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Antijüdische Motive in Bildern und Texten am Vorabend der Reformation
Vortrag in der »denkbar. der Laden« in Wittenberg am 22. August 2017 von Achim Detmers
Durch die Vertreibungen bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts waren Juden zwar weitgehend aus dem öffentlichen Leben verschwunden, keineswegs aber aus dem öffentlichen Bewusstsein. Denn die tief verwurzelten antijüdischen Stereotype, die sich in den Jahrhunderten zuvor herausgebildet hatten, erwiesen sich als ausgesprochen nachhaltig wirksam. Sie hatten zwar durch die erfolgten Vertreibungen an Aktualität verloren, prägten aber auch weiterhin das Bild vom Juden. Denn durch die zunehmende soziale Distanz zum Judentum konnten die negativen Stereotype nun erst recht nicht mehr auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden. Vielmehr wurden die zahlreichen antijüdischen Darstellungen auf Tafelbildern, Skulpturen, Holzschnitten, Miniaturen, Fresken und Glasmalereien unhinterfragt als allgemeingültig vorausgesetzt. Antijüdisch ausgerichtete Predigten, Passionsspiele, Legenden und Riten sowie ein popularisierter kirchlicher Antijudaismus trugen schließlich ein übriges dazu bei, das negative Bild vom zeitgenössischen Judentum langfristig zu verfestigen. Auch die verschiedenen Reformatoren waren in ihrer Sichtweise des zeitgenössischen Judentums von solchen Bildern geprägt. Im Folgenden gebe ich einen Überblick zu den gängigen antijüdischen Stereotypen, wie sie in den Texten und bildlichen Darstellungen am Vorabend der Reformation (Ende des 15. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts) zum Ausdruck kamen.*
1. ... als blutdürstiger Feind des christlichen Glaubens
Abb. 1: Ein bisher angeblich in Afrika verborgenes jüdisches Heer von 600.000 Mann, bereit zum Angriff auf Jerusalem. Titelbild der Flugschrift Von ainer grosse meng unnd gewalt der Juden, die lange zeyt mit unwonhafftigen Wüsten beschlossen und verborgen gewesen / Yetzunder auß gebrochen und an tag kommen seyn / Dreyssig tag rayß von Jherusalem sich nyder geschlagen / Was sy fürgenommen haben findt man nach laut dises Sendbrieffs zum tayl glaubliche vnderricht, o. O. 1523.
Abb. 2: Darstellung eines Juden als kinderverschlingender Saturn (gekennzeichnet mit Judenring und Judenhut). Anspielung auf die den Juden unterstellte Funktion als Unheilsbringer und Kindesmörder. Holzschnitt in einem Almanach des Nürnberger Druckers Peter Wagner 1492.
Abb. 3: Juden mit grimmigen Gesichtszügen und JudensauPlaketten dargestellt beim angeblichen Ritualmord an dem zweijährigen Simon von Trient (1475). Kupferstich, Florenz/Ferrara ca. 1475-85.
Eine besonders klassische Formulierung dieses Stereotyps findet sich bei dem Rechtsgelehrten Ulrich Zasius. Obwohl er sich zeit seines Lebens an Orten aufhielt, wo zum Teil seit Anfang des 15. Jahrhunderts keine Juden mehr lebten, sah er in den Juden eine Gefahr allerhöchsten Grades für die christliche Gemeinschaft:
»Die Juden sind den Christen äußerst lästig. Sie verfluchen die Christen mit öffentlichen Schmähungen und Verwünschungen, beuten sie mit Wucher aus, verweigern Abgaben, verspotten unseren allerheiligsten Glauben und verabscheuen ihn immerzu; sie verbreiten gegen unseren Heiland in aller Öffentlichkeit die schändlichsten Blasphemien. Und was von allem am erschütterndsten ist, Tag und Nacht lechzen (..) diese blutdürstigen Blutsauger nach Christenblut. Und von den Beteiligten d[ies]er Verbrechen, für die sie mit dem Tode bestraft wurden, ist zugegeben worden, dass sie dieses [Blut] auch heutzutage in unserer Region mehrfach vergossen haben – was ich nicht ohne innere Bestürzung zu berichten vermag. Außerdem verhöhnen, hassen, unterdrücken und entehren sie den christlichen Namen. Ja, sie trachten sogar danach und mühen sich, unser ganzes Heilsvertrauen zugrunde zu richten. Warum, und das will ich aufrichtig gesagt haben, warum wird daher besonders von den Fürsten nicht zugelassen, solche so offenkundigen Feinde und so grimmige Bestien auszustoßen, sie aus dem Gebiet der Christen fortzutreiben? Dieser höchst ekelhafte Auswurf muss nämlich in die endgültige Finsternis verbannt werden. Es steht jedoch nicht zu befürchten, dass [dadurch] der Same Israels verlorengeht, weil ja ein unaufhörlicher Bodensatz an Verschnittenen und Enthäuteten durch Alexander d. Gr. im Kaspischen Gebirge verschlossen wurde. Auch leben viele bei den Heiden, so dass diese um sich greifende Pest, sogar wenn sie sich nicht unter den Christen aufhalten würde, mehr als genug von solchen Scheusalen auf der Erde zurückließe.«
In dieser hoch emotionalen Passage aus dem Jahre 1508 wiederholte Zasius die traditionell antijüdischen Vorwürfe wie Ritualmord, Wucherpraxis, Bestreitung und Verlästerung des christlichen Glaubens. Außerdem kritisierte Zasius die Fürsten, die in ihrem Territorium weiterhin Juden duldeten. Er entgegnete der theologischen Begründung dieser Duldung (Bewahrung des Samens Israels), dass auch die Vertreibung aller Juden aus dem christlichen Gebiet keineswegs die Auslöschung des heiligen jüdischen Restes zur Folge habe. Denn durch die verborgenen zehn Stämme Israels und die im osmanischen Herrschaftsbereich lebenden Juden (vgl. Abb. 1) bleibe die Möglichkeit eines judenchristlichen Restes weiterhin gewährleistet. Wenn Zasius den Fortbestand des jüdischen Volkes mit der immer wieder auflodernden Pest verglich, spielte er zum einen unausgesprochen auf den Vorwurf der Brunnenvergiftung an und unterstrich zum anderen die latente Gefahr, die auch von einem stark dezimierten Judentum noch ausgehen könne.
2. ... als Bilderschänder und Marienverächter
In der spätmittelalterlichen Frömmigkeit spielten Heiligenbilder und Kruzifixe eine nicht unbedeutende Rolle. Die öffentlich zugänglichen Bilder markierten einen sensiblen sakralen Bereich, und jeder Angriff auf diese bildlichen Darstellungen musste als ein schweres Verbrechen und als ein Akt von Blasphemie empfunden werden. Als erklärte Gegner des christlichen Bilderkultes und der Marienverehrung galten die Juden als besonders verdächtig, solche Bilderfrevel zu begehen. Ihnen wurde vorgeworfen, sie wollten sich dafür rächen, dass sie aufgrund der Kreuzigung Christi als Volk Gottes verworfen seien. Es wurde sogar geargwöhnt, sie würden an den Christusbildern die Marterung und Kreuzigung Jesu in allen grausamen Einzelheiten wiederholen.
Abb. 4: Ein Jude durchsticht mit seinem Schwert den Körper Christi am Kruzifix. Holzschnitt aus der Weltchronik des Hartmann Schedel, Nürnberg 1493. Text: »Dieser zeit [d.h. im 6. Jh.] hat ein iud das pild eins crucifix gestochen dz dz [=so daß das] plut miltigelich [=reichlich] herauß floße und den iuden besprenget also dz man des iuden fußstapffen plutig spuret. die cristen die das sahen volgten dem gespor der plutigen fußtritt nach bis sie zu dem plutflüßigen pild komen. als sie das funden do verstaynten [=steinigten] sie den iuden.«
Zudem waren die Berichte von angeblichem jüdischem Bilderfrevel genährt durch den volkstümlichen Glauben an die Heiligkeit und Wunderkraft solcher Bilder. Häufig wurde deshalb berichtet, dass die Bilder an den verletzten Stellen wundersamerweise zu bluten anfingen – so auch in der nachfolgenden Schilderung eines angeblichen jüdischen Bilderfrevels von 1322, an den 1515 mit einer ausführlich bebilderten Flugschrift erinnert wurde (vgl. Abb. 5, 17 und 21):
Abb. 5: Fünf Juden verspotten auf verschiedene Weise ein Altarbild Marias. Holzschnitt aus: T.Murner, Enderung [=Entehrung] und schmach der bildung Marie, Straßburg 1515, 1v. Bildüberschrift: »Wie die falschen iuden die bildung Marie verspottet und verspuwet [=davor ausgespuckt] haben.«.
3. ... als von Gott verstoßener und verblendeter Christusmörder
Wie nachhaltig dieses Stereotyp zu Beginn des 16. Jahrhunderts die öffentliche Meinung beherrscht hat, zeigt das Beispiel des Juristen und Hebraisten Johannes Reuchlin. Obwohl er mit der jüdischen Religion vertraut war und einige der Juden, die er kannte, als Lehrer verehrte, war auch sein Urteil über das zeitgenössische Judentum von einem theologischen Antijudaismus bestimmt:
»Uß dem allem zu mercken ist, das die sünd, darumb sye zerstrewt sind, ein gemeine sünd deß gantzen geschlechts syn muß, darin all Juden verharren, solang sie iuden sind. (...) Darab man wol verstet, das es ein plag von got über die Juden ist (...), das sie uß eigem frien willen sollent blind und verstopt sin. darmit sie die sünd irer straff nit für sünd achten. (...) Und disem allem nach so beschlüs ich, das die Juden umb kein andere sünd so lang zyt von got gestrafft werden dan alein umb die gotslesterung, die ire vordern an dem rechten Messiah (...) begangen haben, (...) Sie haben an im [=ihm] in vyl wys gott gelestert, geschmecht und geschendt uß der ursach, das sie in [=ihn] zum tod gebracht haben, darumb das er sich ein künig (...) und ein sun gottes hatt laßen nennen. (...) Ich bit gott, er wöll sye (..) bekern zu dem rechten glouben, das sye von der gefencknüs des düfels erledigt werden.«
Die Tatsache, daß Juden in fast allen Ländern vertrieben und verfolgt wurden, deutete Reuchlin hier als eine von Gott verhängte Kollektivstrafe für das Verbrechen, das sie an Christus begangen hätten. Erst durch ihre Bekehrung zum christlichen Glauben würden sie von diesem Fluch erlöst.
Abb. 6: Zwei durch ihre Kopfbedeckung und den Judenring kenntlich gemachte Juden verspotten Jesus am Kreuz. Links Maria und Maria Magdalena. Holzschnitt aus: Speculum humanae salvationis, Basel 1476.
Abb. 7: Fünf Gestalten, davon zwei durch ihre Kopfbedeckung als jüdisch kenntlich gemacht, verspotten und schmähen den verurteilten Christus. Holzschnitt aus Geistliche Auslegung des Lebens Jesu Christi, Ulm 1485. Text: »Noch von der krönong und menigfaltige beclaidong des herren.«
Abb. 8: Altartafel mit Allegorie auf den Kreuzestod Christi: Durch den Opfertod Christi wird der Himmel aufgeschlossen, die Hölle bezwungen, die Messe eingesetzt und die Synagoge gerichtet. Von dem blutüberströmten Corpus Christi fließt Blut aus den fünf Wunden des Gekreuzigten in den Abendmahlskelch. Ein Priester konsekriert die Hostie. Christus rammt einem Teufel die Kirchenfahne vor die Brust und ergreift die Hände Adams, der vordersten Seele im Fegefeuer. Llinks der limbus infantium. Als Gegenbild dazu die vom Schwert des Gerichts durchbohrte Synagoge mit grinsendem Totenschädel, gekrönter Paradiesschlange, Binde, herunterfallender Krone und gebrochener Fahnenstange auf einem zusammengebrochenen Esel. Auf der Fahne ist das Symbol des Skorpions, das Zeichen des Teufels, angedeutet. Tafelbild von H.Friess, Cugy, 1506.
4. ... durch den lästerlichen Talmud verstockt
Spätestens seit der Talmud 1242 im Zuge des Pariser Inquisitionsverfahrens öffentlich verbrannt worden war, galt als erwiesen, dass er Lästerungen gegen den christlichen Glauben enthalte. In Deutschland provozierte der 1504 zum Christentum konvertierte Jude Johannes Pfefferkorn mit seinen antijüdischen Schriften ein ähnliches Verfahren. Sein nachfolgender Angriff auf das jüdische Schrifttum hatte den Reuchlin-Pfefferkorn-Streit (1510-1521) zur Folge.
In seinen Schriften betonte Pfefferkorn, dass die Juden in ihrem falschen Heilsweg bestärken würden durch den Talmud mit seinen angeblich christenfeindlichen Schmähungen. Er empfahl deshalb der Obrigkeit, ihnen allein das Alte Testament zu belassen; alle übrigen hebräischen Schriften solle man verbrennen. Wenn der Talmud als Ursache für ihren Unglauben erst einmal beseitigt sei, würden die Juden um so leichter zum christlichen Glauben zu bekehren sein.
Abb. 9: Drei Juden, die auf ihre Schrift (Hebräische Bibel / Talmud?) fixiert sind, werden von drei christlichen Gelehrten (links) über die Schrift belehrt. Holzschnitt von J.v. Armssheim aus Der selen wurczgart, Ulm 1483.
5. ... als Bundesgenosse der gottfeindlichen Mächte
Vielfach wurden die Juden auch mit den unberechenbaren Mächten der gottfeindlichen Welt in Verbindung gebracht. Sie galten als besonders hinterlistige Werkzeuge des Teufels und wurden für Unglück, Krankheit und Tod verantwortlich gemacht. Hinter dieser irrationalen Angst vor Dämonen und Zauberei verbarg sich eine ökonomisch und sozial zutiefst verunsicherte spätmittelalterliche Gesellschaft, die in der jüdischen Minderheit einen Sündenbock ausgemacht hatte. In dem nachfolgenden Beispiel betonte J.Pfefferkorn, daß es die durch den Teufel verblendeten Juden darauf abgesehen hätten, einfache Christen in ihrem Glauben irrezumachen und mit sich in die Verdammnis zu ziehen:
»der teuffel leit euch in dem wege der selickeyt mit seynem bose rate vnd verhindert euch, das keyner vor dem anderen die wairheit des gelawbens an sich nemen wil, deßhalb ir in den banden der verdamnis blybet.«. »dann der jüd genatürt wie der tewfel, welcher den menschen tag und nacht / seiner sell [=Seele] zu verletzen nach stelt (...) schiest ein pfeil vor / den andern noch [=hinterher] / last nit ab wie der tewfel, biß er den [Christen] in ein zweifel / oder aberglaubenn gestelt hat.«
Abb. 10: Die durch Häretiker, wilde Dämonen, Heiden (bzw. Muslime) und Juden (v.r.n.l.) bedrohte Festung des Glaubens. Die verbundenen Augen der Juden symbolisieren ihre Blindheit für die Wahrheit des christlichen Glaubens. Holzschnitt aus dem Fortalitium fidei des Alphonsus de Spina, Straßburg ca. 1475.
Abb. 11: Titelbild (oben) mit vergrößertem Ausschnitt (unten) zu J.Pfefferkorn, Speculum adhortationis Iudaice ad Christum, [Köln 1508]. Am linken Bildrand findet eine Beschneidung unter der Obhut einer teuflischen Gestalt statt, rechts greift ein gehbehinderter Jude dem Teufel in die Tasche, aus der Hostien (s. Pfeil) herausfallen (Hinweis auf angebliche jüdische Hostienschändungen).
6. ... als heuchlerischer Konvertit
Zwar war es von jeher erklärtes Ziel christlicher Theologen, Juden zum christlichen Glauben zu bekehren. Doch die Mühe, die auf dieses Ziel verwandt wurde, stand in keinem Verhältnis zu dem tatsächlichen Ergebnis; nur die allerwenigsten Juden waren bereit, sich von ihrem bisherigen sozialen Umfeld isolieren zu lassen und in der christlichen Umwelt mit dem Makel des ›Taufjuden‹ zu leben. Denn vielfach wurden jüdische Konvertiten verdächtigt, nur aus wirtschaftlichen Gründen den Übertritt vollzogen zu haben; insgeheim aber würden sie - wie die spanischen Marranen - weiterhin dem alten Glauben anhängen. Auf diese Weise wurden sie von ihrer christlichen Umwelt indirekt gezwungen, ständig den Nachweis ihrer Rechtgläubigkeit zu führen. Viele taten dies, indem sie mit antijüdischen Streitschriften die Ernsthaftigkeit ihres Übertritts unter Beweis stellten, so z.B. Victor von Carben, Johannes Pfefferkorn und Antonius Margaritha. Besonders drastisch hat Erasmus von Rotterdam das Stereotyp vom heuchlerischen Konvertiten in seinem Urteil über Pfefferkorn zum Ausdruck gebracht. Er bezeichnete diesen als einen
»gänzlich stümperhaften Menschen (...), den man nicht als ›Halbjuden‹ bezeichnen müßte, würde er sich nicht selbst durch seine Taten deutlich als ›150prozentiger Jude‹ zu erkennen geben. Welches andere Werkzeug hätte sich der Teufel, der ewige Feind der christlichen Religion, wünschen sollen, als einen solchen, in einen Lichtengel verwandelten Engel des Satans, der unter dem verlogenen Vorwand, die Religion zu verteidigen, überall (...) die allgemeine Eintracht der christlichen Welt zunichte macht? (...) Ich will gänzlich zugrunde gehen, wenn jener sich mit einer anderen Absicht hat taufen lassen, als mit um so größerem Verderben gegen die Christen vorzugehen und durch seine Einnistung [wörtlich: Beimischung] bei uns die gesamte Christenheit mit seinem jüdischen Gift zu infizieren. Denn was hätte er Schädliches ausrichten können, wenn er Jude, der er war, geblieben wäre? Nachdem er nun aber die Maske eines Christen aufgesetzt hat, verhält er sich erst recht wie ein wahrer Jude; jetzt entspricht er seiner Herkunft. Jene [d.h. die Juden] haben allein Christus verleumdet, er [aber] wütet gegen viele unbescholtene und durch ihren Lebenswandel und ihre Gelehrsamkeit ausgezeichnete Männer. Keinen willkommeneren Dienst konnte er seinen Juden erweisen, als durch einen vorgetäuschten Übertritt das christliche Anliegen den Feinden preiszugeben.«
Abb. 12: Der Teufel versucht, einen taufbereiten Juden mit einem Geldbeutel vom Taufbecken fortzulocken. Das Taufbecken ist als überdimensionaler Abendmahlskelch dargestellt, in den Blut von den fünf Wunden des Gekreuzigten fließt. Titelbild (links) mit vergrößertem Ausschnitt (rechts) zu J.Pfefferkorn, Speculum adhortationis Iudaice ad Christum, [Köln 1508].
7. ... als Hostienschänder
Die geweihte Abendmahlshostie hatte in der Volksfrömmigkeit des Spätmittelalters u. a. durch die Dogmatisierung der Transsubstantiationslehre (1215) eine herausragende Bedeutung erlangt. Die daraus resultierende emotional hochbesetzte Hostienverehrung bildete den Hintergrund der Hostienfrevel-Vorwürfe gegen Juden. Der nachfolgende Ausschnitt aus einer Flugschrift berichtete von einem angeblichen Hostienfrevel in der Ortschaft Knobloch, der 1510 zur Vertreibung aller Juden aus Brandenburg führte:
»Aber Salomon, der jud, hat das hochwirdig Sacrament genomen auf ain eck aines tisch gelegt / darauf auß hässigem, jüdischem, angepornen nedt / mermals gehawen / gestochen / edoch hat er das nicht verwunden mügen / biß so lang das er zu zorn bewegt / und under vil andern ungestümen worten geflucht / und gesprochen: Bistu der Cristen got / so erzad dich in tausendt teüfel namen. Auf der stund hat sich von dem stich / der helig fronlechnam Cristi / wunderbarlich in drej tail (...) getailt. Also / das die örtter [=Stellen] blutfarbig sind gewesen.«
Diese Berichte vom Hostienfrevel setzten absurderweise voraus, dass die Juden an die Transsubstantiation der Hostie glaubten. Die Juden wurden als gehässige Neider des christlichen Glaubens stilisiert, die sich vergeblich an der geweihten Hostie zu schaffen machen. Als unmittelbare Antwort auf den jüdischen Fluch soll sich die Hostie dann auf wundersame Weise dreiteilt und verfärbt haben. Das Eingeständnis solcher wundersamen Geschichten wurde einzelnen Juden zumeist unter Folter abgepresst. Sie erhielten die Funktion, die Überlegenheit der christlichen Religion unter Beweis zu stellen. Außerdem bot eine Anklage wegen Hostienfrevels die Gelegenheit, sich unliebsame jüdische Konkurrenten oder Gläubiger vom Hals zu schaffen bzw. von den Juden Geld zu erpressen. Mancherorts ist auch das Bemühen zu beobachten, den betreffenden Ort durch das Hostienwunder zum lukrativen Wallfahrtsort zu erheben.
Abb. 13: Angeblicher jüdischer Hostienfrevel in Sternberg (1492). Eleazer und zwei weitere Juden vergehen sich an einer geweihten Hostie, die sie einem Priester abgekauft haben sollen. Blut tritt sternförmig aus der Hostie heraus. Links Eleazers Frau, die die geschändeten Hostien dem Priester zurückbringt. Titelbild zu Die geschicht der Jüden tzum Sternberg, Speyer 1494.
Abb. 14: Der wegen Beteiligung am angeblichen Hostienfrevel von Knobloch (1510) eingekerkerte und später vor seiner Hinrichtung zum Christentum konvertierte Jude Jakob von Brandenburg sieht in einer Vision Maria im Kreise mehrerer Jungfrauen. Rechts führen zwei Bewaffnete einen Juden ab. Holzschnitt aus Ditzs ist der warhafftig Sumarius der gerichts hendel unnd proceß der gehalten ist worden uff manchfaldig Indicia, aussag, und bekentnus eines Pawl From gnant, der das hochwirdig Sacrament sambt einer monstrantzien etc. auß der kyrchen zu Knobloch gestolen. (...), Frankfurt a. O. 1511.
8. ... als Unreine
Die jüdische Religion mit ihren spezifischen Riten stieß christlicherseits weitgehend auf Unverständnis und Ablehnung. Besonders die Tatsache, dass Juden sich bedingt durch die Reinheits- und Speisegebote von christlich-heidnischen Gebräuchen abgrenzten, wurde als anmaßend und überheblich empfunden. Ein beliebtes Mittel, um die jüdische Einhaltung der Gebote zu verspotten, war darum, dies als eine heuchlerische Gesetzlichkeit zu disqualifizieren. Auf diese Weise entstand die Behauptung, hinter der vorgeblichen Beachtung der Reinheitsvorschriften verberge sich eine eigentlich jüdische Hinneigung zu Gestank und Dreck. Johannes Pfefferkorn beispielsweise betrachtete die säuberlichen Festvorbereitungen für das Passah-Fest als einen Widerspruch zu der offensichtlichen Unreinheit der Juden:
»Nun sein (als yr gemeinlich secht [=seht]) die hewser der Juden vast [=sehr] stincken und unrein, aber gegen disem vest sein sie ser geflissen, die selben yre hewser in allen gemachen zu reinigen und sawber zu keren.«
In dem berüchtigten Judensau-Motiv hat dieses Vorurteil von der jüdischen Unreinlichheit eine besonders drastische und obszöne Darstellung gefunden. Der Umstand, dass Juden der ›Genuß‹ von Schweinefleisch untersagt ist, wurde hier geradezu ins Gegenteil verkehrt. Den Juden wurde nicht nur eine Vorliebe für schweinische Exkremente unterstellt, es wurde zudem auch eine tierische Abstammung der Juden suggeriert, indem man die Sau zum Muttertier der Juden erklärte.
Abb. 15: Mit Judenhut und pseudohebräischen Lettern kenntlich gemachte Juden scharen sich wie eine Familie um eine Judensau und laben sich an der Muttermilch und den Exkrementen der Sau. Die Sau ist mit der Hauer eines Ebers versehen. Schriftbänder: »umb dz wir nit essen swinin brotten, darumb sind wir gel [=gelb] und stinckt unß der oten [=Atem] | sug liber bruder harß, so bloß ich ir in den arß | des söllen wir nit vergessen: swinenfleisch söllen wir nit essen | wir iuden söllen all ansehen, wie unß mit der su ist geschehen | nun sehen, lieben lüt, wie ich unser mutter trütt [=liebkose]«. Holzschnitt, Süddeutschland ca. 1470.
9. ... als Wucherer und Nutznießer wirtschaftlicher Notlagen
Bedingt durch die wirtschaftlichen Umschichtungen im Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit kam es für breite Bevölkerungsschichten zu einer deutlichen Verschlechterung der allgemeinen Lebensbedingungen. Die schon frühzeitig in den Geldhandel abgedrängten Juden wurden für diese negativen Folgen der wirtschaftlichen Veränderungen verantwortlich gemacht. Vor allem der ohne eigene Handarbeit erwirtschaftete Gewinn aus Geld- und Pfandleihgeschäften (›Wucher‹) ließ die Juden als Verursacher und bequeme Nutznießer wirtschaftlicher Notlagen erscheinen. In einer nachträglichen Rechtfertigung der Judenvertreibung aus Regensburg (1519) wurde dieser Zusammenhang in volkstümlicher Form zum Ausdruck gebracht:
»Das ist der frumm und weyse Rat
Welcher die Juden außgschafft hat
Bewegt durch mort und wuchers gnoß
Dardurch die stat was worden ploß
Bewegt durch pet der gantzen gmayn
Durch klag des gantzen lands ich mayn
Die stat und auch das gantze landt
Müst sunst von Juden leyden schandt (...)
Hunger und not und grossen zwang
Das lid [=litt] der arme handtwercks man
Es was kein handtwerck also schlecht
Dem der Jud nit grossen schaden brecht
So einer ein klayd kauffen wolt
Gar bald er zu dem Juden trolt
Silbergschir, zynn, leynwat, birret [=Barett]
Und was er sunst im haus nit het
Das fandt er bey den Juden zuhandt
Es was inn [=war ihnen] alles gsetzt zu pfandt
Wann was man stal und raubt mit gwalt
Das het alles da sein auffenthalt
Sölch handlung was manchfeltig schad
Die stat in grossen nachteyl bracht (...)
Ein gut das umb funfftzig gulden kam
Das nam der Jüd umb zehen an
Het ers ein wochen oder neün
So zog ers für sein aygen ein
Mentel, hosen und anderlay
Das fandt man bey dem Juden fayl
Der handwercksman kundt nichts verkauffen
Es was alls zu dem Juden lauffen«
Abb. 16: Ein Bauer (mit Ring) und ein Städter versetzen Pfänder bei einem jüdischen Geldverleiher. Der Jude sitzt vor seinem Abakus, im Hintergrund seine Familie. Holzschnitt zu H.Foltz, Ein gar suptil rechnung Ruprecht kolpergers von dem gesuch der iudn, [Nürnberg] 1491. Text: »nach dem von iüdisch listikeyt / yr fursetzt [=Leihen] gar on all arbeyt / mit gantzer faulkeit sich zu nern / wellen ploß von dem rochraub zern [=von dem Raub aus Rachgier zehren]«.
10. ... durch Bestechungsgelder im Vorteil
Eine der wenigen Möglichkeiten, sich vor Willkürmaßnahmen zu schützen, war für Juden der Gang vor eine überregionale Gerichtsinstanz. Denn im Gegensatz zur starken Benachteiligung im außerrechtlichen Bereich gab es hier eine gewisse Rechtssicherheit. Dieser Umstand wurde von dem bereits genannten Johannes Pfefferkorn in seinem ›Judenfeind‹ auf folgende Weise kommentiert:
»Wa Juden wonen, ist zu besorgen [=besteht Grund zur Sorge]. Sie zihen durch yr gut nit allein den gemainen man, sunder auch etlich der gelerten an sich; dieselben dan yr unrecht helffen verduncklen / unnd so ain / Jud leib unnd leben verbürgt hete, So vinden sie lewth, die ynen hilff und beistandt theten wider das gebot der Christlichenn kirchenn / Dann es wirt an etlichen enden unnd steten, wo Judenn wonen, gesehen, dz sie gemainlich ym rechten obligen [=im Rechtsstreit gewinnen] und gar selten der sach verlustig Verden das allain von irem falschen gut herkombt, dz also die cristen von inen enpfahen und helffen in [=ihnen] yr sach ym schein des rechten verduncklen und bedecken, deßhalben wirt manichem frumen Cristen sein recht zuruck gesatzt, umb das sie, die Juden, villeicht mer dann die Christen außzugeben haben. Weiter Raytzen [=reizen] die Juden manichen Cristen menschenn, gelert und ungelert, zu unglauben.«
Pfefferkorn brachte hier die verbreitete Auffassung zum Ausdruck, daß die Gerichtsverfahren, die zugunsten von Juden entschieden wurden, auf jüdische Korruption zurückzuführen seien. Durch solche Bestechungsgelder würden christliche Bürger nicht nur zum Meineid verführt, sondern auch dem ›jüdischen Unglauben‹ anhänglich gemacht.
Abb. 17: Bürger zeigen einen Juden wegen angeblicher Marienschändung beim Grafen an. Holzschnitt aus: T.Murner, Enderung unn schmach der bildung Marie, Straßburg 1515, 13r. Beigefügter Text: »Der graf sprach wider, lieber frindt, dyn wort myr worlich grusam sindt; dorinn ich nüt verstandt noch findt, das ich den iuden dorumb fohe [=festnehmen lasse] und so ylendts mit ym gohe [=verfahre], Das ich in [=ihn] pynlich fraget mere; wenn vor uff in ein arg won were. Doch miest er denocht nit syn schlecht, ich muß in blyben lon by recht, Wie wol er ist ein iud geboren, [den-] noch muß im recht nit syn verloren, Ich muß im recht gedyen lon. hett er das nun nit gethon, so wurdt es uber dir uß gon.« (a.a.O., 14r).
11. ... als Arzt mit seinen verführerischen Künsten
In der negativen Typisierung des zeitgenössischen Judentums hatten die jüdischen Ärzte einen Sonderstatus. Sie waren bei den Patienten aus allen Bevölkerungsschichten gleichermaßen angesehen und blieben zum Teil sogar von Vertreibungsaktionen verschont bzw. wurden nach erfolgter Ausweisung rasch wieder zugelassen. Der Grund für dieses hohe Ansehen ist darin zu suchen, dass sie im Vergleich mit ihren christlichen Konkurrenten in der Regel besser ausgebildet waren, weniger Honorar verlangten und aufgrund des großen persönlichen Risikos bei ›Kunstfehlern‹ sich zu besonderer Sorgfalt verpflichtet fühlten. Außerdem hatten die Künste der jüdischen Ärzte aufgrund ihrer religiösen und kulturellen Fremdartigkeit etwas Geheimnisvolles, das die Krankenheilung u. U. begünstigen konnte und auch bei diversen Wahrsagediensten seine Wirkung nicht verfehlte. Aber gerade deshalb war die Tätigkeit jüdischer Ärzte auch massiver Kritik ausgesetzt. Besonders christliche Mediziner und Theologen warfen ihnen vor, mit ihren verführerischen Künsten gutgläubige Patienten auszunutzen. Der 1472 zum Christentum konvertierte Rabbiner Victor von Carben formulierte 1509 in seinem Hauptwerk diese Kritik folgendermaßen:
»So nun die torechten Christen mit kranckheit beladen werden / so ist jrs beduncken kein artzet bei den Christen, der jhnen helffen mög / lauffen zu den Teüffel Beltzebub under den Juden / (...) Unnd haben mehr vertrawens zu den selben / dann zu Gott (...). Der Gott auch nit wol vertrawet / setzt all seine hoffnung in die hend der artzet. Sprechen sye / ich acht nit, zu wem ich lauff / nur das mir geholffen würdt / thun gleich als ob die Juden allein / unnd sunst nyemandt anders die krancken zu erledigen gewalt hetten. O die selben Christen erkennen nit was sye thun / wissen auch nit, das die Juden den Christen nit allein nach irem gut / sunder auch nach iren leben tag unnd nacht in fleissiger nachstellung seind«.
Abb. 18: Der kranke kappadokische Bischof Basilius von Cäsarea (ca. 330-378) holt sich Rat bei dem jüdischen Arzt Ephraim. Holzschnitt aus Hans Schobsser, Plenarium, Augsburg 1487.
Nicht alle diese Stereotype haben zu Beginn des 16. Jahrhunderts im öffentlichen Bewusstsein gleichermaßen das Bild vom Juden geprägt. Lokale Besonderheiten und persönliche Erfahrungen ließen die genannten Vorurteile mal mehr, mal weniger deutlich ausfallen. Wie z. B. das Image des Judenarztes zeigt, waren intensive Kontakte und positive Erfahrungen mit Juden durchaus fähig, die diskriminierende Wirkung des Vorurteils zumindest partiell außer Kraft zu setzen. Gleiches galt für Christen, die bei Juden Hebräisch lernten und von der außerordentlich hohen Gelehrsamkeit ihrer Lehrer beeindruckt waren. Doch solche Beispiele blieben die Ausnahme. Selbst Reuchlins Lob auf seinen jüdischen Lehrer Jakob Jehiel Loans zeigt, wie sehr Reuchlin die außerordentliche Gelehrsamkeit von Loans in einem Gegensatz zu dessen jüdischer Abstammung gesehen hat:
»[Und dieser] Mann, gute Götter, ist ein Jude, von Juden geboren, ernährt, aufgezogen und ausgebildet, ein Volk, das überall auf der Welt als barbarisch, abergläubisch, verachtenswert, verworfen und dem Glanze jeglicher Wissenschaft abgeneigt gilt.«
Im Wesentlichen blieb die jüdische Realität von der skizzierten negativen Sichtweise der christlichen Umwelt bestimmt. Im Wechselspiel mit der sozialen und ökonomischen Isolierung hatte dies zur Folge, dass für Juden jederzeit die Gefahr bestand, zu verarmen oder plötzlichen Angriffen durch die christliche Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt zu sein. Dies bedeutete nicht selten Folter und Hinrichtung. Auch solche Realitäten haben in der Ikonographie des frühen 16. Jahrhunderts ihren Niederschlag gefunden:
Abb. 19: Jüdischer Bettler mit Krücken. Titelbild zu Johannes Pfefferkorn, Zu lob und Ere des aller durchleichtigisten und großmechtigisten Fürsten, Augsburg 1510.
Abb. 20: Folter und Hinrichtung eines Juden auf einem Judenfriedhof. Titelbild zu Ulrich von Hutten, Die geschicht und bekentnuß des getaufften Juden zu Halle / sant Moritzen burgh auff dem Jüden kirchhoff mit glüenden zangen gerissen / darnach gepraten, Nürnberg 1514.
Abb. 21: Im Beisein des Grafen wird versucht, einem gefesselten Juden ein Geständnis abzupressen. Verschiedene Gewichte stehen für die Folter bereit. Holzschnitt aus T.Murner, Enderung unn schmach der bildung Marie, Straßburg 1515, 17r. Bildüberschrift: »Wie der Grave den juden wyter peinlich [d.h. unter Folter] ließ fragen / und der jud sich eins kampffs erbodt [zum Gotteskampf bereit erklärte]«.
* Die Nachweise der Quellen finden sich in A.Detmers, Reformation und Judentum. Israel-Lehren und Einstellungen zum Judentum von Luther bis zum frühen Calvin, Stuttgart 2001, bes. 42-62.
Achim Detmers