Anhang III: Die Psalmen

zu: Theologie als Erzählung - erzählte Theologie: Das Heptameron

Von Merete Nielsen, Göttingen

Ein Kennzeichen der Reformierten, in Frankreich und anderswo, war der Gesang der alttestamentlichen Psalmen. Für Calvin waren die Psalmen nicht nur das Gebetbuch der Bibel, sondern auch das Gesangbuch. Die Reformierten in Frankreich, die sich heimlich zum Gottesdienst versammelten, wurden oft wegen ihres Gesanges entdeckt. Und als die Konfessionsbildung in Frankreich sich mehr und mehr herauskristallisierte, wurde der Gesang der Psalmen zu einem untrüglichen Kennzeichen der Hugenotten. Wenn Oisille die Psalmen täglich liest und mit Herz und Mund singt, hat sie sich für die damalige Zeit als Protestantin zu erkennen gegeben.

Das Calvin 1539 in Straßburg einen Psalter mit 19 gereimten Psalmen: „Aulcuns pseaulmes et cantiques“ herausgab, ist hinlänglich bekannt. Weniger bekannt ist dagegen, dass man in den Kirchen von Straßburg schon seit dem Anfang der Reformation 1524 damit begonnen hatte, vertonte Psalmen im Gottesdienst zu singen. Es war Matthias Greiter, Kantor in der Kathedrale und erster Musikprofessor des Gymnasiums, der zusammen mit Wolfgang Dachstein zuerst die Psalmen ins Deutsche übersetzte und vertonte.

Als die Mitarbeiter des Bischof Briçonnet von Metz 1525 nach Straßburg flüchten mussten, waren sie ob dieses Gesanges sehr beeindruckt. Einer unter ihnen war Gérard Roussel, der spätere Hofprediger der Königin von Navarra, den sie 1536 zum Bischof von Oloron ernannte. Er schrieb 1525 begeistert an Bischof Briçonnet, wie schön dieser gemischte Chor von Männer- und Frauenstimmen klang (Schmidt 1845,1970).

Als Roussel zusammen mit Lefèvre d´Etaples nach Frankreich zurückkehrte, wurden beide von Marguerite d´Angoulême empfangen. Lefèvre d´Etaples wurde beauftragt mit dem Unterricht der königlichen Kinder, deren Erziehung in den Händen von Marguerite lag. Wahrscheinlich begegneten sie am Hofe Clément Marot (1496-1544), dem Hofpoet, der lange Zeit Sekretär von Marguerite gewesen und zu dieser Zeit Kammerdiener von Franz I. war. Auch Marot gehörte zu den reformkatholischen, humanistischen Kreisen um Marguerite und der Gruppe von Meaux. Vermutlich hatte er von den Rückkehrern aus Straßburg von den deutschen gesungenen Straßburger Psalmen gehört und damit angefangen, sie ins Französische zu übersetzen. Schon in der zweiten Ausgabe der „Miroir de l´âme pécheresse“ 1533 von Marguerite von Navarra war eine Übersetzung der 6. Psalm von Marot beigefügt (Lenselink 1969, S. 34ff). Die Königin scheint dieses Unterfangen von Anfang an unterstützt zu haben. Diese Ausgabe wurde übrigens von der Fakultät der Theologie in Paris als ketzerisch verurteilt, und nur der Zorn des Königs bewegte die Professoren, ihr Urteil zurückzuziehen.

Jahre später sollte Marot sich an den gemeinsamen Gesang der Psalmen zusammen mit der Königin erinnern: „Quelque foys suis trompé d´un plus beau songe,/ Et m´est advis que me voy, sans mensonge, / Autour de toy, Royne très honorée,/ Comme souloye, en ta chambre parée / Ou que me faitz chanter en divers sons / Pseaulmes divins, car ce sont tes chansons.“ (Manchmal bin ich getäuscht von einem zu schönem Traum, und stelle mir vor, dass ich wahrhaftig zusammen mit dir bin, ehrenwerte Königin, in deinem schön eingerichteten Zimmer, und wie so oft, dass du mich abverlangst in verschiedenen Tonarten die heilige Psalmen zu singen, denn es sind deine Lieder.“ Screech 1994, p.146).

Marot kündigte selbst an, seine Übersetzung des Psalms dem Hebräischen zu entnehmen („selon l´hebreu“ oder „au plus près de la vérité Ebraicque“). Der humanistische Anspruch ist klar: Zurück zu den Quellen! Unsicher ist allerdings, in wie weit er des Hebräischen mächtig war. Lenselink fand interessanterweise heraus, dass Marot sich auf Zwinglis Psalmübersetzung: „Liber psalmorum seu Enchiridion Psalmorum ex hebraica veritate, latinitate Hulderici Zwingli, Tiguri (= Zürich) 1532“ stützte. Eine andere Quelle war Martin Bucers Psalmkommentar aus dem Jahr 1529: Aretius Felinus (Synonym für Bucer, besonders für Werke, die im Ausland erscheinen sollten): „S. Psalmorum libri quinque ad ebraicum veritatem versi…“ Argentorati (= Straßburg) 1529, 1532. Es ist klar, dass Marot mit seiner Behauptung, zu den hebräischen Quellen zurückgehen zu wollen, sich fest im humanistischen/reformatorischen Lager ansiedelte. Ein Franziskaner mit dem Namen Franziskus Titelmannus gab 1531 einen Kommentar zu den Psalmen, der sich ausdrücklich auf die alte lateinische Bibelübersetzung Vulgata („iuxta veritatem vulgatae“) bezog, heraus. Den hätte Marot benutzen können, falls er gewollt hätte. Franz I. hatte in seinem „Collège Royal“ den gelehrten Vatable als Professor für hebräische Sprache berufen, mit ihm hatte Marot einen Fachmann zur Seite. Als dann Olivétans französische Bibelübersetzung 1535 herauskam, benutzte Marot sie nachweislich.

Marot stützte sich, wie gesagt, auf dem Psalmenkommentar von Bucer. Dieser Kommentar ist davon geprägt, dass Bucer die historische Deutung vorzog, indem er stets die Psalmen in ihrem geschichtlichen Zusammenhang zu deuten versuchte, während z.B. Luther in seinem Psalmenkommentar dazu neigte, eine typologische Deutung auf Christus hin vorzunehmen. Marot hielt sich eng an die Bucersche Vorlage, und versuchte nicht, die Psalmen auf Christus umzudeuten.

Wie sehr er von dem Straßburger Psalter abhängig war, zeigen folgende Übersetzungen der ersten Strophe, jeweils von Psalm 114 und 115:

Psalm 114

M. Greiter                                                                     Cl. Marot

(Die zween Psalmen…Straßburg 1527)                           (Ms. Fr. 2337)

Do Israel auss Egypten zoch                                         Quand Israel hors d´egypte sortit

Und do das hauss Jacob dannen floch                          et la maison de jacob se partit

Von diessem fremden volcke                                       de la gent peregrine

Do ward Juda jetz sein heiligthumb                            Juda fut lors de dieu sanctifié

Und Israel auch seyn herschafft frumb                        et Israel surtout fortifié

Unter des hymels wolcken.                                         soubz sa puissance digne.

Psalm 115

Nit uns, nit uns, o ewiger herr/                                   Non point à nous, non point à nous Seigneur

Sonder deynem namen gib die eer/                            mays à toi donne gloire et honeur

Umb deiner giet und trewe.                                       pour ta grand bonté seure.

Warumb solt wir seyn der heyden spott                    Pourquoy diront les gens en se moquant

Das sye sprächen/ Wo ist nun ihr gott/                      où est leur dieu quilz vont tant invocquant

Das müst uns all gereüwen.                                       Où est-il à ceste heure?

Zum Vergleich aus dem Evangelischen Gesangbuch:

Psalm 114                                                 Psalm 115

Als Israel Ägypten einst verließ,                              Nicht uns, nicht uns, gib deinem Namen Ehr

war es befreit, wie es der Herr verhieß.                 daß deine Gnad und Wahrheit sich verklär,

Nach langen Wanderjahren                                     Herr, komm, sie zu erheben!

Gab Gott dem Volk zu seines Namens Ruhm           Warum soll dich das Wort der Spötter schmähen:

Auf Väterboden Land und Heiligtum,                     „Wo ist ihr Gott, den sie mit Lob erhöhn,

die Schutz und Heimat waren.                                zu dessen Ruhm sie leben?“

(Melodie: Straßburg 1539/Lyon 1549; Text: Detlev Block 1992; Text: Matthias Jorissen)

Über Sprachen und Zeitaltern hinweg ist die Verwandtschaft unter diesen gereimten Psalmen deutlich zu vernehmen.

Marot arbeitete anscheinend lange an den gereimten Psalmen. Abgesehen vom Druck im Buch der Marguerite von Navarra, erschienen seine Psalmen erst in „Aulcuns pseaulmes et cantiques mys en chant“, Straßburg 1539. Dieses Heft enthält 13 Psalmen von Marot und 6 von Calvin selbst, zusammen mit dem Lied Simeons Nunc dimittis (Lukas 2), den 10 Geboten und dem Glaubensbekenntnis, alles gereimt oder von Calvin in rhytmische Sprache gebracht.

Später wurden die Psalmen in Antwerpen 1541, in Paris1542, in Strasbourg 1542, in Genf 1542, in Paris, in Lyon 1542, in (Genf) Lyon 1543, um dann schließlich in Genf 1551 und in der endgültigen Form als der Genfer Psalter 1562 gedruckt. Der Dichter hatte Jahre seines Lebens als Glaubensflüchtling verbracht. Nach der Plakataffäre hatte er 1535 Paris verlassen, um Schutz bei Marguerite von Navarra zu suchen, von ihr war er nach Italien gereist nach Venedig und zum Hof von Renée de France, Herzogin von Ferrara. Calvin kam auch nach Ferrara und die beiden können sich an ihrem Hof getroffen haben. Marot versöhnte sich später mit dem König und kehrte nach Paris zurück, aber schon 1542 wurde er erneut der Ketzerei bezichtigt und traf im November 1542 in Genf ein. Calvin war erfreut ihn zu empfangen – er hatte gerade „La Forme des Prières“ mit den 30 Marot-Psalmen herausgegeben - und beauftragte ihn mit den restlichen Psalmen. Während seines Aufenthalts in Genf verfasste Marot dann noch 19 Psalmen, bevor er die Stadt verließ. Er starb 1544 in Piedmont, ausserhalb von Turin.

Calvin gab seine eigenen Versuche, den Psalter sangbar zu machen, auf und überließ es seinem Nachfolger Beza, die übrigen Psalmen zu bereimen. Im Genfer Psalter sind 49 von Marot, der Rest stammt aus Bezas Feder.

Als Marguerite von Navarra 1546 ihren Prolog zum Heptameron schrieb, musste sowohl ihr selbst als auch ihren LeserInnen klar sein, dass Dame Oisille ein eher protestantisches Buch in den Händen hielt, wenn sie die Psalmen las.

Wenn man die Lektüre von Dame Oisille betrachtet, nämlich die Psalmen sowie das Neue Testament, ist es bemerkenswert, dass die Psalmenausgabe von Calvin und Marot aus Straßburg nur ein Büchlein oder Heft in Oktav ist. Die Ausgabe vom Neuen Testament auf Französisch von Lefèvre d´Etaples aus dem Jahr 1525 war auch ein Oktavband (Martineau-Génieys, 28). Das waren – sicher ganz bewusst – Bücher, die ein jeder mit sich in der Tasche tragen konnte. Die französische Bibel von Olivétan war im Format erheblich größer, aber im Prolog sowie wie in Novelle 67 muss man davon ausgehen, dass die Frauen kleine handliche Ausgaben von den Psalmen und dem Neuen Testament mit sich trugen. Auch das eher reformiert!


Merete Nielsen, Göttingen