kann.
Darum begann man neben der sozialen, medizinischen, rechtlichen und historischen Auseinandersetzung um das Phänomen homosexueller Lebensformen auch damit, das kirchliche Verständnis der Ehe in die Überlegungen einzubeziehen.
Man tat dies zurecht, weil sehr viele der Reaktionen sich darauf zurückzogen, dass die Ehe - in der Form der westeuropäischen neuzeitlichen Einehe - die von Gott gewollte und biblische legitimierte und geforderte Lebensform für das Zusammenleben zweier Menschen sei. Damit rückte ins Zentrum, was am Anfang der Diskussion eigentlich gar nicht im Blick war, was aber sachlich zurecht nun Gegenstand der Auseinandersetzung wurde.
Welches Eheverständnis haben wir? Wo liegen die rationalen und auch irrationalen Ängste bei diesem Thema? Ist derjenige, der für eine rechtliche Gleichstellung homosexueller Lebensgemeinschaften eintritt sogleich ein Gegner oder zumindest eine Gefahr für die Ehe?
Ich möchte mich mit Ihnen heute Abend diesem Themenkreis in drei größeren Schritten nähern.
Zunächst möchte ich biblische Schlaglichter in Erinnerung rufen, die in Beziehung gesetzt werden sollen zum Thema der Ehe.
Danach möchte ich einen zentralen Begriff des rheinischen Diskussionspapiers aufgreifen und von den biblischen Beobachtungen her konkretisieren. Es geht um den Begriff der "Gemeinschaftsgerechtigkeit"
In einem dritten Schritt möchte ich dann anhand der fünften These der Barmer Erklärung und einem Abschnitt des Darmstädter Wortes Fragen an unser herrschendes Eheverständnis stellen.
Ich hoffe, dass wir im Anschluss dann in eine angeregte Diskussion einsteigen können.
Die Frage, mit der wir uns heute Abend befassen, stellt sich die Bibel so nicht! Sie ist eine moderne, eine neuzeitliche Frage. Die Formen von Homosexualität z.B., die wir heute im Blick haben, kennt die Bibel nach allem, was wir wissen, nicht. Die Zeit der Bibel ist eine andere als die unsere, und die Interesse und Notwendigkeiten, denen man damals auch in der Ausgestaltung des Zusammenlebens der Menschen Rechnung tragen wollte, stellen sich anders dar als in unserer Lebenswelt.
Wie geht man also an die Bibel heran, wenn man sie um Rat fragen will, wenn man sich auf Spurensuche in ihr begibt, um Hinweise auf die Richtung und Linie zu bekommen, auf der wir heute biblisch verantwortlich als Kirche und Christen in der anstehenden Frage entscheiden können?
Man könnte sich veranlasst sehen, sich auf der Suche nach den Formen menschlichen Zusammenlebens unmittelbar auf Schöpfungstexte zurück zu beziehen. Schon hier wird doch von der "Ehe" gesprochen, meint man dann. Mann und Frau sollen zusammenleben, das ist Gottes Schöpferwille. Dies ist die Linie der katholischen Antwort, auf der bei dann entscheidenden Abweichungen auch die lutherische zu finden ist. Ich wähle einen anderen Einstieg, der stärker reformierter Tradition verpflichtet ist, der aber biblisch gegründet ist und auf der folgender These beruht:
Wir haben keinen unmittelbaren Zugang zur Schöpfung. Vom kommenden Reich Gottes und dem Bund des Gottes Israels mit seinem Volk Israel her, fällt ein Licht auf die Schöpfung. Was Gottes Wille für das Zusammenleben der Menschen schon von der Schöpfung an ist, erkennen wir erst, wenn wir von seinem kommenden Reich und seinem ungekündigten Bund herkommen.
Dann werden uns aber auch die Schöpfungstexte etwas für die Frage nach "gemeinschaftsgerechten Lebensformen" oder das Zusammenleben in Liebe und Verantwortung sagen.
a) Reich Gottes und Bund - "Trachtet nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit - von dort ergibt sich alles andere"
Etwas gewagt habe ich Mt 6,33 in seinem zweiten Teil wiedergegeben. Wörtlich heißt es: "Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch dieses alles" - nämlich das, worum ihr euch sorgt - "hinzugeschenkt werden".
Die Botschaft, mit der Jesus nach dem Zeugnis des Markus in die Öffentlichkeit trat, lautet: "Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Darum kehrt um und macht euch in der Frohen Botschaft fest". Für einen Juden bedeutete das, sich wieder zur Tora, der Weisung des Gottes Israels zu wenden und sich in dessen Heil schaffender Gerechtigkeit zu bergen. Dazu hatte schon Jesaja aufgerufen "Bewahret das Recht und tut Gerechtigkeit, denn Mein Heil ist nahe und Meine Gerechtigkeit will sich offenbaren" (Jes 56,1).
Weil Gottes Reich nahe und seine Gerechtigkeit auf dem Weg zu den Menschen ist, richtet sich alles in der Verkündigung Jesu an diesem Ereignis aus. "Siehe da, Gott, der Herr, er zieht einher in Kraft" (Jes.40,9). Gottes Reich und Gottes Gerechtigkeit kommen und werden zu den Maßstäben allen Tuns der Menschen. Daran sollen sich alle festmachen, die sich in die Nachfolge dieses Messias begeben.
Für die jüdischen Hörerinnen und Hörer der Botschaft Jesu waren das keine formalen Sätze, wie sie für uns erscheinen mögen. Uns liegt es ja sehr nahe zu sagen: "Ja, was heißt denn das? Sind das nicht doch Worthülsen, mit denen wir inhaltlich noch gar nichts gesagt haben?" Einem zeitgenössischen Hörer Jesu wäre ein solcher Gedanke kaum gekommen - und mir scheint, auch uns läge er ferner, wenn wir das Evangelium Jesu nicht in langen Tradition zunehmend verengt hätten auf Sündenvergebung und individuelles Heil, denn es spricht eben auch und zuerst von Gerechtigkeit und Recht, von Beziehungen, die verantwortlich zu gestalten sind und von der Nachfolge, die das Tun der "besseren Gerechtigkeit" (Mt 6,1) bedeutet.
Wenn ein Jude zur Zeit Jesu vom "Reich Gottes" sprach, dann dachte er sogleich auch daran, was das für ihn bedeutet: Nämlich Gott als König anerkennen und das "Joch seiner Herrschaft auf sich nehmen", eben seine Tora, seine Weisungen halten.(1) Wir können von dem Gesagten und mit Blick auf Jes 56,1 Mt 6,33 auch so umschreiben: "Achtet zuerst darauf, dass Gott euer König ist und ihr durch Seine Heil schaffende Gerechtigkeit (Jes 56,1) Seine Rechte haltet, dann wird alles, worum ihr euch sorgt, durch Ihn zum Guten gewendet".
Warum halte ich mich hier solange auf?
Weil an diesem Punkt m. E. die Entscheidung fällt, ob wir den Fluchtpunkt der Hebräischen Bibel und damit auch des Neuen Testaments treffen.
Dass Gottes Königsherrschaft über die ganze Erde offenbar wird, daran liegt den biblischen Texten zentral. "Gott wird sein alles und in allem" (1Kor 15,28), darauf geht der Blick der biblischen Autoren. Aus dieser Zukunft, aus dem Kommen dieser Herrschaft, verstehen sie alles hier und jetzt auf Erden zu Gestaltende. Das Kommende soll unter den Bedingungen des Alten bereits vorweggenommen werden. Weil Gott kommt, darum gibt es eine Umwertung aller Werte auch schon hier. Weil Gott kommt, darum kann Paulus in Gal 3,28 schon präsentisch formulieren: Unter denen, die zu Christus gehören, ist die Entfremdung und Feindschaft zwischen Juden und Griechen, Freien und Sklaven, männlich und weiblich aufgehoben. Wir können heute so sagen: Antisemitismus, Sklaverei/Kolonialismus und Sexismus wird in der Gemeinde Christi trotz ihres Fortbestehens in der Welt schon jetzt die kommende Welt entgegengesetzt, hier wird die neue Schöpfung vorwegnehmend bereits Wirklichkeit.(2)
Und dann das Zweite: Die kommenden Gottesherrschaft tritt uns nicht völlig unbekannt gegenüber, so dass wir uns vor ihr zu fürchten brauchten. Wir können etwas über sie wissen. Gottes Herrschaft hat bereits ihren Anfang genommen, bevor wir durch Christus zu einer Gemeinde wurden.
Als Gott mit Israel einen Bund schloss, da schuf er sich einen Raum, in dem er König sein wollte. In 1Sam 8 wird erzählt, wie Israel sich erstmals einen König wünscht, nachdem man bis Samuel mit Richtern ausgekommen war. Auf diesen Wunsch sagt Gott zu Samuel: "Nicht dich, sondern mich haben sie verworfen, dass ich nicht mehr König über sie sein soll" (1Sam 8,7). Gott allein ist König von den Zeiten an, als er den Bund mit Israel geschlossen hat. Ihm allein gebührt die Ehre, ihm allein ist man zu Gehorsam verpflichtet. Die Forderung nach einem irdischen König bleibt in der Hebräischen Bibel eine problematische Forderung, weil man sie in Konflikt mit der Königsherrschaft Gottes sieht. Um das auszugleichen und die Vorordnung Gottes vor den irdischen König festzuhalten, wird der König im so genannten Königsgesetz daran erinnert und darauf verpflichtet, dass er nach den Rechten Gottes, nach dem Gebot, das Gott seinem Bund beigegeben hat, leben und handeln soll (Dtn 17,19), denn er herrscht nur im Auftrag des einen Herrschers, des Gottes Israels selbst.
Der Bund als Anfang der Königsherrschaft Gottes über sein Volk ist darüber hinaus in der Hebräischen Bibel auch der Raum des partnerschaftlichen Zusammenseins Gottes mit seinem Volk. Es soll ein heiliges Volk sein, denn sein Gott und König ist heilig (Ex 19,5f; Lev 19,2; 1Petr 2,9). Diesem Volk wird die partnerschaftliche Entsprechung zu Gott zugetraut und zum Auftrag gegeben.
Fragen wir nach dem Fluchtpunkt, auf den wir auch heute die konkreten Fragen unserer Lebensgestaltung hin ordnen, so verwenden wir mit "Reich Gottes" und "Bund" nicht zwei Worthülsen, sondern öffnen implizit die ganze Bibel: Tora, Propheten und Schriften und deren Auslegung und Bestätigung durch Jesus, die Evangelisten und Apostel.
Sprechen wir von Gottesherrschaft und Bund, dann gehören diese beiden eng zusammen. Im Bund und im Bundesgebot macht Gott sich als König bekannt. Innerhalb dieses Bundes ist er König, ist seine Herrschaft bereits angebrochen und verwirklicht sich in dieser Welt. Innerhalb dieses Bundes ist der Mensch Gottes "bündnis- und partnerschaftsfähiges" Gegenüber. In Beziehung zu Gott, zu seinem Mitmenschen und zur Erde ist der Mensch fähig für Bündnisse und Partnerschaften.(3)
Darum möchte ich einen Schritt weitergehen und auf diesem Hintergrund danach fragen, was uns die Texte der Genesis über das Zusammenleben von Männern und Frauen sagen.
b) "Und es schuf Gott den Menschen nach seinem Bilde, nach dem Bilde Gottes schuf er ihn, männlich und weiblich schuf er sie" (Gen 1,27). Die Weltverwalterschaft von Männern und Frauen(4)
Bewusst übersetze ich wörtlich, also nicht "als Mann und Frau schuf er sie", sondern "männlich und weiblich schuf er sie", um deutlich zu machen, dass sich dieser Text nicht unmittelbar für die Frage nach der Ehe aneignen lässt. Von ihr ist hier noch nicht die Rede.
Zunächst ist nur gesagt, dass Gott den Menschen männlich und weiblich schuf. Und dann gab er dem Menschen, also Männern und Frauen, den Auftrag, die Erde zu bevölkern und sie zu verwalten. So sehr mit der Verwaltung der Welt dem Menschen eine Herrschaftsfunktion eingeräumt wird, so sehr wird diese Herrschaftsfunktion doch auf ein Ziel gerichtet und beschränkt. Nicht Willkürherrschaft ist gemeint, sondern verantwortlicher Umgang mit der Schöpfung; "Hegen und Pflegen", kann man sagen. Insofern Männer und Frauen - also die Menschen - das tun, sind sie Ebenbild Gottes, übernehmen sie Gottes Herrschaft stellvertretend (5). Allen Menschen gilt die Auszeichnung, durch diesen Auftrag Bild Gottes zu sein - nicht nur einem bestimmten, etwa dem König, nicht nur einer bestimmten Klasse, etwa den Priester, nicht nur einem bestimmten Geschlecht, etwa den Männern oder einer bestimmten Rasse, auch nicht nur Menschen in einer bestimmten Lebensform, etwa der Ehe (6).
Der Mensch als zweigeschlechtlich geschaffene Gattung erhält einen Auftrag und mit diesem Auftrag die Auszeichnung, Bild Gottes zu sein. Nicht in der Ehe wird der Mensch zum Ebenbild Gottes, sondern durch den Auftrag, die Erde, die des Herrn ist, in der Gemeinschaft von Männern und Frauen zu verwalten und sie so zu gestalten, dass auf ihr die Geschichte Gottes mit dem Menschen möglich bleibt, denn dazu hat Gott die Welt geschaffen, dass er auf ihr mit seinen Menschen in Gemeinschaft leben kann.
c) Die Bundes- und Partnerschaftsfähigkeit der zweigeschlechtlich geschaffenen Menschheit. Die Transparenz der Schöpfungstexte für die Institution der Ehe
Im zweiten Schöpfungsbericht wird nun auch etwas über die gegenseitige Angewiesenheit und Bezogenheit von Männern und Frauen aufeinander gesagt. Der Mensch (hebr. adam), der von der Erde (adama) genommen wird, wird in Gen 2 erst zum Mann (isch) als aus seiner Rippe die Frau, genauer, die "Männin" (ischa) geschaffen wird (7). Insofern ist der Mensch von der Erde und der Mann von der Frau her. Ebenso gilt aber, dass die Frau vom Mann her ist, denn beide sind nur im Gegenüber, was sie sind. Erst in dieser Polarität ist die Menschheit eine ganze. Im weiteren Verlauf des Schöpfungsberichtes heißt es dann, dass der Mann Vater und Mutter verlassen wird und seiner Frau anhängt. - Warum? Weil sie von einem Fleisch genommen sind, werden sie wieder zu einem Fleisch werden (8). Die Menschheit als Gesamtheit von Männern und Frauen ist also aufeinander bezogen und aufeinander angewiesen. Über die Formen des Zusammenlebens oder über die Institution der "Ehe" ist auch in diesem Text zunächst noch nichts ausgesagt. Das sollte im Blick bleiben.
Dann kann aber auch wahrgenommen werden: Die Schöpfungstexte sind offen dafür, auch auf die Ehe hin interpretiert zu werden. Mk 10 und Mt 19 sind dafür ein Beleg. Von der konkret existierenden Lebensform "Ehe" her, beginnen diese Texte auch in diese Institution hinein zu sprechen.
Ich habe eben hervorgehoben, dass das externe Kriterium, an dem sich das Leben in der Nachfolge zu bewähren hat, mit "Reich Gottes" und "Bund" und von daher mit "Gemeinschaftsgerechtigkeit" benannt werden kann.
Nun ist interessant, dass der Bund Gottes mit seinem Volk auch als Bild für die Beziehung von Mann und Frau in einer festen und verbindlichen Lebensgemeinschaft gebraucht wird (9). Ist es aber so, dass die Schöpfung daraufhin angelegt ist, dass in und mit ihr Gottes Geschichte mit den Menschen, eben der Bund Raum hat, und ist der Bund Gottes mit Israel ein Bild für die Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, dann werden die Schöpfungstexte transparent für die Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Es gibt also eine über den Bund vermittelte Transparenz der Schöpfungstexte auch auf die Ehe hin (10).
Es geht also nicht um ein Begründungsverhältnis, sondern vom Bund als dem Kriterium her, beginnen die Schöpfungstexte für die konkret existierende Lebensform der Ehe zu sprechen.
Wir stehen damit vor einem grundsätzlichen hermeneutischen Problem, dass ich noch einmal explizit benennen möchte: Welche Funktion nehmen die biblischen Texte in unserer Frage ein?
1. Eine erste Antwortmöglichkeit wäre: Die Bibel begründet unsere vorfindliche Wirklichkeit; wir leiten aus der Bibel ab, was wir heute vorfinden. An unserem konkreten Fall formuliert hieße das: Weil Gott Mann und Frau geschaffen hat, darum hat er die Ehe - natürlich die Ehe in der uns bekannten Form - gewollt; sie ist gottgefällig und sie zu hinterfragen ist ein Angriff auf den guten Schöpferwillen Gottes.
Wie problematisch eine solche Ableitung werden kann, zeigt die Wirkungsgeschichte von Gen 3. Hier glaubte man die schöpfungsmäßige Überordnung des Mannes über die Frau begründen - eben ableiten zu können; ungeachtet dessen, dass Gen 3 von der gefallenen Menschheit erzählt, also von den Folgen der Entfremdung von Gott und seinem Gebot und von der "verlorenen Ganzheit", "der ursprünglichen Integrität des Verhältnisses von Mann und Frau" (v.d.Osten-Sacken, Anm. 9, 37). Hier - nach dem Fall! - kommt es zu Hierarchisierungen. Gen 3 beschreibt, was de facto in der Welt existiert: Die Unterdrückung der Frau, die Ausbeutung des Landes, die sexuelle Lust am Partner, die sich trotz erfahrener Erniedrigung immer wieder neu entzündet. Wie realistisch dieses Bild gezeichnet ist, stellt man erstaunt fest, wenn man Berichte aus Familienberatungsstellen und Frauenhäuser liest. Welche Verachtung der leidenden Menschen, wenn man mit Gen 3 dann noch meint, von der Bibel her grundsätzlich nichts dagegen sagen zu können - allenfalls, dass die Männer doch ihre Frauen zu lieben hätten und solche Auswüchse natürlich zu verurteilen seien. Nein, Gen 3 erzählt von der gefallenen Schöpfung, begründet und legitimiert nichts, sondern beschreibt. Von Gen 1 und 2 her läßt sich aber eine Gegenwelt in der Bibel finden, die vom partnerschaftlichen Aufeinanderbezogensein und Angewiesensein der zweigeschlechtlich geschaffenen Menschheit spricht, die die Aufgabe hat für Gott seine Schöpfung zu hegen und zu pflegen und genau in diesem Sinne auch miteinander umzugehen.
2. Eine andere Antwortmöglichkeit wäre, die biblischen Texte als Anfragen an unsere vorfindliche Wirklichkeit zu verstehen. Im Bezug auf die Ehe könnten sie vielleicht so lauten: "Du lebst in einer westeuropäischen Ehe mit einem Mann zusammen - gut! Wie gestaltest Du diese Ehe als jemand, der Gott als König anerkennt, der seinen Bund und sein Gebot kennt? Wie hältst Du es mit der Gerechtigkeit in Deiner Ehe? Wie hältst Du es mit der Solidarität in Deiner Ehe?" Oder: "Du lebst in der kulturell ererbten Lebensform "Ehe" mit einer Frau zusammen - gut! Wie sieht es aus mit Verbindlichkeit in dieser Beziehung, mit euch als Paar im Verbund der Gemeinde und im Kontext einer Weltgesellschaft?" Richtet sich die konkrete Ehe an Gottes Reich und Gottes Bund, an der "Gemeinschaftsgerechtigkeit" aus, dann kann zurecht gesagt werden, dass die von Gott schon in der Schöpfung gewollte Bündnis- und Partnerschaftsfähigkeit des Menschen von Männern und Frauen in dieser Ehe eine legitime Lebens- und Ausdrucksform gefunden hat.
Begeben wir uns auf die Spurensuche in der Bibel, dann werden wir auf eine Spur gesetzt, die nach inhaltlichen Kriterien unserer Lebensbeziehungen fragt.
Schöpfungsmäßig ist es so, dass die Menschen männlich und weiblich geschaffen wurden. Die so geschaffenen Menschen bilden Lebensformen unterschiedlichster Art aus, in Europa anders als in Afrika, in Amerika anders als in Asien und in den einzelnen Regionen noch einmal sehr verschieden - doch alle diese Formen werden zu befragen sein nach den Kriterien, nach denen sie sich ausrichten. Wir haben festgehalten: Der Fluchtpunkt, das inhaltliche Kriterium der Bibel kann man mit dem Begriff der "Gemeinschaftsgerechtigkeit" umschreiben. Einem Begriff, der Reich Gottes und Bund umfasst und uns überraschend die ganze Bibel aufschließt.
Lassen Sie mich versuchen, einen Schritt weiter zu gehen und Vorschläge zu machen, wie sich die "Gemeinschaftsgerechtigkeit" konkretisiert, wenn wir Formen des Zusammenlebens suchen.
Die Lebensformen der Menschen haben sich im Wandel der Zeit immer wieder verändert. Die Ehe des Mittelalters nahm andere Gestalt an als die des 19. Jahrhunderts. Und in unserem Jahrhundert hat sie nochmals gewaltige Wandlungen hinter sich. Die äußeren Bedingungen, seien sie wirtschaftlicher, politischer oder kultureller Art bestimmen die Lebensformen ebenso wie die theologischen und philosophischen Voraussetzungen (11) .
Auch die biblischen Aussagen zur Ehe unterliegen diesen Bedingungen. So wird uns heute das Institut der "Schwagerehe" fremd und unverständlich, vielleicht sogar anstößig vorkommen. Es gehörte zur Zeit der Hebräischen Bibel und des Neuen Testamentes aber zu den Rechtsinstituten, die auch der Frau ein Mindestmaß an sozialer und gesellschaftlicher Sicherheit gewährleisteten.
Wenn es richtig ist zu sagen: Wir sind vom kommenden Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit her dazu befähigt und aufgefordert, nach dem relativ Besseren auch im Bereich menschlicher Gerechtigkeit zu suchen, dann werden von Gottes Reich und Bund her - in dem Gott sich Israel und der Gemeinde unverbrüchlich zugesagt hat - auch die von uns eingegangenen oder einzugehenden Beziehungen in einem anderen Licht erscheinen.
Man kann dann auch, wie es Klappert tut, von der Ehe als einem "Zeichen des Bundes" sprechen (Anm.10, 48ff, 73ff, 76ff). Die Betonung darf allerdings nicht allein auf der Entsprechung der Ehe zum Bund Gottes mit seinem Volk liegen, sondern auch, was ebenfalls Klapperts Anliegen ist, auf der Zeichenhaftigkeit dieser Entsprechung. Wenig gewonnen wäre ja, wenn nach der berechtigten Ablehnung der Sakramentalisierung der Ehe, nun über den bundestheologischen Kontext wiederum eine Überhöhung der Ehe gleichsam durch die Hintertür stattfände. Es muss klar bleiben, dass auch der Bund nicht zur Ableitung der Ehe funktionalisiert wird. Einer Überhöhung der Ehe durch Inbeziehungsetzung zum Bund Gottes mit seinem Volk kann nur gewehrt werden, wenn deutlich bleibt, dass die Menschen auf der horizontalen Ebene nicht in erster Linie unter dem Anspruch der Entsprechung zum Bund Gottes auf der vertikalen Ebene stehen, sondern dieser Bund der die "Ehebünde" der Menschen umgreifende Bund ist und bleibt Der Gott des Bundes ist immer der Gott der Versöhnung (50). Ist das gegenseitige Treueversprechen und die gegenseitige Treueverpflichtung auch Ausdruck der Humanität der Menschen, ebenso wie der ungekündigte Bund Gottes ein Ausdruck seiner Menschlichkeit ist, dann handelt es sich hier um eine Humanität "über die wir nicht verfügen, die wir uns aber verheißen, zusprechen und schenken lassen dürfen" (52). Es bleibt festzuhalten: In dem Treueversprechen und in der Treueverpflichtung, die lebenslang gelten soll, überschreitet der Mensch sich notwendigerweise und verlässt sich auf Gott hin (vgl. 50). Also: keine bundestheologische Überhöhung der Ehe, aber eine bundes- und versöhnungstheologische Relationierung der Ehe auf den Bund des Gottes Israels mit seinem Volk und der Gemeinde des Christus Jesus Insofern ist die Ehe in der Tat ein "Zeichen des Bundes".
Vom Kriterium der biblischen Gemeinschaftsgerechtigkeit her, möchte ich sechs Stichworte nennen, die aus meiner Sicht zu einer Form für die Liebe gehören und die wir in der anschließenden Diskussion weiter konkretisieren und vertiefen sollten.
a) Der Verbindlichkeitscharakter (12)
Eine Lebensgemeinschaft, die sich an der biblischen Gemeinschaftsgerechtigkeit auszurichten versucht, geht ein hohes Maß an Verbindlichkeit ein. Die Partnerinnen und Partner in diesen Beziehungen müssen sich aufeinander verlassen können und zu ihrem Wort stehen - in Entsprechung zur Bundestreue Gottes zu seinem Volk.
b) Der Rechtscharakter
Eine Lebensgemeinschaft, die sich an der biblischen Gemeinschaftsgerechtigkeit auszurichten versucht, weiß darum, dass sie in der "noch nicht erlösten Welt" eingegangen wird. Sie weiß um die Fehlbarkeit und Brüchigkeit des Lebens und unserer Versprechen. Darum versucht sie, der Liebe Rechtsformen zu geben. Die Verbindlichkeit des Versprechens wird unterstützt durch rechtliche Bindungen. Maxima caritas lex - die größte Liebe bedeutet Recht (H. Albertz). Recht und Liebe widersprechen sich nicht, sondern wer liebt, trachtet danach, dass diejenigen, die er liebt, im höchstmöglichen Maße gesichert sind.
c) Der Parteilichkeitscharakter
Eine Lebensgemeinschaft, die sich an der biblischen Gemeinschaftsgerechtigkeit auszurichten versucht, ist darum bemüht, innerhalb der Beziehung dem Schwächeren oder der Schwächeren zur Seite zu stehen und Rücksicht zu nehmen. Nicht die Selbsterfüllung, sondern die Fürsorge für den Partner und die Partnerin ist das vorrangige Gebot - in Entsprechung zu Gottes Parteinahme für die jeweils Schwachen.
Der Parteilichkeitscharakter bestimmt die Beziehung im Inneren. Die Parteilichkeit für den Partner und die Partnerin bezieht sich sowohl auf die Fragen des Geldes, der paritätischen und fürsorglichen Übernahme von Verantwortung etwa in der Kindererziehung, der Verwirklichung in Arbeit und Beruf, aber auch der Ausschließlichkeit, mit der man sich gerade in den Fragen der Sexualität an diesen einen Menschen bindet.
d) Der Ausschließlichkeitscharakter
Eine Lebensgemeinschaft, die sich an der biblischen Gemeinschaftsgerechtigkeit auszurichten versucht, hat nach außen eine exklusive Tendenz. Die Partnerinnen und Partner binden sich in einer Ausschließlichkeit aneinander, die ihre Beziehung von allen anderen Beziehungen in denen sie leben, abhebt. Besonders im sexuellen Bereich ist diese Ausschließlichkeit zu betonen, denn hier sind die Partnerinnen und Partner besonders verletzlich.
e) Der Öffentlichkeitscharakter
Eine Lebensgemeinschaft, die sich an der biblischen Gemeinschaftsgerechtigkeit auszurichten versucht, stellt sich in die Öffentlichkeit der Gesellschaft und der Gemeinde. Ihre Verbindlichkeit, ihren Rechtscharakter, ihre Parteilichkeit und ihre Ausschließlichkeit dokumentiert sie auch nach außen und übernimmt so für sich selbst und für die Welt Verantwortung. Sowohl nach innen wie nach außen ist der Aspekt der Öffentlichkeit konstitutiv. Mit ihr wird nach innen die Verantwortlichkeit füreinander auch im Kontext aller anderen, nicht aufzugebenden Beziehungen bewährt. Nach außen überschreitet die Beziehung sich damit selber und läßt sich einbinden in den Auftrag, der der zweigeschlechtlich geschaffenen Menschheit gegeben ist. Bündnis- und Partnerschaftsfähigkeit bedeutet immer auch "Öffentlichkeit", nicht nur "Privatsphäre".
f) Die Teilnahme an der Weltverantwortung
Eine Lebensgemeinschaft, die sich an der biblischen Gemeinschaftsgerechtigkeit auszurichten versucht, weiß darum, dass sie von Gott beauftragt ist, seine Erde zu hegen und zu pflegen. Dieser Verantwortung stellt sie sich und bemüht sich, in der Gemeinde und in der Welt an diesem Auftrag teilzunehmen. Sie lässt sich einbinden in die Strukturen der Gemeinde und der Gesellschaft und bemüht sich, in ihnen gemäß der kommenden Gottesherrschaft, seiner Gerechtigkeit und seinem Gebot "der Stadt Bestes" zu suchen.
Die Teilnahme an der Weltverantwortung, durch die die zweigeschlechtlich geschaffenen Menschheit ihre Gottebenbildlichkeit bewährt, kann in den unterschiedlichen Kulturen und Regionen unterschiedlichste Ausprägungen und Verhaltensweisen freisetzen. Sie ist sowohl regional als auch global wahrzunehmen.
Einige lose Hinweise: Vom Kriterium der Gemeinschaftsgerechtigkeit her wird zu fragen sein, ob eine kinderlose Ehe im Vergleich mit einer Lebensgemeinschaft ohne Trauschein, aber mit Kindern, steuerlich bevorzugt werden darf. -
Oder: Innerhalb der Gemeinde wird danach zu fragen sein, welche Möglichkeiten es geben könnte, das Verhältnis der Singles und der Lebensgemeinschaften unterschiedlichster Form und Struktur besser aufeinander abzustimmen. Für die durch die Doppelbelastung "Familie und Beruf" mit der Kindererziehung häufig überlasteten (Klein-)Familien, könnte nach besserer Einbindung in die Gesamtstruktur der Gemeinde gefragt werden. Warum können Singles, und kinderlose Paare innerhalb der Gemeinde nicht Mitverantwortung auch für die Kinder anderer übernehmen? Theologisch spricht dagegen wahrlich nichts - es wäre eher eine konkrete Einlösung dessen, was im Kontext der Taufe der ganzen Gemeinde aufgetragen wurde.
Dass hier die Gemeinde als der erste Raum, in dem Gott den bündnis- und partnerschaftsfähigen Menschen findet, eine "Vorreiterrolle" zukommen könnte , möchte ich damit nur andeuten (13) .
Sie werden vielleicht sagen: "Diese sechs Stichworte sind doch weitestgehend genau die, die wir von einer Ehe bereits kennen. Bleibt damit die Ehe nicht doch Maßstab und Leitbild, an dem alle anderen Lebensgemeinschaften gemessen werden?" Nun, wenn diese von der biblischen Gemeinschaftsgerechtigkeit her gewonnen Aspekte auf eine Ehe zutreffen, dann können wir dankbar sein, eine gemeinschaftsgerechte Lebensgemeinschaft vor uns zu haben. Es wird aber zu fragen sein, ob unsere Ehen so gestaltet sind.
Wie heute Abend bereits mehrfach angeklungen ist, geht es weder mir noch dem DP um eine Abwertung oder Relativierung der Ehe, sondern um ihre Relationierung (14) , um ihre inhaltliche Näherbestimmung, um ihre Inbeziehungsetzung zum kommenden Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, eben um Lebensgemeinschaften und damit auch die Ehe in der Nachfolge.
Sind die Institutionen, in denen wir leben im Wandel der Zeit selbst von Wandel betroffen, prägt die Institutionalität des Menschen neue Formen aus, reichen die alten nicht mehr oder erfüllen nicht mehr ihren Auftrag, dann sollen wir uns am Kriterium der Gemeinschaftsgerechtigkeit schulen lassen und fragen, ob andere Lebensformen ihm besser genügen und welche neuen oder zusätzlichen wir u. U. ausprägen können.
Das Monopol der Ehe in der Form, in der wir sie kennen, ist vorbei. Darüber können wir klagen, wenn wir meinen es zu müssen, aber ändern werden wir daran nichts. Die Frage, vor der wir stehen und der das DP sich gestellt hat, ist die, ob wir von christlicher Seite aus auf eine ganz bestimmte Form des Zusammenlebens festgelegt sind, deren inhaltliche Qualifikation sozusagen in den Privatbereich delegiert wird, oder ob wir von den biblischen Texten her Richtungen und Linien, eben einen Fluchtpunkt entdecken können, anhand dessen wir alle Formen menschlichen Zusammenlebens beurteilen.
Im Übrigen: Die inhaltliche Qualifikation unserer Lebensgemeinschaften vom kommenden Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit her steht über der Zusammensetzung unserer Lebensgemeinschaften. Auch für homosexuelle Paare gilt, dass eine Ausrichtung an der biblischen Gemeinschaftsgerechtigkeit ihre Lebensform auszeichnet und würdigt und in der Kirche einen gleichberechtigten Stand verdient (15).
Lassen sie mich zum Schluss das ganze uns beschäftigende Thema auf den theologisch grundsätzlichen und entscheidenden Punkt bringen:
Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Situation des Kirchenkampfes ist keineswegs mit der unsrigen zu vergleichen. Wir befinden uns nicht in äußerlicher Pression.
Ein Rückgriff auf das Bekenntnis der Barmer Theologischen Erklärung soll darum von mir auch nicht mit Bekenntnispathos vorgetragen werden, sondern allein in dem Sinn, dass ich danach frage, ob in Barmen vor nunmehr 63 Jahren nicht eine Grundsatzentscheidung getroffen wurde, mit deren konsequenter Fortführung wir bis heute beschäftigt sind und die uns in der Frage nach "Sexualität und Lebensformen" und mit der damit einhergehenden Frage nach der Stellung der Ehe heute wieder begegnet (16).
a) Barmen V und die Lebensgemeinschaften von Männern und Frauen in der noch nicht erlösten Welt
Barmen V hat sich von einer Sicht des Staates konsequent verabschiedet, die im Staat - gleich welcher Regierungsform er sich bedient - eine unveränderliche Schöpfungsordnung Gottes sah, um deren Legitimierung bzw. Anerkennung sich gerade auch die Theologie zu bemühen habe. Im Unterschied dazu erkannte man den Staat als eine Anordnung Gottes, der in der noch nicht erlösten Welt einen bestimmte Auftrag zu erfüllen hat, nämlich nach Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens für Recht, Frieden und Freiheit zu sorgen. Nur insofern eine konkrete Regierungsform dieser Aufgabe des Staates dient, wird sie als Ausdruck des Schöpferwillens Gottes anzuerkennen und zu unterstützen sein.
In ähnlicher Weise stehen wir heute vor der Aufgabe, die Ehe als eine Lebensform dahingehend neu zu verstehen, dass wir sie nach ihrer Funktion und ihrem Auftrag befragen und sie als eine Anordnung Gottes sehen, die helfen soll, in der noch nicht erlösten Welt nach menschlicher Einsicht und menschlichem Vermögen "für ein Höchstmaß an Verbindlichkeit, Treue und Recht und 'Freiheit in der Gemeinschaft' zu sorgen (17)." Weder eine bestimmte Regierungs- bzw. Staatsform noch eine bestimmte Lebensform als solche ist damit unveränderlich festgelegt, sondern beide sind dynamisch offen, immer wieder neu zu gestalten und daraufhin zu befragen, ob sie dazu dienen, dem Willen Gottes entsprechen zu können oder ob sie ihn verschleiern, den Gehorsam erschweren oder gar unmöglich machen.
Wie der Staat mit seinen unterschiedlichen Regierungsformen, so haben auch die Lebensgemeinschaften von Menschen einen bestimmten Auftrag. Sie sind Anordnungen Gottes, Orte der Bewährung des Gehorsams, nicht Schöpfungsordnungen, aus denen ihre Würde und Legitimität zu begründen oder abzuleiten wären.
Im Blick auf die Ehe wäre Barmen V zu formulieren: In der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, haben alle Lebensgemeinschaften den Auftrag, nach menschlichem Vermögen und menschlicher Einsicht für ein Höchstmaß an Verbindlichkeit, Treue, Recht und Freiheit in der Gemeinschaft zu sorgen
b) Das Darmstädter Wort: "Die christliche Freiheit Lebensformen zu ändern"
Das DP verabschiedet sich in der Tradition von Barmen V von einer mehrhundertjährigen Auslegungstradition der Kirche, von einem sakramentalen Verständnis der Ehe ebenso, wie von ihrem Verständnis als Schöpfungsordnung und den daraus folgenden Ideologisierungen der Ehe.
Damit orientiert es sich auch am Darmstädter Wort, in dem der Bruderrat der Ev. Kirche und Deutschland im Blick auf die Vergangenheit das Festhalten der Ev. Kirche an einer letztlich katholischen Schöpfungsordnungstheologie beklagt. Dort heißt es:
"Wir sind in die Irre gegangen, als wir begannen, eine ,,christliche Front" aufzurichten gegenüber notwendig gewordenen Neuordnungen im gesellschaftlichen Leben der Menschen. Das Bündnis der Kirche mit den das Alte und Herkömmliche konservierenden Mächten hat sich schwer an uns gerächt. Wir haben die christliche Freiheit verraten, die uns erlaubt und gebietet, Lebensformen zu ändern, wo das Zusammenleben der Menschen solche Wandlung erfordert."
"Erdet die Ehe", habe ich den Vortag überschrieben.
Die Ehe ist keine Schöpfungsordnung, sie ist kein Sakrament, sie ist eine bestimmte Lebensform, die ausgebildet worden ist, um den Auftrag Gottes im menschlichen Zusammenleben nachzukommen. Sie hat ihre guten und sie hat ihre schlechten Seiten. Sie ist eine Anordnung Gottes in der noch nicht erlösten Welt, die wir dankbar entgegennehmen, soweit sie ihrem Auftrag dient.
Die christliche Freiheit erlaubt uns Lebensformen zu ändern, wo das Zusammenleben der Menschen solche Wandlung erfordert.
Menschen, denen diese Lebensform keine Perspektive gibt, die sich auf sie nicht einlassen wollen oder können, darum aber nicht weniger dem Kriterium der Gemeinschaftsgerechtigkeit entsprechend zu leben suchen, dürfen und müssen andere Formen zur Verfügung stehen. Das werden eigene Formen sein, keine von der Ehe abgeleiteten, sondern an der Gemeinschaftsgerechtigkeit orientierte Formen.
Im politischen Bereich hat sich hier in den letzten 3 Jahren bereits einiges bewegt.
Im Kirchlichen Bereich stehen wir noch ganz am Anfang. Wenn Menschen zu uns kommen, die für ihre Lebensgemeinschaft um den Segen Gottes bitten, dann können wir sie m.E. nicht abweisen. Wir segnen nicht eine Institution, sondern wir rufen Gott an über einer Institution, dass er die in ihr lebenden Menschen mit der Kraft ausstatten möge, die zur Heiligung seines Namens und dem Tun seines Willens in der noch nicht erlösten Welt notwendig ist.
Den konkreten Fragen der Kirche heute kann die Befreiung von statischem Denken m.E. nur gut tun. Denn so sind wir nochmals aufgefordert worden, uns auf Spurensuche in der Bibel zu begeben, um uns von dort sagen zu lassen, was Gott will, nämlich die Bündnis- und Partnerschaftsfähigkeit des Menschen, sein gemeinschaftsgerechtes Zusammenleben in Liebe und Verantwortung. Dem haben alle Lebensformen zu dienen. In diesen Kontexten steht aus meiner Sicht die jetzige Diskussion der Rheinischen Kirche. Das Leben stellt uns Fragen, die wir mit der Bibel in der Hand beantworten müssen, die aber nicht sogleich und mit den alten Antworten zu lösen sind. Die Offenheit, in die wir damit entlassen werden, macht vielen Angst, weil sie Neuorientierung verlangt und sicher in Besitz genommenes Land verlassen heißt. Zugleich aber liegt auf dieser Offenheit die Verheißung, dass Gott auch in dieser Frage unsere Füße auf weiten Raum stellen will, damit wir sicher wohnen.