Berufen, Gott zu dienen unter den Ärmsten

Skizzen von Sylvia Bukowski aus Baguio, Philippinen (IV)

Von den Studentinnen und Studenten am Ecumenical Theological Seminary erzählt Sylvia Bukowski.

 

Aus der Tiefe
des Kellers,
wo die Schlafsäle der Männer sind,
weckt mich morgens um 5
ein himmlischer Sopran
mit O sole mio.
So früh schon das laute Radio?
Aber seit wann spielen sie da
italinienische Arien?
Oder haben etwa die frommen Studenten
eine Frau bei sich eingeschmuggelt,
die das Geheimnis nun singend verrät?
Zwei Stunden später
treffe ich Kim,
in einem kanariengelben T-Shirt,
klein, rundlich, fast noch ein Kind.
Er flattert durch die Flure,
Gott in den höchsten Tönen lobend.
Dazwischen lacht er
über den Spott seiner Kommilitonen.
Im Unterricht spricht er in sonorem Bass
und strahlt,
als er von seinem
Straßenkinderchor berichtet.
Ob er auch sie das Fliegen lehrt
auf ihren Stimmen?

 

Hernando fehlt manches:
eine behütete Kindheit,
eine stattliche Figur,
und etliche Zähne.
Aber nicht das Lachen,
und nicht die Gewissheit,
berufen zu sein
seinem Gott zu dienen
unter den Ärmsten.
Und reich ist Hernando
an Verstand, an Weisheit und an Güte.
Ich kann mir vorstellen,
wie Menschen durch ihn
ihre Würde entdecken,
und ihre Aufgabe in Gottes Plan,
obwohl auch ihnen
so Vieles fehlt.

 

Sie sagen,
es sei das erste Mal,
dass sie Klagen aufschreiben
zu einem Psalm.
Aber die alte Frage,
auf die sie dort stoßen,
wird nun die ihre,
in vielen Stimmlagen wiederholt:
how long, Lord,
how long,
how long
must we suffer.
Der Schmerz,
oft betäubt
mit lautstarkem, formelhalhaftem Lob
bricht auf in Tränen,
die uns untereinander verbinden
und findet seinen Ort
in Gottes
heilender Verheißung.


Zum ersten Mal
Stille
am frühen Morgen,
erfüllt nur von dem Rauschen des Meeres
und dem Krähwettbewerb
der Hähne.
Zum ersten Mal
klare Luft
mit einer leichten Brise,
die den Duft der Blüten
zu mir trägt.
Zum ersten Mal
ist der Müll fast verborgen
in hohem Gras.
Zum ersten Mal
nur die Schönheit dieses Landes.

(am chinesischen Meer, während des Besuchs in der Gemeinde eines Studenten)

 

Danke, Onkel,
hat Joannas Sohn gesagt
als ein Motorradfahrer
mit vermummtem Gesicht
"the Bullet" brachte,
die Kugel,
bestimmt für die Mutter,
um sie endlich einzuschüchtern.
Joanna, die Pfarrfrau,
leitet die Schweinezucht
in San Juan.
Sie deckt Korruption und Misswirtschaft auf
und fügt sich nicht ein
in "das System".
Seit Monaten hat sie kein Gehalt mehr bekommen,
nur Naturalien von ihrer Gemeinde.
Warum sie trotz allem weitermacht?
nicht fortgeht,
um an einer Hochschule zu lehren
in sicheren Verhältnissen?
Weil sonst die Familien
ihrer Arbeiter
hungern müssten,
und weil sie Gott
so viel Dankbarkeit schuldet.
Die heilige Johanna von San Juan! 

(San Juan ist ein kleiner Küstenort in La Union)

 

Aus der Hitze der Küste
schraubt sich der Bus
langsam die Straße hinauf.
Liebliche Landschaften
weichen einer bizarren Bergwelt,
mit tropischen Wäldern,
bis dichte Wolken
jeden Blick nehmen.
Fast drei Stunden
dauert die Strecke
von  60 Kilometern.
Dann erreichen wir Baguio,
die kaäteste Stadt der Philippinen.
Ich werde wieder frieren,
aber so viele Begegnungen
haben mir hier das Herz gewärmt.
Es fühlt sich ein wenig an
wie Heimkommen.

 

Mit "Morning, reverend"
begrüßt mich Benjee an jedem Morgen.
Er ist der Fahrer des Seminars
und lebt in einem kleinen Verschlag
im offenen Rohbau.
Seine Frau ist Pastorin in Manila.
Höchstens einmal im Monat
können sie sich sehen.
"Not nice" sagt Benjee,
aber keine Seltenheit.
Und liebevoll präsentiert er mir
sein neues Baby,
einen winzigen braunen Hund von der Straße,
der Familie braucht.

 

Hommage an die Jeepneys

Es gibt sie nur in den Philippinen:
zu Kleinbussen umgebaute Jeeps.
Laut sind sie alle,
und mit ihren schwarzen Abgaswolken
nehmen mir viele von ihnen den Atem.
Aber atemberaubend ist auch ihre Gestaltung:
Kein Jeepney sieht aus wie das andere.
In grellbunten Farben
erzählt ihre Karosserie
Geschichten und Träume.
Ich sehe romantische Bilder
von Liebespaaren
in unberührter Natur,
Symbole glückverheißender Städte
wie die Tower Bridge und die Freiheitsstatue.
Andere sind bemalt
mit schwarzen Panthern und Riesenaffen,
mit Schweinewettrennen und Gartenzwergen(!),
mit Spiderman und Marilyn Monroe.
Fast nie fehlt ein großer Mercedesstern
auf der Kühlerhaube.
Über zerkrazten Windschutzscheiben
große Schilder
mit frommen Parolen:
Jesus is Lord!
Kind of the Kings!
Besonders tröstlich
bei den rasanten Fahrten
in einem höllischen Verkehr:
In God we trust!
Oder: Amazing Grace!
Jeepneys halten,
wo immer man sie ruft,
und nehmen neue Fahrgäste auf,
bis sich die letzten am Trittbrett festhalten.
So lerne ich auf ganz neue Weise,
nahe bei den Menschen zu sein
(und Gott zu vertrauen).

Sylvia Bukowski, Pfarrerin und Autorin bei reformiert-info, ist für zwei Monate auf den Philippinen. In Baguio unterrichtet sie Homiletik und Liturgie am Ecumenical Theological Seminary. Ihre Tätigkeit dort wurde vermittelt von der Vereinigten Evangelischen Mission (VEM): www.vemission.org.


Sylvia Bukowski, Pfarrerin, Ende Januar, Anfang Februar 2012
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