'Eine Musik, die sich ständig erneuert'
Jazz für ein Vertrauen: Interview mit Yves Theiler
Herr Theiler, in Ihrer Karriere haben Sie schon zahlreiche Jazz-Arrangements geschrieben, kürzlich zu Pfingsten für einen Auftritt im Neumünster Zürich. Mit drei der sechs Jazzkompositionen für „It‘s Huldrych!“ gehen Sie bis ins 16. Jahrhundert der Schweizer Musikgeschichte zurück. Wie haben Sie das erlebt?
Die Suite war für mich eine neue Erfahrung: Eigentlich bin ich ein Zürcher durch und durch. Sowohl mit der Zürcher Kirche als auch der Stadt fühl ich mich kulturell logischer Weise sehr verbunden. Zur Musik bin ich aber auf anderem Weg gekommen. Das ging damals über meinen Vater: Er war stets sehr angetan von Blues und anderen afroamerikanisch geprägten Musikstilen. Im Regal hat er eine große Plattensammlung. Das waren aber vor allem Musiker aus den USA. Als ich Zwinglis Lieder arrangiert habe, ist mir bewusst geworden, dass ich mit der historischen Musik aus der Zürcher Umgebung bisher kaum zu tun hatte. Für mich ist „Its‘ Huldrych!“ das erste Projekt, für das ich mich mit der Musikgeschichte meines Heimatortes beschäftigen konnte.
Zwingli – mit dem Namen verbindet man heute nicht unbedingt einen Musiker.
Viele glauben, dass Zwingli die Musik gehasst hat. Das ist bis heute historisch nicht korrekt aufgearbeitet: Zwingli hat sechs Konzertinstrumente gespielt, selber komponiert. Sogar eine Gottesdienstform wurde zu Zeiten Zwinglis eingeführt, wo zuerst die Predigt mit dem reinen gesprochenen Wort galt und nach kurzer Pause bekam man quasi-geistliche Musik zu hören. Über seine Lieder habe ich bei meinen Recherchen auch mit einem Musikwissenschaftler gesprochen, und wir waren uns einig: Das muss einer gewesen sein, der etwas von Musik versteht…
...von dem aber trotzdem kaum jemand weiß. Wie kommt das?
Überliefert sind uns bis heute leider nur drei seiner Werke: „Herr, nun heb den Wagen selbst“, „Hilf Gott, dass Wasser gaht“ und „Hilf Herrgott, hilf in dieser Not“. Das meiste Material ist vermutlich im zweiten Kappelerkrieg verloren gegangen. Anders als in Deutschland gab es zur damaligen Zeit im Gebiet der heutigen Schweiz auch keinen wirklichen Markt für Musik, verglichen mit Regionen wie Wien, Leipzig, Norditalien oder das Frankreich um Paris. Auftragsarbeiten wurden kaum vergeben. Das Bewusstsein für Musik als Kulturgut war deshalb noch nicht so präsent im Vergleich.
In Ihrem Programm haben Sie die drei Stücke wieder aufgegriffen – wieviel Zwingli steckt in den Jazz-Arrangements?
Anfangs saß ich in einem fast schon meditativen Zustand am Klavier. Ich habe immer wieder die Originalharmonien der Stücke wiederholt. Für die Arrangements und Reharmonisationen konnte ich so die harmonischen Essenzen herauskristallisieren. Die Melodien der Lieder blieben dabei fast gänzlich unberührt, dazwischen finden sich aber immer wieder Improvisationsteile und viele andere harmonische Verläufe. Da steckt also viel Zwingli drin, aber ich habe natürlich auch meinen eigenen Stempel an Musiksprache aufgedrückt.
Zwinglis Musik ist ungefähr 500 Jahre alt. Wie gut passt das mit Jazz zusammen?
Jazz ist eine Haltung des ewigen Wandels. Zwinglis Musik ist zwar alt, aber im Jazz geht es darum die Musik auch kontinuierlich weiter zu entwickeln. Historische Elemente lassen sich so durchaus aufgreifen und mit Jazz in das Jetzt aufnehmen. Das ist übrigens eine Haltung, die ich mir auch von der reformierten Kirche wünsche.
Inwiefern?
Auch Kirche muss aus meiner Sicht stets im Wandel sein. Sie muss sich immer wieder neu erfinden. Genauso sollte sich auch Musik in Kirchen wandeln. Wenn sie in einer Zeit verhaftet bleibt, die nicht mehr gilt, dann wird es schwierig mit ihr an die Menschen heranzukommen. Jazz könnte damit auch helfen, Kirchen wieder mehr zu öffnen: als eine Musik, die sich ständig erneuert und auch Besucher in die Kirche lockt, die den Wandel vermissen. Denn es gibt gute und sehr gute Pfarrpersonen und Theologen die höchst aktuelle Themen in den Gottesdienst gekonnt aufnehmen und ohne Scheu auch Unangenehmes ansprechen. Diese Direktheit und Kraft hat auch Musik die sich dem Jetzt stellt.
Das Interview führte Isabel Metzger