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Balance zwischen Respekt und Ungehorsam
Themenjahr 2014 der Lutherdekade „Reformation und Politik“
Die Predigt im Festgottesdienst wurde von Margot Käßmann, Botschafterin des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für das Reformationsjubiläum 2017, und Oberkirchenrätin Susanne Breit-Keßler, der ständigen Vertreterin des bayerischen Landesbischofs und zuständigen Regionalbischöfin von München und Oberbayern, gemeinsam gehalten. Die Festrede im Augsburger Rathaus hielt der Vorsitzende der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD und ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier. Zu den Gästen zählten auch der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer und der Bevollmächtigte des Rates der EKD bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Martin Dutzmann.
In ihrer Dialogpredigt setzten sich die beiden Predigerinnen mit einer berühmten Passage aus dem 13. Kapitel des Römerbriefes auseinander ("Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat" - Verse 1-7). In diesem Zusammenhang erinnerte Margot Käßmann kritisch an Martin Luther, der stets auf der Unterscheidung zwischen weltlichem und geistlichem Regiment beharrt hatte. Diese Haltung habe die Kirche manches Mal dazu verführt "unkritisch zu bleiben angesichts ungerechter Verhältnisse." Und wenn Paulus schreibe, so die EKD-Botschafterin, "Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes", könne dies auch auf "Irrwege" führen. Die "Balance zwischen notwendigem Respekt vor der Obrigkeit und notwendigem Ungehorsam", so Käßmann, bleibe eine "Herausforderung auch heute."
Susanne Breit-Keßler sagte: "In blindem Gehorsam mitzumachen ist das eine. Kein Interesse mehr an Politik haben, unkritisch und fast noch schlimmer - apathisch, gleichgültig werden - das andere." Beides könne passieren, wenn man Obrigkeit "unhinterfragt" stehen lasse. Die Regionalbischöfin nannte als Beispiel für nötigen Widerstand die Not der Flüchtlinge im Süden Europas: "Wir sollten verlangen, dass auch deutsche Schiffe zur Seenothilfe in den Süden geschickt werden - die Marine ist bestens geeignet für so einen humanitären Einsatz. Wir sollten darauf bestehen, dass Fischer und zivile Kapitäne, die Menschen aus den Fluten retten, für ihre Hilfe nicht bürokratische Probleme, sondern Orden kriegen. Wir sollten die Flüchtlinge nicht bequem auf andere Länder verweisen, sondern sie selber in unserem Land aufnehmen - und zugleich vehement für bessere Lebensbedingungen in ihren Heimatländern einstehen."
In seinem Vortrag "Protestantismus - Demokratie - Sozialer Rechtsstaat" entfaltete Hans-Jürgen Papier das Zusammenwirken von Kirche und Politik. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes und Vorsitzende der Kammer der EKD für Öffentliche Verantwortung würdigte die so genannte Demokratiedenkschrift der EKD von 1985 ("Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe"). Sie sei "Meilenstein und Eckpunkt" einer "langwierigen und durchaus nicht geradlinigen Entwicklung des deutschen Protestantismus, mit dem die volle Identifikation der evangelischen Kirche mit dem freiheitlichen Staat des Grundgesetzes (…) unzweifelhaft vollzogen wurde."
In seinem Blick auf die friedliche Revolution in der DDR 1989 würdigte der EKD-Kammervorsitzende, dass aus den evangelischen Kirchen heraus eine "demokratische Partizipationskultur" initiiert worden sei, die entscheidend zum Gelingen der friedlichen Revolution beigetragen habe. Papier: "Die Menschen in Leipzig und anderswo in der DDR haben die Freiheit dadurch gewonnen, dass sie sich auf sie eingelassen haben, dass sie von ihr Gebrauch gemacht haben. Die Überwindung der Teilnahmslosigkeit und die Überwindung der Angst sind und bleiben (…) Urtugenden einer demokratischen Gesellschaft. Die evangelische Kirche, so Papier weiter im Hinblick auf die friedliche Revolution von 1989, "war damals dankenswerterweise und anerkennenswerterweise willens und in der Lage, die christlichen Wurzeln dieser Werte nicht nur zu erkennen, sondern sie auch offenzulegen und effizient zum Tragen zu bringen."
Desweiteren ging Papier auf die sozialstaatliche Perspektive der Reformation ein. Der EKD-Kammervorsitzende erwähnte den doppelten Sozialauftrag, den die christlichen Kirchen in Kooperation mit dem Staat des Grundgesetzes zu erfüllen hätten. Er bestünde "einerseits darin, vom Staat immer wieder dessen sozialstaatliche Verantwortung einzufordern, andererseits aber selbst der eigenen sozialen Verantwortung, in Kooperation mit dem Staat und seinen Einrichtungen, effizient nachzukommen." Dies setze, so Papier "kirchliche Handlungsfähigkeit, auch finanzielle" voraus, denn: "Eine mittellose Kirche kann im Hinblick auf den eigenen Sozialauftrag wenig ausrichten (…)."
Abschließend wandte sich der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes entschieden gegen Bestrebungen, das Verhältnis von Staat und Kirche im Sinne einer strikteren Neutralität des Staates neu auszutarieren: "Ich halte dies für einen Irrweg. Der deutsche Säkularstaat hat ein berechtigtes Interesse an der religiösen Vielfalt seines Volkes, da andernfalls auch die Gefahr totalitärer Strömungen verstärkt wird. Religionsgemeinschaften sollen daher nach der Konzeption des Grundgesetzes im Gemeinwesen wirken, sich entfalten können, sich rechtfertigen müssen, und sie sollen bei der Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Aufgaben auch vom Staat gefördert werden." Papier sagte abschließend: "Vor diesem Hintergrund scheint mir die Einbindung der Religionsgemeinschaften in unser Gemeinwesen zunehmend an Bedeutung zu gewinnen, wohingegen eine Verbannung alles Religiösen aus dem öffentlichen Raum eher den Charakter einer Konfliktverdrängungsstrategie hätte."
Hannover, 31. Oktober 2013
Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick
Festrede anlässlich der Eröffnung des Themenjahres 2014 "Reformation und Politik" (108,35 kB)
Prof. Dr. Dr. h. c. Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts a.D.
Titel: Protestantismus – Demokratie – sozialer Rechtsstaat
Dialogpredigt Susanne Breit-Keßler und Margot Käßmann
Eröffnung des Themenjahres 2014: "Reformation und Politik"