Provokation
Herausforderung
»[Die Menschen] stehen unter einer ungeheueren Knechtschaft, sie alle, die Reichen und die Armen, die Herren, die Bauern und die Arbeiter. Das Geld, das ihnen dienen sollte, ist in Wirklichkeit ihr Meister geworden, und es ist ein grausamer Meister. Wie ein greulicher Drache lauert überall und überall der Drache des Kapitals. Er will nicht den Frieden, nicht das Glück, nicht die Freiheit der Menschen, er will nicht einmal, dass sie leben und satt werden, das Alles kümmert ihn gar nicht, er will nur seine Zinsen, seinen Profit, der niemandem zugute kommt oder doch nur ganz Wenigen, während der übergroßen Mehrzahl der Menschen nur das Nötigste übrigbleibt und infolgedessen eben die Sorge, die Unzufriedenheit, die ewige Unruhe. Überall, überall in der Stadt und auf dem Land, in der Villa und in der Arbeiterwohnung, in der Seele derer, die scheinbar Alles haben, was das Leben schön macht, und in der Seele dessen, der aus der Hand in den Mund leben muss, stoßen wir auf die verderblichen Folgen dieser ungeheueren Knechtschaft, unter der unser Zeitalter seufzt.« (Karl Barth, Predigt zu Mt. 6,33, in: Predigten 1914 (GA I.5), 249)
»Die Staaten mögen entstehen und vergehen, die politischen Konzeptionen mögen sich wandeln, die Politik als solche mag die Menschen interessieren oder nicht interessieren - ein Faktor aber muss immer wieder staatserhaltender, ja staatsbegründender Faktor sein, und das ist quer durch alle Entwicklungen und Wandlungen hindurch die christliche Kirche. Was wissen denn die Staatsmänner und Politiker selber von einer letzten Berechtigung und Notwendigkeit ihres Tuns? Wer oder was gibt ihnen die Gewissheit, dass dieses ihr Tun nicht als solches Eitelkeit ist, auch wenn sie es noch so ernst nehmen?« (Karl Barth, Rechtfertigung und Recht (1938), in: Eine Schweizer Stimme: 1938-1945, 49)
»Die Reformatoren (.) wurden, besonders wenn etwa gerade wieder ein Jubiläum fällig war, eifrig zitiert und emporgehoben, ihre Gräber tüchtig gebaut und geschmückt und wie Samuels Geist bei der Hexe zu Endor erschien hier wirklich Luther, dort wirklich Calvin inmitten der festlichen Beschwörungen. Aber es war dann jeweilen nicht zu verkennen, wie froh jedermann war, wenn das Verschwinden dieser erlauchten Geister es erlaubte, wieder zur Tagesordnung zurückzukehren. Das wirkliche Leben der Kirche, wie es besonders in ihrer öffentlichen Verkündigung sichtbar wird, hatte eben, so weit es durch die herrschende Bewegung bestimmt war, jeweilen doch eine ganz, ganz andere Richtung. Es konnte nicht anders sein, als dass es sich in allen diesen merkwürdigen Zeiten als mehr oder weniger fraglich erwies, ob die Kirche in Wahrheit noch das sei, als was sie sich nach wie vor bezeichnete: evangelische Kirche?« (Karl Barth, Reformation als Entscheidung (1933), in: Der Götze wackelt, 81)
»Wir glauben einfach nicht daran, dass ein Volk das erste und stärkste sein müsste auf Unkosten aller übrigen. Wir glauben nicht daran und wollen nicht daran glauben, dass dem Wohl der Völker damit gedient sei, dass man ihnen immer wieder vorsagt: die Anderen dort drüben sind eure Feinde! Es gibt genug Plätze an der Sonne, die Alle genießen könnten, wenn Alle ihrer Selbstsucht und ihrem Hochmut einmal etwas Einhalt gebieten würden, wenn Alle sich als Brüder, statt als Konkurrenten und Gegner fühlen und benehmen würden. Wir können in diesem ganzen Machtkampf nur einen furchtbaren Wahnsinn erblicken, und darum können wir weder der einen noch der anderen Partei einfach den Sieg wünschen, denn wenn jetzt eine der beiden Parteien siegen sollte, dann wird dadurch die Selbstsucht und der Hochmut, die an allem Unheil schuld sind, nicht gebrochen, sondern erst recht gestärkt werden. Auf Seiten der Sieger wird dann der Übermut und auf Seiten der Besiegten die trotzige Rachsucht Platz greifen« (Karl Barth, Predigt zu Jes 30,15, in: Predigten 1914, GA I.5, 448f).
»Die Menschheit sehnt sich nach Freiheit und Kultur und, um dahin zu gelangen, schlägt sie fürchterlichste Irrwege ein. Ausbeutung und Unterdrückung, Ungerechtigkeit und Gewalt hält sie für die richtigen, notwendigen Mittel zur Erlangung der höchsten Güter und verachtet damit Tag für Tag aufs neue Alles, was ihre Sehnsucht schon geschaffen.« (Karl Barth, Predigt zu Römer 2,14-16 (1915), in: Predigten 1915, GA I.27, 230)
»Wenn einmal eine von diesen vielen Atom-Bomben und Wasserstoffbomben, die jetzt in der Welt herumliegen, losgeht - und wir sind alle nicht gesichert davor, daß einmal plötzlich durch irgendeinen Narren, der auf den falschen Hebel drückt, eine losgeht -, dann ist eben Schluß. Und nun also damit spielen oder das noch in Rechnung ziehen als Kriegsinstrument, das ist Unsinn.« (Karl Barth, in: Gespräch 1963, GA IV.41, 72)
"Am Ende meiner Laufbahn, meines unermüdlichen Kletterns bin ich das geworden, was ich sein wollte, es ist erreicht, aber ohne Gott erreicht. Das ist die schrecklichste Hölle, wenn unser Planen gelingt, unser Ziel erreicht wird. Stellen wir uns nur ja nicht die Hölle vor als einen Ort, wo man dauernd geprügelt oder geschmort wird. Es werden dort lauter große Herren und nette Leute beisammen sein, aber große Herren und nette Leute ohne Gott. Und die nun in dem, was sie im Leben wollten und erreicht haben, verharren dürfen, von Ewigkeit zu Ewigkeit verharren müssen." (Karl Barth, Vier Bibelstunden über Lukas 1 (1934), in: Ders., Predigten 1921-1935, GA I.31, 520)
»Wir tun, als ob wir uns gewöhnen könnten an diesen Zustand unseres Lebens und unserer Weltordnung. Wir tun, als ob man doch auch in diesem Zustand ganz behaglich, fröhlich, frei und fromm sein könnte. Wir leisten uns lärmende, überschäumende Freudenstunden, als ob sie nicht ein Hohn wären auf unser gewöhnliches, freudloses Leben. Wir umgeben unser Staats- und Kulturleben mit einem Glanz und einer Wichtigkeit, als ob wir tatsächlich ein freies, glückliches Volk wären. Wir bauen Kirchen und Anstalten und geben Almosen aus dem Geld, an dem Blut und Tränen und Seufzer kleben. (...) Ja, das können wir, soweit bringen wir's! Man kann ja auch auf einem untergehenden Schiff noch Musik machen und tanzen, man kann!« (Karl Barth, Predigt zu 1 Joh 1,6, 1916)
»Ich weiß wohl, dass der Satan, der ja in vielen Dingen Gott nachahmt, um in solcher trügerischen Ähnlichkeit (mit Gott) um so leichter in die Herzen der Einfältigen einzudringen, auch jene gottlosen Irrtümer, mit denen er arme Menschen täuschte, zuweilen listig in kunstloser und fast barbarischer Sprache ausgestreut (...) hat, um unter solcher Maske seine Betrügereien zu verstecken. Aber wie eitel und abscheulich solches Streben ist, das spürt jeder einigermaßen verständige Mensch.« (Calvin, Institutio I, 8, 2 (1559))
"Die Völker haben die Regierungen, die sie verdienen, und bekommen von ihnen zurück, was sie selber sind und wollen. Und nun scheint es mir nicht so sicher, dass die Völker – und dazu gehören auch du und ich, lieber Hörer! - wirklich den Frieden und nicht den Krieg wollen: so ernsthaft nämlich, dass auch die Regierungen es merken und sich danach richten müssten." (Karl Barth, Was sollen wir denn tun?, 1952)