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17. Sonntag nach Trinitatis / Erntedank: Lukas 12,13-21 - Menschen können nicht von ihrem Überfluss leben
von Johannes Calvin
Lukas 12,13-21
13 Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meiser, sage meinem Bruder daß er mit mir das Erbe teile. 14 Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zu Richter oder Erbteiler über euch gesetzt? 15 Und er sprach zu ihnen: Gehet zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, daß er viele Güter hat. 16 Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, des Feld hatte wohl getragen. 17 Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nicht, wo ich meine Früchte hin sammle. 18 Und sprach: Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen und will darein sammeln all mein Korn und meine Güter 19 und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat auf viele Jahre; habe nun Ruhe, iß, trink und habe guten Mut! 20 Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wes wird`s sein, das du bereitet hast? 21 So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich für Gott.
Luk. 12, 13. „Sage meinem Bruder, daß er mit mir das Erbe teile.“ Der Herr wird gebeten, den Schiedsrichter bei einer Familienerbschaftssache zu spielen, und verweigert es. Da dies dazu gedient hätte, die brüderliche Eintracht zu erhalten, und es nicht nur Christi Aufgabe war, die Menschen mit Gott zu versöhnen, sondern sie auch zu gegenseitiger Übereinkunft zu bringen, müssen wir nach der Ursache fragen, die ihn daran hinderte, den Streit zwischen den beiden Brüdern aus dem Weg zu räumen. Es scheint in der Hauptsache zwei Gründe zu geben, warum er von dem Amt eines Schiedsrichters Abstand nahm. Er wollte erstens vorsichtig sein, da sich die Juden das Reich des Messias ohnehin als irdisches vorstellten, diesen Irrtum durch ein Beispiel auch noch zu bestärken. Wenn sie ihn gesehen hätten, wie er das Erbe teilte, so wäre die Nachricht von diesem Tun bald verbreitet gewesen. So erhofften sich ja viele eine Befreiung nach dem Fleisch, und sie waren nur allzu begierig auf sie erpicht. Die Gottlosen hätten verbreitet, er wolle neue Dinge in Bewegung setzen und die Lage des Römischen Reiches ins Wanken bringen. Darum gab es nichts Besseres, als diese Antwort zu geben, aus der alle ersehen mußten, daß Christi Reich ein geistliches ist. Darum sollen auch wir lernen, uns in Zucht zu halten, daß wir nicht etwas beginnen, was uns auf einen falschen Weg bringen könnte. Zweitens wollte der Herr zwischen den politischen Reichen dieser Welt und der Herrschaft über seine Gemeinde unterscheiden. Er war nämlich vom Vater zu einem Lehrer gemacht, der mit dem Schwert des Wortes Gedanken und Gesinnungen durchschnitte und in die Herzen der Menschen eindringe, und er war nicht eine Obrigkeit, die Erbschaften teilte. So wird der ränkevolle Anspruch des Papstes und der Seinen verurteilt, die, während sie sich als Hirten der Gemeinde ausgeben, es trotzdem wagen, sich in irdische und weltliche Gerichtsbarkeit einzumischen, die mit ihrem Amt nicht vereinbar ist. Es kann nämlich etwas an sich erlaubt sein und doch nicht für jeden passen. Dazu kommt meinem Urteil nach noch ein dritter, besonderer Grund: Christus sah, wie dieser Mann sich nicht um die Verkündigung kümmerte und sich nur Vergünstigungen für seine häuslichen Angelegenheiten verschaffen wollte. Diese Krankheit ist nun überaus verbreitet, daß viele das Evangelium bekennen und unter seinem Deckmantel es ohne Zögern zur Vermehrung ihres Hausstands mißbrauchen, und dabei muß der Name Christi ihnen für ihren Vorteil dienen. Das ist leicht aus der Tatsache zu erschließen, daß Christus vor der Habgier warnt; denn wenn jener Mann nicht den Namen des Evangeliums zu seinem eigenen Gewinn mißbraucht hätte, wäre kein Anlaß für Christus gewesen, die Habgier zu verurteilen. Darum zeigt der Zusammenhang deutlich genug, daß dieser Mann nur ein Scheinjünger war, der sein Herz an Äcker und Geldbörsen gehängt hatte. Andererseits folgern die Täufer aus dieser Antwort allzu albern, daß es einem Christen nicht erlaubt sei, Erbschaften zu teilen, sich in Rechtsgeschäfte einzumischen oder irgendein bürgerliches Amt zu übernehmen. Denn Christus lehnt hier nicht der Sache wegen ab, sondern seiner Berufung wegen. Denn er war ja vom Vater zu einer anderen Aufgabe bestimmt und behauptet deshalb, er sei kein Richter, weil er keinen solchen Auftrag hat. Darum soll diese Regel bei uns herrschen, daß sich jeder innerhalb der Grenzen seiner göttlichen Berufung hält.
Luk. 12, 15. „Sehet zu und hütet euch vor aller Habgier.“ Erstens warnt Christus die Seinen vor der Habgier; zweitens möchte er unsere Herzen völlig von dieser Krankheit heilen und behauptet darum, unser Leben bestände nicht im Besitz von Überfluß. Mit diesen Worten bezeichnet er die Quelle und den inneren Ursprung, aus denen die unsinnige Begierde fließt, haben zu wollen. Denn man beurteilt im allgemeinen das Lebensglück eines Menschen danach, ob er möglichst viel besitzt, und man stellt sich vor, der Reichtum sei der Grund für ein glückliches Leben. Daher kommt jene maßlose Gier, die wie ein brennendes Feuer ihre Glut ausstrahlt und innerlich nicht mehr zur Ruhe kommt. Wenn wir nämlich davon überzeugt wären, daß Reichtum und alle Fülle an Gütern nur Hilfsmittel für das gegenwärtige Leben sind, die uns die Hand des Herrn darreicht und deren Gebrauch er segnet, so würde dieser eine Gedanke leicht alle falschen Begierden zum Schweigen bringen. Denn das haben die Gläubigen in ihrem Leben wirklich erfahren. Darum können sie in ihren Wünschen ganz still werden und sich von Gott allein abhängig machen, der allein uns mit seiner Kraft erhält und uns auch so viel schenkt, wie wir nötig haben.
Luk. 12, 16. „Und er sagte ihnen ein Gleichnis.“ Dieses Gleichnis hält uns wie in einem Spiegel ein lebendiges Bild für Christi Behauptung vor, daß die Menschen nicht von ihrem Überfluß leben können. Denn da auch dem vermögendsten Menschen sein Leben in einem Augenblick genommen wird, was hilft es dann, sich große Schätze anzuhäufen? Alle werden zugeben, das sei richtig und Christus spreche hier nur lang Erfahrenes und allgemein Bekanntes aus, das in aller Munde ist. Doch wie viele sind es, die es sich wirklich zu Herzen nehmen? Richten sie nicht doch ihr Leben lieber so ein, ordnen sie ihre Pläne und Absichten nicht so, daß sie sich damit so weit wie möglich von Gott entfernen und ihr Leben von der Fülle der irdischen Dinge abhängig machen? Darum haben es alle nötig, sich selbst wach zu machen, damit sie sich nicht auf Grund ihres Reichtums für glücklich halten und sich unterdessen von den Fesseln der Habgier umstricken lassen. Weiter wird uns in diesem Gleichnis die kurze Vergänglichkeit dieses Lebens gezeigt; und außerdem, daß auch der Reichtum das Leben nicht verlängern kann. Dazu kommt ein drittes, das unausgesprochen bleibt, aber aus dem vorigen leicht erschlossen werden kann, daß das beste Heilmittel für die Gläubigen ist, daß sie ihr tägliches Brot vom Herrn erbitten und allein in seiner Fürsorge ruhig werden, ob sie nun reich sind oder arm.
Luk. 12, 17. „Was soll ich tun?“ Weil die Gottlosen den richtigen Gebrauch der Dinge nicht erkannt haben, sind sie so in ihren Plänen gefangen, daß sie für nichts anderes mehr Sinn haben. Ein zweiter Grund ist, daß sie so berauscht sind von ihrem falschen Selbstvertrauen, daß sie darüber sich selbst vergessen. So setzt jener Reiche die Hoffnung seines Lebens auf seine ungeheure Ernte und weist damit den Gedanken an den Tod weit von sich. Und doch geht mit diesem Stolz auch das Mißtrauen einher; denn diese Satten treibt eine unersättliche Gier um, so wie jener Reiche seine Scheunen erweitert, als ob sein Nahrungsbedarf an den alten Scheunen nicht vollauf genug hätte. Doch verurteilt Christus nicht unbedingt das, was ein fleißiger Familienvater nach seiner Pflicht tut, wenn er die Ernte aufbewahrt. Er verurteilt an dem Reichen, daß er in seiner unersättlichen Gier wie ein bodenloser Schlund viele Scheunen verschluckt und sie verschlingt. Daraus folgt, daß er keine Ahnung hat von der richtigen Anwendung einer reichen Ernte. Schon wenn er sich zum Essen und Trinken ermuntert, hat er vergessen, daß er ein Mensch ist, und ist übermütig im Vertrauen auf seine Überfülle. Wir beobachten heute stattliche Beispiele von solcher Überhebung an gottlosen Menschen, die die Masse ihrer Güter wie ein unbezwingbares Bollwerk dem Tod entgegensetzen. Wenn er sagt: Meine Seele, iß und sei guten Muts, so liegt diesen hebräischen Worten eine Betonung zugrunde. Denn so redet man zu sich selbst, und doch bedeutet es auch, daß alles im Überfluß vorhanden ist, was den Wunsch des Herzens und alle Sinne erfüllt.
Luk. 12, 20. „Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern.“ Es liegt eine Anspielung in der Wiederholung des Wortes „Seele". Zuerst spricht der Reiche zu seiner Seele als zu dem Sitz all seiner Gefühle. Jetzt handelt es sich um sein Leben selbst oder seinen Lebensatem. Der Ausdruck „man wird fordern" bedeutet in seiner Unbestimmtheit nichts anderes, als daß ein anderer das Recht über das Leben des Reichen hat, das er in seiner Hand glaubte. Ich weise deshalb darauf hin, weil einige sich hier ohne Grund über die Engel Gedanken machen. Es war einfach Christi Absicht, zu zeigen, daß in jedem einzelnen Augenblick den Menschen ihr Leben entrissen werden kann, das sie unter dem Schutz ihrer Güter so wohl behütet glauben. Aber darin überführt er den Reichen der Torheit, daß er nicht erkannte, daß sein Leben von ganz anderer Stelle abhänge.
Luk. 12, 21. „So geht es dem, der sich Schätze sammelt.“ Da es sich hier deutlich um eine Gegenüberstellung handelt, ist die Erklärung des einen Satzgliedes bei dem andern zu suchen. Wir wollen also klarstellen, was das heißen soll, „reich zu sein in Gott“, ob gemeint ist, gegenüber Gott, oder: in Hinsicht auf Gott. Wer beim Lesen der Schrift nur ein bißchen Erfahrung hat, weiß, daß das Wörtchen „hinein" oft auch für „in" gebraucht wird. Es trägt im übrigen nicht viel aus, auf welche Weise man es auffaßt, weil das Ganze darauf hinausläuft, daß reich im Hinblick auf Gott einer ist, der nicht auf die irdischen Dinge sein Vertrauen setzt, sondern sich von seiner alleinigen Fürsorge abhängig macht. Es spielt dabei keine Rolle, ob einer Überfluß oder Mangel hat, wenn nur beide aufrichtig den Herrn um das tägliche Brot bitten. Denn der Gegensatz hierzu: sich Schätze sammeln heißt soviel wie die Segnung Gottes nicht beachten und ängstlich einen großen Vorrat zusammenscharren, so daß das Vertrauen sich an Scheunen hängt. Daraus ist leicht das Ziel des Gleichnisses zu erschließen: Vergeblich sind die Pläne und lächerlich die Versuche derer, die sich auf den Überfluß ihrer Güter stützen und sich nicht allein auf Gott verlassen; da sie nicht zufrieden sind mit dem, was er ihnen zuteilt, doch offen sind für jegliches „Glück", werden sie schließlich auch die Strafe für ihre Torheit empfangen.
Aus: Otto Weber, Calvins Auslegung der Heiligen Schrift. Zwölfter Band: Die Evangelien-Harmonie 1. Teil, Neukirchener Verlag, 1966, S. 414ff.