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DER PASTOR ALS SALONLÖWE
zum 180. Todestag von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher (21.11. 1768 - 12.02. 1834)
Nein, „sein hoher Gang“ kann es nicht gewesen sein, weswegen die Damen der Berliner Salons allesamt für den jungen Theologen Schleiermacher schwärmten! „Edel“ war seine „Gestalt“ gewiss nicht: zu klein, zu schief, ein wenig verwachsen eben. Vielleicht war es „seines Mundes Lächeln“, wahrscheinlich: „seiner Augen Gewalt“, ganz sicher: „seiner Rede Zauberfluss“. [1]
Ständiger Gast war er, der Prediger an der Charité, im Herzschen Salon. Dort versammelten um 1800 der jüdische Arzt, Naturwissenschaftler und Kant-Schüler Markus Herz und seine hoch gebildete Frau Henriette alles, was Rang und Namen in der Gelehrtenrepublik hatte oder noch bekommen sollte. Auch Schleiermacher startete von hier aus seinen stupenden Karrieresprung. Hier saßen sie, die Gebildeten unter den Verächtern der Religion, denen seine Reden über die Religion gewidmet waren [2]. Hier wurde jene gefühlige Geselligkeit gepflegt, in der die Frühromantiker Leben und Denken vereinigen wollten. Hier keimte jener erotische Flair, der vernünftig geschlossene Ehen scheitern ließ und die freie Liebe zum obersten Prinzip erhob.
In diesen Sog also wurde unser junger Pastor hineingezogen – noch nicht dreißigjährig. Die Dame des Hauses (seine liebe Jette) umgarnte ihn platonisch – was auch immer sie sich davon versprach. (Wohl doch den „Händedruck, und ach“ den „Kuss“ … [3]) Man übersetzte gemeinsam aus dem Englischen, Italienischen und Griechischen, man symphilosophierte [4], man verständigte sich über die Religion des Herzens. Sie – Henriette – stiftete auch jene legendäre Wohngemeinschaft zwischen Schleiermacher und Friedrich Schlegel. So etwas wie die allererste Berliner Kommune. Ein Experiment, in dem die beiden Heißsporne sich gegenseitig zu genialer schriftstellerischer Kreativität steigern sollten. Eine skandalträchtige Kreativität. Denn da gab es noch jene andere jüdische Salondame. Und die war kompromisslos im Ausleben ihrer erotischen Wünsche: Brendel Veit, die älteste Tochter des Philosophen Moses Mendelssohn. Längst nannte sie sich Dorothea. Und längst war sie ihrem vom Vater sorgfältig ausgewählten, aber langweiligen Ehemann Simon Veit entflogen, um künftig mit Friedrich Schlegel der Liebe allein zu leben. Ihr Herzensanwalt dabei wurde Schleiermacher. Und er verteidigte nicht nur dieses Vorzeigepaar romantischer Liebe, sondern auch den umstrittenen Roman seines Wohngenossen: Lucinde [5]. Darin hatte Schlegel in bisher noch nie gewagter Deutlichkeit Erotisches zu lesen geben, eine dithyrambische Fantasie über die schönste Situation und dergleichen mehr. Aus dem Munde verschiedener Protagonisten wurde, noch erregt vom höchsten Augenblick, wenn in den geschwollnen Adern das wilde Blut tobt, über die Liebe philosophiert wie einst in Platons Symposion – zum frivolen Voyeurismus der Stadt. Denn ganz Berlin wusste, dass hinter den Figuren Julius und Lucinde der Autor und „die Veit“ standen. So wie sich sehr schnell herumsprach, welcher anonyme Verfasser in den Vertrauten Briefen [6] das Buch in einem eigenen Briefroman verteidigt hatte: Schleiermacher. Eine der Figuren darin heißt Eleonore. Eleonore? Hinter diesem Namen stand die Frau von Schleiermachers Amtskollegen A.C.W. Grunow. Sie hätte seine Lucinde werden können. Aber die Pfarrfrau erlaubte sich nicht, was Dorothea Mendelssohn-Veit gewagt hatte. Die war zu ihrem Geliebten gezogen und lebte nach der Scheidung von Veit in romantisch verklärter wilder Ehe. Ganz so wie es Schleiermacher in seiner Idee zu einem Katechismus für gebildete Frauen [7] gelehrt hatte: Du sollst keine Ehe schließen, die gebrochen werden müsste. Eine kühne Umkehrung des Gebots! Nicht der Ehebruch ist verwerflich. Verwerflich ist die jahrhundertealte Praxis arrangierter, vernunftgesteuerter Eheschließungen. Du sollst von den Heiligtümern der Liebe auch nicht das kleinste missbrauchen: denn die wird ihr zartes Gefühl verlieren, die ihre Gunst entweiht und sich hingibt für Geschenke und Gaben, oder um nur in Ruhe und Frieden Mutter zu werden. Die Heiligtümer der Liebe … So also wird – in religiös überhöhter Sprache – das Postulat der Liebesehe grundiert. Erotische Leidenschaft und Trauschein sollten harmonisiert werden. Die Damen in den Salons hörten es gerne. Der skandalumwitterte Theologe bot ihnen Erbauliches der besonderen Art: Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen für die Männer; du sollst ihre Barbarei nicht beschönigen mit Worten und Werken. Ich stelle mir vor, wie sie ihm an den Lippen hingen, wenn er so beim Teevergnügen dozierte. Und wie streng Salonièren wie Henriette Herz und Rahel Levi vor allem sein 10. Gebot befolgten: Lass dich gelüsten nach der Männer Bildung, Kunst, Weisheit und Ehre.
Etwa drei Jahre (von 1797-1800) währte diese aufregende Zeit. Dann gewannen die von den Romantikern so frech verspotteten „Philister“ die Oberhand. Aus Weimar schleuderten Schiller und Goethe ihre Verdammungsurteile. Und der Oberkonsistorialrat Sack schickte den unbotmäßigen jungen Pastor in die Verbannung nach Hinterpommern. Untragbar war er geworden: ständiger Gast in den Salons der jüdischen Damen, Verfasser der Reden, einer Umwertung der christlichen Lehre hin zu einer Gefühlsreligion – und dann noch Sympathisant der Schlegelschen Lucinde. Untragbar!
Aus seinem Exil in Stolp meinte Schleiermacher noch seine eigene Herzensangelegenheit günstig lancieren zu können. Er beriet Eleonore in Sachen Scheidung. Und er weidete sich an seinem Liebesleid. Henriette Herz – inzwischen Witwe und in hoffnungsloser Sehnsucht nach ihrem Schleier, wie sie ihn nannte [8], – erwiderte treu seine tristen Briefe. Dann scheint ein gutes Ende greifbar nahe: der weich gewordene Pastor Grunow willigt in die Scheidung ein. Doch da verliert Eleonore den Mut. Eine gefühlsselige Romanze mit einem Unerreichbaren, weit ab in der Provinz – das konnte angehen. Aber sollte sie die Sicherheit aufgeben, die ihr der Gatte in Berlin bot? Oder war es wirklich, wie sie beteuerte, ihr protestantisches Gewissen?
So endet jedenfalls das wilde Jugendleben des Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Und vor ihm liegt eine vernünftig geschlossene unglückliche Ehe. Heinriette, die Kollegenwitwe, wird ihm vier Kinder gebären und ihn nach seinem Tod am 12. Februar 1834 noch sechs Jahre überleben.
[1] Zitiert nach „Gretchen am Spinnrad“ aus Goethes Faust
[2] Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. 1799 anonym erschienen). Taschenbuchausgabe nach der HKA: Felix Meiner Verlag. Hamburg. 2004
[3] Siehe Anm. 1. So jedenfalls stellt Huizing die Beziehung aufgrund des Briefmaterials plausibel dar. Klaas Huizing: Frau Jette Herz. Roman. München. 2006
[4] Der Begriff stammt von Friedrich Schlegel und wurde zu einem Leitbegriff der Frühromatik.
[5] Friedrich Schlegel: Lucinde. Studienausgabe. Stuttgart (Reclam) 1999
[6] Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher: Vertraute Briefe über Schlegels ‚Lucinde‘. Insel Taschenbuch 759
[7] Veröffentlicht in der Zeitschrift Athenäum, dem programmatischen Journal der Frühromantik, das Friedrich Schlegel mit seinem Bruder August Wilhelm herausgab und für das Schleiermacher viele Ideen lieferte. http://cuentacuentos.blog.de/2009/01/23/ideen-katechismus-vernunft-edle-frauen-5433575/
[8] So bei Huizing nachzulesen.
Dr. Gudrun Kuhn, Nürnberg, Februar 2014
Zum 180. Todestag des Theologen Friedrich Schleiermacher am 12. Februar sprach reformiert-info mit Pfarrer Matthias Loerbroks über das Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit und die Problematik einer Theologie, die nach den Katastrophen der beiden Weltkriege an die glanzvolle Linie von Schleiermacher zu Harnack anknüpfen will, als sei nichts geschehen.