THEOLOGIE VON A BIS Z
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Ein Kissen wie ein Stein
Predigt zu Genesis 28, 10-19 zum 14. Sonntag nach Trinitatis, 13. September 2020
Der Abschied von der Nacht ist an jedem Morgen gleich. Wenn keine weiteren fünf Minuten mehr herauszuholen sind, erhebe ich mich. Das ist nicht an jedem Morgen das passende Wort, aber ich stehe dann doch irgendwann auf. Zurück bleibt mein Kissen, Federn darin. In der Nacht haben sie ihre Leichtigkeit verloren. Denn mein Kopf lag darauf mit allem, was da so drin ist. Der Tag, der vergangen ist, der Tag, der vor mir liegt, all die Gedanken.
Manchmal sind sie länger wach als ich. Und manchmal ist im Traum zu mir gekommen, was ich mir wünsche. Oder auch das, wovor ich Angst habe. All das lag schwer auf dem Kissen, hat es gedrückt und geformt. Da muss ich es nehmen und schütteln. Dann löst sich, was zusammengedrückt und verklumpt war. Es kommt wieder Leichtigkeit hinein. Heute Abend wird es mich wieder erwarten. Ein weiches Polster, gerade nach einem harten Tag. Ein bisschen versinken, ein bisschen vergessen. Willkommen in der Nacht.
Aber Jakob zog aus von Beerscheba und machte sich auf den Weg nach Haran und kam an eine Stätte, da blieb er über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen Stein von der Stätte und legte ihn zu seinen Häupten und legte sich an der Stätte schlafen.
Willkommen in der Nacht, Jakob. Du siehst ja fast die Hand vor Augen nicht mehr, da bleibst du besser, wo du bist. Und weil du gar nicht weißt, wo du bist, ist jeder Ort der richtige. Nimm, was du kriegen kannst, das ist doch sowieso deine Devise. Nimm also den nächstbesten Stein und leg deinen Kopf darauf. Spür, wie sich das anfühlt. Denn das ist jetzt dein Leben. Von Zuhause musstest du weg. Kein weiches Polster, keine warme Ecke mehr im Dämmer des Zeltes und die Hand der Mutter vor dem Einschlafen noch einmal auf der Stirn. Das ist vorbei.
Nimm, was du kriegen kannst und noch mehr. So hast du gelebt, Jakob. Du hast sie alle betrogen oder zu deinen Komplizen gemacht. Deine Mutter, deinen Vater, deinen Bruder. Du hast alle betrogen und belogen. Zuerst deinen Bruder. Du hast ihm den Segen abgeluchst für einen Teller Linsen. Und dann deinen Vater: „Ja, Vater, ich bin dein erstgeborener Sohn Esau, segne mich!“ hast du gesagt. Und da ging dir schon der Puls unter diesen widerlichen warmen Lappen aus dem frischen Ziegenfell um deine Handgelenke und um deinen Hals. Noch einmal und noch einmal hast du ihn belogen, deinen Vater, ihm etwas vorgemacht in diesem ekelhaften Betrügerkostüm. Die Lappen hast du danach schnell abgerissen und weggeworfen.
Und dann blieb dir nichts anderes übrig, als wegzugehen, wenn es nicht Mord und Totschlag geben sollte. Aber diese Geschichten gehen dir nach. Du kannst nicht davor weglaufen. Sie kommen immer hinterher. Und jetzt geht die Sonne unter und es wird dunkel um dich.
Die betrügen, die man liebt. Die belügen, die einen lieben. Tiefer kannst du nicht sinken. Dieser Ort liegt unter dem Nullpunkt deiner Möglichkeiten, weit darunter. Das ist die Mitternacht in deinem Leben. Eine Stunde zum Fürchten. Ein unruhiger Schlaf. Ein Kissen wie ein Stein. Willkommen in der Nacht, Jakob.
Und ihm träumte, und siehe, eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der HERR stand oben darauf und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham, und Isaaks Gott; das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe.
Ein Kissen wie ein Stein. Ganz unten auf der Erde schläft ein Mensch, an seinem Tiefpunkt, in seiner Mitternacht. Es kann eigentlich nur noch bergab gehen mit ihm. Aber auf einmal ist eine Treppe da. Die hat oben angefangen, bis sie ganz unten auf der Erde war. So baut Gott. Er baut von oben nach unten, vom Himmel zur Erde, von sich zu uns Menschen. Alles andere geht sowieso schief. Ein Kissen wie ein Stein und tiefe, dunkle Nacht. Eine Treppe nach oben. Du musst dir nicht erst Tritte schlagen in die Klippen in deinem Leben und mühsam Stufe für Stufe selbst rausklettern. Es kommt dir einer entgegen. Der hat dich längst schon gesehen, wie du da liegst in deiner Nacht. Und steht am Fuß der Treppe, um dich zu begleiten auf dem Weg nach oben. Ein Trost in dieser Jakobsnacht.
Aber ausgerechnet Jakob? Den haben eigentlich keine schwierigen Umstände auf eine schiefe Bahn gebracht. Der ist doch selbst schuld daran, dass er wegmusste. Ob nun ausgerechnet der Treppen gebaut bekommen muss und eine Hand gereicht? Es ist noch mitten in der Nacht und die Sonne ist noch lange nicht wieder aufgegangen. Bei Jakob wird es ein halbes Leben dauern, ehe ihm die Sonne wieder aufgeht. Er wird selbst noch einmal erleben, was er anderen zugefügt hat, er wird getäuscht und betrogen von Menschen, die er liebt und denen er vertraut. Sein Leben bleibt ein Kampf, um all das, was ihm Gott einmal versprochen hat, um die Frau, die er liebt, um die Geburt seiner Kinder, um die Rückkehr in seine Heimat und die Versöhnung mit seinem Bruder.
Die Sonne geht ihm erst viele Jahre später wieder auf, am Jabbok, wo Jakob kämpfen muss mit Gott und noch einmal um den Segen. Und wo er noch einmal sagen wird, was er schon gelebt hat, viele Jahre lang. Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn (Gen 32,32). Immer wieder Steine auf meinem Weg. Aber ich habe nie aufgehört zu glauben, dass es die Steine einer Treppe sind. Ich halte mich fest an deinem Namen, Gott, den du mir genannt hast in meinem Traum. Dass du der Gott derer bist, die vor mir da waren, Abraham und Isaak. Dass du mein Gott sein wirst, der Gott Jakobs, der Gott Israels. In allem, was mir geschehen ist, geschieht schon, was du mir versprochen hast. Ich gehe über die Klippen meines Lebens wie auf den Stufen einer Treppe, hin zu dir.
Jakobs Traum, ein Traum, der Wirklichkeit geworden ist. Das ist ein Trost für mich, wenn ich da liege in manchen Nächten und mein Kissen wie ein Stein ist. Es gibt immer einen Weg hinaus. Es gibt einen Weg hinauf. Es kommt uns einer entgegen. Versinken kann ich in dieser Hoffnung nicht. Dazu ist das Kissen zu hart. Aber vergessen will ich es trotzdem nicht. Die Engel auf der Leiter gehen hinauf und hinab. Jeder nimmt ein Stückchen von der Dunkelheit mit hinauf in den Himmel. Und jeder bringt wieder ein bisschen Licht zurück auf die Erde. Ich gehe über die Klippen in meinem Leben wie auf den Stufen einer Treppe. Ein harter Trost in allen Jakobsnächten.
Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, sprach er: Fürwahr, der HERR ist an dieser Stätte, und ich wusste es nicht! Und er fürchtete sich und sprach: Wie heilig ist diese Stätte! Hier ist nichts anderes als Gottes Haus, und hier ist die Pforte des Himmels.
Ich höre das und ich kann es nicht glauben. Das Haus Gottes in dieser Welt steht auf dem Boden, um den wie um kein anderes Land auf dieser Erde gekämpft wird. Und nicht weit weg von dem Ort, wo Jakob lag, in Syrien, ist immer noch Krieg. Menschen sind von dort auf der Flucht, wie Jakob es war. Es gibt kein weiches Kissen für sie, kein Zuhause mehr und vorm Einschlafen noch einmal die Hand der Mutter auf der Stirn. Das ist vorbei. Was im Traum alles zu ihnen kommt, wissen wir nicht.
Hier ist die Pforte des Himmels, höre ich. Da, wo Krieg und Gewalt herrschen, da wo die Flüchtlinge sind, da ist auch Gott zuhause. Gott ist mit ihnen in Moria. Und er ist mit allen, die jetzt das letzte Dach über dem Kopf verloren haben. Und wenn sie endlich Aufnahme finden, als Flüchtlinge, als Asylbewerber, dann sollen sie ein Dach über dem Kopf haben und ein weiches Kissen. Eine Hand und ein offenes Herz. Wie ein Einheimischer soll euch der Fremde gelten, der bei euch lebt. Und du sollst ihn lieben wie dich selbst (Lev 19,34), sagt der Gott Abrahams, Isaaks und der Gott des Flüchtlings Jakob, unser Gott, und sagt es zu uns, zu all den Menschen mit einem Dach über dem Kopf und einem Bett für die Nacht. Das ist der Ort, wo der Himmel aufgeht. Der Ort, wo Gott wohnt auf der Welt, wo Engel all die Dunkelheit dieser Welt nach oben schleppen und das Licht Gottes nach unten tragen. Wenn das ein Traum ist, ist es mir egal, ob es ein Traum ist. Ich will ihn träumen.
Der Herr ist an dieser Stätte und wir wissen es nicht. Gott baut uns keine Treppe, auf der wir uns schnell zu ihm fliehen könnten, wenn uns reicht auf dieser düsteren Erde. Er sucht sich seinen Platz nicht an den idyllischen Orten dieser Welt, sondern an ihren Rändern. Gott baut seine Treppen zu uns von oben nach unten. Er kommt uns entgegen, wie er Jakob entgegengekommen ist. Das dauert manchmal ein ganzes Leben und es fühlt sich oft an wie ein Kampf. Auch wenn mein Kissen sich wie ein Stein anfühlt in der Nacht, wenn ich nicht schlafen kann, will ich mich daran halten: Ich gehe über all die Klippen in meinem Leben wie auf den Stufen einer Treppe. Zu dir.
Amen.
Kathrin Oxen
Kathrin Oxen, Moderatorin des Reformierten Bundes, gibt Ihnen auf reformiert-info.de jeden Sonntag Materialien für den Gottesdienst für Zuhause, dazu eine aktuelle Predigt.