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Ohren offen halten für Boten Adonajs
Predigt zu Genesis 22, 1-19
Liebe Gemeinde!
In der letzten Woche wurde ein 39-jähriger Zahnarzt für den Rest seines Lebens in die Psychiatrie eingewiesen, weil er seine beiden Kinder getötet hatte. Das Motiv: Religiöser Wahn.
Vor etwas mehr als einer Woche erregte ein Interview im Magazin der Süddeutschen Zeitung Aufsehen. Ein junger Mann, der mit dem sog. „Islamischen Staat“ sympathisiert, gab Auskunft über sein Denken. Dazu gehört auch, dass er sagt: „Ich würde sogar meine Familie töten, wenn sie sich gegen den Islamischen Staat stellt.“
Geht das: Diese beiden Beispiele anscheinend religiös motivierten Irrsinns in eine Reihe stellen mit der Geschichte von der „Opferung Isaaks“ bzw. der „Bindung Isaaks“ - wie sie genauer in der jüdischen Tradition genannt wird – denn er ist ja nicht getötet worden? Wenn ich das tue – unterstelle ich damit nicht, dass Religion eine Geisteskrankheit ist?
Diese Nebeneinanderstellung – so sehr sie im ersten Moment sich assoziativ nahe legt - ist jedenfalls zunächst einmal anachronistisch – d.h. sie stellt Phänomene aus sehr weit auseinanderliegenden Zeiten nebeneinander. Wenn man das tut, dann muss man schon sehr sorgfältig schauen, was die Menschen in der weit zurückliegenden Zeit – ungefähr 2500 Jahre -, aus der die Geschichte von der „Bindung Isaaks“ stammt, mit dieser Geschichte verbunden haben könnten.
In der sog. “Erzvätergeschichte“, die in 1. Mose 12 mit der Berufung Abrahams beginnt und den Rest des 1. Buchs Mose umfasst, geht es nur vordergründig um das Ergehen einer Familie im antiken Orient. Vielmehr spiegelt sich in dieser Familiengeschichte die Erfahrung des Volkes Israel.
Wovon erzählt die „Erzvätergeschichte“ – die genauer natürlich „Erzväter- und Erzmüttergeschichte“ heißen muss, denn die Frauen spielen eine ebenso wichtige Rolle in ihr wie die Männer? Es geht darum, dass eine Familie aus ihrer gewohnten Umgebung aufbricht und einen Weg mit vielen Wendungen und Windungen geht, weil jemand namens „Adonaj“ – das ist nicht sein wirklicher Name; es ist eine Umschreibung, denn sein wirklicher Name ist unaussprechlich – weil „Adonaj“ dieser Familie eine Verheißung gibt: Diese Verheißung umfasst ungeheuer viel: U.a. dass diese Familie in einem schönen und fruchtbaren Land Heimat finden soll; dass diese Familie Segen erfahren und zum Segen für Andere – ja: für alle Völker der Erde – werden soll; und – ganz grundlegend, ganz existentiell, könnte man sagen –, dass diese Familie Zukunft haben wird. Diese Zukunft verkörpert sich in Nachkommen: Immer wieder – von Generation zu Generation – soll diese Familie Kinder haben, die ihren Fortbestand durch die Zeiten sichern.
Gemäß der patriarchalen Denkweise der Menschen vor 2500 Jahren geht es dabei um Söhne – Töchter spielen auf den ersten Blick nur eine Rolle am Rande; aber das täuscht gewaltig, denn die erwachsenen Töchter – die Mütter – sind für den Fortbestand der Familie genauso existentiell wichtig wie die Väter. Die äußere Hülle des Patriarchalismus, die das Erzählen vordergründig lenkt, fällt sich selbst immer wieder ins Wort, indem sie nicht anders kann als die Geschichte der „Erzmütter“ zu erzählen, ohne die diese Familie keine Zukunft gehabt hätte.
Es ist ein Weg mit vielen Wendungen und Windungen. Denn vom ersten Moment an steht die große Verheißung in großer Gefahr. Mal sind es Naturkatastrophen, die den Fortbestand der Familie und damit die Erfüllung der Verheißungen in Frage stellen – wie gleich ganz zu Anfang: kaum sind Abraham und Sarah im Land Kanaan angekommen, müssen sie es auch schon wieder verlassen wegen einer Hungersnot. Sie wenden sich um Hilfe nach Ägypten – so wie es das Volk Israel vielfach getan hat in seiner Geschichte (Gen 12,10).
In Ägypten sind sie allerdings der Willkür des ägyptischen Herrschers, des Pharao, ausgeliefert – auch das eine vom Volk Israel vielfach gemachte Erfahrung. Die „Erzmutter“ Sarah wird vom Pharao in seinen Harem genommen, und damit droht gleich zu Beginn die Urmutter der verheißenen Nachkommen verloren zu gehen (Gen 12,15). Nur dem Eingreifen „Adonajs“ ist zu verdanken, dass die Verheißung nicht gleich zu Beginn zunichte wird.
Vielleicht am bedrohlichsten sind aber die Konflikte innerhalb dieser Familie: Der mörderische Kampf um die Weitergabe des Segens zwischen Jakob und Esau (Gen 27); die Intrige der Brüder Josephs, die ihn beinahe das Leben kostet (Gen 37). Auch das spiegelt Erfahrungen der Geschichte Israels von Bruderkriegen, Putschen, tödlichen Intrigen wieder – man lese nur einmal das 2. Buch Samuel, wo der mörderische Kampf um die Nachfolge Davids berichtet wird, oder die beiden Königsbücher, in denen von Kriegen zwischen dem nördliche Reich Israel und dem südlichen Reich Juda, und einer langen Reihe von Putschen und Umstürzen im Nordreich Israel erzählt wird.
Und es gibt die Erfahrung von zwei furchtbaren Katastrophen: Dem völligen Zusammenbruch des Nordreiches Israel und dem Verschwinden seiner Bewohner im Jahr 722 nach der Eroberung durch die Assyrer; und dann dem Fall Jerusalems und der Wegführung der führenden Schichten ins Exil durch die Babylonier im Jahr 587. Beide Katastrophen werden auf Gott selbst zurückgeführt – als Strafe für Ungehorsam des Volkes.
Da stellt sich dann die schwärzeste denkbare Frage: Kann es tatsächlich sein, dass Gott – dass „Adonaj“, der die Verheißung gegeben hat, sie auch wieder nimmt?
In der Form der Familiengeschichte: Ist es denkbar, dass der Gott, der die Verheißung ausgesprochen – und mit der Geburt eines Sohnes von Eltern, die nach menschlichem Ermessen keine Kinder mehr bekommen konnten, auch wirklich in Erfüllung gehen ließ – dass derselbe Gott – derselbe „Adonaj“ – die Verheißung wieder vernichtet – das Kind, das die Zukunft verkörpert, fordert – zurück fordert?
Es gibt eine auffällige Scharnierstelle in dieser Geschichte: Zu Beginn ist von „Gott“ die Rede. Ein Gott hat zweifellos das Recht und die Macht, Leben, das er, der Schöpfer allen Daseins, gegeben hat, auch wieder zu nehmen. Wie Israel es von seinem Gott auch bekennt, z.B. in Ps 90,3: „Der du, Gott, die Menschen lässest sterben.“ Was nicht verwunderlich ist, da ja gerade das Volk Israel seine Existenz eben nicht als naturgegeben, und seine Fortexistenz nicht als selbstverständlich, sondern als ganz und gar in Gottes Hand gelegen ansah.
Aber in dem Moment, als Isaak gebunden auf dem Holzstoß auf dem Altar liegt, meldet sich ein „Engel Adonajs“.
Für mich ist das vielmehr der Schlüssel zum Verständnis dieser Geschichte: Wozu eine Gottheit das Recht und die Macht hätte, das verhindert der Gott Israels – das verhindert „Adonaj“, so lautet die Antwort auf die schwärzesten Zweifel Israels in seiner Geschichte. „Adonaj“ lehnt das vielmehr ausdrücklich ab: „Strecke deine Hand nicht aus gegen den Jungen – tu ihm nicht das Geringste an!“ Er verbietet es Abraham – und damit verbietet er es auch sich selbst.
Ein „Engel Adonajs“ sagt das – im Unterschied zum Anfang der Geschichte, wo Gott selbst zu Abraham spricht.
Dass ein „Bote Adonajs“ das Wort ergreift, dem entnehme ich eine Warnung davor, allein auf die direkte Begegnung mit Gott zu setzen, weil nämlich zwischen der Anrede durch den lebendigen Gott und den Stimmen, die so in unseren Köpfen herum geistern, schwer zu unterscheiden ist. Einer wie Abraham, der so gepriesen wird für sein Vertrauen auf Gott, der mochte dieses Unterscheidungsvermögen haben – der mochte dieses Ansinnen Gottes als Prüfung annehmen – das aber wiederum offen ist für die Überprüfung durch den „Boten Adonajs“.
Ich finde, für uns empfiehlt es sich auf jeden Fall, die Ohren offen zu halten für mögliche „Boten Adonajs“, die unsere inneren Stimmen und Erlebnisse mit Gott einer kritischen Prüfung unterziehen. Zu solchen Boten rechne ich auf jeden Fall Menschen, die sich intensiv mit theologischen Fragen auseinander gesetzt haben – dafür sind PfarrerInnen, RabinnerInnen, und auch Imame da –, und zwar möglichst viele mit verschiedenen Perspektiven, damit man nicht in die Fänge von selbsternannten Gottesmännern gerät, wie die verwirrten jungen Menschen, die in diesen Tagen nach Syrie und in den Irak aufbrechen, weil sie dem Lügenkalifen von Mossul und damit einem religiös verkleideten Mordwahn verfallen.
Wer meint, er habe von einem Gott seinen Privatauftrag, Menschen zu töten – der kann sich nicht auf Abraham berufen – der braucht Hilfe – v.a. ärztliche Hilfe –, um von seinen inneren Stimmen erlöst zu werden. Denn Abraham ist Vorbild nicht etwa wegen seines blinden Gehorsams – sondern wegen seines Glaubens – d,h, wegen seines Vertrauens, dass Gott diese schwärzeste aller erdenklichen Fragen, die sich aus den Erfahrungen Israels ergibt, mit „Nein“ beantwortet: „Tu dem Jungen nichts an!“ Die Zukunft des Volkes Israel wird von seinem Gott, von „Adonaj“ nicht angetastet; sein Weiterleben von Generation zu Generation stellt er nicht in Frage.
Ohne Zweifel: Es gibt religiösen Wahn. Dem haben wir aber das Vertrauen entgegen zu setzen: „Adonaj“, der Gott Israels, fällt religiösem Wahn in den Arm – um der Zukunft seines Volkes Israel willen.
Amen
Gehalten am 12. Oktober 2014 in der Antoniterkirche zu Köln
Pfr. Dr. Tobias Kriener, Bonn