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... nach den Festen.
Nes Ammim - aus dem Alltag in einem nicht-alltäglichen Dorf in Israel. 63. Kapitel
Hierzulande sagt man immer "acharei hachagim" - nach den Festen -, wenn man sagen will, dass es nie passiert. Damit ist auf die Festserie im Herbst angespielt von Rosch HaSchana über Jom Kippur und Sukkot bis Simchat Tora (dieses Jahr vom 21. September bis 12. Oktober), denn weil dazwischen dann ja immer auch noch Schabbat ist, tut sich von Rosch HaSchanah bis Simchat Torah in den Behörden nichts; die Eltern sind gegen Ende völlig entnervt, weil sie nach den ewig langen Sommerferien schon wieder die Kinder wochenlang am Hals haben. Und alle sind froh, wenn sie es dann endlich hinter sich haben und das Leben wieder in geordnete Bahnen einschwenken kann. Wir haben morgen noch einmal Schabbat vor uns - und ab Sonntag kann's dann wieder los gehen ...
Was natürlich für unsere Volos so nicht stimmt, denn gerade über die Feste haben sie wegen der vielen Feriengäste gut zu tun.
Bei meinem 2. Durchgang Feste war vieles schon viel besser organisiert als im letzten Jahr: Den Gottesdienst an Erev Rosch HaSchanah haben wir letztes Jahr auch schon mitbekommen - aber dieses jahr sind wir auch beim "Taschlich" gewesen - einer kleinen Zeremonie am Meer, wo man symbolisch seine Sünden in's Wasser wirft mit einem Stein oder - so wurde uns erklärt -, wenn es besonders schwerwiegende sind, mit Brot. Nun ja: Die Steine waren dann tatsächlich weg - während das Brot einem von der Brandung direkt wieder vor die Füße gespült wird; es sind ja auch die schwerwiegenden Sünden, die man vielleicht doch nicht so leicht los wird. Ich habe jedenfalls zur Sicherheit einen Stein geworfen ...
Neu in Nes Ammim an Jom Kippur dieses Jahr: die jüdischen Bewohner in den neuen Häusern haben ihren Jom-Kippur-Gottesdienst im HOPS gehalten. Wir kamen kurz vor Schluss dazu, wurden gleich sehr freundlich und hilfsbereit mit Tallits versehen und an die richtige Stelle im Gebetsbuch verwiesen. Die "New Inhabitants" - wie sie bei uns immer noch heißen, obwohl sie inzwischen alle länger in Nes Ammim leben als irgendeiner von uns - hatten sich einen Minjan von (oreintalischen) Orthodoxen "gemietet", die das volle Programm einschließlich der Midrasch- und Talmudlesungen in der Nacht auf sich nahmen und das Gebet anleiteten. Weil es so viel Material ist, und die Orthodoxen ja - anders als die Remormjuden - nichts kürzen, haben sie in einem halsbrecherischen Tempo gelesen und gesungen. Das habe offensichtlich nicht nur ich so empfungen. Beim Rausgehen hörte ich, wie einer der Jugendlichen aus dem Dorf zu seinem Kumpel sagte: "Es war sehr schwer zu folgen - ich bin die ganze Zeit durcheinandergekommen." (sä haja kaschä me'od - kol hasman hitbalbalti ...)
Aber wie gesagt: Sie haben sich gefreut, dass wir da waren, und ich konnte mich dann noch als "Festtagsgoj" verdient machen, weil ihnen die Klimaanlage zu warm eingestellt war und sie mich baten, sie ein bisschen herunter zu regulieren ...
An Jom Kippur haben wir letztes Jahr den Gottesdienst verpasst - wir waren einfach zu früh. Dieses Jahr wusste ich, wann's los geht. Zwar waren wir wieder etwas zu früh, aber in Naharijah kann man ja schnell noch zur Küstenpromenade gehen und ein bisschen der Meeresbrandung zusehen und zuhören. Der Gottesdienst bis zur "Ne'ilah" - dem "Abschluss" - mit Schofar-Blasen hat 2 1/2 Stunden gedauert - für die Volos, die ja keine Hebräisch verstehen - endlos lang. Ich habe sie dann hinterher noch zu einem arabischen Essen in Abu Snan eingeladen - ich glaube, das hat den Tag dann noch einigermaßen gerettet. Aber die Teilnehmendenzahlen waren dann bei den weiteren Synagogenevents doch deutlich niedriger. Nächstes Jahr werden wir uns darauf beschränken, in der letzten Stunde bei der Ne'ilah dabei zu sein ...
Am Tag vor Jom Kippur waren wir zum traditionellen Apfelpflücken bei den Drusen auf dem Golan - ein großer Erfolg bei den Volos und vor allem bei den holländischen Seniors, die reingehauen haben als ginge es darum, die Vorräte für den gesamten Winter einzubringen ... : Das ist zwar auch ordentlich Arbeit - aber vor der imposanten Kulisse des Hermon in wunderbar frischer Bergluft. Und anschließend wieder das leckere drusische Essen in der Weinlaube von der Frau des Bauern zubereitet. Dazu kommt der Gruselhintergrund des Geschützdonners hinter den Hügeln. Im Sommer war ja davon zu lesen gewesen, dass Putin und Trump einen Waffenstillstand an den Grenzen zu Israel und Jordanien durchgesetzt hätten, deshalb hatte ich eigentlich erwartet, dass dieses Jahr Ruhe ist. Aber die Soldaten der syrischen Armee, die die Dörfer der Aufständischen beschießen, scheinen keine Zeitung zu lesen ... Wir waren auch wieder auf dem Aussichtspunkt mit dem spektakulären Blick nach Syrien hinein. Da hatten die Kanoniere allerdings anscheinend Mittagspause, so dass wir dieses Jahr keine Rauchwolken von Granateneinschlägen zu sehen bekamen.
An Erev Sukkkot waren wir dann in der Sukkah der Reformgemeinde in Naharijah. Kurzes Gebet im Bunker, wo die Gemeideräume sind - und dann reichlich Essen in der Sukkah.
Und Sonntagabend und den ganzen Montag in der Sukkotwoche hat es dann richtig heftig geregnet - da ist mehr Regen runtergekommen als letztes Jahr im gesamten Oktober und November - was nicht viel besagt, denn letztes Jahr ist diesen beiden Monaten nicht ein einziger Regentropfen gefallen. Meine Kanäle haben gehalten - unsere Türschwelle war zu keinem Zeitpunkt vom Wasser bedroht! Jetzt ist wieder eitel Sonnenschein - aber jetzt ist die Zeit, in der man über's Wetter wirklich nicht meckern kann: Schön warm am Tag - nicht zu heiß - nicht so schwül; und nachts kühl es wunderbar ab, so dass man wieder schlafen kann, ohne die Bettwäsche nacht für Nacht völlig durchzuschwitzen ...
Dann gibt's eine weitere Neuerung: Wir haben ja in diesem Jahrgang 3 Theolog_innen unter den Volos: Jaison aus Indien, der dort eine Ausbildung an einem lokalen College gemacht hat; Mark, der nach seinem 1. Examen ein Jahr Pause macht, bevor er in's Vikariat geht, und Kathrin, die nach dem Grundstudium für 7 Monate Pause macht. Die eine Neuerung ist, dass wir auf Kathrins Initiative hin jetzt 2 mal in der Woche ein kurzes Morgengebet im HOPS haben. Und wir haben uns letzte Woche erstmals zu einem theologischen Gesprächs- und Lesekreis getroffen. Da haben wir uns erst mal gegenseitig erzählt, was wir bisher so gemacht haben. Und dabei fand ich schon auffällig, dass der ganze Themenkomplex der christlich-jüdischen Beziehungen anscheinend keine große Rolle mehr spielt im Theologiestudium - ganz anders als "zu unseren Zeiten", als das eines der meist traktierten Themen gewesen ist. Jetzt lesen wir erst mal die Biografie von Debbie Weisman (der ehemaligen Vorsitzenden des International Council of Christians and Jews - ICCJ - und Herzensfreundin von Katja), und wollen sie auch in Jerusalem besuchen.
Und diese Woche haben Katja und ich unsere Freunde Nurit und Amitai in Haifa getroffen, die dort in der wunderschönen Wohnung ihres Sohnes Sukkot verbringen und die Katzen hüten. Erst haben wir uns eine Dokumentation über den israelischen Schriftsteller Etgar Keret im Kinosaal des Museums für japanische Kunst angesehen (mit diesem typischen Intellektuellen- bis Boheme-Publikum, das man ja auch aus den deutschen Programmkinos kennt - da könnte man auch viele kleine Beochbachterminiaturen draus machen ...) ; dann haben wir einen Spaziergang auf der Promenade oben auf dem Karmel gemacht mit fantastischem Blick bei hervorragender Sicht bis nach Rosch HaNikrah und zum Har Meron - dem höchsten Berg Israels im oberen Galiläa - und über die ganze Bucht und Ebene von Haifa und den Krajot bis hin zu den arabischen Dörfern an den Hängen der galiläischen Berge. Anschließend haben wir in der Sukkah noch gegessen - ganz vegan, mit lauter von Nurit leckerst zubereiteten Salaten - und die ganze Zeit natürlich vom ehemaligen Chef des Ulpans an der hebräischen Universität uns noch und noch Details zu Ivrit angehört. Wie Lehrer so sind, liebt er es, gefragt zu werden. Aber er erklärt auch einfach so anschaulich und anekdotenreich und humorvoll, dass es eine Lust ist, bei ihm immer weiter zu lernen. Ich habe natürlich nicht alle Fragen behalten, die mir bei den eigenen Bemühungen, Ivrit zu vermitteln (der Ulpan in Nes Ammim hat inzwischen auch wieder angefangen) so kommen. Er sagt dann immer, ich könne ihm ja jederzeit eine e-mail schicken und er würde gerne alle Fragen beantworten - aber das ist natürlich längst nicht so unterhaltsam, wie wenn er einem als lebendiges Wörterbuch und Grammatik gegenüber sitzt ...
Nur eine Anekdote: Wie ist Efraim Kishon zu seinem Namen gekommen? Er stammte ja aus Ungarn und hieß ursprünglich Ferenc Hoffmann, hatte sich selber dann Kishont genannt, um im kommunistischen Ungarn weniger bürgerlich zu klingen. Als er in Haifa an Land ging, fragte ihn der Mann bei der Einwanderungsbehörde nach seinem Namen und machte Kurzerhand aus Ferenc Efraim, und Kishont erinnerte ihn an den nahegelegenen Fluß Kishon (von der Promenade auf dem Karmel aus gut zu sehen ...), und so verpasste ihm dann einfach diesen neuen Nachnamen ...
Die ganze Zeit begleitet uns übrigens der Kampf gegen eine Kolonie Mini-Ameisen, die vom Dach die Wand herunter durch unsere Küche krabbeln. Wir haben alles versucht: Gewischt; Backpulver gestreut; Löcher mit Silikon verstopft; versucht, ihnen den Weg mit essiggetränkten Tüchern zu verlegen; schließlich sogar Gift ausgelegt. Aber wir haben verloren: Die Biester finden immer einen Weg - und der Essiggestank hat eher uns den Aufenthalt in der Küche vermiest - sie stören sich daran überhaupt nicht; und die Kiste mit den leckeren Teilchen und dem Gift ignorieren sie einfach. Jetzt hoffen wir auf die sinkenden Temperaturen ...
So - und gestern also Simchat Torah: Wir haben wieder bei den Reformierten mitgetanzt. Kathrin hatte auch die Ehre, die Torahrolle überreicht zu bekommen. Letztes Jahr war ich ja in der Runde der Großeltern "drangekommen" - im Rückblick eine geradezu prophetische Zeichenhandlung meines damaligen Gegenübers - ihr erinnert euch: der, der mein Zögern mit dem Satz aushebelte: "Ich bin nicht Jude - Du bist nicht Christ - wir sind alle Menschen!" Leider musste ich dieses mal genau in dem Momennt, als die Großeltern aufgerufen werden, weg, weil ich Kathrin zurück nach Nes Ammim bringen musste zur Arbeit. Aber "be Schanah haba'ah" - da werde ich als echter Großvater mitmachen ...
Tobias Kriener