Änderung der Kirchenordnung in Hessen-Nassau

Eine Stellungnahme des Reformierten Konventes

Der Reformierte Konvent kritisiert die vorgeschlagene Neuformulierung der Kirchenordnung: Die synodal-presbyteriale Verfasstheit der Kirche und das Gemeindeprinzip würden stark eingeschränkt.

In der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) wird seit einigen Monaten eine Änderung der Kirchenordnung diskutiert, gegen die der Reformierte Konvent große theologische Bedenken geäußert hat. Die synodal-presbyteriale Verfasstheit der Kirche und das Gemeindeprinzip werden in der vorgesehenen Neuformulierung stark eingeschränkt. Eine stärkere Hierarchisierung ist statt dessen vorgesehen.
Die Diskussion der Kirchenordnung stand bei der EKHN-Synode im April 2008 auf der Tagesordnung (Bericht auf reformiert-info hier >>>),
sie ist noch nicht abgeschlossen und wird bei den folgenden Synodensitzungen fortgesetzt werden.

Der Reformierte Konvent der EKHN freut sich über Diskussionsbeiträge zur Stellungnahme. Bitte wenden Sie sich an die Vorsitzende,
Pfarrerin Mechthild Gunkel
Landgrafenring 15, 63071 Offenbach, Tel. 069 / 8236 8417
mechthild.gunkel@web.de

Stellungnahme des Reformierten Konventes zum Entwurf der neuen Kirchenordnung (KO-E) der EKHN
Anhang: Zusammenstellung der Regelungen in KO-E, in denen das für die derzeitige Kirchenordnung maßgebliche presbyterial-synodale Prinzip verlassen wird
Stellungnahme und Anhang auch als PDF zum Download und Ausdruck am Ende der Seite

Stellungnahme des Reformierten Konventes zum Entwurf der neuen Kirchenordnung (KO-E)

Als reformierter Konvent der EKHN haben wir uns intensiv mit dem Entwurf für die neue Kirchenordnung KO-E beschäftigt. Wir verschließen uns nicht den Überlegungen, dass eine evangelische Landeskirche in der heutigen Zeit beschleunigter gesellschaftlicher Veränderungen, Finanzknappheit und dem Verlust an öffentlicher Wahrnehmung einer effizienten und klaren Leitung bedarf - und auch nicht der Tatsache, dass es dazu der Veränderung bestehender Ordnungen und Leitungsfunktionen bedarf. Gleichwohl haben wir gegen den vorgelegten Entwurf große theologische Bedenken.

Eine wesentliche Errungenschaft der Reformation - unabhängig von der jeweiligen konfessionellen Prägung - war es, gegenüber einem Selbstverständnis der Kirche als universaler Heilsinstitution für alle Menschen einen Kirchenbegriff zu profilieren, der in der konkreten Versammlung der Glaubenden an einem Ort Gestalt gewinnt und seinen Grund im Bekenntnis der dort Versammelten zu Jesus Christus als ihrem einzigen Herrn hat. Damit ist die Versammlung der Glaubenden von ihrer Basis her immer wieder vor die Aufgabe gestellt, ihr konkretes und alltägliches Leben im Spannungsfeld zwischen dem Bekenntnis zu ihrem Herrn und den jeweiligen sozialen und gesellschaftlichen Gegebenheiten zu gestalten. Dies geschieht in der Erwartung des kommenden Gottesreiches, in der Bitte um den Heiligen Geist und in geschwisterlicher Beratung in demütigem Wissen um die eigenen Fehlbarkeit.

Dass es dazu leitenden Handelns bedarf, wird auch in der Reformation betont, doch wird auch leitendes Handeln in die Spannung des geglaubten und erwarteten Gottesreiches und der alltäglichen Notwendigkeiten gestellt. Deshalb wird, gerade im Gegensatz zu den Erfahrungen mit der katholischen Kirche, kirchenleitendes Handeln in Gremien verankert und verortet. Wo einzelne Personen geistliche Leitungsfunktionen wahrnehmen (Ordination, Visitation), wird dies an die versammelte Gemeinde gebunden.

Dieser reformatorische Zusammenhang ist im neuen Kirchenordnungsentwurf KO-E zerstört, indem neben den traditionell reformatorischen Begriff von geistlicher Leitung, der nach wie vor der Synode zuerkannt wird, ein weiterer Begriff von geistlicher Leitung eingeführt wird, der nun dem Bischof/der Bischöfin als einzelner Person sowie davon abgeleitet, den Pröpsten/innen und auch den Dekanen/innen zuerkannt wird. Dieser Begriff wird dem alten katholischen Verständnis entsprechend ausschließlich durch das Amt bzw. den dienstlichen Vorsitz begründet und legitimiert. Bezeichnenderweise ist die Ordination nicht mehr an einen Gemeindegottesdienst gebunden. Einem solchen Amtsverständnis können wir aus evangelischer Tradition heraus nicht zustimmen, vielmehr sehen wir in ihm eine erschreckende Vergessenheit und Verletzung evangelischer Bekenntnisgrundlagen.

Darüberhinaus gibt KO-E gerade uns Reformierten in weiteren Punkten Anlass zu ernster Sorge:
Die EKHN hat sich immer als Kirche verstanden, die das Miteinander der verschiedenen reformatorischen Konfessionen als inneren Reichtum wahrgenommen und daher so in ihrer Verfassung verankert hat, dass dieses Miteinander auch da gewährleistet bleibt, wo sich einzelne Gemeinden bekenntnisbedingt in ihrer Struktur und Verwaltung unterscheiden. Die drei evangelischen Konfessionen waren durch Pröpstinnen und Pröpste als jeweilige Sprecher/innen im LGA vertreten, uns Reformierten als der kleinsten Konfession waren über die reformierte Stadtsynode Frankfurt zwei Sitze in der Synode garantiert. Beides, die Vertretung durch den konfessionellen Vertreter im LGA und den Sitz in der Synode, geht in KO-E verloren. Mit dieser Entscheidung verzichtet KO-E bewusst auf den Rückgriff auf die - zwar immer wieder sperrigen, aber immer wieder auch heilsamen - Anfragen der reformierten Theologie: Den Verweis auf Jesus Christus als den alleinigen Herrn der Kirche und die davon abgeleitete Struktur als Ausdruck des Bekenntnisses zu ihm (Barmen III), die geteilte Leitungsverantwortung, die Wertschätzung der Gemeinden als Grundlagen der Kirche und das kritische Profil der Kirche zu gesellschaftlichen Vereinheitlichungstendenzen. 

Folgerichtig werden nicht nur auf der Ebene kirchenleitenden Handelns die Bekenntnisprägungen, sondern in noch stärkerer Weise die gemeindlichen Bekenntnisprägungen nivelliert. Nach Art. 15 werden Pfarrerinnen und Pfarrer bei ihrer Amtseinführung nicht mehr ausdrücklich auf das in einer Gemeinde geltende Bekenntnis und deren Ordnung verpflichtet; im Ordinationsvorhalt und im Ordinationsversprechen (Art. 7 (2)) ist lediglich vom "Bekenntnis der Kirche" und vom "Grundartikel der EKHN" die Rede.

Auch Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher werden bei ihrer Einführung zuerst an das Bekenntnis und die Ordnung der Kirche, dann erst an diejenigen der Gemeinde gewiesen (Art. 13. (3)). Damit sind Pfarrer/innen und Kirchenvorsteher/innen zumindest nicht mehr auf diejenigen Gemeindeordnungen zu verpflichten, die sich auf die alten presbyterial-synodalen Traditionen beziehen und ihre Belange in stärkerer Eigenverantwortlichkeit regeln, als es der KO-E vorsieht.

Wir befürchten, dass damit den alten reformierten Gemeindeordnungen, die mancherorts gelten und die in der EKHN eine lange Tradition haben, die Grundlage entzogen wird. Dem entspricht, dass im KO-E der Art. 3 Abs. 7 nicht mehr erscheint.  Gegen diese Veränderungen protestieren wir aufs schärfste.

Die EKHN hat sich immer als Kirche verstanden, die in ihrem Aufbau dem Prinzip presbyterial-synodaler Leitung verpflichtet ist. Bei einer Umsetzung von KO-E würde dieses Prinzip an zahlreichen Punkten zugunsten hierarchischer Elemente verlassen. Gegen diese Schwächung der presbyterial-synodalen Strukturen in unserer Landeskirche haben wir nicht nur theologisch große Bedenken, sondern es ist auch nicht zu erkennen, dass sie dem Ziel klarer und effizienter Leitungsstrukturen tatsächlich dienen. Im Gegenteil führen sie zum Teil zu erheblicher Rechtsunsicherheit (die betreffenden Regelungen und ihre Problematik sind in einem Anhang zu dieser Stellungnahme aufgeführt).

Der reformierter Konvent lehnt den Weg einer stärkeren Hierarchisierung um den Preis der Schwächung des presbyterial-synodalen Prinzips entschieden ab. Wir halten ihn weder für theologisch sachgemäß noch für kybernetisch erfolgversprechend, wenn es darum geht, Verbesserungen unserer kirchlichen Ordnung vorzunehmen.

Insgesamt zeigt KO-E ein tiefes Unverständnis dafür, dass die Ordnungen und Strukturen der Kirche um des Evangeliums und des Glaubens an Jesus Christus als den Gekreuzigten und Auferstandenen willen gerade nicht beliebig den jeweiligen gesellschaftlichen Trends und Tendenzen angepasst werden dürfen, sondern durch ihre Verschiedenheit heilsam dazu beitragen können, nach einem glaubwürdigen Zeugnis für das kommende Gottesreich zu suchen, das die unguten Mächte und Strukturen dieser Welt überwindet. Die alte Ordnung der EKHN hat dies - wie wir finden - innerhalb der EKD in vorbildlicher Weise getan.
Anhang: Ergänzungen zum „presbyterial-synodalen Prinzip“
Frankfurt, Anfang Juni 2008

Anhang zur Stellungnahme des Reformierten Konvents zum Entwurf der neuen Kirchenordnung
Zusammenstellung der Regelungen in KO-E, in denen das für die derzeitige Kirchenordnung maßgebliche presbyterial-synodale Prinzip verlassen wird

Zentral für das reformierte Kirchenverständnis ist das Prinzip der presbyterial-synodalen Leitung, das sich im wesentlichen im 17. und 18. Jahrhundert herausgebildet hat. Es wurde von zahlreichen lutherischen und unierten Kirchen aufgenommen und prägt die jetzt gültige Kirchenordnung der EKHN.

Kernprinzip presbyterial-synodaler Leitung ist, dass auf jeder kirchlichen Leitungsebene ein aus ordinierten und nicht ordinierten Kirchengliedern zusammengesetztes Gremium (Kirchenvorstand, Synode) die Leitungsverantwortung für die entsprechende Ebene wahrnimmt, auch in Form der Wahl geschäftsführender Gremien (Dekanats- und Kirchensynodalvorstand) und von Repräsentanten/innen (KV-Vorsitz; Dekanin/Dekan; Kirchenpräsidentin/Kirchenpräsident). Zum Urbestand presbyterial-synodaler Leitung gehört dabei, dass sie auf der Einzelgemeinde als ihrem Fundament aufbaut und dass die Freiheit der Einzelgemeinden so wenig wie möglich beschnitten werden darf.

Die presbyterial-synodalen Leitungsprinzipien schaffen so (1) „ortsnahe“ (daher transparente und effiziente), (2) legitimationsbedürftige (daher „schlanke“) und (3) kollegiale (daher auch einer modernen, pluralen Lebenswelt entsprechende) Leitungsstrukturen.

Die derzeitige Kirchenordnung ist weitgehend dem Prinzip presbyterial-synodaler Leitung verpflichtet. Im vorliegenden Entwurf einer neuen Kirchenordnung (KO-E) und Kirchengemeindeordnung (KGO-E) finden sich dagegen Durchbrechungen des presbyterial-synodalen Prinzips, gegen die schwerwiegende Bedenken bestehen.

■ In § 48 KGO-E heißt es, dass Dekanatssynodalvorstände oder die Kirchenleitung Kirchenvorstandsbeschlüsse aufheben können, wenn sie „gegen übergeordnete kirchliche Interessen“ verstoßen. Diese extrem interpretationsfähige Formulierung ermöglicht weitgehende Eingriffe in die presbyteriale Selbstbestimmung der Gemeinden, über deren Umfang und Legitimation zudem aus dem Gesetzestext keinerlei Rechtssicherheit herzustellen ist. Gleichermaßen problematisch für das Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden ist Art. 19 Abs. 2 KO-E, nach dem die Kirchengemeinden die „im Rahmen ihrer Zuständigkeit erteilten Weisungen“ der Dekanatssynode „zu befolgen“ haben. In ähnliche Richtung geht schließlich die Formulierung einer „Aufsicht des Dekanats und der Gesamtkirche“ über die Einzelgemeinde (§ 3 Abs. 1 KGO-E). Nach presbyterial-synodalem Verständnis sind solche hierarchischen Überlagerungen der presbyterialen Selbstbestimmung einer Gemeinde nur in genau konkretisierten Fällen möglich, nicht aber – wie in den Gesetzesentwürfen – als grundlegendes Strukturmerkmal.

■ Das Kanzelrecht des Bischofs/der Bischöfin (Art. 52 Abs. 3 KO-E) und der Pröpste/innen (Art. 55 Abs. 2 KO-E), dessen Ausübung nicht begründungsbedürftig ist und gegen das es keinerlei Rechtsmittel gibt, widerspricht der geistlichen Eigenverantwortlichkeit der Gemeinde. Die derzeitigen Möglichkeiten kirchenrechtlich geregelter Aufsicht mit entsprechenden Rechtsbehelfen reichen aus, um möglichen Fehlentwicklungen zu steuern.

■ Nach Art. 9 Abs. 1 KO-E kann die Kirchenleitung alleine über die Neugliederung von Kirchengemeinden entscheiden. Ein Anhörungsrecht der presbyterial-synodalen Gliederungen auf Gemeinde- und Dekanatsebene ist nicht erwähnt. Dieser Artikel ist entweder überflüssig, weil er eine Doppelung zu § 5 KGO-E (§ 14 KGO) mit entsprechendem Anhörungsrecht darstellt. Wahrscheinlicher aber ist, dass das Anhörungsrecht der Kirchenvorstände und Dekanatssynodalvorstände bewusst auf die Ebene eines einfaches Gesetzes verwiesen wurde und dem Recht der Kirchenleitung zur Neugliederung der Gemeinde bewusst Verfassungsrang zugebilligt ist.

■ Die Pröpstinnen und Pröpste geraten durch ihr Handeln „im Auftrag“ (Art. 54 KO-E; auch § 2 Abs. 7 VisitationsG-E) und unter Dienstaufsicht (Art. 52 Abs. 1 Nr. 3 KO-E) des Bischofs / der Bischöfin in eine der presbyterial-synodalen Ordnung fremde doppelte synodale (gegenüber der Landessynode) und personale (gegenüber dem Bischof / der Bischöfin) Loyalität. Personale Loyalität ist dem presbyterial-synodalen Kirchenverständnis fremd, da allein Christus das Haupt der Gemeinde ist. Neben der problematischen personal-synodalen Doppelloyalität ergibt sich eine weitere Schieflage dadurch, dass dem als Regionalbischof konzipierten neuen Propstamt keine entsprechende synodale Ebene (Propsteisynode) gegenübersteht. Was bei der derzeit primär beratenden und seelsorgerlichen Funktion der Pröpstinnen und Pröpste keine Bedenken hervorruft, wird als nicht auf entsprechender synodaler Ebene (Propsteisynode) rückgekoppeltes Amt mit Leitungsfunktion zum Fremdkörper in einer presbyterial-synodalen Ordnung.

■ Nach Art. 34 Abs. 4 KO-E dürfen die Mitglieder der Kirchenleitung nicht der Synode angehören (vgl. Art. 47 Abs. 1 Buchst. c KO). Dadurch wird die synodale Kontrolle der Kirchenleitung erheblich erschwert.

■ Bereits in der geltenden Kirchenordnung ist das presbyterial-synodale Prinzip dadurch gestört, dass die Dekanatssynoden (im Unterschied zur Landessynode) kein Vorschlagsrecht für die Dekanewahl haben (Art. 28 Abs. 2 KO). Diese Beschneidung synodaler Souveränität wird in Art. 52 und 55 KO-E durch das hohe Quorum von 20 % der Synodenmitglieder für Wahlvorschläge für den Bischof / die Bischöfin und die Pröpste / die Pröpstinnen aus den Reihen der Synode fortgesetzt.

■ Im übrigen ist eine das presbyterial-synodale Prinzip erheblich verunklarende Formulierung im Entwurf der Kirchenordnung enthalten, wenn nach Art. 13 Abs. 1 KO-E die Kirchengemeinde durch den „Kirchenvorstand zusammen mit den Pfarrerinnen und Pfarrern“ geleitet wird (so auch § 16 Abs. 1 KGO-E), obwohl es konstitutiv für die presbyterial-synodale Ordnung ist, dass die Pfarrerinnen und Pfarrer gleichberechtigte und gleich verpflichtete Mitglieder des Kirchenvorstands sind, und nicht ein (wie verstandenes?) Drittes, wie es die Formulierung nahelegt.

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Gesetzesentwürfe dem presbyterial-synodalen Verständnis von Kirche an wesentlichen Punkten zuwiderlaufen, indem hierarchische Elemente auf Kosten des Selbstbestimmungsrechts der Gemeinden (und auch der Synoden) verstärkt werden. Eine solche Hierarchisierung sehen wir dabei nicht nur aus theologischen Gründen sehr kritisch, sondern wir halten sie auch für ein überholtes kybernetisches Modell, das sich an Paradigmen wirtschaftlicher Führung anlehnt, die sich als wenig erfolgreich erwiesen haben. Zudem führt sie an zahlreichen Punkten nicht zu mehr, sondern zu weniger Rechtssicherheit und damit Klarheit.

Wir halten es daher für falsch, den Weg einer Schwächung der presbyterial-synodalen Leitungsstrukturen zugunsten stärkerer Hierarchisierung bei den Reformbemühungen weiterzuverfolgen. Vielmehr eignen sich aus den anfangs genannten Gründen gerade die presbyterial-synodalen Strukturen dafür, eine den Bedürfnissen der Gegenwart genügende Leitung der Kirche zu gewährleisten.