Die Liebe Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen! AMEN.
Liebe - das ganze Jahr hindurch: Alles, was ihr tut, lasst in der Liebe geschehen.
- Unsere Jahreslosung 2024.
Heute geht es um die Liebe Gottes, liebe Schwestern und Brüder! Aber es scheint, dafür interessiert sich so gut wie niemand; jedenfalls musste der Gesprächskreis am Montag entfallen, da ich keinen Gesprächspartner hatte.
Als biblische Grundlage für die Erörterung der Liebe Gottes habe ich einen Vers aus dem Johannesevangelium gewählt, der dies klar und ausdrücklich zur Sprache bringt: Gott hat der Welt seine Liebe dadurch gezeigt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat und nicht verloren geht. So klingt es in der Neuen Genfer Übersetzung - ein bisschen frischer als bei Luther, aber vom Grundsatz her nicht ungewöhnlich.
In einer wissenschaftlichen Übersetzung des niederländischen Neutestamentlers Antonius Veerkamp lesen wir denselben Vers so: Denn so hat sich Gott solidarisch erklärt mit der Welt, dass er den Sohn, den Einziggezeugten, gab, damit jeder, der ihm vertraut, nicht zugrunde geht, sondern Leben in der kommenden Welt erhält.
Hier wurde die Vokabel “lieben” bewusst gemieden. In der Fußnote erfahre ich etwas über den Unterschied zwischen einer auf Emotion basierenden Liebe und jener anderen Verhaltensweise, die etwas nüchtern Vernünftiges hat und um die es hier geht.
Das nehme ich mit in die weitere Vorbereitung und will nun einen Blick werfen auf das, was die Liturgiker “Klangraum” nennen. Das sind Texte, die sich gegenseitig ergänzen, weil sie unterschiedliche Nuancen beitragen zu mehr oder weniger derselben Thematik - also etwa jene 3 Lese und zusätzlichen 3 Predigttexte, die einem jeden Sonn- und Feiertag zugeordnet sind.
Und nun die Überraschung: Der Abschnitt Johannes 3, 16-21 gehört dieser Logik zufolge gar nicht in die Passionszeit, sondern wird in gewissen Abständen am Heiligen Abend gepredigt.
Aber jetzt die Gegenprobe: Habe ich einen Text für die Passionszeit gesucht? - Ja und nein. Wir befinden uns gerade in der Passionszeit, und als ich die Unterthemen zu “Liebe” auf das Jahr und auch das Kirchenjahr verteilt habe, ging ich davon aus, dass dies zu Christi Passion passt: Aus Liebe zur Welt hingegeben: der Sohn.
Ja, es passt schon. Aber nicht weniger stimmig ist diese Aussage in bezug auf Weihnachten: In die Welt gekommen, von Gott gesandt, ist der Sohn, vom Vater gegeben, damit wir nicht verlorengehen. Nun, in der Bibel geht es nicht primär um das Kirchenjahr, sondern, wenn überhaupt, dient das Kirchenjahr dazu, biblische Themen zu ordnen, um sie besser verstehen zu können.
Es gibt aber Botschaften, die so fundamental sind, dass sie sich nicht eingrenzen lassen auf entweder die Passions- oder die Weihnachtszeit; die Liebe Gottes ist ein solch umfassend bedeutsames Thema, das in der Bibel von der ersten bis zur letzten Seite durchbuchstabiert wird, immer wiederund immer wieder anders - und doch auch immer wieder gleich.
Dass Gott den Sohn, den Einziggeborenen, gab, damit jeder, der ihm vertraut, nicht zugrunde geht, sondern Leben in der kommenden Welt erhält, ist ein Akt der Solidarität mit der Welt - und das, obwohl die Vokabel “Welt” im Johannesevangelium gern mal als Negativfolie verwendet wird: Hier Gott und Geist, dort Welt und Fleisch.
Aber Gott selbst hat diese Welt durch sein Wort überhaupt erst einmal ins Leben gerufen, damit beginnt ja alles; das anerkennt auch der Evangelist eines Dualismus von Licht und Finsternis in seinen allerersten Versen: Am Anfang war das Wort; das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Der, der das Wort ist, war am Anfang bei Gott.
Liebe - von Anfang an.
Gott, der dreifaltige, der mit sich selbst im ständigen Gespräch Stehende, schafft Himmel und Erde als Orte des Lebens für sich selbst und für sein Gegenüber, die Kreatur, unter der er den Menschen würdigt, sein Partner zu werden, sein Bundesgenosse. Um unseretwillen ist all das ins Leben gerufen worden, was uns umgibt.
Und von einer Seite der Schrift zur nächsten werden wir hineingenommen in das große Drama der Liebe Gottes zu dieser Welt und zu uns Menschen, die ihn, kaum mal aus den Augen gelassen, auch schon enttäuschen: Erst die verbotene Frucht, dann, gleich nach dem Rausschmiss aus dem Garten Eden, der Brudermord.
Und ein ums andere Mal erweist uns Gott seine Liebe, seine Geduld, seine Fürsorge: Jenseits von Eden braucht es Nahrung und Kleidung, und selbst ein Mörder wird mit einem Schutzzeichen ausgestattet, damit er nicht der Lynchjustiz anheimfällt.
Aus Liebe reut es Gott, die Sintflut über die Erde gebracht zu haben. Aus Liebe ruft er Abraham aus der Heimat in das Land, das er seinem Volk zugedacht hat. Aus Liebe lässt er Jakob dem Zorn seines Bruders entkommen, segnet er den Betrüger, auf dem die Verheißung liegt. Aus Liebe bewahrt er den prahlerischen Träumer Joseph, lässt ihn seine Brüder aus der Hungersnot retten und bringt Israel nach Ägypten.
Aus Liebe hört Gott auf die Hilfeschreie der Unterdrückten und lässt sie aus der Sklaverei entkommen. Aus Liebe gibt er seinem Volk die Worte der Weisung, um sie nicht nur mit Wolken- und Feuersäule in das Gelobte Land zu leiten, sondern sie auch darin zu unterweisen, wie sie als freie Menschen vor seinem Angesicht leben können und sollen.
Wenn Ihnen das alles nicht nur irgendwie bekannt vorkommt, sondern wie eine Wiederholung dessen, was uns im vorigen “Jahr der Taufe” beschäftigt hat, als es um die biblischen Bundesschlüsse ging, kann ich nur sagen: Genau das meinte ich, als ich sagte, dass die Bibel alles immer wieder neu durchbuchstabiert und auch immer wieder ein wenig anders.
Aber was ist das nun für eine Liebe Gottes, die sich mit der Welt und ihren Bewohnern solidarisiert und alle vor dem Verderben bewahrt, die auf Jesus Christus ihr Vertrauen setzen, wenn dieser himmlische Vater seinen einziggezeugten Sohn zu opfern bereit ist? Wo ist hier die Liebe Gottes, des Vaters?
Wenn Gott nicht einmal sein eigen Fleisch und Blut so liebt, dass er ihn vor dem Tod bewahrt, wie sollen wir ihm dann abnehmen, dass er die Welt und uns alle liebt und retten will?! Vor diesem Dilemma stehen wir.
Mittelalterliche Theologen haben sich an dieser Problematik abgearbeitet und sind auf folgende Idee gekommen: Gott liebt die Menschen und schenkt ihnen alles, was sie zum Leben brauchen - auch eine Freiheit der Entscheidung.
Plötzlich ist da die Stimme der Schlange. Sie weckt Misstrauen gegen Gott. Es folgt der Regelverstoß, die Ur-Sünde - und die stellt eine nicht wieder gutzumachende Beleidigung Gottes dar. Wer könnte Genugtuung bieten? - Jedenfalls kein Mensch, denn alle sind wie der erste: verdorben und schwach, jetzt nicht mehr in der Lage, nicht zu sündigen.
Also kommt Gott auf die geniale Idee, selbst Mensch zu werden in Jesus Christus. So kann er, am Kreuz leidend, stellvertretend für die Menschen Sühne leisten - und da er gleichzeitig Gott ist, vermag dieses Opfer Gott zufriedenzustellen. Der Frieden ist wiederhergestellt in Jesus Christus, Gott einziggeborenem Sohn.
Aber das klingt nach einer fernen Dramaturgie, bei der uns nur die Wahl bleibt zwischen einer Zuschauerrolle und dem aktiven Annehmen dieses Opfers zu unseren Gunsten. Das wird nicht mehr als hinreichend empfunden, und außerdem bleibt ja das Problem bestehen, dass die Liebe des Vaters nicht ausreichte, dem Sohn Leiden und Sterben zu ersparen.
Gott hat der Welt seine Liebe dadurch gezeigt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat und nicht verloren geht. Gott wird Mensch in Jesus Christus - doch das ist noch nicht zwangsläufig ein Todesurteil.
Der erwachsen gewordene Zimmermannssohn beginnt zu predigen und zu heilen, sammelt Jünger um sich, erregt Aufmerksamkeit, weckt zunächst Begeisterung. Erst als in Jerusalem die Machtfrage gestellt wird, kippt das Projekt, stößt er auf Widerstand: den Hass der religiösen Elite, die Entschlossenheit der Machthaber, ihn zu töten.
Es bedurfte falscher Zeugen, um Jesus vor dem Hohen Rat verurteilen zu können. Und vor Pilatus genügte es, die Meute vor die Wahl zu stellen, einen verurteilten Terroristen freizubekommen, der erwiesenermaßen Rom geschadet hatte, oder den mitunter zornigen Prediger einer Liebe Gottes, die sich in dieser Welt mit jenen solidarisiert, die zu leiden haben, aber in der kommenden Welt das Sagen haben werden: Selig die Gewaltlosen - sie werden das Land erben. Das Land - érez Jißraël - werden demzufolge weder die palästinensischen Terroristen noch jene erben, die auf Teufel komm raus Krieg führen; aber das hier nur nebenbei.
Die Wahl fiel auf den Mörder, und so überließen sie Jesus jenen, die mit den Mitteln der Macht dafür sorgen, dass ihre “Ordnung” erhalten bleibt: Die Großen oben und die Kleinen unten, die Schwachen in Ängsten, die Starken am Drücker. “Kreuzige ihn!”, schrie der Mob, und so starb Jesus; der Gottessohn wurde gequält, getötet und begraben. Durch unsere Schuld, nicht, weil Gott es so wollte - auch wenn er es nicht verhindert hat. Aus. Vorbei.
Alle Hoffnung begraben - denn er ist in die Grube gefahren, wo Gottes Güte nicht mehr verkündet wird, wie der Beter des 88. Psalms weiß. Nein, nicht ganz: Am dritten Tag auferweckt von den Toten, lebt Christus; der Sohn ist beim Vater. Auch dies - und dies ganz besonders - uns zuliebe. Denn wer dem Sohn vertraut und ihm nachfolgt, wird leben, auch wenn er sterben muss.
So hat Gott der Welt seine Liebe gezeigt: Er gab seinen einzigen Sohn für sie her, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat und nicht verloren geht.
Amen.