Scham steigt hoch. Das Gefühl sagt klar, wo die Grenze ist des guten Benehmens. Scham ist Menschen vorbehalten, die erkennen: Ich bin nicht perfekt und ich bin verletzlich. Unangenehm mag das sein, aber eben menschlich: „Nur der Übeltäter kennt keine Scham!“ (Zefania 3,5)
Die Scham zu achten und andere nicht zu beschämen, davon erzählt die Bibel. Vorbildlich bedecken Sem und Jafet die Blöße Noahs, ohne einen Blick auf die Scham ihres betrunkenen Vaters zu werfen. Andere nicht zu beschämen gehört zum tugendhaften Handeln, das hält die spätere rabbinische Tradition klar, ja drastisch vor Augen. Im Talmud heißt es: „Jeder der das Gesicht eines Gefährten vor den Vielen erbleichen lässt, ist, als ob er Blut vergießt... Es ist besser, ein Mensch werfe sich in den Feuerofen, als dass er öffentlich seinen Nächsten beschämt.“
Das Evangelium mahnt aber auch vor der anderen Seite, der falschen Scham: „Wer sich meiner und meiner Worte schämt…, dessen wird auch der Menschensohn sich schämen, wenn er kommt“ (Mk 8,38). Ausdrücklich wird gesagt, Gott schäme sich nicht, wenn diejengen, die nach einer besseren, einer himmlischen Heimat trachten, sich zu ihm bekennen. (Hebräer 11,16)
Wenn das Nicht-Schämen so betont wird, ist dann auch de Umkehrschluss richtig? Gott schämt sich für uns, wenn wir nicht seinen Geboten folgen, seiner Verheißung vertrauen? Gott selbst der erste unter denen, die sich fremdschämen?
Als „Signum gegenwärtigen Lebens“ sieht Kristian Fechtner das „Phänomen Scham“ und lässt sich von ihm leiten bei seinem Blick auf die kirchliche Praxis. Bereits die Wahl des Sitzplatzes im Gottesdienst sei Scham gelenkt, meint Fechtner, eine Frage von Sehen und Gesehenwerden. Für die Liturgie gibt der Scham sensible Theologe zu beachten:
„Wo nämlich »Mitmach«-Liturgien spürbar Unlust hervorrufen, milde Formen des Unwohlseins oder latente Fluchtreflexe, wo sie mit der Empfindung verbunden sind, sich gottesdienstlich so nicht zeigen zu wollen oder zu können, da rühren sie an den Grenzen religiöser Scham. Sie öffnen dann nicht, sondern schließen eher die Räume des inneren Erlebens.“
Literatur
Kristian Fechtner, Diskretes Christentum. Religion und Scham, Gütersloh 2015, Zitat S. 106.
(Stand 12. Februar 2016)
Barbara Schenck, 12. Februar 2016