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Noch nicht ausgeträumt
Predigt zum 3. Sonntag nach Epiphanias
Psalm 126 Ein Wallfahrtslied.
1 Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird,
so werden wir sein wie die Träumenden.
2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein.
Da wird man sagen unter den Völkern: Der Herr hat Großes an ihnen getan!
3 Der Herr hat Großes an uns getan, des sind wir fröhlich.
4 Herr, bringe zurück unsre Gefangenen,
wie du die Bäche wiederbringst im Südland.
5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.
6 Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen
und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.
I have a dream – rief Martin Luther King und wagte an eine gleichberechtigte Zukunft von Schwarzen und Weißen zu glauben. Er wurde erschossen.
I have a dream – postete die junge Frau aus Indien und beschwor ihr Land, Frauen zu achten und zu schützen. Sie wurde vergewaltigt und umgebracht.
I have a dream – twitterte die Mulsima aus Saudi-Arabien und malte eine Zukunft aus, in der auch Frauen selbstbestimmt leben dürfen. Sie sitzt immer noch hinter Gittern.
WENN DER HERR DIE GEFANGENEN ZIONS ERLÖSEN WIRD, SO WERDEN WIR SEIN WIE DIE TRÄUMENDEN.
Ich habe einen Traum – sagte Rudi Dutschke und stritt gegen den Vietnamkrieg und die Verdrängung der Naziverbrechen. Drei Kugeln trafen ihn.
Ich habe einen Traum – verkündete Richter Giovanni Falcone und ließ nicht nach in der Verfolgung der Mafia. Die Cosa Nostra brachte ihn zu Tode.
Ich habe einen Traum – versicherte Walter Lübcke und setzte sich ein für Geflüchtete und gegen Pegida-Parolen. Seine Ermordung wird in rechten Kreisen gefeiert.
WENN DER HERR DIE GEFANGENEN ZIONS ERLÖSEN WIRD, SO WERDEN WIR SEIN WIE DIE TRÄUMENDEN.
Ich hatte einen Traum, sagt der römische Hauptmann Kornelius aus der Hafenstadt Caesarea in Palästina:
Heute nachmittag gegen 3 Uhr. Deutlich sah ich, wie ein Engel Gottes bei mir eintrat, und mich beim Namen rief. Voller Furcht fragte ich, was ist, Herr? Er aber sagte zu mir: Deine Gebete und Almosen sind aufgestiegen zu Gott. Es wird ihrer gedacht. Schicke nun Männer nach Jaffa und lass einen gewissen Simon kommen, der den Beinamen Petrus trägt. Er ist zu Gast bei einem Gerber namens Simon, dessen Haus am Meer liegt. (Apg 10, 3-6)
Und ich frage: Was soll dem Römer aus dem Ritterstand ein unbekannter jüdischer Fischer? Was will der Besatzungsoffizier mit einem Untertanen aus der Provinz? Welche Hoffnungen weckt der Traum in ihm?
Darauf gibt Lukas, der Erzähler dieser Geschichte, vorerst keine Antwort. Es geht ihm um etwas anderes. Um Träume ...
Ich hatte einen Traum, sagt Petrus am nächsten Tag in Jaffa.
Heute nachmittag gegen Mittag stieg ich auf das Dach des Hauses, um zu beten. Da wurde ich hungrig und wünschte etwas zu essen. Und während man etwas für micht kochte, geriet ich ganz außer mir und sah den Himmel offen und etwas wie ein großes Leinentuch – an seinen vier Enden gehalten und auf die Erde heruntergelassen. Darin befanden sich alle möglichen Vierfüßler und Kriechtiere der Erde und Vögel des Himmels.Und eine Stimme ertönte und sagte zu mir: Steh auf, Petrus, schlachte und iss! Da rief ich ganz entsetzt: Auf keinen Fall, Herr! Noch nie habe ich etwas Gemeines und Unreines gegessen. Koscher muss das Essen sein! Aber seltsamer Weise ertönte die Stimme noch zweimal, bevor das Tuch wieder hochgezogen wurde. Ich war völlig verwirrt.
Und jetzt haben nicht nur wir eine Frage. Petrus selbst ist unschlüssig, was die Vision bedeuten sollte.
Und ich stelle mir vor: Petrus und der Hauptmann – beide unsicher, wie sie mit ihren Visionen umgehen sollen, suchen sich Rat. Den kriegen sie auch sehr schnell:
Bist du den noch bei Sinnen, sagt der Kollege des Cornelius aus Tiberias. Willst du in eine Falle tappen? Wir sind schließlich hier, um Rebellion und Attentate zu verhindern. Der Geheimdienst sollte umgehend diese zwei Männer namens Simon überwachen. Wie kommst du nur auf so eine absurde Idee, diesen Petrus zu dir zu holen... Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!
Und Simon, der Gerber, beschwört Petrus: Das war wohl der Hunger bei dir! Entschuldige, dass ich so lange mit dem Essen in Verzug war. Du bist doch sonst ein frommer Mensch und hältst dich an die Regeln unserer Tradition. Niemals habe ich erlebt, dass du die Speisegesetze nicht eingehalten hast! Wie kannst du nur so etwas Verrücktes denken. Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen!
Sie kennen diesen Spruch sicher. Bundeskanzler Helmut Schmidt soll ihn seinerzeit gegen politische Utopisten gerichtet haben. Gegen Menschen mit Visionen einer friedlichen und ge-rechten Welt, obwohl die Wirklichkeit auch damals wenig Hoffnung ließ. Ja – wer allgemein verbreitete Denkweisen in Frage stellt, gilt schnell als Spinner. Ein Römer, der einen Juden in sein Haus lädt – einen Unterworfenen. Ein Jude, der Taburegeln in Frage stellt – das biblische Gesetz seiner Vorfahren. Wer so etwas tut, hat einen Traum. Einen Traum, der Grenzen überschreitet. Der Unterschiede schwinden lässt: zwischen erlaubt und verboten. rein und unrein, Eigenem und Fremdem, zwischen Herren und Untertanen, Juden und Heiden. Und um Letzteres, um Juden und Heiden, geht es Lukas ganz besonders, wenn er die beiden Träume ineinander vereinigt. Auf wunderbare Weise ...
Denn kaum war Petrus vom Dach herabgestiegen, standen schon die Männer am Tor, die von Kornelius geschickt waren und sich zum Haus des Simon durchgefragt hatten, und fragten mit lauter Stimme, ob ein gewisser Simon mit dem Beinamen Petrus hier zu Gast sei. Sie brachten das Anliegen ihres Herrn vor. Und – Petrus zieht mit ihnen ...
Und da könnte man jetzt einwenden, dass das zu schnell gegangen ist. Zu schnell. Das ist ein Vorwurf, der Menschen, die ihre Träume wahrmachen wollen, oft trifft. Freilich wünschen alle eine CO2-freie Zukunft – aber die Zeit ist noch nicht reif, eine Umstellung kommt zu plötzlich, die Wirtschaft kann noch nicht auf Kohle verzichten. Freilich wünschen sich viele mehr Frauen in Entscheidungspositionen – aber die Zeit ist noch nicht reif, eine Umstellung kommt zu plötzlich, die Gremien sollten freiwillig entscheiden.
Freilich ist Deutschlands Waffenexport ein Skandal – aber die Zeit ist noch nicht reif, eine Umstellung kommt zu plötzlich, es gibt noch keine alternativen Arbeitsplätze. Sie können die Liste sicher fortsetzen. Immer bleiben die Fundis gegenüber den Realos auf der Strecke. Und schon das Wort ‚Fundis‘ disqualifiziert die, die Probleme grundsätzlich angehen wollen.
Grundsätzlich wie Lukas. Er lässt Petrus nämlich nicht vernünftig abwägen, ob er seiner Vision folgen soll oder nicht. Genauso wenig wie den Hauptmann. Beide entscheiden aus ihrer Gottesbeziehung heraus. Gottesfürchtig ist Kornelius und folgt der Weisung des Engels. Ein Beter und einer, der angesehen ist beim ganzen jüdischen Volk, einer also, der seine militärische Überlegenheit nicht missbraucht. Und den Apostel Petrus lässt Lukas vom Heiligen Geist leiten, der ihm sagt: Wohlan, steh auf, geh hinunter und zieh ohne Bedenken mit ihnen, denn ich habe sie gesandt.
Gut. Eine schöne Geschichte. Aber auf eine besondere Gottesbeziehung beruft sich auch Donald Trump. Und die Mullahs in Teheran. Wie soll uns so ein Gerede vom Heiligen Geist für unsere eigenen Entscheidungen helfen?
Da müssen wir bei den biblischen Autoren nach einer Antwort unter der Oberfläche des Textes suchen. Lukas erzählt die Geschichte ja nicht, damit wir auf wunderbare übersinnliche Erleuchtungen wartet. Er erzählt sie als Fundi. Grundsätzlich. Weil die Christengemeinden überzeugt sind, dass der Weg, den Jesus gewiesen hat, richtig ist, bestätigen die Evangelisten Menschen, die diesen Weg gegangen sind und gehen. Bestätigen sie durch wunderbare Erzählungen.
Wir müssen nicht auf Engelsstimmen oder Erscheinungen des Geistes aus dem Jenseits warten. Wie unsere Vorfahren im Glauben können wir grundsätzlich wissen, was von uns als Christinnen und Christen erwartet wird. Nicht im Detail. Im Prinzip! Das Christuswort heißt ja nicht: Ich bin die Antwort auf jede Frage, sondern: Ich bin der Weg.Immer wieder müssen wir unser Denken und Handeln an diesem Weg überprüfen und neu ausrichten. Mit Vernunft und mit Emotion und mit Gottvertrauen.
Der Weg, auf dem sich der Hauptmann und Petrus treffen, ist der Weg, der Grenzen zwischen Menschen überwindet. Der Apostel sagt es in der Geschichte so: Ihr wisst, wie unstatthaft es für einen Juden ist, mit einem Fremden aus einem anderen Volk zu verkehren oder gar in sein Haus zu gehen. Mir aber hat Gott gezeigt, dass ich keinen Menschen gewöhnlich oder unrein nennen soll. Darum bin ich, ohne zu widersprechen, gekommen, als du nach mir schicktest.
Das ist der Jesus-Weg. Den will Lukas in den Visionen seiner Figuren bekräftigt sehen. Den sollen seine Leserinnen und Leser, den sollen auch wir bekennen, nämlich dass bei Gott kein Ansehen der Person ist, sondern dass ihm aus jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und Gerechtigkeit übt. Und zum Zeichen dieses Bekenntnisses und Vertrauens empfangen Cornelius und sein Haus die Taufe. Sein Haus, das heißt alle Familienmitglieder und alle, die bei ihm wohnen, auch die Frauen und auch die Sklaven.
Ich habe einen Traum, ruft Petrus aus: Vor Gott sind alle Menschen gleich. Gleich in die Verantwortung als Sein Ebenbild gerufen. Gleich fehlbar. Gleich geliebt. Ich will Jesu Zeuge sein – unter Nero wurde er schmählich hingerichtet. Wie auch römische Offiziere später zu Märtyrern wurden.
Ich habe einen Traum, dichtet der Psalmist:
Herr, bringe zurück unsre Gefangenen,
wie du die Bäche wiederbringst im Südland.
Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.
Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen
und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.
Können wir auf die Erfüllung unserer Träume hoffen?
I have a dream, hören wir immer noch Martin Luther King. Wir sollten auch hören, was er uns noch ins Herz schreibt:
Unser Glaube an Gott bestimmt,
wie wir
mit unseren zerbrochenen Träumen
fertig werden.
Er gibt uns die Überzeugung,
dass jenseits der Zeit
der Geist Gottes,
dass jenseits
des zeitlichen Lebens
das ewige Leben herrscht.
Unsere zerbrochenen Träume ... Das ist eine große Gefahr. Für alle, die in ihrem Denken und Handeln nicht Halt machen wollen an den als unumstößlich geltenden Schranken der so ge-nannten Wirklichkeit. Zerbrochene Träume können uns in die Depression führen, in Resigna-tion und Zynismus. Zu niederschmetternd ist die Erfahrung, dass man ja doch nichts ändern kann! Manche retten sich dann in blindwütigen Aktionismus. Oft werden da aus Utopisten Radikalisten. Wenn gar nichts vorwärts geht, scheint nur noch Gewalt zu helfen. Und dann wandeln sich die Menschheitsträume in Menschheitskatastrophen.
Resignation oder Radikalisierung sind die Folge davon, dass man das Letzte mit dem Vorletzten verwechselt – wie Bonhoeffer es formulierte. Unsere Träume kommen aus dem Letzten, aus der Vision von Got-tes vollendeter Welt, der großen Zukunft. Sie helfen uns, das Vorletzte nicht als unabänderlich anzuerkennen. Sie richten unsere Füße auf den Weg Jesu. Dort treffen wir auch viele Unge-taufte. So wie es der Hauptmann Cornelius war, rechtschaffen und friedfertig und menschen-freundlich. Dafür hatte er keinen Missionar gebraucht. (Das wird gerne überlesen.) Mit anderen gemeinsam nehmen wir unsere Verantwortung für die Welt wahr. Voll Hoffnung, sie bewohnbar zu erhalten und gerecht zu gestalten.
Wir haben Träume für das Vorletzte.
Wir lassen uns nicht beirren von den Ewig-Gestrigen.
Wir wissen, dass wir auch scheitern können.
Ich habe einen Traum für das Letzte, verkündet der Visionär der Offenbarung: (21,3f.)
Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! ... er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein; und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.
AMEN
Damit aus Fremden Freunde werden,
kommst du als Mensch in unsre Zeit:
Du gehst den Weg durch Leid und Armut,
damit die Botschaft uns erreicht.
Damit aus Fremden Freunde werden,
gehst du als Bruder durch das Land,
begegnest uns in allen Rassen
und machst die Menschlichkeit bekannt.
Damit aus Fremden Freunde werden,
lebst du die Liebe bis zum Tod.
Du zeigst den neuen Weg des Friedens,
das sei uns Auftrag und Gebot.
Damit aus Fremden Freunde werden,
vertraust du uns die Schöpfung an;
du formst den Menschen dir zum Bilde,
mit dir er sie bewahren kann.
Damit aus Fremden Freunde werden, gibst du uns deinen Heilgen Geist,
der, trotz der vielen Völker Grenzen,
den Weg zur Einigkeit uns weist
Gudrun Kuhn