Gott dient den Menschen, indem er sich ihnen als der Lebendige vergegenwärtigt und sich in seinen Taten bezeugen und verkündigen lässt, indem er ihren Glauben weckt, sie seines Daseins vergewissert, sie in ihren Anfechtungen und Ängsten tröstet, ihre Gebete hört und erhört, sie neu mit Hoffnung erfüllt und zu Taten der Liebe inspiriert.
Gottes Dienen geht allem menschlichen Dienen voran, ohne seinen Dienst an uns würden wir im Gottesdienst nichts empfangen und leer ausgehen. Die den Gottesdienst feiernden Menschen dienen Gott, indem sie sich ganz für ihn öffnen und sich sein Handeln gefallen lassen – indem sie sich trösten, versöhnen, vergeben, rechtfertigen und erneuern lassen. Hier würde das evangelische Verständnis des Gottesdienstes den Hauptakzent zu setzen haben und erst dann die aktiven Momente im gottesdienstlichen Dienen der Menschen entfalten, als Antwort und Echo derer, die zum Gottesdienst kommen. Menschen dienen Gott, indem sie sich bittend an ihn wenden, ihre Nöte, Sorgen, aber auch Freuden vor ihm ausbreiten, indem sie ihn preisen, ihm danken, ihn bezeugen, von seinen Taten erzählen und sein Heilshandeln erinnern.
Dieses doppelte Dienen ist nicht auf die festliche Stunde im liturgischen Rahmen beschränkt. Es findet in solchen Stunden seinen konzentriertesten Ausdruck, in ihnen manifestiert sich das doppelte Dienen in der für irdische Verhältnisse klarsten Form. Immer dann, wenn sich die christliche Gemeinde an den dafür bestimmten Orten versammelt, wenn sie singend, betend, hörend, lobend, dankend und musizierend vor Gott tritt, wird der Grundrhythmus des christlichen Lebens publice, öffentlich.
Aber es ist damit nicht gesagt, dass dieser Grundrhythmus nur in jener festlichen Stunde schwingt. Wenn es einen solchen Grundrhythmus gibt, dann will er möglichst in jeder Stunde gelebten Lebens schwingen, also auch vor der Kirchentür, also auch mitten im prallsten Diesseits, also auch mitten im (oft so unfestlichen) Alltag der Welt. Dazu gehört auch das Drängen auf mehr Gerechtigkeit, auf Frieden und auf Bewahrung der uns anvertrauten Natur. Dieses Drängen hat sein Recht. Und gerade deshalb wird man den Gottesdienst im Alltag der Welt nicht ethisch engführen. Wo soll denn der lange Atem, den man hier braucht, herkommen, wenn man immerfort nach dem Handeln trachtet, ohne nach der Freiheit zu fragen, der das Handeln entspringen soll?
Gleiches gilt – allen Predigerinnen und Predigern sei es ins Stammbuch geschrieben – für den Gottesdienst am Sonntag. Die gute Predigt soll man daran erkennen, dass sie zuerst das befreiende Handeln Gottes entfaltet, bevor sie auf die Verantwortung des Menschen zu sprechen kommt, zuerst so kräftig wie möglich die frohe Botschaft des Textes intoniert, ehe sie dann auch ethische Konsequenzen buchstabiert. Daran sollte man jedenfalls die evangelische Verkündigung erkennen und ganz gewiss auch messen. Das evangelische Profil einer Predigt besteht darin, dass Menschen Trost und Stärkung durch sie erfahren, weil österliche Hoffnungsperspektiven in ihr aufleuchten, nicht darin, dass ihnen ständig eingehämmert wird, dass es schon wieder fünf Minuten vor zwölf sei und endlich etwas getan werden müsse. Die evangelischen Kirchen stehen in der Pflicht, das Evangelische im Verständnis des Gottesdienstes so klar wie nur möglich zum Ausdruck zu bringen.
Offensichtlich evangelisch ist der Ausgangspunkt beim Dienen Gottes. Gott dient den Menschen. Dieses Dienen, das in Jesus Christus zur völligen Selbsthingabe wird, erweist sich als der Grund aller christlichen Lebensäußerungen und allen kirchlichen Handelns. Alles kirchliche Leben darf sich im Bedientwerden durch Gott gegründet wissen. Nur daraus erwächst Freiheit. Nur darin werden die Gefährdungen durch Aktionismus und Gesetzlichkeit wirksam gebannt.
Offensichtlich evangelisch ist die Auffassung, dass der die gottesdienstliche Feier durchwaltende Rhythmus der beiden Bewegungen des Dienens nicht auf das liturgische Geschehen beschränkt bleibt. Gottesdienst am Sonntag und Gottesdienst im Alltag der Welt bilden einen Lebenszusammenhang, der es erlaubt, das ganze christliche Dasein als ein gottesdienstliches Dasein anzusprechen. Gottesdienst ereignet sich dort, wo Menschen im Gespräch mit Gott stehen. Das ist überall möglich.
Offensichtlich evangelisch ist schließlich auch das mutige Vertrauen in die Mündigkeit der Gemeinde und ihrer Glieder. Wo das ganze Leben zum Gottesdienst wird, wo jeder Christenmensch dazu berufen ist, in die große Liturgie des Wechsels von göttlichem und menschlichem Dienen einzustimmen, da sind alle zu Priestern und Priesterinnen qualifiziert. Gerade der Gottesdienst im Alltag der Welt bringt das an den Tag. Evangelische Christen müssen es ertragen, dass ihre Amtsträger in geistlicher Hinsicht nicht qualifizierter sein müssen als sie selber, oder anders gesagt: dass sie alle grundsätzlich als Laien (das bedeutet: als Glieder des Volkes Gottes) und zugleich als Priesterinnen und Priester des Evangeliums anzusprechen sind und den Zeugnisauftrag der Kirche nicht einfach an die dazu hauptamtlich Berufenen delegieren.
Der Text ist die Kurzfassung eines Vortrags beim Empfang der Evangelischen Kirche in Westfalen (EkvW) am 31. Oktober 2007 in Haus Villigst. Die Überschriften redaktionell bearbeitet von reformiert-info.de.