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Keine Angst vor dem Tod
Einspruch! Mittwochs-Kolumne von Georg Rieger
Bedenken bezüglich der geschäftsmäßigen Sterbehilfe kann ich verstehen. Um Missbrauch zu vermeiden wird der Gesetzgeber dafür sicher Regeln finden müssen. Nicht verstehen kann ich die einhellige Kritik der Kirchenvertreter an der Entscheidung. Statt sich der Thematik grundsätzlich zu stellen entscheiden sie sich für ein Rückzugsgefecht – mit Argumenten, die vor allem auf Verdächtigungen aufbauen: Es dürfe nicht sein, dass kranke Menschen, um ihrer Umwelt nicht mehr zur Last zu fallen, lieber sterben als sich weiter pflegen lassen zu wollen.
Ich weiß nicht, was Seelsorger, die so etwas sagen, an Sterbebetten für Erlebnisse haben. Es mag wohl Menschen geben, die von ihren Angehörigen so schlecht behandelt werden, dass sie sich als Last empfinden. In den allermeisten Fällen ist es ja wohl anders: Angehörige kümmern sich engagiert, sind vielleicht dazwischen mal genervt oder überfordert, aber kämpfen sich durch. Auch in den Pflegeheimen gibt es keinen finanziellen Anreiz, der früheres Sterben attraktiv macht. Trotzdem werden alle Beteiligten, die bei Kranken und Sterbenden ihr Bestes geben, durch diese Argumentation verdächtigt, „alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck (zu) setzen“.
Ich schreibe das aus eigener Betroffenheit, weil meine Mutter schon vor Jahren erklärt hat, dass sie den Zeitpunkt ihres Todes selbst bestimmen will. Wie soll ich den Verdacht widerlegen, dass sie es tut, weil ich und meine Familie uns nicht ausreichend kümmern?
Warum soll das Recht auf Leben automatisch auch eine Pflicht zu leben einschließen? Genau diese Interpretation hat leider eine lange und verhängnisvolle kirchliche Tradition. Selbstmörder wurden über Jahrhunderte nicht kirchlich beerdigt und durften nur außerhalb des Friedhofs ihre Ruhe finden. Noch bis heute wird der selbstgewählte Tod in Trauerfeiern oft nicht offen angesprochen, sondern umschrieben und inhaltlich umschifft. Die Botschaft lautet klar: Es darf eigentlich nicht sein. Dieser Druck lastet auf den Angehörigen.
In Predigten reden wir davon, dass Jesus Christus uns die Angst vor dem Tod genommen hat. Warum nehmen wir dann Menschen nicht ernst, die genau das glauben, fühlen und entschieden vertreten?
Immerhin haben die Bischöfe in ökumenischer Einigkeit verstanden, dass sie die Entscheidung von Sterbenskranken nicht direkt kritisieren können ohne sich seelsorgerlich unmöglich zu machen. Um an dem alten Grundsatz der unbedingten Lebenserhaltung bis zum gottgewollten Tod festhalten zu können, werden nun die Angehörigen und die Gesellschaft beschuldigt, dass sie den Menschen „nach seiner Leistungsfähigkeit, seinem Nutzen für andere, seiner Gesundheit oder seinem Alter bemessen“ und dessen Lebensrecht in Frage stellen. In die Kritik an der Leistungsgesellschaft würde ich ja gerne mit einstimmen, wäre sie an dieser Stelle nicht völlig fehl am Platze.
Auflösen soll das Dilemma die Palliativmedizin. Schmerzen könnten den Menschen genommen werden, heißt es. Abgesehen davon, dass das keineswegs in allen Fällen stimmt, darf die Gabe von Opiaten zur Schmerzlinderung nicht den theologischen Diskurs vernebeln. Den Diskurs darüber, welche Bestimmung der Mensch über das Ende seines Lebens hat.
Dass der Freitod in der Bibel nicht befürwortet wird, unterscheidet ihn nicht von anderen Themen, bei denen wir in der Zwischenzeit andere Einsichten gewonnen haben. Was ist es also wirklich? „Dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat und ihn bejaht und dass der Mensch sein Leben vor Gott verantwortet“, heißt es in der Gemeinsamen Erklärung von EKD und Bischofskonferenz. Warum wird Menschen diese Verantwortung abgesprochen, wenn es ums Sterben geht?
Georg Rieger