THEOLOGIE VON A BIS Z
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Die Öffnung des Israelbundes für die Völker IV
I Die Bundestheologie der reformierten Reformation
1. Der Christus-Abraham Bund (H. Bullinger)
2. Der Christus-Abraham-David-Bund (J. Calvin)
3. Das foederal-theologische Verständnis des Bundes (J. Coccejus)
II Der universal erweiterte Israelbund (K. Barth)
III Tendenz auf Vermischung und Vereinnahmung: Fragen an Barths Bundestheologie
III Tendenz auf Vermischung und Vereinnahmung: Fragen an Barths Bundestheologie
Dennoch erheben sich – trotz des gewaltigen theologiegeschichtlichen wie theologischen Fortschritts über die bisherige Israeltheologie der Kirche hinaus – Barth gegenüber Fragen, die mit einer Tendenz auf Vermischung und Vereinnahmung Israels in die Kirche zu tun haben, wie sie schon die reformatorischen Bundesmodelle bei Zwingli, Bullinger und Calvin in der Israelfrage kennzeichnen.
Ich nenne in aller Vorläufigkeit Fragen, die nicht zur Diskreditierung, sondern zur Präzisierung der Israeltheologie Barths anleiten sollen.
- Nach Barth ist Israel der Zeuge des Gerichtes und des vergehenden Menschen und ist die Kirche die Zeugin der Gnade und des kommenden Menschen (KD II/2). Aber die Frage ist zu stellen: Ist Israel nach dem Zeugnis der Schrift nicht primär der Zeuge des kommenden, des messianischen Menschen (Röm 11,25ff), und ist an der Kirche durch und nach Auschwitz nicht ein Mehr an Gericht zur Darstellung gekommen?
- Bei Barth ist – wie auch bei Calvin – Israel weitgehend exklusiv verstanden und also auf das alttestamentliche Israel beschränkt. Deshalb kann die Geschichte des nachbiblischen Judentums von Barth als „abstrakte Erinnerung [an das alttestamentliche Israel], (als) merkwürdig gespenstisch und unfruchtbar, ohne rechte und wahre Prophetie“ charakterisiert und diffamiert werden[1]. Aber die Frage ist zu stellen: Ist Israel nicht theologisch – inklusiv zu verstehen, so daß unter der Geschichte Israels die ganze Geschichte des jüdischen Volkes bis heute zu verstehen ist, wie Barth dies in der Zeit des Nationalsozialismus und dann auch nach 1945, speziell 1954 im Brief an die ökumenische Weltkonferenz in Evanston mit der These: „Israel ist das Volk der Hoffnung“ selber getan hat?
- Nach Barth leben Israel und die Kirche in dem einen, ungekündigten Gottesbund. Daraus folgert Barth die These von dem einen, gespaltenen Gottesvolk aus Israel und Kirche, unter welchem Leitmotto der Dialog auf den Kirchentagen anfangsweise geführt worden ist. Aber die Frage ist zu stellen: Ist Barths These von Israel und der Kirche als den beiden Gestalten des einen Volkes Gottes nicht noch zu sehr von der problematischen Übertragung des Israelnamens auch auf die Kirche, die im Neuen Testament eben nicht vollzogen wird, belastet?
- Barth zufolge gehören aufgrund des ungekündigten Bundes – wie in der Bundestheologie der Reformation – Israel und die Kirche zur Ökumene. Die Ökumene ist erst dann vollständig, wenn Israel zur Ökumene hinzukommt, so daß „die ökumenische Bewegung ... noch schwerer unter der Abwesenheit Israels, als unter der Roms“ leidet[2]. Aber die Frage ist zu stellen: Gehört auch Israel-Judentum wie die Kirchen aus allen Nationen zur Ökumene (K. Barth) und darf man von der „Ökumene aus Israel und Kirche“ (E. Zenger) sprechen? Hans-Joachim Iwand hat präziser davon gesprochen, daß die Ökumenizität der Kirche nur unter Voraussetzung ihres fundamentalen Bezuges auf Israel-Judentum bewahrt werden können: „Die Entwurzelung [der Kirche] aus Israel bedeutet den Verlust der Ökumenizität der Kirche“.
Die Fragen an Barth können freilich nicht aufheben, daß dieser mit seiner These von der durch Christus erfolgten Öffnung des niemals gekündigten Israelbundes für die Völker die Richtung gewiesen hat, in die Theologie und Kirche im Gespräch mit Israel gehen können und gehen sollten. Dabei ist die Richtungsangabe Barths durch eine nicht zu übersehende Markierung gekennzeichnet: nämlich durch die Unterscheidung zwischen dem Gottesvolk Israel einerseits und dem Bund Gottes mit seinem Volk Israel andererseits.
Den präzisen Formulierungen Barths zufolge, die am Anfang dieses Beitrages als Motto zitiert wurden[3], werden die Menschen aus den Völkern nicht in das Volk Israel hineingenommen. Die Kirche ist nicht Israel, auch nicht das geistliche Israel! Auch nicht das geistliche Israel im Unterschied zu einem dann – in exegetisch höchst fragwürdiger Weise – abgewerteten „Israel nach dem Fleisch“. Wolfgang Schrage hat sich gegen eine solche in Theologiegeschichte und Kirche beliebte Abwertung des Israel kata sarka zurecht ausgesprochen[4].
Wohl aber werden die Menschen aus den Völkern in den durch die Versöhnung im Kreuz Christi geöffneten Bund Gottes mit Israel hineingenommen. Das Motto redet also von keiner Hineinnahme der Kirche in das Israelvolk, wohl aber von einer Hineinnahme in die niemals gekündigte Bundesgeschichte des Gottes Israels mit seinem Volk Israel[5].
So will Barths These von der durch Christus erfolgten universalen Öffnung des ungekündigten Israelbundes für die Kirche als das ökumenische Gottesvolk aus allen Völkern verstanden und weiterentwickelt werden.
Nicht als das „gespaltene Gottesvolk“, nicht als „Ökumene aus Kirche und Israel“, wohl aber unter dem „Bogen des eines Bundes“[6] sollen Israel – Judentum und die ökumenische Kirche der Zukunft des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit entgegengehen.
Vortrag vor der EKD-Kommission „Kirche und Judentum“ am 2. März 1995 in Fulda. Gedruckt in: B. Klappert, Miterben der Verheißung. Beiträge zum jüdisch-christlichen Dialog (Neukirchener Beiträge zur Systematischen Theologie 25), Neukirchen-Vluyn 2000, 390-406.
[1] K. Barth: KD IV/3,76.
[2] a.a.O. 1007.
[3] K. Barth: KD IV/1,182.
[4] W. Schrage: „Israel nach dem Fleisch“ (1. Kor 10,18), in: „Wenn nicht jetzt, wann dann?“. Festschrift für H.-J. Kraus zum 65. Geburtstag, hg. von H.-G. Geyer u.a., Neukirchen 1983, 143–151: „’Israel nach dem Fleisch’ impliziert als oppositum darum nicht ein anderes Israel in der Gestalt des neuen Gottesvolkes“ (150), d.h. der Kirche. „Daß Israel nur noch als dunkle Folie der Kirche anzusehen sei, nur noch in seinem Scheitern [R. Bultmann!] für die Christenheit Bedeutung habe oder die ganze Geschichte Israels eine einzige Unheilsgeschichte sein, ist aus 1. Kor 10 gerade nicht zu entnehmen“ (151). „Und es ist kaum zufällig, daß sich der Gegenbegriff [zu Israel kaka sarka, nämlich] ho Israel kata pneuma nicht gebildet hat“ (150). „Auch ‘Israel Gottes’ (Gal 6,16) ist kein Gegenbeweis, denn ... Israel tou theou (ist) weder einfach mit der Kirche zu identifizieren noch ein Kontrastbegriff zu Israel kata sarka“ (144f).
[5] Die These von der Öffnung des niemals gekündigten Israelbundes auch für die Völkerwelt ist exegetisch an Mk 14,24 orientiert: Mein Blut des Bundes (Gottes), das für die umfassende Vielzahl vergossen ist. Die darin implizierte Unterscheidung (keine Hineinnahme der Kirche in das Israelvolk, wohl aber Hineinnahme in die Bundesbeziehung Gottes mit seinem Volk Israel) ist – fast gleichzeitig mit Barth – auch von Leo Baeck: Dieses Volk. Jüdische Existenz I 1955/II 1957 aufgestellt worden: „In einem Bunde, der alle Völker in sich schließt, ihnen allen gilt, steht dieses Volk [Israel] auf Erden“ (I 17; Neuausgabe II 39). Vgl. dazu die Einleitung in die von A.H. Friedlander und mir besorgte Neuausgabe in der Werkausgabe Leo Baeck Bd. II, Gütersloh 1996. – Vgl. weiter meinen Beitrag: Der Midrasch aus Theresienstadt und das Testament Leo Baecks, in: „Das Leben leise wieder lernen“, FS für A. H. Friedlander, hg. von E.W. Stegemann und M. Marcus, Stuttgart/Berlin/Köln 1997, 93–104. – Diese Unterscheidung ist zuletzt – ohne Rekurs auf Barth – von R. Rendtorff, Jesus Christus zwischen Juden und Christen, EvTh 55/1953, 3–12,8 vertreten und als für die weitere Diskussion wegweisend vorgeschlagen worden.
[6] E. Busch: Unter dem Bogen des einen Bundes. Karl Barth und die Juden 1933–1945, Neukirchen 1996; B. Klappert: Israel und die Kirche in einem Gottesbund? Umstrittenes im jüdisch-christlichen Verhältnis, in: FS E. Busch zum 60. Geburtstag, Wuppertal 1997, 113–132; P. Welten: „Unter dem Bogen des einen Bundes“. Rezeption und Interpretation von Jer 31,31–34, a.a.O. 97–112.
Bertold Klappert