Lukas 5,1-11
Matth. 4, 18. „Als nun Jesus an dem Galiläischen Meer ging.“ Da diese Geschichte, wie wir noch sehen werden, bei Lukas auf zwei Wunder folgt, hat sich die allgemeine Ansicht durchgesetzt, das von ihm erzählte Wunder habe sich kurze Zeit, nachdem Christus die Fischer berufen hatte, ereignet. Aber diese Annahme hat nur wenig Gewicht; denn die Evangelisten hatten nicht die Absicht, eine Chronik in genauer, klarer Zeitabfolge zusammenzustellen. So kommt es, daß sie die Reihenfolge der Tage nicht weiter beachten und sich daran genügen lassen, von den Taten Christi die wichtigsten kurz zusammenzufassen. Die Jahre dagegen spielen bei ihnen eine Rolle, damit es den Lesern deutlich werde, wie Christus die drei Jahre von Beginn seiner Verkündigung bis zu seinem Tod verbracht hat. Aber Wunder, die ungefähr in die gleiche Zeit fallen, ordnen sie nach freiem Ermessen zusammen. Das wird roch an einer Reihe von Beispielen deutlicher werden. Es steht aus mehreren Gründen fest, daß hier die gleiche Geschichte von den dreien erzählt wird. Einer der Gründe müßte genügen, wenn es die Leser nicht auf Streit angelegt haben: Alle drei berichten einmütig, Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes seien zu Aposteln erwählt worden. Wenn sie schon früher berufen worden wären, würde sich ergeben, daß sie inzwischen abgefallen wären, den Meister verlassen hätten, ihre Berufung in den Wind geschlagen hätten und zu ihrer alten Lebensweise zurückgekehrt wären. Es gibt nur einen Unterschied zwischen Lukas und den beiden andern, daß er allein von dem Wunder erzählt, das die beiden andern auslassen. Aber auch das ist bei den Evangelisten nichts Ungewöhnliches, daß sie nur auf einen Teil einer Tat zu sprechen kommen und dabei viele Umstände übergehen. Darum hat es nichts Unsinniges an sich, wenn wir sagen, von zweien wurde das Wunder beiseite gelassen, das von einem berichtet wird. Wir müssen uns an das erinnern, was Johannes sagt (vgl. Joh. 20, 30 f.), aus der Unzahl von Wundern Christi sei nur ein gewisser Teil ausgewählt worden, der gerügte, um die göttliche Macht Christi zu erweisen und unsern Glauben an ihn zu bestärken. Es ist also nichts Besonderes, wenn Matthäus und Markus die Berufung der vier Apostel sparsamer ausschöpfen, während Lukas sie zum Anlaß einer breiteren Ausführung nimmt.
Luk. 5, 1. „Er stand am See Genezareth.“ Matthäus und Markus nennen den See nach einer gebräuchlichen Ausdrucksweise ihrer Sprache das Galiläische Meer. Das Wort Genezareth kommt von einem verderbten und dann abgewandelten hebräischen Wort, das ähnlich klang. Die weltlichen Schriftsteller nennen den See den Genesarischen; zu dem Teil, der sich nach Galiläa hin erstreckt, sagten auch sie Galiläisches Meer. Das benachbarte Ufer Liberias bekam seine Bezeichnung von der gleichnamigen Stadt. Es ist günstiger, wenn wir über die Ausdehnung und Lage des Sees an einer anderen Stelle sprechen; wir wollen jetzt zur Sache selbst kommen. Lukas erzählt, Christus habe das Schiff des Petrus bestiegen und sei ein wenig vom Lande abgefahren, um die Menge so besser lehren zu können; die Leute waren aus den verschiedensten Gebieten zusammengeströmt, weil sie ihn zu hören wünschten. Nachdem er sein Amt zu lehren verrichtet hatte, gab er in dem Wunder ein Zeichen seiner göttlichen Kraft. Denn obwohl die Fischer daran gewöhnt waren, daß sie viele vergebliche Züge taten und dann durch einen glücklichen Fang alle erfolglose Arbeit entschädigt wurde, war dieses Wunder doch durch den einen Umstand etwas ganz Besonderes, daß, obwohl sie die ganze Nacht nichts gefangen hatten (die Macht ist günstiger für den Fischfang), sich in ihren Netzen plötzlich eine ungeheure Menge Fische zusammenfand, die ihre Schiffe füllte, Petrus und seine Gefährten erkennen schnell, daß ihnen eine solche Beute, die das Maß überschritt, nicht von ungefähr zugekommen, sondern ihnen von Gott geschenkt worden war.
Luk. 5, 5. „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet.“ Zweifellos kannte Petrus Christus bereits als Lehrer und nennt ihn aus Ehrfurcht „Meister". Doch ist er noch nicht so weit gekommen, daß er es verdient, unter seine Jünger gerechnet zu werden. Denn es genügt nicht, ehrerbietig von Christus zu denken; wir müssen seine Lehre im Gehorsam des Glaubens annehmen und verstehen, was er von uns will. Wenn Petrus auch keinen oder nur einen schwachen Geschmack vom Evangelium hat, zeigt er doch, wieviel er Christus zutraut, wenn er von neuem beginnt, obwohl er von der unnützen Arbeit ermüdet war, die er vergeblich unternommen hatte. Man kann nicht leugnen, daß er Christus hoch schätzte und sein Ansehen sehr viel bei ihm galt. Aber doch machte dieses teilweise Vertrauen, das Petrus nur zu dem einen Befehl Christi hatte, und zwar in einem gewöhnlichen, irdischen Unternehmen, ihn bei weitem noch nicht zu einem Christen, noch verschaffte es ihm einen Platz unter den Kindern Gottes. Er wurde erst dann zu einem Christen, als er von diesem Anfang von Fügsamkeit endlich zu dem vollem Gehorsam geführt worden war. Da Petrus im übrigen so schnell bereit war, dem Auftrag Christi zu gehorchen, von dem er noch nicht wußte daß er ein Prophet oder der Sohn Gottes war, so gibt es für unser schändliches Verhalten keine Entschuldigung mehr, daß wir ihn zwar unsern Herrn, König und Richter nennen, aber nicht einen Finger rühren, obwohl er uns so und so oft befohlen hat, unsere Pflicht zu tun.
Luk. 5, 6. „Fingen sie eine große Menge Fische.“ Das Ziel dieses Wunders war, daß Petrus und die andern Christi Gottheit erkannten und sich ihm zu Jüngern hingaben. Allgemein werden wir durch dieses Beispiel gelehrt, daß wir uns in keiner Weise zu sorgen brauchen, daß unserer Arbeit der Segen Gottes oder der erwünschte Erfolg versagt bleibt, wenn wir unter dem Befehl und der Leitung Christi die Hand ans Werk legen. Im übrigen war die Menge der Fische so gewaltig, daß die Schiffe sanken und die Herzen der Zuschauer zur Bewunderung erhoben wurden. Denn die göttliche Herrlichkeit Christi mußte durch dieses Wunder offenbar werden, damit seine Vollmacht deutlich zutage käme.
Luk. 5, 8. „Herr, gehe von mir hinaus!“ Obwohl sich die Menschen in fleißigem Gebet die Gegenwart Gottes erbitten, müssen sie doch beim Erscheinen Gottes notwendig von Furcht getroffen werden; ja, sie werden vor Angst und Zittern aus der Fassung gebracht, bis er ihnen Trost schenkt. Der beste Grund dafür, daß sie Gott so begierig herbeirufen, ist, daß sie sich in seiner Abwesenheit als elend erkennen müssen. Seine Gegenwart jedoch ist ihnen darum so schrecklich, weil sie dann anfangen zu fühlen, daß sie nichts sind, ja, daß sie voll sind von einer Unmenge von Bösem. Auf diese Art verehrt Petrus Christus in dem Wunder so, daß er durch seine Majestät heftig erschreckt wird und, soviel an ihm liegt, zu fliehen sucht. Das widerfährt nicht allein dem Petrus, wie wir aus dem Zusammenhang schließen, sondern alle kam Furcht an. Daraus sehen wir, daß dieses Gefühl allen angeboren ist, daß sie sich vor Gottes Gegenwart entsetzen. Das ist uns nur nützlich, denn so wird alles niedergeschlagen, was an törichtem Selbstvertrauen und Hochmut in uns steckt; nur muß dann bald der Trost kommen, der uns wieder aufrichten soll. Darum stärkt Christus den Petrus mit einer freundlichen Antwort und untersagt ihm, sich weiterhin zu fürchten. So zieht der Herr die Seinen ins Grab hinab, um sie hernach wieder lebendig zu machen.
Luk. 5, 10. „Von nun an wirst du Menschen fangen.“ Dafür haben Matthäus und Markus: „Ich will euch zu Menschenfischern machen.“ An diesen Worten wird uns gezeigt, daß Petrus und die drei andern nicht nur zu Jüngern Christi angenommen wurden, sondern auch zu Aposteln bestimmt, oder daß sie wenigstens zur Hoffnung auf das Apostelamt erwählt wurden. Hier wird also nicht nur eine allgemeine Berufung zum Glauben geschildert, sondern der besondere Ruf zu einem bestimmten Amt. Ich gebe jedoch zu, daß die einzelnen Teile des Lehramtes ihnen noch nicht übertragen wurden, aber doch erwählt Christus sie sich für seinen Umgang und zieht sie in seine Gesellschaft, um sie für das Lehramt auszubilden. Dabei ist weislich zu bedenken, daß nicht allen vorgeschrieben wird, ihre Eltern und ihre frühere Lebensweise zu verlassen und Christus zu Fuß nachzufolgen, sondern bei den einen ist der Herr damit zufrieden, sie in seiner Herde und Gemeinde zu haben, den andern hat er einen besonderen Posten zugewiesen. Die Leute, denen ein öffentliches Amt übertragen ist, sollen also wissen, daß von ihnen etwas mehr verlangt wird als von irgendeiner Privatperson. So verändert Christus damit nicht das allgemeine Leben der andern, wenn er diese vier Jünger von ihrem Handwerk, von dem sie bislang gelebt haben, abzieht, um ihre Arbeit zu einer größeren Aufgabe zu gebrauchen. Christus erwählte sich schwerfällige, einfältige Leute, die genauso wenig gebildet wie in der Verkündigung erfahren waren. Er wollte sie ausbilden, ja, er wollte ihren Geist mit seiner Gnade erneuern, damit sie allen Weisen der Welt überlegen wären. Denn auf diese Art wollte er den Hochmut des Fleisches demütigen und an ihnen ein besonderes Beispiel für die geistliche Gnade geben, damit wir lernen, das Licht des Glaubens vom Himmel zu erbitten, und wissen, daß es nicht in eigenem Fleiß errungen werden kann. Doch erwählte er die Ungebildeten und Schwerfälligen nicht dazu, daß sie immer so blieben. Wir dürfen auf keinen Fall sein Handeln zum Beispiel ausweiten. Denn sonst müßte man auch heute Pastoren in ihr Amt einführen und ihnen erst dann die Ausbildung geben, um sie für ihr Amt zuzurüsten. Denn wir kennen die Regel, die er uns durch den Mund des Paulus vorschreibt, daß nur solche Leute zum Lehramt zu berufen seien, die sich als geeignet erwiesen (vgl. 1. Tim. 3, 2). Christus erwählte solche Leute nicht darum, weil er die Unwissenheit der Bildung vorgezogen hätte. So gefallen sich einige Wahnsinnige in ihrer Unkenntnis und glauben sich den Aposteln um so näher, je mehr sie die Wissenschaft verabscheuen. Zwar wollte er zu Anfang verachtete Leute auswählen, um den Hochmut derer niederzuschlagen, die meinten, der Himmel stünde nur den Gelehrten offen. Doch stellte Christus den Fischern hernach als Amtsgenossen Paulus an die Seite, der von Kind an fleißig studiert hatte. Wenn es auch nichts austrägt, die bildliche Redeform tiefsinniger zu erörtern, da sie aus dem vorliegenden Geschehen aufgegriffen wurde, so spielte Christus doch sehr geschickt auf den Fischfang an, als er über die Predigt des Evangeliums sprach. Denn die Menschen, die in der Welt umherschweifen und umherirren wie in einem weiten uferlosen Meer, werden durch das Evangelium gesammelt. Im übrigen hat die Geschichte, die in Joh. 1 berichtet wird, mit dieser nichts zu tun. Denn Andreas war einer von den Jüngern des Johannes, der ihn Christus übergab. Andreas hat dann seinen Bruder mitgebracht. Zwar nahmen sie ihn damals schon als ihren Meister an, doch wurden sie erst später auf eine höhere Stufe gehoben.
Aus: Otto Weber, Calvins Auslegung der Heiligen Schrift. Zwölfter Band: Die Evangelien-Harmonie 1. Teil, Neukirchener Verlag, 1966, S. 155ff.