Jesus und der sinkende Petrus
Predigt Matthäus 14,28-33
28 Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 29 Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. 30 Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir! 31 Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? 32 Und sie traten in das Boot und der Wind legte sich. 33 Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn! (Matthäus 14,28-33)
Liebe Gemeinde, ein Cartoon, also: ein gezeichneter Witz, zeigt, wie ein Pfarrer der anglikanischen Kirche die Gemeindeglieder nach dem Gottesdienst verabschiedet. Die Gemeindeglieder sind – das sieht man an ihren Mienen – die sind alle ziemlich aufgewühlt. Einigen sind die Gesichtszüge entglitten. Manche weinen. Der Pfarrer spricht zu jedem noch ein Wort. Und was er den sich von ihm verabschiedenden Gemeindegliedern sagt, ist als Bildunterzeile zu lesen; nämlich: Es war nicht so gemein, es war nicht so gemeint, es war nicht so gemeint.
Alles also halb zu schlimm in der Kirche. Wenn es mal von unten heiß wird, ist das nicht das höllische Feuer, sondern die fehlerhafte Einstellung der Fußbodenheizung. Wenn der Pfarrer besonders bissig ist, beruht das nicht auf theologischer Erkenntnis, sondern auf irgendetwas zwischen Bluthochdruck und schlechten Leberwerten bei Monsignore persönlich. Und wenn dann doch mal der Ton ernster wird… na, dann ist das vielleicht durch einen der Gedenktage im November nahegelegt, aber spätestens ab dem 1. Advent sieht die Welt schon wieder anders aus.
„Kirche muss Spaß machen“. So hat es mal ein Landesbischof auf den Punkt gebracht, ein Landesbischof, den ich durchaus schätze und der es mit eben diesem zitierten Satz nicht billig meinte, sondern gut: Nämlich, dass wenn aus Pflicht niemand mehr den Gottesdienst besucht, auch nicht mehr deshalb, weil – wie das in meiner Heimat noch war, als ich ein Kind war – auch nicht mehr deshalb, weil Oma darauf aufpasst, dass zumindest einer aus dem Haus zum Gottesdienst geht… kurz: wenn Menschen freiwillig sich in der gottesdienstlichen Versammlung der Gemeinde einfinden, dann sollten sie auch davon etwas haben; dann sollten sie am Ende sagen können: Hat sich doch gelohnt. Hat sich gelohnt, hierher zu kommen. Ja, dann sollten sie vielleicht sogar – Testfrage im Predigerseminar in Wuppertal: Würdest du jemanden in den Gottesdienst deiner Gemeinde mitnehmen? Würdest du sagen: Komm doch mal mit!? Oder würdest du davor zurückschrecken, weil Du denkst… oh… oh… oh…(?) - dann sollten sie vielleicht sogar mit gutem Gefühl und mit berechtigter Erwartung andere zum Mitkommen hierher einladen können.
„Kirche muss Spaß machen“. Ich versteh das. Ich versteh´s. Und ich denke auch, dass wir aus der Nummer nicht herauskommen, dass Menschen bei uns etwas finden können müssen. Das ist so. Menschen müssen bei uns etwas finden können. Aber was? Das Stichwort „Spaß“ ist da vielleicht dann doch nicht der Weisheit letzter Schluss. Könnte uns Wichtiges verstellen. Könnte uns verstellen, dass das Gotteslob vielleicht ja doch aus der Tiefe kommt, das Aufatmen aus dem Erschrecken, das Bekenntnis aus einem Überwundensein.
Ich gebe zu: Nicht alle sehen das so. Für die Liberale Theologie des 19. Jahrhunderts war die Reformation eine Befreiung vom Dogmenzwang. Nicht nach der Melodie von Psalm 68 oder nach der Melodie des Chorals „Ein feste Burg“, sondern nach dem Volkslied „Die Gedanken sind frei“ wurde der Protestantismus besungen. Und wo die Reformatoren dann doch noch als zu sehr dem Alten verhaftet befunden wurden, da wurden sie wie jener englische Geistliche betrachtet, der an der Kirchentür steht und den Gemeindegliedern versichert: Es war nicht so gemeint.
War aber so gemeint. War so gemeint. Luther im Liede „Nun freut euch, lieben Christeng´mein“, Strophe 2: die Angst mich zu verzweifeln trieb, dass nicht denn Sterben bei mir blieb, zur Höllen musst ich sinken… war so gemeint. Auch was Luther 1516 an Georg Spenlein schreibt, nämlich: verworfen ist jeder, der nicht glaubt… war so gemeint. Oder auch Johannes Calvin, der zwar sagt, dass es sich für Christen zu wünschen geziemt, dass alle selig werden, der aber zugleich betont, dass die Gnade nur einige wenige aus der Verdammnis herausreißt… auch das war auch so gemeint.
Unsere Reformatoren stehen nicht an der Kirchentür und sagen: Es war nicht so gemeint… im Gegenteil. Genau an diesem Punkt, an diesem einen Punkt, wie wir denn nun mit Gott dran sind und er mit uns, sind sie unmissverständlich… an diesem Punkt von Heil und Unheil, Gericht und Gnade, Erwählung und Verwerfung… nein: schärfer noch: oder… oder… Heil oder Unheil, Gericht oder Gnade, Erwählung oder Verwerfung… an diesem Punkt sind sie geradezu erschreckend klar… an diesem Punkt haben sie sich wundgerieben haben, an diesem Punkt sind sie aber auch genesen. Entweder… oder.
Wenn ich den Puls der Zeit richtig erspüre, sagt mir der: Kannst du doch nicht sagen: so etwas. Du überdramatisierst. Und ist auch gar nicht relevant: das alles. Dass jedermann in den Himmel will, hat mal jemand im sogenannten Herbst des Mittelalters, am Vorabend der Reformation notiert. Ist aber heute nicht mehr so. Im 21. Jahrhundert ist die homiletische Großwetterlage anders. Was an Ostern und Pfingsten gefeiert wird, wissen ja nicht mal mehr 50 % der Bevölkerung. In Hamburg wird weniger als die Hälfte der Kinder noch getauft. Petra Pau von der PDS sagt im Hinblick auf die religiöse Frage: Ich brauch nix. Mir fehlt nix. Und du machst reformatorische Theologie. Geht doch nicht. Was im 16. Jahrhundert vielleicht möglich war, ist heute Publikumsbeschimpfung. Nachher kommt keiner mehr. Und dann bist du ganz allein. Und das macht dich dann traurig. Und aus einem traurigen Pastor kann keine fröhliche Predigt kommen. Willst du das? Willst du dich ins völlige Abseits manövrieren?
Ja, will ich mich ins völlige Abseits manövrieren?
Nun, liebe Gemeinde, ich riskiere es. Ich muss es riskieren. Meine ich. Vielleicht schnappt die Abseitsfalle ja gar nicht zu. Vielleicht ist die gegnerische Abwehr nicht so stark, wie sie tut. Vielleicht gelingt mir der theologische Doppelpass.
Denn ich bin nicht allein. Bin ich nicht. Heute hilft mir zum Beispiel der Petrus. Petrus, der ruft: Herr, hilf mir! Herr, rette mich!
Sicher, das ist natürlich die Frage: Kann mir ein solcher Petrus eine Hilfe sein? Der Mann versinkt ja. Er geht unter. Immer dasselbe mit ihm. Große Schnauze, nichts dahinter. Später, am Ende des irdischen Weges Jesu, so wissen wir, später wird sogar ein Hahn krähen. Mitten in der Nacht. Unheimlich. Wird deshalb krähen, der Hahn, weil Petrus sagen wird: Den Jesus, nein, den kenne ich nicht.
Petrus – eine problematische Gestalt. Ja. So ist er. Aber just deshalb hilft er mir. Weil er so problematisch ist. Weil er – ich will dir nicht zu nahe treten, aber ich sag´s dennoch – weil er genauso problematisch ist, wie du und ich problematisch sind – und darin ist er, der Petrus, vorbildhaft. Denn Petrus tut in all seiner Problematik das einzig Richtige. Er verteidigt sich nicht. Er sagt nicht: Ich bin doch nur missverstanden. Er sagt nicht: Ich kann alles erklären. Er verliebt sich auch nicht in sein Elend. Petrus ruft, schreit, fleht: Herr, rette mich. Ist das stark? Oder ist das nur etwas für Schwache? Heinz Kühn, der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hat das ja mal gesagt: Christentum sei nur etwas für Schwache.
Nun ja… Bismarck, immerhin!... nicht gerade der, der uns beim Stichwort „Schwäche“ zuerst einfiele, nicht wahr?... Bismarck hat sich diese vermeintliche Schwäche denn wohl leisten können und wollen, denn als er ein Zimmer betrat, in dem neben seinem eigenen Konterfei ein Bild des sinkenden Petrus hing, soll er auch sich selber hinweisend gesagt haben: Der bin ich nicht… und auf den Petrus hinweisend hat er gesagt…: Der bin ich. Hat er gekannt, Bismarck… hat er im Konfirmandenunterricht bei Schleiermacher kennengelernt: diese Geschichte von dem sinkenden Petrus… und hat gesagt: Der bin ich.
Jesus aber streckte sogleich seine Hand aus und ergriff ihn… sogleich… ich hab´s im Griechischen noch einmal nachgeschaut… eutheoos steht da wirklich… auch auf Englisch steht das da: immediately / at once… sogar auf Plattdeutsch: foorts… sogleich, sofort… so nahe die Hilfe… nur ein Gebet weit entfernt… ein kleines SOS nur… save our souls… sogleich, sofort… streckt er seine Hand aus. Kein Zappeln-Lassen, kein Zurückschubsen, kein Zur-Rede-Stellen. Petrus muss nicht den begossenen Pudel spielen, der nun reuig das Glaubensstöckchen apportiert. Petrus wird ins Boot gebracht und kann dann… im Boot… über Mut und Feigheit, Kleinglauben und Bekennen, Gott versuchen und Gott vertrauen nachdenken… kann dann… im Boot… versuchen, ob er´s wohl ergreifen könnte, nachdem er ergriffen worden ist… im Boot.
Ist Jesu Art. Diese Güte. Diese Liebe. Dass er die Seinen nicht verlässt. Ist Jesu Art. Sagt Calvin. Hat Calvin selber erfahren. Schreibt er so nach dem Tod seiner Frau in einem Brief an Guillaume Farel: Leb wohl, bester Freund und Bruder; der Herr Jesus stärke dich mit seinem Geist, und auch mich in dieser Heimsuchung, die mich ganz sicher gebrochen hätte, hätte mir nicht vom Himmel her der die Hand gereicht, dessen Art es ist, die Gebeugten aufzurichten, die Schwachen zu stärken und den Müden wieder Kraft zu geben.
Der Herr Jesus… dessen Art es ist, die Gebeugten aufzurichten…
Jesus aber streckte sogleich die Hand aus.
Klug, dass Petrus gerufen hat. Klug. Und ehrlich auch.
Ich hatte mal – als ich noch einen R4 fuhr – da hatte ich so ein kleines Heftchen: R4 – jetzt helfe ich mir selbst. Zumindest bei kleineren Reparaturen und Wartungsarbeiten war das ganz hilfreich. R4 - jetzt helfe ich mir selbst. Aber „Gott, Gott jetzt helfe ich mir selbst“… ein solches Heftchen gibt´s nicht. Darf es auch nicht geben. Auch die Bibel ist ein solches Heftchen nicht. Sagt sie uns doch ausdrücklich, dass wir uns nicht selber helfen können. Nur der Lügenbaron Münchhausen hat sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen. Aber er war eben auch ein Lügenbaron. „in echt“ aber… um es mal im Umgangsdeutsch zu sagen… „in echt“ aber geht das nicht… und vor Gott erst recht nicht.
Petrus erfährt das. Ja, noch mehr: Petrus steht dazu. Herr, rette mich. Vorbildlich, dass er so ruft. Nicht schwach, sondern stark. Ein Wirklichkeitsgewinn, ein Lebensgewinn, wie ihn dann alle Jünger hochdogmatisch aussprechen, indem sie zu Jesus sagen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!
Ja, hochdogmatisch: Jesus, der Gottessohn. Aber es soll nicht schwierig werden jetzt zum Schluss. Ich will nicht in ferne Begriffswelten entschweben. Es soll einfach bleiben; auch die Sache mit dem Gottessohn. In einer Predigt über die Weihnachtsgeschichte aus Lukas 2… Es begab sich aber zu der Zeit… Sie wissen schon… in dieser Predigt erklärt Calvin die Gottessohnschaft Jesu so, dass er sagt: Wir dürfen keine Zweifel daran haben, dass er uns wirklich halten kann.
Dass Er uns wirklich halten kann… und auch hält… durchhält bis zum Ziel allen Lebens… darin ist er der Gottessohn… in dieser seiner Art.
Und sie traten in das Boot, und der Wind legte sich.
Am Ende: die Ruhe. Die Ruhe nach dem Sturm. Sollte es in Ihnen jetzt auch ruhig sein. Nicht erschöpft ruhig. Nicht gelangweilt ruhig. Sondern freudig ruhig. Glaubensfröhlich ruhig. Dann sollte mich das freuen. Ja, die würde mir… die würde mir einen Auftritt wie den des englischen Kollegen im Cartoon ersparen: Ihre glaubensfröhliche Ruhe. Denn genau so war´s gemeint. Amen.
Predigt gehalten beim Nachbarschaftstreffen evang.-reformierter Gemeinden in Ostwestfalen und Südwestniedersachsen am 1. November 2009
Pfr. Klaus Bröhenhorst, Hildesheim
Seit dem Jahre 1973 stehen die evangelisch - reformierten Gemeinden aus Ostwestfalen und dem südwestlichen Niedersachsen in einem engen Austausch.
Fürstliches Flair im Schloss barg ein Reformiertentreffen königlich-stattlicher Größe in Besinnung auf die Schätze des reformatorischen Erbes.
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