Buße: Sünde hassen, Gerechtigkeit lieben

Notat to go von Barbara Schenck

Heute ist Buß- und Bettag. Der Feiertag drängt mir sein Thema auf, so wird aus der Kolumne eine Andacht.

Glaube und Buße, aus diesen beiden Stücken bestehe das Evangelium, sagt Johannes Calvin. Im Genfer Katechismus steht's kurz und Bündig: Buße ist "Missfallen und Hassen der Sünde und Liebe zur Gerechtigkeit". Hasst die Sünde! Das ist ein klarer Bußruf. Verachtet Hochmut, Trägheit, Lüge! Und liebt die Gerechtigkeit!

Beim Blättern in der tagesaktuellen Presse bleibe ich im Briefwechsel zwischen dem Philosophen Slavoj Žižek und der Künstlerin Nadja Tolokonnikova hängen. Tolokonnikova schreibt aus einem Arbeitslager in Russland. Als Mitglied der Punk Band Pussy Riot wurde sie nach dem Auftritt in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale verhaftet und zu zwei Jahren Arbeitslager verurteilt. Mit ihrer Kunst will Tolonnikova den "Betrug des Kapitalismus" aufdecken, seine Kehrseite von Ausbeutung und Verletzung der Menschenrechte in Ländern wie China und Russland. Die studierte Philosophin zitiert beim Nachdenken über ihre Weise, den herrschenden Kapitalismus zu bekämpfen, den Philosophen Nikolai Berdjajew. Der hielt das Christentum selbst "für einen Aufstand gegen die Welt und ihre Gesetze". Die heiligen Narren verehrt Tolonnikova und ist überzeugt: Im Leben derer, die an den "Triumph der Wahrheit über die Lüge und an gegenseitige Hilfe glauben", geschehe "im notwendigen Moment ein Wunder".
Der Hass gegen die Sünde nimmt da seinen Ausgang: im Glauben an den Triumph der Wahrheit.
Für die Aktivistin, die unter unwürdigen Bedingungen inhaftiert ist, schreibt der Philosoph Slavoj Žižek : "Wahres Heldentum" liege in "scheinbaren Kleinigkeiten", darin "wie man in irrsinnigen Zeiten sein Leben organisiert und durchsteht, ohne sich die Würde nehmen zu lassen."
Zurück zu meinem bescheidenen Alltag. Da reduziert sich die Liebe zur Gerechtigkeit ganz schnell auf den Kauf fair gehandelter Waren. Erbärmlich scheint mir das. Für mich schrieb Johannes Calvin: Die Gnade Gottes mache, dass er sich "mit Unwürdigen versöhnt".

Der im Arbeitslager Internierten zitiert der Philosoph Slavoj Žižek ein altes Sprichwort: Das Glück ist mit den Tapferen.
Uns ruft der Reformator Huldreich Zwingli zu: Tut um Gottes Willen etwas Tapferes!

Quellen:

Nadja Tolokonnikova und Slavoj Žižek im Briefwechsel, journalistisch umgesetzt von Michel Eltchaninoff, aus dem Russischen übersetzt von Brian Poole, aus dem Englischen von Michael Ebmeyer, in: philosophie Magazin Nr. 1 / 2014, 16-24.

Johannes Calvin zu Mt 3,2 in seiner Evangelium-Harmonie von 1555 und im Genfer Katechismus von 1545.

 


Barbara Schenck, 20. November 2013