THEOLOGIE VON A BIS Z
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''Er ist nicht hier. Er ist auferstanden.''
Predigt zu Matthäus 28, 1-8 (Ostersonntag)
1 Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. 2 Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. 3 Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. 4 Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot. 5 Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. 6 Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat; 7 und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. 8 Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freudeund liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. (Matthäus 28, 1-8 nach der Lutherübersetzung 1984)
1.
„Er ist nicht hier“ – nämlich nicht hier, wo man Menschen zur letzten Ruhe bettet, nicht hier, wo man von ihnen Abschied nimmt für immer, nicht hier, wo man sich wohl gelegentlich erinnert an einst, um dann aber für gewöhnlich diese Stätte hinter sich zu lassen. „Er ist nicht hier; er ist auferstanden.“ Und er selbst sagt: „Ich war tot und siehe, ich bin lebendig“ (Apoc. 1,18). Er der Heiland, der Versöhner, der Helfer und Tröster, der Wegweiser und Mahner – er wird uns an Ostern vorgestellt als der, der bei uns ist „alle Tage bis ans Ende der Welt“ (Mt. 28,20). Er war wohl dem Tode ausgesetzt und hat sich selbst dem ausgeliefert, weil er nicht will, dass uns irgendetwas von Gott trennt. Aber der Tod konnte ihn nicht festhalten, weil er eben das uns selbst mitteilen will. Und jetzt teilt er es uns mit. Der Berner Pfarrer Walter Lüthi hat in der Mitte des letzten Jahrhunderts gesagt: „Was ist dann, wenn Jesus auferstanden ist, noch zu fürchten!“ Und der dänische Philosoph Sören Kierkegaard schrieb: „Es kann alles noch einmal gut werden, weil Jesus auferstanden ist.“
Diese österliche Wahrheit ist heute bei uns reichlich überwuchert von allerlei Bräuchen, von Osterhasen und Ostereiern. Sie weisen uns wohl hin auf das allgemeine Frühlingserwachen, das nach einem kalten Winter sich regelmäßig wieder bei uns einstellt. Dass es in den Gärten und Wäldern wieder zu knospen und zu grünen beginnt, ist uns jedes Jahr aufs neue erfreulich. „Ich singe mit, wenn alles singt“, hat Paul Gerhardt dazu in einem Lied bemerkt. Aber dergleichen kann ja nur ein fernes Gleichnis für die geheimnisvolle österliche Wahrheit sein – ein Gleichnis, das genau am entscheidenden Punkt versagt. Und das übersieht man, wenn diese Wahrheit von solchen Gleichnissen überwuchert wird. Dann muss man auch von solchen Gleichnissen sagen: „Er ist nicht hier, er lebt.“ Die Osterwahrheit ist nicht die, dass die doch nur scheinbar gestorbene Natur sich aufs neue zu regen beginnt; noch ist sie die, dass anstelle eines beendeten irdischen Lebens ein anderes, junges Leben tritt. Die Osterwahrheit ist die und keine andere: der am Karfreitag Getötete, derselbe ist „erstanden von dem Tod“. Was solche Gleichnisse nicht sagen, ist das, was die Osterbotschaft nun allerdings laut und deutlich verkündigt: Er hat das überwunden, was uns zeitlich und ewig von Gott zu trennen vermag: unsere Sünde und unseren Tod.
Er ist in seiner Auferstehung keine Ausnahme, die die Regel bestätigt. „Er ist nicht hier; er ist auferstanden“ – das ist die große Botschaft der Hoffnung für die Menschheit. Hoffnung – da, wo unsere sonstigen Hoffnungen nichts mehr helfen, wo das Vertrauen zerbricht, dass die Dinge sich schon einmal von selbst einrenken werden, da, wo unsere Wege am Ende sind. Hoffnung auf den, der durch unsere Grenzen nicht begrenzt ist, dessen Liebe nicht aufhört, auch wenn wir aufhören (1. Kor. 13,8). Hoffnung, wo nichts zu hoffen war (Röm. 4,18). Die Botschaft der Hoffnung besagt, dass uns weder unsere Sünde noch unser Tod von Gott trennen kann. Wir sind und wir bleiben trotzdem in seiner Hand und unter seinem Schutz – auch in Thailand, auch in Indonesien, auch an unseren Orten. „Ich hang und bleib auch hangen/ an Christus als ein Glied;/ wo mein Haupt durch ist gangen,/ da nimmt er mich auch mit./ Er reißet durch den Tod,/ durch Welt, durch Sünde, durch Not,/ er reißet durch die Höll,/ ich bin stets sein Gesell.“ (P. Gerhardt)
2.
Und nun zeigt uns der biblische Bericht zwei gegensätzliche menschliche Reaktionen auf das Ereignis der Auferstehung Jesu. Die eine ist eine eigentlich überholte Haltung. Sie ist Vergangenheit geworden durch das österliche Leben Jesu. Das zeigen die kuriosen Schutzleute, die von dem römischen Statthalter Pilatus abkommandiert sind zur Grabwache. Sie sollen aufpassen, dass es mit dem getöteten Jesus so bleibt, wie beschlossen und durchgeführt. Sie widersprechen dem: „Er ist nicht hier!“ Sie pochen darauf: Nein, der ist hier – im Grab und kommt da nicht wieder heraus. Der hat nichts mehr zu sagen. Der ist eine Gestalt der Vergangenheit geworden. Sie handeln, indem sie so denken, in blindem Gehorsam gegenüber einer Großmacht; und die hat allerdings ein Interesse daran, dass es so sei, wie sie denkt und wünscht. Und sie scheint damit Erfolg zu haben. Mag man sich seiner je und dann erinnern. Aber entscheidend ist, dass er nicht mehr im Tagesgeschäft mitredet und dreinredet.
Es kann immer wieder passieren, dass auch wir meinen: er ist tot. Und wenn wir so denken, ist es gleichsam so, als ob er für uns aufs neue hinter einem großen Stein verschwinde. Ein solcher Stein ist z.B. der Zweifel. Da denkt man: Es wäre ja wohl nötig, wenn ein Erbarmer da wäre. Aber es will mir nicht in den Kopf, dass die Person, die da vor 2000 Jahren ganz anderswo lebte, uns heute und hier helfen kann. Ein solcher Zweifel ist eine Art Grabstein, unter dem Jesus für uns verschwindet. Er hilft uns nicht mehr. Ein solcher Stein ist etwa auch die Selbstzufriedenheit, in der man denkt: Ich bin mir selbst genug. Ich tue, was ich will, und lass mich darin auch von dem Christus nicht stören. Da tut man wiederum so, als sei er tot. Er stört uns dann nicht länger. Oder solch ein Grabstein kann auch die kirchliche Routine sein. Da hat man einmal sich eine Überzeugung gebildet, und nun ist man in der Hauptsache damit beschäftigt, die christlich-religiösen Dinge immer weiter auf dem selben Geleise zu halten und, wenn es Störungen gibt, sie wieder auf diese Geleise zu bringen. Die Botschaft Christi, er selbst redet da eigentlich nicht mehr zu uns. Es ist so, als sei er aufs neue tot.
Aber nun bricht Ostern an. Und das bricht über die Grabeswächter herein wie ein Sturm. „Sie erschraken vor Furcht wurden, als wären sie tot“. Was jagt ihnen denn derart Schrecken ein? Dies, dass es sich jetzt als Irrtum und Lüge herausstellt, dass sie sich einfach auf ein Leben jenseits von ihm einrichten zu müssen oder einrichten zu können glauben. Dies macht ihnen bange: ihre eigene Verkehrtheit, in der sie meinten, ihn so in der Hand zu haben, dass sie ihn auf ein Abstellgeleise abschieben könnten, auf einen Platz, von dem aus er sich nicht mehr in ihr gewöhnliches Leben einmischen könnte. Und indem jetzt das Falsche dieses ihres Meinens und Wähnens an den Tag kommt, müssen sie, diese Grabeswächter, erkennen, dass sie abgesetzt sind. Sie müssen erkennen, dass sie untauglich sind, ihn, den Heiland der Menschen, den Auferstandenen, in einem Grab festzuhalten. Nicht ist er in ihrer, sie sind in seiner Hand. Und solange sie das nicht begreifen können, ist nicht er, sondern sind sie eine Gestalt der Vergangenheit. Der mittelalterliche Maler Matthias Grünewald hat auf dem Bild des Isenheimer Altars das gezeigt: wie diese Grabeshüter im hellen Licht dies Auferstandenen umfallen und zu Boden gehen – ja, „als wären sie tot“.
3.
Blicken wir nun auf die andere menschliche Reaktion auf das Ereignis der Auferstehung Jesu. Hier sind Menschen, die dadurch eine Zukunft haben und nun dieser Zukunft entgegengehen. Es kann ihnen nicht darum gehen, das Grab Jesu zu pflegen und ihm ein Denkmal zur Erinnerung an einen Gewesenen zu errichten – obwohl sie das zunächst im Sinn hatten. Aber kaum sind sie dort, wo sie das wollten, da entdecken sie: das Grab ist ja leer, Jesus ist ausgezogen vom Platz der Denkmalpflege zur Erinnerung an ihn. Nicht sie müssen ihn in ihre Gegenwart transportieren. Sie dürfen davon ausgehen, dass er lebt und nicht abgedankt hat; er ist immer schon in ihrer und ist in unserer Gegenwart, bevor wir das entdecken. Und wenn sie das entdecken, so werden sie etwas zu sagen haben. Aber sie werden es nicht, ohne dass sie zuvor sich das Entscheidende haben sagen lassen und ohne dass sie darauf gehört haben. Es ist einer der reinen Boten Gottes, ein Engel, der ihnen dieses Entscheidende vor-sagt. „Und der antwortete und sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht!“ Das unterscheidet sie von jenen Grabeswächtern, die sich fürchten mussten. Ihr müsst es nicht! „Christ ist erstanden, des solln wir alle froh sein. Christ will unser Trost sein.“
Er ist also auch nicht unter dem Stein unseres Zweifels begraben. Es ist der Zweifel, in dem wir denken: der hilft nicht mehr! Nein, er ist nicht dort. Er lebt – und er hilft auch noch heute. Zuweilen anders, als wir wünschten. Aber er hilft und heilt und versöhnt und schenkt seinen Frieden und seine Gerechtigkeit. Kein noch so starker Zweifel hindert ihn daran, uns gegenwärtig zu sein. Und das gilt auch von dem anderen Stein, unter dem er für uns begraben zu sein scheint – nämlich von jener Selbstzufriedenheit. Es ist die Haltung, in der wir denken möchten: der stört uns nicht mehr. Nein, er ist auch nicht darunter begraben. Er durchbricht, die Grenze, die wir ihm gezogen haben. Er lebt. Und also stört er uns auch heute noch in unserer falschen Ruhe und redet uns drein in seinem Wort und Gebot. Und ruft uns zur Einsicht und zur Umkehr. Und das gilt ebenso von jenem dritten Stein, unter dem Jesus uns heute aufs neue tot zu sein scheint: die christliche Routine, in der wir rollen und trotz Störungen immer weiter rollen wollen. Nein, er ist auch nicht dort. Er lebt. Und also redet er zu uns. Manchmal ziemlich leise, aber so, dass wir ihn doch hören können. Und was er redet, das ist „all Morgen frisch und neu“ – so fabelhaft neu, dass man es nie anders hören kann, als hätte man es noch nie gehört.
„Er ist nicht hier; er ist auferstanden!“ – diese Botschaft macht denen, die sie hören, Freude, und sie macht ihnen Beine, sie anderen mitzuteilen, um auch ihnen Freude zu machen. Und so sagt der Engel: „Geht eilend hin und sagt es den Jüngern.“ Es sind Frauen, die zuerst dazu eingesetzt sind, die frohe Botschaft weiterzusagen. Johannes Calvin schrieb 1557 an Frauen, die in Paris wegen ihres Glaubens im Gefängnis waren: „Da es Gott gefallen hat, euch zu berufen, so gut wie die Männer, so müsst ihr auch ihn verherrlichen nach dem Maß der Gnade, die er euch gegeben. Betrachtet doch die Stärke der Frauen beim Tod unsres Herrn Jesu Christi. Die Apostel hatten ihn verlassen, sie blieben bei ihm; und die Frau wurde die Botin, die den Aposteln die Auferstehung verkündigte. Haben wir es nicht auch heute vor Augen, wie Gott täglich wirkt durch das Zeugnis von Frauen und seine Feinde bestürzt macht, so dass es keine wirksamere Predigt gibt als die Festigkeit, die sie gezeigt haben im Bekenntnis des Namens Christi?“ Sie sind Vorbild für alle Glieder der Gemeinde - damit sie in der Zeit zwischen Ostern und der letzten Ankunft Christi unterwegs sind unter ihren Mitmenschen: so, wie es der Dichter Novalis gesagt hat: „Ich sag es jedem, dass er lebt ... Ich sag es jedem, jeder sagt/ es seinen Freunden gleich, dass bald an allen Orten tagt/ das neue Himmelreich.“
Prof. Dr. Eberhard Busch