Aktuelles
Aus den Landeskirchen >>>
Aus den Gemeinden >>>
Aus dem Reformierten Bund >>>
Kolumne >>>
from... - die reformierte App
Newsletter
Wir auf Facebook
1. Advent: Der ›krippale‹ Infekt - Sich von Weihnachten anstecken lassen
Predigt von Oliver Günther, Feudingen, Kirchenkreis Wittgenstein
Liebe Gemeinde!
Und wieder ist Advent. Kam dann doch schneller als man so erwartet hat! Wie jedes Jahr. Und es kommt die Heilige Nacht. Lange warten wir darauf, von Ende November und den ganzen Dezember lang. Auch in diesem Jahr ist es wieder so: Vorfreude, Türchen öffnen und Kerzen an zünden, Strohsterne, die gebastelt, und Kekse, die gebacken werden – das ist der besondere Zauber des Advents. Mit Sorgfalt werden hoffentlich auch Geschenke ausgesucht für Menschen, die wir lieben, die uns nahe stehen, schöne Karten verschickt als kleiner Gruß zum Fest in Verbundenheit oder mit Dank. Das sind gute und wichtige Rituale in einer Zeit, die Wurzeln und Geborgenheit sucht.
Allerdings gibt es sicher auch wieder das: Einkaufsstress und Glühweinrummel, Weihnachtsfeiern, die keiner mochte, Geschenke kaufen für Leute, die du eigentlich nicht so recht magst. Es wird Streit geben um den richtigen Weihnachtsbaum (der idealerweise einen Umfang von 64 % der Höhe haben soll). Und Auseinandersetzungen wird es geben: Müssen wir Tante Marta dieses Jahr einladen? Die Kinder wollen wieder nicht mit in die Kirche. Nein, ihr geht nicht ins Kino am 1. Feiertag! Es soll doch gemütlich werden … und friedlich …
Es ist Advent. Wir warten. Auf SEIN Kommen! Auf Gottes Ankunft in dieser Welt, in der Kirche, in meinem Leben. Es ist Advent, und wir warten. Auf Weihnachten. Auf das Wunder jener heiligen Nacht, die Kinderaugen zum Leuchten bringt und Menschenherzen – seien sie sonst auch noch so abgeklärt - tief berührt.
Es ist Advent, und wir warten. Aber erwarten wir noch was von Weihnachten. Die Ankunft eines Königs ist uns verheißen. Der Retter soll kommen. Der Messias. Der Sohn Gottes. Der Hochgelobte kommt zur Welt. Ein Gerechter und ein Helfer. Mein Heiland ist in der Welt. Und er bringt uns große Freude, die allem Volk widerfahren soll und Frieden auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens.
Es ist Advent, und wir warten. Bringt uns das noch in Bewegung – so wie es die Menschen damals in Jerusalem raus auf die Straße getrieben hat, um dem König zuzujubeln - oder lassen wir uns nicht lieber teilnahmslos über die Weihnachtsmärkte treiben? Was erwartest du persönlich von Weihnachten? Und wie bereitest du dich darauf vor, dass Gott auch in dir zur Welt kommen will? Und durch dich? Und mit dir?
Ich meine, das müssen wir dem guten alten Lukas lassen: er ist ein hervorragender Geschichtenerzähler. Seine Weihnachtsgeschichte ist ja unübertroffen, nicht zu toppen. Das macht ihm in Hollywood heute so schnell keiner nach: eine Story, die schon seit Jahrtausenden läuft und einfach nicht abgesetzt wird. Es ist Advent, und wir warten und haben diese alte Geschichte schon im Ohr: „Und es begab sich aber zu der Zeit …“ Ich kann es kaum erwarten …
Jedes Jahr dieselben Worte und doch jedes Jahr neu. Neu wohl auch, weil wir selbst jedes Jahr Veränderte sind, die diese Worte hören werden. Wie war das vor einem Jahr? Vielleicht hat sich eine Hoffnung zerschlagen? Oder eine neue Liebe ist aufgetaucht! Mussten wir von einem Menschen Abschied nehmen? Oder unser Leben hat einen Rhythmus, einen Gleichklang gefunden, in dem es sich gut leben lässt. Wir sind Veränderte, jedes Weihnachten. Und die Welt, in der wir diese Geschichte hören werden, ist auch eine veränderte. Allein in den letzten 10 Jahren, was ist da alles passiert?
2001: das Attentat in New York vom 11. September und der Afghanistankrieg, der darauf folgte. 2004 der Tsunami in Asien. 2008 die Wirtschaftskrise mit Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit. 2010 das Erdbeben auf Haiti. 2011 der Tsunami und die Reaktorkatastrophe in Japan, dazu die Eurokrise, von der keiner weiß, was daraus werden soll. Ihr Lieben, es ist gut und bestärkend, dass in all den Veränderungen unseres Lebens und in den Krisen unserer Welt das Evangelium von Gottes Liebe zu den Menschen und zur Welt uns als zuverlässige Konstante begleitet. Es ist Advent, und wir warten.
Bald wünscht man sich wieder »Frohe oder Gesegnete Weihnachten«. Zu Beginn der Adventszeit wünsche ich euch und Ihnen allen einen heftigen, möglichst lang anhaltenden und hartnäckigen ›krippalen‹ Infekt – dass ihr euch an der Krippe infiziert; dass ihr euch vom Kind in der Krippe anstecken lasst; dass der Mann, dessen Geburtstag wir feiern, euch mit seiner Botschaft infiziert.
Auch diesen krippalen Infekt bekommt ihr bei Kälte – wenn ihr die Kälte in vielen menschli- chen Beziehungen spürt; wenn euch die Kälte des Egoismus, der Ellbogenmentalität bewusst wird; wenn ihr unter der Kälte der Freudlosigkeit eurer Mitmenschen leidet; wenn euch die erbarmungslose und gleichgültige Kälte in den Herzen der weh tut.
Das Ansteckungsrisiko ist aber auch groß, wenn euer Immunsystem nicht intakt ist – wenn ihr nicht immun seid gegen Fragen wie: »Wozu bin ich auf der Welt? Was macht mein Leben wertvoll und gut?«; wenn ihr nicht so abgehärtet seid, dass euch alles gleichgültig ist. Schnell anstecken könnt ihr euch auch durch den Kontakt mit schon Infizierten – wenn ihr Menschen begegnet, die begeistert sind von der Sache Jesu; denen man ansieht, dass sie als erlöste und befreite Menschen leben.
Habe ich mich vielleicht schon angesteckt? – könntet ihr jetzt fragen. Wenn ihr eines der drei folgenden Symptome an euch entdeckt, seid ihr bereits durch das Kind in der Krippe infiziert: Schwäche: Wenn ihr eine Schwäche habt für eure Mitmenschen; wenn ihr euch dafür interessiert, wie es ihnen geht, worunter sie leiden, was sie brauchen; wenn ihr bereit seid zu helfen, zu teilen und aufzumuntern.
Fieber: Wenn ihr fiebert und sehnsüchtig wartet auf Gerechtigkeit und Frieden; wenn ihr euch sehnt nach Heilung und Hilfe, nach Begleitung und Zuwendung; wenn ihr brennend interessiert sind an einem gelingenden, sinnvollen Leben; wenn ihr immer mehr wissen wollt über Jesus und seine Vision vom Reich Gottes.
Schluckbeschwerden: Wenn ihr nicht mehr alles schlucken könnt, was an Unrecht und Lieblosigkeit in eurer Umgebung geschieht; wenn ihr Verletzungen und Spott nicht mehr einfach wegstecken und in euch hineindrücken wollt; wenn ihr euch weigert, alles hinzunehmen, was man euch an Oberflächlichem und Belanglosem vorsetzt. Und was kann ich tun, was soll ich tun, wenn das passiert ist? – könntet ihr jetzt noch fragen. Alles, was den grippalen Infekt mit ›g‹ verhindert oder bekämpft, hilft euch, den krippalen Infekt mit ›k‹ zu hegen und zu pflegen:
Zunächst einmal Inhalieren: den Geist Jesu immer mehr in sich aufnehmen; sich weiterhin erfüllen lassen von seinen Worten und Gedanken, von seinem Gottvertrauen und von seiner Menschenliebe; einen Hauch seiner Gelassenheit und Unbekümmertheit einatmen und wieder verströmen. Dann eine gesunde Mischung finden zwischen Ruhe und Bewegung. Sich zum einen Ruhe gönnen: Momente der Stille einbauen in den Tages- und Wochenrhythmus; sich Zeit lassen fürs Gebet; durch das Mitfeiern der Gottesdienste bewusst den Alltagstrott und die Geschäftigkeit unterbrechen – ich weiß keine bessere Zeit, um damit anzufangen als den Advent. Sich zum anderen aber auch in Bewegung bringen: Aufstehen und Festgefahrenes, Erstarrtes hinter sich lassen; auf andere zugehen und ihnen mit der Offenheit und Weite Jesu begegnen; sie etwas spüren lassen von der Freude und der Hoffnung, die mit dem Kind in der Krippe in die Welt gekommen ist.
Es wird deinem krippalen Infekt sicher auch gut tun, wenn du die Selbstheilungskräfte deiner Seele, dein Seelen-Immunsystem aktivierst und damit deine Abwehrkräfte stärkst. Wir leben ja in einer Zeit, in der wir modernen Menschen jeden Tag mehr Informationen verarbeiten müssen als ein Mensch des Mittelalters während seines ganzen Lebens nicht. Manche Soziologen behaupten, unsere postmoderne Informationsgesellschaft sei an kulturellem Aids erkrankt. Unser Immunsystem wird mit der Flut hereinbrechender Informationen nicht mehr fertig. Sie kommen über uns, ohne dass wir uns wehren, dass wir sie eindämmen oder kontrollieren können. Unter anderem kann das dazu führen, dass wir das Banale lupenhaft vergrößern (so Roman Herzog).
Die Begeisterung für Dummheit und fürs Primitive wachsen stetig. Bereits 1943 hat Dietrich Bonhoeffer festgehalten: „Wir stehen mitten in dem Prozess der Verpöbelung in allen Gesellschaftsschichten.“ Wir müssen wieder unterscheiden lernen. Unterscheiden, was wir aufnehmen und was nicht. Gutes von Bösem unterscheiden und das Gute nachahmenswert machen. Wir brauchen weniger breit angelegte Zerstreuung und Ablenkung an der Oberfläche, sondern Gewissheiten mit Tiefgang. Zur Stärkung deines Immunsystems ist es unglaublich wirkungsvoll, das Wort Gottes in dich aufzunehmen.
Wie wichtig beispielsweise eine religiöse Kindererziehung für die Zukunft ist, das haben 150 Wissenschaftler bei einer Tagung eines religiös unverdächtigen Schulbuchverlages ermittelt. Und das Fazit: Kinder gläubiger Eltern sind in ihrem späteren Leben gut vor Orientierungslosigkeit geschützt und können Krisen besser meistern. Rituale wie das Abendgebet vor dem Einschlafen stabilisieren die Kinder emotional. Nicht unterschätzt werden dürfen die Großeltern als Vertrauenspersonen und Vorbilder für den Glauben. Dazu gehört auch das Vertrauen in die Bibel.
Dietrich Bonhoeffer schreibt vor seiner Hinrichtung aus dem Gefängnis: „Ich glaube, dass die Bibel allein die Antwort auf alle unsere Fragen ist. Sie wird mir täglich wunderbarer. Es bleibt also nichts als die Entscheidung, ob wir dem Wort der Bibel trauen wollen wie keinem anderen Wort im Leben und im Sterben. Und ich glaube, wir werden erst dann recht froh und ruhig wer- den können, wenn wir diese Entscheidung getroffen haben.“
Ich kann nur hoffen, dass ihr jetzt sagt: Ja, diesen ›krippalen‹ Infekt wünsche ich mir auch. So möchte ich mit dem Kind in der Krippe in Berührung kommen und mich immer tiefer in seine Gedankenwelt und Lebensgeschichte hineinziehen lassen.
Dann müssen wir noch kurz über Risiken und Nebenwirkungen sprechen, oder besser über: Chancen und Neuanfänge. Fragt doch am besten mal einen Menschen eures Vertrauens, und das darf dann auch euer Pfarrer sein. Wenn euch das komisch vorkommt oder unangenehm ist, über so persönliche Dinge zu reden, empfehle ich die biblischen Geschichten als Packungsbeilage. Die Begegnung mit dem Mann aus der Krippe hat Folgen:
„Zöllner“: komm vom Baum herunter, ich will mit dir essen gehen! „Frau, die gesteinigt werden soll“: fang noch einmal neu an. „Sterbender Mann“: der Tod ist nicht das Ende, sondern bei Gott ein neuer Anfang.
Durch die Begegnung mit ihm möchte ich nicht grippekrank, sondern krippengesund werden und andere mit dieser Gesundheit, ja mit diesem Heil anstecken.
Amen.