Alles falsch gemacht?

Mittwochskolumne von Paul Oppenheim


© Pixabay

Bundeskanzler Olaf Scholz nennt es eine „Zeitenwende“. Die meisten Politikerinnen und Politiker, aber auch Presse- und Kirchenleute verwenden denselben Begriff und begründen damit, dass alles ein Irrweg gewesen sei, was vor dem 24. Februar 2022 getan wurde und eine völlig neue Ausrichtung Deutschlands nötig sei.

Russland unter der Herrschaft Wladimir Putins hat das getan, worauf sich die NATO seit Jahrzehnten  vorbereitet hat. Unzählige Militärübungen haben Angriffe des russischen Militärs simuliert. An vielen Orten hat Russland seinerseits – nicht nur in Übungen – seine Bereitschaft gezeigt, militärisch Fakten zu schaffen. Bei Talkshows und im Parlament hat es immer Stimmen gegeben, die nicht müde wurden, das Feindbild Russland wach zu halten und vor einer Rohstoffabhängigkeit von Russland zu warnen. Nicht aus Naivität, sondern im Wissen um die Zerbrechlichkeit des Friedens, hat sich die deutsche Regierung dennoch nicht von Russland abgewandt.

Worin besteht also die „Zeitenwende“, die den vollkommenen Paradigmenwechsel rechtfertigen soll? Ist es eine Frage der Dimension? Ist das quantitative Argument etwa ausreichend, um Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet neuerdings für vertretbar zu halten? Wie kommt es, dass beim 100 Milliarden-„Sondervermögen“ niemand an den CO2-Ausstoß militärischer Flugzeuge, Schiffe und Panzer erinnert? Wie kann es plötzlich akzeptabel sein, Öl und Gas aus Nordamerika zu importieren, das mit der umweltschädlichen Fracking-Methode gewonnen wird?

Die deutsche Regierung verwickelt sich in Widersprüche, die nicht erkennen lassen, wie dadurch das Töten in der Ukraine beendet und Europa – einschließlich Russlands- ein Kontinent  des Friedens werden kann. Die Worte der Bergpredigt, Erkenntnisse der Friedensbewegung, Grundsätze evangelischer Friedensethik gelten heute als „aus der Zeit gefallen“. Mich tröstet es, dass uns noch ganz vereinzelte  Stimmen daran erinnern, dass nicht alles falsch war… wie jene von der Insel Hiddensee:

„Es ist alles Erdenkliche zu tun, was das Vertrauen zwischen den Völkern wachsen lässt. Wir sind dankbar für alle in diese Richtung zielenden Bemühungen der letzten Jahrzehnte und weigern uns, sie nun nachträglich für einen Irrweg zu halten.“1

---

1 Gemeinsames Wort der Nagelkreuzzentren Hiddensee, St. Marien Stralsund, Ev. Kirchengemeinde Krummin-Karlshagen-Zinnowitz, verabschiedet auf ihrem Treffen am 11.03.2022 in Kloster auf Hiddensee https://www.kirche-hiddensee.de/passionszeit-und-krieg-in-der-ukraine/


Paul Oppenheim