06 – Zwingli und Calvin und die Folgen für die Kunst
Der reformierte Blick auf die Bilder. Gedanken zu einer theologischen Ästhetik. Teil VI
Der reformierte Blick auf die Bilder, so hatten wir in der letzten Folge gesehen, kann eminent praktische Auswirkungen haben. In dieser Folge wollen wir noch einmal den Äußerungen der beiden Reformatoren Huldrych Zwingli und Johannes Calvin zur Bilderfrage nachgehen und uns fragen, was das für die sich herausbildende freie Kunst bedeutet.
Hält man sich an das Vorurteil, die Reformierten hätten Probleme mit Bildern, dann muss es zumindest überraschen, dass die ersten Bibelausgaben reichlich illustriert ausfielen. Und nicht nur das: obwohl es bereits 1523 in Zürich die ersten Bilderstürme gegeben hatte, verzichtet die 1531 noch unter der Obhut Zwinglis erschienene, nach ihrem Drucker Froschauer benannte Bibel keinesfalls auf eine Bildausstattung, nicht einmal auf Darstellungen Gottes.
Die Froschauer-Bibel führt die ikonographische Tradition früherer illustrierter Bibeln einfach fort. Sie setzte dabei auf die Kunst von Hans Holbein, der einen guten Teil der Bilder beisteuerte. Und auch die 100 Jahre später erschienene Merian-Bibel ist mit mehr als 200 Abbildungen überreich illustriert. Es gibt also keine grundsätzliche Ablehnung von Bildern mit religiöser Ikonographie. Es geht um etwas anderes. Goethe hat den Satz geprägt: „Bilderstürmer wollen einen neuen Glauben predigen“. Das ist durchaus zutreffend und stimmt auch im Fall der Reformatoren – auch wenn sie sich konkret gegen die Bilderstürmerei ausgesprochen haben.
Huldrych Zwingli hat sich wiederholt mit der Bilderfrage auseinandergesetzt. 1523 wird in Zürich festgelegt, dass die bisherigen Vorschriften in Sachen Bildern aufzuheben sind, weil sie unbiblisch seien und von Gott wegführen; nichts rechtfertige Bilder auf dem Altar. Nicht die Bilder, sondern allein das Wort Gottes soll die Menschen lehren. Erlaubt ist nur, was nicht kultverdächtig ist: „gestalten, die nimmer für gött und helffer angenomen werden mögend“.
1524 rät er jenen, die Bilder gestiftet haben, sie wieder an sich zu nehmen: „Das sonderpersonen, wo die billder gemacht oder habint lassen machen und in die kilchen thuon, dieselben bild in acht tagen wider uß den kilchen söllint nemen und by inen selbs behallten.“ Über die nicht gestifteten Bilder soll die Kirchengemeinde entscheiden und an deren Entscheidung soll man sich halten. Sehr ausführlich geht Zwingli 1525 in seinem Schreiben an Valentin Compar auf die Bilderfrage ein. Er selbst schätze Bilder, auch wenn er kurzsichtig sei. Bilder gestürmt habe er nie. Ausführlich belegt er dann aus der Schrift, dass Gottesbilder verboten sind, dass dieses Verbot auch nicht durch das Kommen Christi aufgehoben sei. Und selbst wenn man nur die menschliche Seite Jesu darstellen wolle, so sei diese doch untrennbar mit seiner göttlichen verbunden, die darzustellen verboten sei.
Bei der Berner Disputation Anfang 1528 kommt es wiederum zu einem Schlagabtausch über die Legitimität der Bilder, diesmal zwischen Zwingli und Johannes Buchstab. Zwingli setzt ein mit dem Hinweis, dass man alttestamentliche Bilder wie die Cherubim vielleicht noch als Zeichen deuten können, die Gott gnädiger Weise zugelassen habe; nach dem Kommen des Herrn seien aber derartige Zeichen überflüssig, weil sie den Blick auf den Herrn selbst stören.
Dagegen wendet Buchstab ein, wenn der kirchliche Unterricht nur genügend darauf verweise, dass Bilder nicht angebetet werden dürfen, man sie doch aus pädagogischen Gründen behalten könne. Dem entgegnet Zwingli, dass sich de facto gezeigt habe, dass einmal aufgestellte Bilder auch Verehrung auf sich zögen: „dann der gott, der alle ding weißt, ee und sy beschechend, hat wol gewüßt, wann man bilder ufrichte an träfenlichenn orten, das sy nach der zyt vereret wurden. Darumb hat er's ouch verbotten.“
Im gleichen Jahr setzt sich Zwingli mit Luthers Einschätzung auseinander, die Bilder seien frei: "Wiewol bilder auß der gschrifft und von guoten historien ich fast nutzlich, doch frey und willkörig halte". Da spricht der Didaktiker Luther. Zwingli entgegnet, nur weil etwas als Mittel tauge, sei es noch lange nicht legitim: „Ich frag hie Lutern, uß welcher geschrifft die bilder nutzlich sin mögind bewärt werden? Uß heiliger?“ Und damit entfalle die Legitimität der Bilder. Dass Luther sich von den Bilderstürmern abwendet, findet Zwinglis Zustimmung. Nur ist Bildersturm eben nicht die einzige Möglichkeit zur Entfernung der Bilder, es geht eben auch ordentlich und gesittet. Das führt u.a. dazu, dass 1629 in Zürich in der stillgelegten Wasserkirche eine öffentlich zugängliche Bibliothek samt Galerie mit konfisziertem Kirchenbesitz eröffnet wurde.
Johannes Calvin hat sich systematisch unter Abwägung aller Argumente mit der Bilderfrage auseinandergesetzt. Im 11. Kapitel des ersten Buches der Institutio christianae religionis entfaltet er seine Sicht. Calvin konzentriert seine Argumentation auf die religiöse Kunst, auf Darstellungen Gottes und Jesu Christi. Diese Darstellungen sind verboten, kein wie immer geartetes theologisches oder didaktisches Argument kann sie rechtfertigen.
Ihre Zulassung ist ein Versagen der Kirche: „Wenn die Vorsteher der Kirche den Bildern das Lehramt übertragen haben, so geschah das aus keinem anderen Grunde, als weil sie selber — stumm waren“. Dazu entwirft Calvin eine Theorie der Genese von Kultbildern: Diese entstehen, weil die Menschen verunsichert sind und sich in ihrer Unsicherheit einen sichtbaren Halt wünschen. Dabei bezieht er sich auf den Kirchenvater Augustin: „Aber in besonderer Weise ist denkwürdig, was Augustin aus Varro anführt und selbst völlig unterschreibt: ‚Die zuerst Bildnisse der Götter einführten, die haben den Menschen die (Gottes-)Furcht weggenommen und ihnen dafür den Irrtum gegeben.‘“
Denn Bilder mindern die Souveränität Gottes indem sie ihn verfügbar machen. Schließlich grenzt sich Calvin von den radikalen Bilderfeinden ab: Wer behaupte, man dürfe überhaupt keine Bilder haben, der verfalle selbst dem Aberglauben, denn er glaube an die religiöse Macht der Bilder. Kunst jedoch sei ein Gottesgeschenk, eine Begabung, die dazu dient, all das zu malen, was unsere Augen fassen können - dazu zählen Historien, Porträts und Bilder zum Ergötzen (oblectatio). „Aber weil Bildhauerkunst und Malerei Gottes Geschenke sind, so fordere ich reinen und rechtmäßigen Gebrauch dieser Künste, damit nicht, was uns Gott zu seiner Ehre und unserem Nutzen zuteil werden ließ, durch verkehrten Gebrauch befleckt werde oder gar zu unserem Verderben führe.“ (Institutio I, 11, 12)
Die Folgen für die Kunst waren ebenso dramatisch wie auch begrenzt: Zunächst einmal waren Bilder und Statuen in den Kirchen untersagt, nicht aber außerhalb der Kirchen. Da die Kirche bis dahin aber einer der großen Auftraggeber der Kunst war, fiel ein ganzes Arbeitsfeld weg. Da Bilder aber nicht grundsätzlich verboten waren, verlagerte sich ihr Schwerpunkt. Was sich seit Jahrhunderten bereits ankündigte, setzte sich nun beschleunigt durch: die Profanität der Künste und die Privatisierung der Kunstaneignung.
Andreas Mertin
Von Ulrich Zwingli, Johannes Calvin und Karl Barth geschult wirft Andreas Mertin einen reformierten Blick auf die Kunst von ihrem Anfang in steinzeitlichen Höhlen bis zur Gegenwart. Der Medienpädagoge und Ausstellungskurator nimmt das Bilderverbot als Kultbilderverbot ernst. Das zweite Gebot sei jedoch kein Kunstverbot.
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