Wenn Menschen kritiklos folgen

Predigt über Gen. 22, 1 - 14 (Judika), vom 11.4.2011


David Teniers der Jüngere: Opferung Isaaks (Ausschnitt) © Kunsthistorisches Museum Wien/Wikicommons

Von Klaus Vesting

Liebe Gemeinde!

Morgen vor 66 Jahren wurde das KZ Buchenwald befreit. An seinem Tor stand - und steht bis heute: Jedem das Seine, auf gut Latein: suum cuique. Es stammt aus einem Wort des älteren Cato (3./2. Jh. v. Chr.). Er hatte damals gesagt: ”Soweit es an mir liegt, soll jeder das Seine nutzen und genießen dürfen.”

Genießen im Zusammenhang mit einem Todeslager - welcher Zynismus. 6 Mio. Juden und Millionen Kriegsgefangene, Schwule, Zigeuner, politisch Aktive, Christen und andere sind diesem Zynismus zum Opfer gefallen. Der Mann, der das alles organisierte, wurde 15 Jahre nach der Befreiung in Argentinien aufgespürt und nach Israel gebracht. Gleichfalls morgen - vor 50 Jahren - begann sein Prozess: Adolf Eichmann; er beruft sich auf Gehorsam und Befehl. Das besondere dieses Prozesses: Die Opfer bekommen eine Stimme. Die Welt erfährt vom ganzen Ausmaß national-sozialistischen Rassenwahns. Ein knappes Jahr nach Prozesseröffnung wird Eichmann in Jerusalem hingerichtet.

Und noch etwas geschah an einem 11. April. 1968 wird der Studentenführer Rudi Dutschke niedergeschossen. Der rote Rudi war dem Neonazi Josef Bachmann ein Dorn im Auge. Aber es ist nicht immer der 11. April und es sind auch nicht immer nur Nazis. Vor 30 Jahren wird John Lennon von einem religiösen Fanatiker niedergeschossen, der von einer Stimme Gottes als Auftraggeber sprach.

Ebenso argumentierte der jüdische Extremist, der den israelischen Ministerpräsidenten Rabin ermordete oder jener jüdische Arzt Baruch Goldstein, der vor Jahren in der Al Aksa Moschee in Jerusalem ein Blutbad anrichtete. Und nicht zuletzt behaupteten die Attentäter des 11. September sie handelten im Auftrage Gottes.

Schon die mittelalterlichen Kreuzritter beriefen sich in ihrem Tun auf Gott: Gott will es, war ihr Schlachtruf. Auch in unserer heutigen Geschichte will Gott offenbar etwas. Er will Abraham prüfen. Er will prüfen, ob er, Gott, bei Abraham an oberster Stelle ist. “...da wird auch dein Herz sein” ist das Motto des Kirchentages in Dresden. Ist Abrahams Herz bei Gott oder bei seinem geliebten Sohn. Eine furchtbare Prüfung, eine grausame Alternative: Gott oder Sohn - warum nicht Gott und Sohn.

Warum überhaupt Prüfung - ein Gott, ohne dessen Willen kein Haar von meinem Haupt fallen kann, muss doch wissen, wie es um Abraham und seinen Glauben steht. Er kennt doch Abraham und dessen Vertrauen. Warum dieses schreckliche Ansinnen? Man spricht gern von der Abgründigkeit der Geschichte, von dem uns fremden Gott, dessen Wege unausforschlich sind. Wer so spricht, sieht die schlimme Geschichte, aber kann sich keinen Reim darauf machen. Wieso Gott so etwas verlangen kann, doch da sie nun mal in der Bibel steht, wird sie schon irgendeinen Sinn haben, der uns verborgen ist und sei es der, dass Gott Abraham prüft und Abraham die Prüfung besteht. So etwa steht es ja auch am Ende: “Nun weiß ich, dass du gottesfürchtig bist.”

Was der Knabe bei dieser Prüfung durchmacht, scheint keine Rolle zu spielen. Im Gegenteil, man hat immer den armen Abraham bedauert und seine Seelenqualen bedacht. Aber hat Abraham überhaupt Seelenqualen? Gibt es irgendeinen Moment in der Geschichte wo Abraham zögert, wo wenigstens der Ansatz eines Widerspruchs ist? Ein Moment der Klage? Nichts, im Gegenteil, frommer Eifer.

“Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, Isaak“ - wer so spricht, weiß, was Isaak für Abraham bedeutet - “und geh in das Land Moria und bring ihn dort als Brandopfer dar...” Verbrenne, was du am meisten liebst auf dem Altar Gottes als Brandopfer, als Holokautomai. Während der normal empfindende Mensch aufschreien würde, hebe dich hinweg Satan, schwelgt die fromme Seele in Hingabephantasien.

Und Abraham  - ist übereifrig: er sattelt den Esel und spaltet das Holz - hat er nicht zwei Knechte für diese Arbeiten? Warum zeigt er sich so beflissen? Dann ziehen sie los. Nach drei Tagen sind sie fast am Ziel. Knechte und Esel werden zurückgelassen. Wir beten an und kommen dann zurück, sagt Abraham. Ist das nun eine faustdicke Lüge - Abraham müsste wissen, dass er allein zurückkommt - oder ist Abraham tatsächlich noch unentschieden, was er machen wird? Warum lässt unser Erzähler den Abraham überhaupt etwas sagen zu den Knechten?

“Wartet hier” hätte doch auch gereicht - ohne den Makel der Lüge. Wollte der Erzähler, dass Abraham lügt? Jetzt gehen sie allein weiter. Abraham bürdet Isaak den großen Holzstapel auf. Er trägt Messer und Feuer. Tot schuftet er sich damit nicht. Gern entlastet man Abraham: er trage die gefährlichen Dinge mit denen sich der Sohn verletzen könnte - rührende Erklärung angesichts der bevorstehenden Verletzungen. Man kann’s auch anders interpretieren. Ohne Messer und Feuer kein Opfer - Abraham will sichergehen, dass beides nicht zufällig unterwegs verloren geht. Wieder der blinde Eifer.

Sie gingen miteinander. Was Abraham bewegte, ob ihn überhaupt etwas bewegte - wird nicht erzählt, wohl aber was Isaak bewegte: Wo ist das Opferlamm? Ist das nicht herzzerreißend? Der  Leser ist wissend, Abraham ist wissend - aber kühle Ausweichantwort: “Gott wird sich schon ein Lamm ausersehen.” Oben auf dem Berg baut Abraham einen Altar, schichtet das Holz auf - bis dahin ist noch alles offen - nicht wirklich, aber theoretisch.

Bis dahin hätte Abraham sich von seinem Ziel, Isaak zu opfern, abkehren können. Beide hätten sich ins Gras gesetzt und gewartet, ob sich ein Opfertier einstellt. In dem Moment, wo Abraham Isaak bindet, muss dem Knaben klar sein, was passiert. In dem Moment muss er gedacht oder vielleicht auch gesagt haben: der Alte ist verrückt geworden.

Hätte der Erzähler nicht wenigstens Abraham dem Isaak das ganze Geschehen erklären lassen können? Ein Wort der Liebe, wie leid ihm das alles tue. Aber dann wäre ja der Mensch in Abraham angerührt worden, der Vater, der ahnt, dass man so als Vater nicht handeln darf, wie zu handeln Abraham vorhatte. Statt dessen, emotionslos, binden, Messer recken, zustechen. Zum letzten, zum äußersten kommt es nicht. Abraham wird zurückgepfiffen in letzter Sekunde.

Die meisten Ausleger jubeln: Abraham hat die Prüfung bestanden, er hätte seinen Sohn nicht verschont, für Gott dahingegeben, kirchentagskonform ist sein Herz bei Gott. Den Weg gab der Hebräerbrief vor: der gehorsame Abraham als Vorbild des Glaubens.

Liest man die Geschichte jedoch aufmerksam und unbefangen, muss man zu einem anderen Ergebnis kommen: Abraham hat die Prüfung nicht bestanden. Er hätte kämpfen müssen um seinen Sohn, so wie er für die Gerechten von Sodom mit Gott gerungen hat; er hätte widerstehen müssen, denn den Sohn opfern zu sollen, ist ein zutiefst unmoralisches Verlangen und kann unmöglich von Gott kommen. Immanuel Kant schreibt im “Streit der Fakultäten”: “Abraham hätte auf diese vermeintliche göttliche Stimme antworten müssen: Dass ich meinen guten Sohn nicht töten solle, ist ganz gewiss, dass aber du, der du mir erscheinst, Gott sei, davon bin ich nicht gewiss und kann es auch nicht werden.”

Abraham hat versagt. Er hätte etwas getan, weil angeblich von Gott gewollt, was in Israel ein Gräuel war. An etlichen Stellen der Bibel wird der Abscheu gegenüber dem Opfern von Kindern zum Ausdruck gebracht.

Der Moloch vom Hinnomtal bei Jerusalem steht dabei im Zentrum der Kritik. Dort wurden Kinder geopfert, obwohl es das 3. Mosebuch ausdrücklich verbot und Propheten wie Jeremia ihre Stimme dagegen erhoben. Kinderopfer sind dem Gott Israels ein Gräuel. Abraham hätte es trotzdem getan. Aber die Geschichte selber übt an Abraham und seinem fundamentalistischen Eifer Kritik. Dass sie ihm mindestens eine Lüge in den Mund legt haben wir schon festgestellt, auch, dass sein eifriges Handeln geschildert wird.

Am Anfang der Geschichte und bei allen Geschichten zuvor - spricht Gott mit Abraham, am Ende und danach spricht Gott nur noch durch einen Boten. Abraham hat durch seinen fundamentalistischen Eifer den direkten Kontakt zu Gott verloren.

Am Ende opfert Abraham einen Widder. Für die Prüfung, ob er auch unbedingt den Willen Gottes erfüllt, wäre das nicht nötig gewesen. Das Messer im erhobenen Arm wäre Beweis genug gewesen, das sollte ja erfahren werden, man hätte nun nach Hause gehen können. Aber nein, erzählt wird vom Opfern und zwar nicht eines Lammes - wie auf dem Weg erwogen - sondern eines Widders. Es ist der Sündenbock. Wer schuldig wurde am Herrn, musste einen Widder opfern, so sagt es das 3. Mosebuch. Aha, Abraham war schuldig geworden - und worin bestand denn seine Schuld, eben darin, dass er nicht gezögert hätte, sein Kind zu opfern. Gerade das Opfern des Widders zeigt, dass Abraham gescheitert ist, die Prüfung nicht bestand.

Und was ist mit dem Satz: “Nun weiß ich, dass du gottesfürchtig bist, da du mir deinen Sohn, deinen einzigen nicht vorenthalten hast.” Man hat ihn immer als Lob verstanden. Aber lobt er wirklich; stellt er vielleicht nicht nur fest, oder liegt gar ein Tadel in diesen Worten? Abraham - gottesfürchtig, einer der Gott fürchtet und deshalb sogar bereit ist, alles zu opfern, um nicht vom Zorn Gottes getroffen zu werden? Das “gottesfürchtig” wiegt besonders schwer, weil es einen Gegensatz bildet zum Anfang: “...deinen Sohn, den du lieb hast.”

Den Sohn, den er liebt, lässt er fallen, weil er Gott fürchtet. Das ist der Punkt, an dem Abraham scheitert. Heißt es nicht im Grundbekenntnis Israels: ”Höre Israel: Der Herr unser Gott ist der einzige Herr. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit deiner ganzen Kraft.” Lieben, nicht fürchten. Furcht macht unberechenbar, Furcht schafft Übereifer, zuvorkommenden Gehorsam, der tun will von dem er glaubt, es sei Gott wohlgefällig. Fundamentalismus erwächst aus der Angst, Gott nicht zu genügen. Aber der Gott der Bibel macht gerade deutlich, dass er ein liebender Gott ist. Und ein liebender Gott verlangt keine unmöglichen Opfer; übrigens auch nicht von sich selbst.

Fromme Theologie meint ja, Gott habe in Jesus vollendet, was er bei Abraham und Isaak verhindert habe. Und deshalb ist es ja auch kein Zufall, dass dieser Text in der Passionszeit gepredigt wird. Aber ich bin sicher, Gott wäre auch einem Gott in den Arm gefallen, der seinen Sohn hätte opfern wollen. Jesu Tod ist schrecklich, vielleicht Folge einer konsequent menschenfreundlichen Haltung, aber er ist kein Opfer, was Gott wollte, auch wenn Theologie das seit fast 2000 Jahren behauptet und lehrt als dem Zentrum christlichen Glaubens. Das Zentrum christlichen Glaubens ist aber der barmherzige Gott, der die Menschen liebt wie ein Vater.

Unser Text ist ein Plädoyer für Menschlichkeit. Der Mensch wird unmenschlich, wenn er sich einer angeblich höheren Idee verschreibt, einem -ismus oder Religion und dem kritiklos, eifernd folgt. Dann kann er sogar zum Mörder werden wie die Eingangsbeispiele zeigen. Wir werden nicht verhindern, dass Menschen mörderischen Ideologien oder fundamentalistischen Religionen folgen, aber wir können auf unsere Abrahamsgeschichte verweisen und sagen: auf Gott darf sich solches Tun nicht berufen. Er fällt dem Eiferer in den Arm und schützt das Leben.
Wir müssen Gott nicht fürchten, wir dürfen ihn lieben.

Amen


Klaus Vesting