Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung
Weihnachtspredigt zu Jesaja 11,1-9
1 Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. 2 Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN. 3 Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des HERRN. Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, 4 sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten.
5 Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften. 6 Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. 7 Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. 8 Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. 9 Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt.
Predigttext: Jesaja 11, 1 - 9
Liebe Geschwister,
Jesaja hat eine Welt von morgen, für morgen beschrieben, eine Welt, von der er träumte und an die er glaubte. Rund 500 Jahre später schrieb ein anderer, „Prediger“ genannt: „Das Auge wird nicht satt zu sehen, das Ohr wird nicht voll vom Hören. Was gewesen ist, wird wieder sein, und was geschehen ist, wird geschehen. Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“
Der diese Gedanken aufschrieb, zog Bilanz, und er bilanzierte nicht nur sein eigenes Leben. In alten Schriften hatte er geforscht, hatte bei den Alten erfragt, wie es früher war, von Menschen aus fernen und fremden Ländern hatte er wissen wollen, wie es dort zuging. Wo immer er an Nachrichten kommen konnte, hatte er sie gierig aufgenommen. Doch was er sah, was er hörte, was er erfuhr: Es ähnelte sich, und das oft so sehr, dass ihm schien: Überall auf der Welt das gleiche Schema, nach dem alles ablief. Gewiss, Einzelschicksale unterschieden sich, jedenfalls manchmal. Und so schwer Einzelne auch an ihrem Los zu tragen hatten: Dahinter stand immer das gleiche Schema, ob zwischen einzelnen Menschen oder zwischen Völkern: In Ängsten die einen, und die anderen lebten gar nicht schlecht. Nichts Neues unter der Sonne.
Der Schreiber lehnte sich zurück, er musste noch einmal nachdenken, ob dieser Satz so stehenbleiben konnte. Schließlich sollte, was er aufschrieb, anderen zur Lehre dienen. Seine Erfahrungen sollten anderen, jüngeren helfen, mit ihrem Leben besser fertig zu werden, in einer besseren Welt zu leben.
Ja, als er noch jung war: Wie hatte er sich da eingesetzt! Für Gerechtigkeit zum Beispiel. Unter den Geschwistern, in der Clique, später auch in der Öffentlichkeit. Je mehr er sah und hörte, um so mehr sah und hörte er von Ungerechtigkeit und Unrecht. Menschen wurden ihre Rechte vorenthalten, sie wurden um ihr Recht betrogen. Er wurde nicht müde, dies anzuprangern, und dass es offensichtlich nur das Recht des Stärkeren gäbe, niemand aber das Recht des Schwächeren verteidige. Dabei gab es doch so viele von den Schwächeren und eigentlich recht wenige Starke.
Die Starken aber verbreiteten Angst und Schrecken, übten Gewalt aus, stifteten Unfrieden. Unfrieden zwischen Menschen, Unfrieden zwischen Völkern. Auch für Frieden hatte er sich vehement eingesetzt, hatte - obwohl kein Schwächling - schon als Kind jede Rauferei vermieden, hatte mutig manchen Streit geschlichtet, auch niemals zur Waffe gegriffen. In öffentlichen Reden, mit Briefen und Aufrufen hatte er sich für Frieden stark gemacht, für Frieden in den Häusern, unter Menschen, zwischen Völkern und Staaten. Doch die Starken hörten nicht, die Machthaber machten, was sie wollten - ohne Rücksicht auf die Schwachen. Und die ließen mit sich machen, denn sie hatten Angst. Sie fürchteten um ihr karges tägliches Brot und waren dankbar für die paar Krümel, die von den Tischen der Reichen herabfielen. Merkten nicht, dass sie durch Hunger schwach gehalten wurden. Und durch Unwissen.
Sie wussten etwa nicht, dass sie das Land verwüsteten, wenn sie für Hungerlohn den Wald abholzten für die Häuser der Reichen - und dass ihre Kinder dort nichts mehr zum Leben haben würden. Auch darauf hatte er immer wieder hingewiesen und dass man Gottes Schöpfung pflegen musste für kommende Generationen. Doch die Armen wollten jetzt satt werden, die Reichen jetzt prassen, und an diesem Jetzt würde die Welt noch zu Grunde gehen.
Ja, so hatte er geredet, hatte er geschrieben, als er jung war. Als er älter wurde, stellte er fest: Nichts hat sich geändert, aber die Welt dreht sich noch immer; Menschen, Tiere und Pflanzen leben noch immer in ihr. Doch Ungerechtigkeit, Unfrieden, Zerstörung der Natur empörten ihn nach wie vor. Nur, dass er nicht mehr anprangerte, sondern an Vernunft und Einsicht appellierte. Allerdings schien ihm, dass nicht nur die Schwachen in der Mehrheit waren, sondern auch die Uneinsichtigen. Nun war er alt und müde geworden, bilanzierte sein Leben, damit andere daraus lernten. Nichts Neues unter der Sonne? Jedenfalls, solange Menschen über Menschen herrschten, Starke über Schwache.
Er erinnerte sich an einen Text, den er früher immer und immer wieder gelesen, den er auswendig gekonnt hatte, und der für ihn so etwas wie ein Glaubensbekenntnis gewesen war. Gewesen war? Er versuchte, sich den Text aufzusagen, doch einige Sätze fielen ihm nicht mehr ein. Er schlug nach, und las: Jes 11, 1-9.
Er seufzte. Das war nun ein paar hundert Jahre her, dass Jesaja dies verheißen hatte. Nichts dergleichen war seitdem geschehen. Nichts Neues unter der Sonne. Ob das daran lag, dass immer noch Menschen über Menschen herrschten, Starke über Schwache? Wahrscheinlich. Denn was Jesaja beschrieb, war die Königsherrschaft Gottes. Die aber bedeutete das Ende aller Herrschaft von Menschen über Menschen. Anarchie, würden die Machthaber rufen, und Gottes Herrschaft zu verhindern trachten. Und die Unterdrückten würden sich nach Befehlen und Anordnungen sehnen.
Dennoch: Visionen braucht das Land, dachte er, und Jesaja hatte eine: Weisheit und Einsicht, Recht und Gerechtigkeit zeichnen Gottes Volk aus, Schluss ist mit aller Gewaltherrschaft, Friede herrscht zwischen den Völkern (er wusste nicht mehr genau, welches Tier für welches Volk stand, aber das war auch egal), Gott der Herr regiert, ihm allein gebührt Ehre, Macht und Reich.
Er spürte wieder etwas von seiner alten Begeisterung für diese Worte Jesajas. Zugleich erinnerte er sich, dass seit Jesaja mancher Herrscher diese Worte auf sich bezogen, ihnen aber mit seinen Taten widersprochen hatte. War überhaupt eine einzelne Person gemeint, oder sprach Jesaja hier von denen, die nach dem Gericht Gottes übrigbleiben würden und mit denen Gott sein Reich errichten wollte? Wohl eher dies, dachte er, denn ein einzelner Mensch wird das - auch mit Gottes Hilfe - kaum schaffen. Da müssen viele, da müssen alle Menschen das Gleiche wollen: Gerechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung.
Am Abend wollte er seinen Enkelkindern den Text vorlesen und hören, was sie dazu sagten. „Eigentlich,“ gestand er sich ein, „eigentlich will ich sie mit diesem Text infizieren, will ihnen die Vision Jesajas weitergeben. Damit sie nicht in jungen Jahren schon resignieren, weil sie keine Zukunft sehen. Damit sie an den erstarrten Formen rütteln, gegen Ungerechtigkeit rebellieren, für Frieden auf die Straße gehen, die Schöpfung bewahren lernen. Sie sollen weitermachen, was ich nicht zu Ende bringen werde. Einmal muss es doch anders, besser werden!“
Er stand auf, reckte sich und sah nach draußen, von wo er Gekreische hörte. Sein jüngster Enkel prügelte sich gerade mit der kleinen Tochter des Nachbarn. „Vielleicht aber geht das mit diesen Menschen überhaupt nicht,“ zweifelte er an seinen eigenen Gedanken, „Menschen sind einfach keine Friedensengel. Wird man sie je dazu machen können? Oder muss Gott selbst eingreifen, dass die Welt so wird, wie er sie wollte?“
Er rief seinen Enkel zu sich. „Hör mal“, mahnte er, „ihr sollt euch vertragen.“ - „Die hat aber angefangen“, verteidigte sich der Kleine und bekam zur Antwort: „Dann sei du so stark, nicht zurückzuschlagen!“ Sein Enkel blickte etwas verwundert und lief wieder hinaus, er aber dachte an Jesajas Vision, und dass sie wohl immer Vision bliebe. Dass Visionen von einer besseren Welt, in der Gerechtigkeit und Friede sich küssen und in der die Schöpfung bewahrt wird, aber unbedingt nötig seien - sonst würde die Welt vollends in Ungerechtigkeit, Unfriede und zerstörter Schöpfung versinken. „Vielleicht“, murmelte er vor sich hin, kommt ja mal einer und bringt, wovon Jesaja gesagt hat. Wer weiß!“ Amen
Gebet
Liturg: Ewigvater, Friedefürst, wir haben Grund zu klagen
Chor: Unfriede herrscht auf der Erde, Kriege und Streit bei den Völkern, und Unterdrückung und Fesseln bringen so viele zum Schweigen (EG 671,1)
Gemeinde: Friede soll mit euch sein, Friede für alle Zeit, nicht so, wie ihn die Welt euch gibt, Gott selber wird es sein (Refrain)
Liturg: Ewigvater, Friedefürst, wir haben Grund zu bitten:
Chor: In jedem Menschen selbst herrschen Unrast und Unruh ohn End, selbst, wenn wir ständig versuchen, Frieden für alle zu schaffen (EG 671, 2)
Gemeinde: Friede soll mit euch sein, Friede für alle Zeit, nicht so, wie ihn die Welt euch gibt, Gott selber wird es sein (Refrain)
Liturg: Ewigvater, Friedefürst, wir haben Grund zu danken:
Chor: Lass uns in deiner Hand finden, was du für alle verheißen. Herr, fülle unser Verlangen, gib du uns selber den Frieden (EG 671, 3)
Gemeinde: Friede soll mit euch sein, Friede für alle Zeit, nicht so, wie ihn die Welt euch gibt, Gott selber wird es sein (Refrain)
Liedvorschlag
Es ist ein Ros’ entsprungen, EG 30; Freu’ dich, Erd und Sternenzelt, EG 47; Singt, singt dem Herren neue Lieder, RPs 98; Lobt und preist die herrlichen Taten, EG 429; Gott, der Herr regiert, RPs 99
Pfr. Paul Kluge, Leer
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