23 Und an demselben Tage werdet ihr mich nichts fragen, Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet, so wird er`s euch geben in meinem Namen. 24 Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei.
V. 23. „Und an demselben Tage ...“ Christus hat also seinen Jüngern Freude verheißen, die aus unbezwinglicher Tapferkeit und Festigkeit erwächst. Nun verkündet er als zweite Gnade des Geistes, mit der sie beschenkt werden sollten, solche Fülle der Erkenntnis, daß sie bis zu himmlischen Geheimnissen vordringen würden. Damals waren sie so schwerfällig, daß sie an jeder noch so unbedeutenden Schwierigkeit hängen blieben. Wie nämlich ABC-Schützen nicht imstande sind, auch nur einen einzigen Vers zu lesen, ohne viele Pausen zu machen, so war auch fast in jedem einzelnen der Worte Christi irgendein Anstoß, der die Jünger daran hinderte weiterzukommen. Bald darauf aber erleuchtete sie der Heilige Geist. So vermieden sie auf dem Wege zur Erkenntnis der Weisheit Gottes jeden weiteren Aufenthalt, so daß sie in ungehindertem Lauf in der Erkenntnis der Geheimnisse Gottes fortschritten. Zwar haben die Apostel auch auf der höchsten Stufe der Weisheit nicht aufgehört, Christus selbst zu befragen; doch hier wird nur der Zustand vor und nach der Verleihung des Geistes verglichen. Christus sagt mit anderen Worten, ihrer Unreife solle abgeholfen werden, und während sie jetzt bei den kleinsten Kleinigkeiten sich aufhielten, würden sie dann ohne Mühe in die tiefsten Geheimnisse eindringen. Das besagt auch das Wort bei Jeremia 31, 34: Erkenne den Herrn, denn alle, vom Kleinsten bis zum Größten, spricht der Herr, werden mich erkennen. Damit schafft der Prophet gewiß nicht die Lehre ab, die im Reiche Christi die größte Bedeutung haben muß. Aber er sagt, es werde keine vollständige Unwissenheit mehr geben, die die Menschen in ihrer Gewalt hält, bis Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, sie mit ihren Strahlen erleuchtet und sie so alle von Gott belehrt sind. Ferner unterschieden sich die Apostel ehedem in nichts von Kindern, ja, sie glichen einem Stück Holz mehr als Menschen. Was für Männer sie aber plötzlich wurden, als der Geist sie belehrte, ist hinlänglich bekannt.
„Wenn ihr den Vater etwas bitten werdet...“ Er erklärt, woher sie diese neuen Fähigkeiten erhalten sollen: sie werden aus Gott, dem Quell der Weisheit, soviel wie nötig in vollen Zügen schöpfen dürfen. Er sagt etwa: Ihr braucht nicht zu befürchten, daß ihr die Gabe der Erkenntnis entbehren müßt. Der Vater steht bereit, euch mit der ganzen Fülle seiner Güter reich zu machen, und zwar aufs freigebigste. Im übrigen will er damit sagen: Der Geist wird nicht dazu verheißen, daß die, denen er zugesagt ist, ihn untätig und sozusagen im tiefen Schlaf erwarten. Vielmehr sollen sie eifrig um die Gnade bitten, die ihnen angeboten wird. Er verkündet also, wie er als Mittler wirken wird; freigebig wird er vom Vater für sie alles erlangen, worum sie bitten, und mehr als das. Doch hier erhebt sich die schwierige Frage, ob erst damals die Anrufung Gottes im Namen Christi ihren Anfang nahm. Nie konnte er ja den Menschen anders gnädig sein als um des Mittlers willen. Christus weist auf eine künftige Zeit hin, in der der himmlische Vater den Jüngern alles geben wird, was sie in seinem - Christi -Namen bitten. Wenn das eine neue und ungewöhnliche Gnade ist, so kann man wohl daraus folgern: zur Zeit seines Erdenlebens hat er noch nicht als Beistand der Gläubigen gewirkt, damit deren Bitten Gott angenehm wären um seinetwillen. Das spricht er wenig später auch deutlicher aus, indem er sagt: Bis jetzt habt ihr in meinem Namen noch nichts gebeten. Und doch haben die Apostel sich wahrscheinlich an die Richtschnur gehalten, die das Gesetz für das Gebet an die Hand gibt. Wir wissen aber, daß die Väter nicht ohne Mittler zu beten pflegten; durch zahlreiche Übungen gewöhnte Gott sie daran, auf solche Art zu beten. Sie sahen den Hohenpriester im Namen des ganzen Volkes in das Heiligtum gehen, sahen, wie täglich Tiere geopfert wurden, damit die Gebete der Gemeinde bei Gott wirksam wären. Einer der Grundsätze des Glaubens war es also, es sei sinnlos, Gott ohne Mittler anzurufen. Vollends hatte Christus seinen Jüngern oft genug bezeugt, er sei dieser Mittler. Trotzdem war ihre Erkenntnis so unsicher, daß sie nicht imstande waren, ihren Gebeten die Gestalt zu geben, die seinem Namen entsprochen hätte. Einerseits haben sie also im Vertrauen auf einen Mittler zu Gott gebetet, wie das Gesetz es vorschrieb; andererseits haben sie doch nicht klar und deutlich erkannt, was das eigentlich bedeute. Aber darin liegt durchaus kein unauflöslicher Widerspruch. Der Vorhang im Tempel war noch ausgespannt, Gottes Majestät noch unter dem Schatten der Cherubim verborgen; der wahre Priester war noch nicht in das Heiligtum des Himmels eingegangen, um für die Seinen einzutreten, hatte den Weg noch nicht mit seinem Blute geweiht. Kein Wunder daher, wenn man den Mittler damals nicht so erkannt hat wie heute, seitdem er, uns zugute, im Himmel beim Vater sichtbar ist. Dort versöhnt er ihn durch sein Opfer mit uns, so daß wir elenden Menschen es wagen können, uns vertrauensvoll dorthin zu wenden. Denn ohne Zweifel wurde Christus, nachdem er die Sünden der Menschheit gesühnt hatte, in den Himmel aufgenommen und gibt sich seitdem offen als Mittler zu erkennen. Im übrigen beachte man die häufige Wiederholung dieser Forderung, wir müßten im Namen Christi beten. Es ist nämlich - das sollen wir daraus entnehmen -eine ruchlose Entheiligung des Namens Gottes, wenn wir Christus übergehen und uns so vor den Richterstuhl Gottes zu stellen wagen. Wenn aber diese Mahnung sich unserem Herzen tief einprägt, so wird Gott uns gern und reichlich geben, was immer wir ihn im Namen des Sohnes bitten. Wir werden nicht verschiedene Schutzpatrone um Hilfe anrufen, sondern mit jenem einen zufrieden sein, der uns so oft und gütig seine Dienste anbietet. Ferner kann man auch dann sagen, wir bitten in Christi Namen, wenn wir ihn zu unserm Beistand nehmen, der uns die Gunst des Vaters gewinnen soll, auch wenn unser Mund seinen Namen gar nicht nennt.
V. 24. „Bisher habt ihr nichts gebeten in meinem Namen ...“ Das gilt für die Zeit der Offenbarung, die wenig später kommen sollte. Um so weniger sind heutzutage die zu entschuldigen, die diesen Teil der Lehre dadurch verdunkeln, daß sie sich fälschlich im Schutze der Heiligen sicher glauben. Das alte Volk tat recht daran, die Augen auf seine Priester und seine Opfertiere - beides schattenhafte Vorbilder des Künftigen - zu heften, sooft es beten wollte. Wir aber sind mehr als undankbar, wenn wir nicht alle Sinne fest auf den wahren Priester richten. Er hat sich uns ja als der Versöhner zu erkennen gegeben, durch den wir einen ungehinderten Zugang zum Thron der Herrlichkeit Gottes haben. - Abschließend sagt er noch: „daß eure Freude vollkommen sei“. Das soll heißen: zur Fülle aller Güter und alles dessen, was man nur wünschen kann, zu einem Zustand der Ruhe, in dem uns kein Verlangen mehr quält, wird uns nichts fehlen, wenn wir nur in Christi Namen von Gott erbitten, was wir brauchen.
25 Solches habe ich zu euch in Sprüchen und Bildern geredet. Es kommt aber die Zeit, daß ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. 26 An demselben Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, daß ich den Vater für euch bitten will; 27 denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebet und glaubet, daß ich von Gott gegangen bin. 28 Ich bin vom Vater ausgegangen und gekommen in die Welt; wiederum verlasse ich die Welt und gehe zum Vater.
V. 25. „Solches ...“ Christus will den Jüngern Mut machen. Sie sollen hoffen, daß sie weiter fortschreiten, und die Belehrung, die sie vernehmen, nicht für nutzlos halten, mögen sie auch nicht viel davon verstehen. Es hätte ihnen nämlich sonst der Verdacht kommen können, Christus wolle nicht verstanden werden und lasse sie absichtlich ungewiß. Er kündigt ihnen darum an, sie würden schon bald die Frucht dieser Belehrung wahrnehmen. Andernfalls hätten sie dieser Lehre wegen ihrer Unverständlichkeit überdrüssig werden können. Der entsprechende hebräische Ausdruck bedeutet mitunter „Sprichwort“. Da aber in Sprichwörtern die Worte meistens im übertragenen Sinne gebraucht werden, bezeichnen die Hebräer auch ,Rätsel' und bedeutungsschwere Sätze mit diesem Wort. Der Sinn ist also: Jetzt rede ich, wie es scheint, in bildlichen Ausdrücken mit euch und nicht in einfachen, klaren Worten. Bald aber werde ich vertrauter mit euch reden, so daß euch kein Punkt meiner Lehre mehr verwickelt oder schwierig vorkommt. Nun sehen wir, was ich schon andeutete: die Jünger werden ermutigt, auf größere Fortschritte zu hoffen; sie sollen nicht etwa die Lehre von sich weisen, weil sie sie noch nicht verstehen. Wenn uns nämlich nicht die Hoffnung auf bessere Erkenntnis anspornt, bleibt der Lerneifer unvermeidlich aus. Übrigens läßt der Sachverhalt deutlich erkennen, daß Christus vor seinen Jüngern nicht in Rätselworten, sondern leicht faßlich, ja geradezu unmißverständlich geredet hat; aber sie waren so unreif, daß sie wie betäubt seinen Worten lauschten. Die erwähnte Dunkelheit war darum nicht so sehr seiner Lehre als ihrem Geist eigen. Ohne Zweifel geschieht uns heute dasselbe. Denn nicht ohne Grund schmückt der Ehrentitel, unser Licht zu sein, das Wort Gottes; vielmehr ist es die uns beherrschende Finsternis, die seinen Glanz so sehr verdunkelt, daß wir lauter Bildreden zu hören glauben. Er droht ja im Propheten Jesaja (Jes. 28, 11), den Ungläubigen und Bösen als ein Fremder, als ein Mann mit stammelnden Lippen zu begegnen; und Paulus sagt, das Evangelium sei solchen Leuten verborgen, weil der Satan ihren Sinn verfinstert habe (2. Kor. 4, 3). So klingt auch den Schwachen und Unreifen etwas, was sie hören, wirr und unverständlich. Denn wenn der Geist auch nicht gänzlich verfinstert ist wie bei den Ungläubigen, so ist er doch sozusagen in Nebel gehüllt. Der Herr läßt uns zeitweise in einen derartigen Stumpfsinn verfallen, um uns durch das Gefühl unseres eigenen Unvermögens zu demütigen. Die er aber durch seinen Geist erleuchtet, läßt er so weit kommen, daß ihnen jenes Wort aufs innigste vertraut wird. Das ist der Sinn der folgenden Worte: „Es kommt aber die Zeit;“ das soll nämlich heißen: die Stunde wird bald kommen, wo ich mit euch nicht mehr bildlich reden werde. Ganz sicher hat der Geist die Apostel nichts anderes gelehrt, als was sie aus dem Munde Christi selber vernommen hatten. Aber mit den Strahlen, die er ihnen ins Herz sandte, vertrieb er die Finsternis, so daß sie Christus gleichsam auf eine neue, andere Weise reden hörten und den Sinn seiner Worte mit leichter Mühe erfaßten. Wenn er sagt, er werde „vom Vater verkündigen“, so gibt er damit das Hauptstück seiner Lehre an: er will uns zu Gott führen, auf dem alles Glück beruht, das beständig ist. Doch bleibt noch eine Frage: Wieso sagt er an anderer Stelle, den Jüngern sei es gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu kennen, während er hier behauptet, er habe in Rätselworten zu ihnen geredet? Dort, Matthäus 13, 11, unterscheidet er zwischen ihnen und dem Volk, weil er vor dem Volke in Gleichnissen rede. Ich antworte: So unreif waren die Jünger nun auch nicht, daß sie nicht wenigstens von ferne bemerkt hätten, was der Meister wollte. Er nimmt sie durchaus nicht ohne Grund aus der Schar der Blinden heraus. Jetzt sagt er zwar, er habe bis dahin bildlich zu ihnen geredet; doch gilt das im Vergleich mit der strahlenden Helle der Einsicht, die er ihnen bald darauf durch die Gnade seines Geistes schenken wollte. Also war beides wahr: bei weitem überragten sie die, denen das Wort des Evangeliums unverständlich war, und doch waren sie noch Anfänger im Hinblick auf die neue Weisheit, die ihnen der Geist brachte.
V. 26. „An demselben Tage ...“ Noch einmal sagt er, weshalb sich in jener Zeit die himmlischen Schatzkammern so frei auftun werden: weil die Jünger im Namen Christi um alles bitten werden, was sie brauchen. Gott aber wird ihnen nichts vorenthalten, um das sie ihn im Namen seines Sohnes bitten. Doch scheint ein Widerspruch in den Worten zu liegen. Denn gleich anschließend sagt Christus, es werde gar nicht nötig sein, daß er den Vater bitte. Welchen Sinn hätte es aber, in seinem Namen zu bitten, wenn er das Amt des Fürsprechers gar nicht übernimmt? Dabei nennt Johannes ihn doch an anderer Stelle unseren Beistand (1. Joh. 2, 1). Auch Paulus bezeugt, jetzt trete er für uns ein (Röm. 8, 34); der Verfasser des Hebräerbriefes bestätigt es (Hebr. 7, 25). Ich antworte: Christus sagt an dieser Stelle nicht einfach, er trete nicht für die Jünger ein, sondern er will nur sagen, der Vater werde den Jüngern so geneigt sein, daß er ihnen ohne irgendeine Schwierigkeit von selbst geben will, was sie ihn bitten. Er sagt: Der Vater wird euch entgegenkommen und wird in seiner unendlichen Liebe zu euch dem Fürsprecher, der sonst für euch redete, zuvorkommen. Wenn es übrigens heißt, Christus trete beim Vater für uns ein, so wollen wir uns keine fleischliche Vorstellung von ihm machen, als wolle er dem Vater zu Füßen fallen und bestürme ihn mit flehentlichen Bitten. Vielmehr besteht sein unaufhörliches Eintreten für uns in der Kraft seines Opfers, durch das er einmal Gott mit uns versöhnt hat, in seinem Blut, durch das er unsere Sünden sühnte, und in dem Gehorsam, den er leistete. Diese Stelle lehrt uns besonders deutlich, daß wir Gott ans Herz greifen, sobald wir ihm den Namen des Sohnes entgegenhalten.
V. 27. „Denn er selbst...“ Diese Worte nennen uns das einzige Band, das uns mit Gott verbindet: die Gemeinschaft mit Christus. Mit ihm aber verbindet uns ein Glaube, der nicht geheuchelt ist, sondern aus einer aufrichtigen Empfindung erwächst, die er als „Lieben“ bezeichnet. Denn reinen Glauben an Christus hat nur, wer ihn ganz ins Herz schließt. Darum hat er mit diesem Wort Kraft und Wesen des Glaubens treffend ausgedrückt. - Die Worte scheinen zu besagen, daß Gott uns erst dann zu lieben beginnt, wenn wir Christus liebgewonnen haben. Daraus aber würde folgen, daß wir selbst den Anfang unseres Heils wirken, weil wir der Gnade Gottes zuvorkommen. Diesem Satz widersprechen aber sehr viele Zeugnisse der Schrift. Gottes Verheißung lautet: Ich werde bewirken, daß sie mich lieben. Und Johannes sagt: Nicht, als ob wir ihn zuerst geliebt hätten (1. Joh. 4, 10). Es wäre überflüssig, noch mehr Stellen zusammenzutragen, denn nichts ist gewisser als diese Lehre: daß Gott ruft, was nicht ist; daß er Tote auferweckt; daß er Menschen, die ihm fernstehen, an sich bindet; daß er aus steinernen Herzen fleischerne macht, daß er denen erscheint, die ihn nicht suchen. - Ich möchte den Widerspruch folgendermaßen auflösen: Die Menschen, die zu den Erwählten gehören, werden vor ihrer Berufung von Gott auf verborgene Weise geliebt, der ja all die Seinen liebt, bevor sie geschaffen worden sind; da sie aber noch nicht versöhnt sind, gelten sie mit Recht als Feinde Gottes, wie auch Paulus (Röm. 5, 10) sagt. - Dementsprechend heißt es hier, Gott liebe uns, wenn wir Christus lieben. In Christus nämlich haben wir ein Pfand für die Väterliche dessen, in dem wir vorher mit Schaudern den uns feindlich gesinnten Richter sahen.
V. 28. „Ich bin vom Vater ausgegangen ...“ Diese Worte weisen uns auf die göttliche Kraft hin, die in Christus wirksam ist. Denn der Glaube an ihn hätte keinen festen Bestand, wenn er sich nicht auf seine göttliche Macht richtete. Sein Tod und seine Auferstehung hülfen uns nichts, wohnte ihnen nicht eine himmlische Kraft inne. Nun aber wissen wir genau, wie wir Christus ehren sollen: nämlich so, daß unser Glaube die Weisheit und die Kraft Gottes bedenkt, dessen Hand uns ebendiesen Glauben darbietet. Man soll es nicht unbeteiligt hinnehmen, daß er von Gott ausgegangen ist, sondern soll gleichzeitig festhalten, weshalb oder zu welchem Zweck er es getan hat: um Weisheit, Heiligung, Gerechtigkeit und Erlösung für uns zu sein (1. Kor. l, 30). Im zweiten Teil des Satzes, den Christus alsbald folgen läßt, ist von der beständigen Dauer dieser Kraft die Rede. Die Jünger hätten nämlich denken können, die Sendung eines Erlösers für die Welt sei nur eine Wohltat von begrenzter Dauer. Das war es also, weshalb er sagte, er kehre zum Vater zurück: sie sollten zu der festen Oberzeugung kommen, ihnen gehe keines der von ihm gebrachten Güter durch sein Hinscheiden verloren, weil er aus seiner himmlischen Herrlichkeit Kraft und Wirkung seines Todes und seiner Auferstehung sich in die Welt ergießen lasse. Er ließ also zwar die Welt hinter sich, als er, unsere Schwachheiten hinter sich lassend, in den Himmel aufgenommen wurde; trotzdem ist seine Gnade zu uns noch lebendig, weil er zur Rechten des Vaters sitzt, um die Herrschaft über die ganze Well in die Hand zu nehmen.
32 Siehe, es kommt die Stunde und ist schon gekommen, daß ihr zerstreut werdet, ein jeglicher in das Seine, und mich allein lasset. Aber ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir. 33 Solches habe ich mit euch geredet, daß ihr in mir Frieden habet. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
V. 32. „Siehe, es kommt...“ Diese Richtigstellung soll uns wissen lassen: Christus wird nichts entzogen, wenn die Menschen ihn verlassen. Seine Wahrheit und Herrlichkeit haben in ihm selbst ihren Grund, und Christus hängt nicht vom Glauben der Welt ab; wenn sie ihn etwa ganz im Stich lassen sollte, bleibt er trotz allem unberührt: Gott bedarf keiner fremden Hilfe. „Denn der Vater ist bei mir“, heißt nichts anderes, als daß Gott auf Christi Seite stehen wolle. Er wird es daher nicht nötig haben, irgend etwas von den Menschen zu nehmen. Wer dies recht bedenkt, wird auch dann fest stehen, wenn die ganze Welt ins Wanken gerät; auch wenn alle anderen abfallen, wird das seinen Glauben nicht erschüttern. Denn wir erweisen Gott nicht die schuldige Verehrung, wenn wir uns nicht an ihm allein genügen lassen.
V. 33. „Solches habe ich mit euch geredet...“ Wieder einmal prägt er ihnen ein, wie nötig der Trost ist, den er ihnen zugesprochen hatte. Er beweist damit, daß in der Welt sehr viel Trübsal und Versuchung auf sie wartet. Zu beachten ist also erstens die Mahnung, alle Frommen sollten sich darauf gefaßt machen, daß sie viel Leid erdulden müßten: sie sollen sich an Geduld gewöhnen. Wenn die Welt uns daher wie ein sturmgepeitschtes Meer umbrandet, werden wir nur in Christus wahren Frieden finden. - Ferner ist zu beachten, wie wir - nach seinen Worten - diesen Frieden genießen sollen. Er sagt, sie würden Frieden haben, wenn sie in seiner Lehre weiter verharrten. Liegt uns also daran, inmitten von Anfechtungen ein ruhiges und sorgenfreies Herz zu haben, dann wollen wir aufmerksam dieser Rede Christi lauschen, die uns den Frieden bringt, der in ihm liegt.
„Aber seid getrost...“ Zwar soll durch mannigfache Anfechtungen unsere Schlaffheit beseitigt werden, sollen wir aufwachen, um nach einem Mittel gegen das Böse zu suchen. Aber der Herr will nicht etwa, daß wir den Mut verlieren, sondern daß wir eifrig kämpfen. Das ist aber nur dann möglich, wenn wir gewiß sind, daß das Ende gut ist. Denn in einem Kampf, dessen Ausgang ungewiß ist, wird unser Eifer bald ganz erlahmen. Wenn Christus uns darum zum Kampf ruft, so erfüllt er uns mit fester Siegeszuversicht, obwohl wir jetzt noch alle Kräfte anspannen müssen. Weil wir ferner stets zur Ängstlichkeit neigen, belehrt er uns: wir müßten deshalb Vertrauen haben, weil er nicht für sich selbst, sondern um unsertwillen die Welt besiegt habe. Der Anblick seiner erhabenen Herrlichkeit, zu der wir unser Haupt erhoben haben, will uns fast überwältigen. Darum werden wir alles Böse, das auf uns eindringt, in gelassener Sicherheit verachten können. Wenn wir daher Christen sein wollen, dürfen wir nicht danach trachten, daß uns das Kreuz erspart bleibt. Vielmehr wollen wir uns damit begnügen, auch mitten im Kampf außer Gefahr zu sein, weil wir unter Christi Führung kämpfen. Unter Welt faßt Christus hier alles zusammen, was dem Heil der Frommen im Wege ist. Das sind insbesondere alle Versuchungen, die der Satan dazu mißbraucht, uns nachzustellen.
Aus: Otto Weber, Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift. Vierzehnter Band: Das Johannes Evangelium, Neukirchener Verlag, 1964, S. 400ff.