Abgründe
»Niemand versteht, daß der Herr nahe ist, der nicht mit tiefstem Entsetzen hineingesehen hat in die Abgründe der menschlichen Torheit und Bosheit, der nicht schon darüber erschrocken wäre, wie gut es doch die Torheit versteht, sich als Weisheit – und die Bosheit, sich als Gerechtigkeit zu gebärden. Niemand versteht, daß der Herr nahe ist, der nicht von Herzen verzagt ist: nicht nur über die Beschränktheit seiner eigenen Fähigkeiten und Hilfsmittel, sondern noch vielmehr darüber, daß auch er selbst, daß auch alle Guten und Besseren in die Torheit, die klug, und in die Bosheit, die tüchtig sein möchte, so tief verstrickt sind. Und wieder versteht niemand, daß der Herr nahe ist, der die Hände in den Schoß legt, der sich mit bloßem Zuschauen und Abwarten begnügt« (Karl Barth, Brief nach Holland, 1942, in: GA V.36, 403)