Bist du die Haupt-Darstellerin deines Lebens?

Notat to go. Von Barbara Schenck Meine Freundin Anke nippt am kalten Tee, entspannt wirkt sie nicht gerade. Ihre Tochter tillt am Frühstückstisch aus, denn die Erdbeermarmelade ist nicht in der richtigen Richtung aufs Brötchen geschmiert.

Der Kollege kriegt seine Arbeit nicht geregelt, ist aber konsequent beratungsresistent und unkündbar verbeamtet. Das neue Auto hat eine Macke, es schaltet sich während der Fahrt einfach von selbst aus - auch auf der Autobahn. Geschafft vom Alltag hat Anke sogar schon angefangen Psychoratgeber zu lesen. Da steht sie, die Frage: »Bist du die Hauptdarstellerin in deinem eigenen Leben?« Wir müssen beide lachen. Wie sollten wir? Wer ist das schon mit Kindern unter 18. Und überhaupt: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das mein Ideal ist. Autonomie oder Bindung, das ist hier die Frage. Genauer: Wie viel Selbstbestimmung, wie viel gemeinschaftliches Leben? Muss ich die Hauptdarstellerin auf der Bühne meines Lebens sein? »Nein«, zumindest »nicht stets«. Die Antwort fällt mir leicht. Beim Nachdenken kommt die Irritation: Autonomie sei einer »der letzten universellen Werte in Zeiten des allgemeinen Relativismus«, heißt es, und: Autonomie habe als einzige der »revolutionären Pathosformeln« der 68er überlebt, anders als »antiautoritäre Erziehung« oder »herrschaftsfreier Diskurs«*.
Autonomie gehört auch zu Adornos Diktum der Erziehung zur Mündigkeit nach Auschwitz: »Die einzig wahrhafte Kraft gegen das Prinzip von Auschwitz wäre Autonomie (...): die Kraft zur Reflexion, zur Selbstbestimmung, zum Nicht-Mitmachen.« Das kann ich unterschreiben. Woher nur diese Leichtfüßigkeit, im Alltag meine Selbstbestimmung zu relativieren? Hängt das vielleicht mit dem Theologin-Sein zusammen? Macht das Vertrauen auf einen Gott, der höher ist als all' unsere Vernunft, dass ich die eigene Ohnmacht akzeptiere? Das Leben unter der Sonne ist halt eitel, gefangen in banalen Notwendigkeiten wie Essen bereiten und Geld verdienen in einer Arbeitswelt mit ihren eigenen Trägheitsgesetzen, die Torheit auf Granit zu beißen eingeschlossen. Aber, was soll's? Da ist ja ein Gott, der uns so liebt, wie wir sind.
Höchste Zeit, mich auf die andere Seite des Glaubens zu besinnen: Ich bin getauft. Der alte Mensch der menschlichen Möglichkeiten ist mit Christus gekreuzigt, der neue zur Freiheit gerufen. Über der Bedrängnis im Alltag steht die Kraft der Auferstehung; verheißen ist ein neuer Himmel und eine neue Erde. Das klingt recht abgehoben? Im Psycho-Ratgeber hieße es vielleicht so: Okay, Hauptdarstellerin, das muss nicht sein, Nebenrollenheldin ist auch super, nur eins nicht: Zuschauerin sein im eigenen Leben.

*So Christopher Schmidt in seinem Artikel »Autonomie. Bestimmt selbst!«, Hohe Luft, Januar 2014

Barbara Schenck, 29. Januar 2014