Apostel, Astronauten und die Frau im Mond

Predigt anlässlich 50 Jahre Mondlandung


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Predigt über Matthäus 9,35-10,10 und Offb 12,1 zum 4. Sonntag nach Trinitatis und 50. Jahrestag der Mondlandung am 21. Juli 2019, von Pfr. Dr. Jürgen Kaiser, Berlin

„That’s one small step for ‹a› man, one giant leap for mankind!” – „Dies ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein großer Sprung für die Menschheit“. Kein Wort steht mehr für das, was heute vor 50 Jahren geschah, als dieses. Ein Mann macht einen kleinen Schritt von der Leiter seines Raumschiffs und setzt seinen Fuß auf den Mond. Das Wort, das sich Neil Armstrong für diesen Moment zurechtgelegt hatte, wurde die Legende des Ereignisses. So sollten die Bilder, die vom Mond kamen und auf der ganzen Welt gleichzeitig gesehen wurden, verstanden werden: als großen Menschheitssprung.

Ob es das wirklich war? Zumindest war das Ereignis insofern historisch, als es das erste war, das gleichzeitig auf der ganzen Welt live mitverfolgt wurde. Seither werden historische Ereignisse als live-Erlebnis registriert: Warst du bei der Mondlandung dabei, warst du beim Fall der Mauer dabei, warst du bei „nine eleven“ dabei? Gemeint ist natürlich vor dem Bildschirm dabei.

Von einem großen Schritt für die Menschheit sprach Armstrong. Die Legende aber passt nicht ganz zu den gelieferten Bildern. Denn nachdem Armstrong seinen Schritt getan und seinen Satz gesagt hatte, hatte er nichts Eiligeres zu tun, als die amerikanische Flagge in den Mondstaub zu stecken. Ein weißer Amerikaner beanspruchte, die Menschheit zu repräsentieren.

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Vor fast 2000 Jahren hat einer ein anderes Bild in die Welt gesetzt, das Bild einer Frau, die den Mond zu Füßen hat. Das Bild ist Teil eines literarischen Textes, der eine Art Fantasy Literatur darstellte, was damals so „in“ war, wie heute die Sciencefiction-Literatur, aber im Gegensatz zu ihr weniger wissenschaftlich technisch und mehr religiös inspiriert war. Man nennt das heute Apokalyptik, Texte, die mit religiösen und biblischen Motiven frei umgehen und sie zu atemberaubenden Bilden komponieren.

Die beiden Verse aus der Johannesapokalypse, dem letzten Buch der Bibel, mit der Frau auf dem Mond lauten:

Und es erschien ein großes Zeichen im Himmel: eine Frau, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen. Und sie war schwanger und schrie in Kindsnöten und hatte große Qual bei der Geburt. (Offb 12,1-2)

Damals verbreiteten sich die Bilder nicht in Lichtgeschwindigkeit um die Welt, sondern in Jahrhunderten. Man hatte viel Zeit, sich zu überlegen, wer die Frau sein könnte, man hatte viel Zeit, sich die Bildlegenden zusammenzureimen.

In der Frau, mit der Sonne bekleidet, die den Mond zu Füßen hat und zwölf Sterne ums Haupt, erkannte die Kirche zunächst sich selber: ecclesia, die Kirche, die Braut Christi, der die Sonne ist. Die Kirche ist mit Christus, der Sonne, bekleidet und bekrönt mit den 12 Aposteln, die ihrerseits die 12 Stämme, also ganz Israel repräsentieren sollten.

Nach etwa tausend Jahren änderte sich die Legende: Nun sollte in der Frau Maria erkannt werden. So wurde die Frau auf dem Mond im Spätmittalter ein gängiges Motiv: Maria auf der Mondsichel. In der Fassung von Albrecht Dürer, das Titelblatt seines Marienzyklus, haben Sie es vor Augen.

Der Mond ist Maria zu Füßen, wie eine Barke, bei Dürer sogar wie eine Wiege oder Schaukel. Die Sichel legt sich auf den Rücken, so wie man das nur bei einer Mondfinsternis sieht, wie es letzten Dienstag zu sehen war.

Die Mondsichelmadonna macht Maria zur Himmelskönigin. Alle Ausstattungselemente unseres Himmels dienen ihr zum Schmuck: Der Strahlenkranz der Sonne zur Aura, der Mond als Schemel und die Sterne als Diadem.

Das Motiv der Mondsichelmadonna hat sich dem kulturellen Gedächtnis eingeprägt. Als Schinkel 1816 ein Bühnenbild für die Zauberflöte entwarf, setzte er die Königin der Nacht auf eine schmale, auf dem Rücken liegende Mondsichel. Nur war die Königin der Nacht viel statischer als Maria. Und aus der Krone mit 12 Sternen wurde ein riesiges Himmelsgewölbe mit vielen Sternen in Reih und Glied.

Sonne, Mond und Sterne – ein Schmuck der Menschen, nicht mehr. Der Mond, den die Madonna zu Füßen hat, ist immer klein, kleiner noch wie eine echte Barke, eher wie eine kleine Wippe für Jugendliche.

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Doch dann wurde der Mond groß und immer größer, voll und immer voller und der Mensch kleiner und immer kleiner. Unser Bild vom Mond und vom Menschen hat sich dramatisch gewandelt: von der kleinen Sichel zu Füßen der großen Frau zum kleinen Fußabdruck Buzz Aldrins auf einer fast unendlichen Mondoberfläche.

Und noch etwas änderte sich dramatisch: Die zwölf, die für die Menschheit stehen. Die Frau im Himmel ist bekrönt mit 12 Sternen, die 12 Apostel für die Kirche, die 12 Stämme für Israel. Stehen die 12 Sterne immer noch für die 12 Apostel oder stehen sie für die 12 Astronauten, die bisher auf dem Mond waren.

Dies sind die Namen der zwölf Apostel: zuerst Simon, der Petrus heißt, und Andreas, sein Bruder, und Jakobus, der Sohn des Zebedäus, und Johannes, sein Bruder, Philippus und Bartolomäus, Thomas und Matthäus, der Zöllner, Jakobus, der Sohn des Alfäus, und Thaddäus, Simon Kananäus, und Judas Iskariot, der ihn dann auslieferte. (Mt 10,2-4)

Und dies sind die Namen der zwölf Astronauten: zuerst Neil Armstrong und Buzz Aldrin, sein Mitfahrer, der Trinker wurde und Schwerenöter, und Charles Conrad und Alan Bean, der danach kitschige Mondbilder malte, und Edgar Mitchell, der Esoteriker wurde und an Ufos und Außerirdische glaubte, und Alan Shepard, David Scott und James Irwin, der durch Gods own Country zog und predigte und dann in der Türkei die Arche Noahs suchte, und John Young und Charles Duke, der sich zu Jesus Christus bekehrte und damit seine Ehe rettete, Eugene Cernan und Harrison Schmitt, der dann Senator wurde und den Klimawandel leugnet.

Zwölf Apostel, die durch Israel zogen und verkündigten: Nahe gekommen ist das Himmelreich. Und Kranke gesundmachten, Tote auferweckten, Aussätzige reinmachten und Dämonen austrieben. (Mt 10,7f)

Zwölf Astronauten, die den Himmel bereisten und durch den Mond zogen und keine Kranken heilten und keine Toten auferweckten, aber lebend zurückkehrten, die auf dem Mond kleine Schritte machten, dann größere, dann Menschheitsschritte und schließlich Luftsprünge, die eigentlich Vakuumsprünge waren, die Steine sammelten und dann sogar ein Auto mitbrachten, ein Elektroauto – emissionsfrei über den Mond – und damit ihre Missionen machten.

Zwölf Männer auf dem Mond. Aber keine Frau.

Sie kehrten alle wieder zurück. Heimatliche Gefühle und ein Zuhause fanden sie auf dem Mond nicht. Sie waren alle stolz, zu den zwölf Auserwählten zu gehören, aber auf die Idee, zurück zu fliegen, sich auf dem Mond ein Fleckchen zu suchen, ein Haus zu bauen und eine Frau zu nehmen, kam keiner. Sie waren auf ihren Mondausflügen ja auch keiner Frau begegnet.

Der Mond ist nicht die Erde. Das hätte man vorher wissen können! Wirklich? Vielleicht mussten wir Menschen erst auf dem Mond gewesen sein, um zu erkennen, wie schön die Erde ist. Man musste sie erst einmal von weit weg gesehen haben. Das war schon immer so: Je weiter weg du bist, desto schöner wird die Heimat.

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James Irwin, der im Juli 1971 fast drei Tage auf dem Mond war und der dann evangelikaler Prediger wurde, sagte: „Es ist wichtiger, dass Jesus Christus seinen Fuß auf die Erde setzte als dass der Mensch den Seinen auf den Mond“(1). Da wurde doch noch aus einem Astronaut ein Apostel.

Die 12 Astronauten setzten ihren Fußabdruck auf den Mond und kamen wieder. Ich will nicht auf den Mond. Ich will hier bleiben auf unserer schönen Erde. Und damit sie schön bleibt, will ich meinen Fußabdruck klein halten, will bleiben, wo ich bin, denn da ist es schön. Und wenn ich Lust zu Abenteuern habe, dann suche ich sie in Büchern. In der Fantasy kann ich zum Mond reisen und in meinem Garten bleiben. Kann die Frau im Mond finden, ohne dass mich die Sonne sticht. Oder ich sehe mir den letzten deutschen Stummfilm von 1929 an. Der ist von Fritz Lang und heißt: Die Frau im Mond.

2024 will die NASA wieder einen bemannten Mondflug unternehmen. Aber dieses Mal soll er nicht allein bemannt, er soll auch befraut sein. Die erste Frau auf dem Mond soll eine Amerikanerin sein. Man könnte es aber auch lassen. Denn ein großer Schritt für die Menschheit wird es nun dadurch auch nicht mehr. Amen.

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1 Gerhard Lenz, Aus dem Dunkel des Mondes, in: Der Mond. Wie er unser Leben bestimmt, Thema 3/2018, S. 45.


Jürgen Kaiser