Liebe sollte nicht zur Verschmelzung führen

Die Psychoanalytikerin Jeanette Fischer plädiert für einen angstfreien Umgang mit dem Fremden


Jeanette Fischer, Psychoanalytikerin, Zürich

Unter dem Titel Fremde / Liberale / Fahrende wurden zunächst Beispiele aus der Literatur gelesen, bevor eine Diskussion über Lebensweisen und Vertrauen mit der Psychoanalytikerin aus Zürich begann.

Die AutorenTheodor Fontane, Gottfried Keller und Hermann Melville haben in ihren Werken jeweils Bezug auf das Thema Flucht genommen. Sie haben alle drei in diesem Jahr runde Geburtstage und ganz unterschiedliche Verbindungen zum reformierten Glauben.

Der Schauspieler Michael Schwyter aus Stäfa in der Schweiz las jeweils Ausschnitte aus deren Werk und Matthias Krieg, reformierter Theologe aus Zürich, ordnete die die literarischen Kostproben zeitgeschichtlich ein.

Nach dieser Heranführung diskutierten Matthias Krieg und Jeannette Fischer über die Frage, wie mit der Angst vor dem Fremden aus psychologischer und theologischer Sicht umgegangen werden kann.

Fischer differenzierte zwischen Furcht und Angst. Die Furcht sei die intuitive Reaktion auf eine gefährliche Situation, die von einem Adrenalinschub begleitet sei. Dieser mache den Menschen unter anderem wehrhaft. Angst dagegen mache den Menschen zum Opfer einer real nicht bestehenden - oder jedenfalls nicht unmittelbar spürbaren - Situation. Deshalb würden autoritäre Regime und Populisten die Angst bewusst einsetzen, um Hass auf die vermeintliche Bedrohung zu schüren.

Um Ängste zu vermeiden, empfiehlt die Psychoanalytikerin nicht Toleranz einzufordern, sondern Selbstbewusstsein zu stärken. So könne der andere - auch der fremde - Mensch, der andere bleiben, ohne Angst auszulösen. Fischer kritisierte in diesem Zusammenhang die christliche Rede von der Liebe als eine Art Verschmelzung der Menschen untereinander und mit Gott. Diese Aufhebung des Menschen in ein großes Ganzes sei nicht realistisch und eher kontraproduktiv.

Matthias Krieg konterte damit, dass die reformierte Theologie Gott als den ganz Anderen betone und damit ähnlich unterwegs sei. Die Liebe Gottes sei keine Vision der Vereinigung, sondern des Aufgehobenseins. Mit dieser aus dem Publikum unterstützten These endete die Diskussion aus Zeitgründen an einer Stelle, an der es spannend wurde.

Georg Rieger