Wichtige Marksteine
Reformierte im Spiegel der Zeit
Geschichte des Reformierten Bunds
Geschichte der Gemeinden
Geschichte der Regionen
Geschichte der Kirchen
Biografien A bis Z
(1528–1572)
Jeanne d´Albret (1528–1572) war die bedeutendste Frau in der Geschichte der Hugenotten im 16. Jahrhundert. Besonders in ihrem Witwenstand, in den letzten zehn Jahren ihres Lebens, baute sie eine reformierte Kirche in Béarn auf und war das politische Oberhaupt der Hugenotten im dritten Religionskrieg (1568–1570). Nach 1570 versuchte sie, die Reformierten zu schützen und ihnen einen gesicherten Platz in der Gesellschaft zu verschaffen. Sie handelte für die Hugenotten den Friedensschluss von St. Germain 1570 aus, und durch die Heirat ihres Sohnes Heinrich (später Heinrich IV. von Frankreich) mit Margarete von Valois, Schwester des Königs Karl IX. von Frankreich, strebte sie eine enge Verbindung von Hugenotten und Katholiken an.
Keine andere Frau hatte eine solche Machtposition unter den Hugenotten in Frankreich inne. Sie war respektiert und gefürchtet in Rom und Madrid, alliiert mit Elizabeth von England und befreundet mit Katharina von Medici – keine unkomplizierte Freundschaft zwischen zwei starke Frauen.
Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder – Heinrich und Katharina – im reformierten Glauben erzogen wurden. Jahrelang kämpfte Heinrich als Anführer der Hugenotten und von einer Machtbasis in Südfrankreich aus um die französische Krone, bis er 1589 König von Frankreich wurde und schließlich 1593 zum katholischen Glauben übertrat, um das Land zu befrieden.
Jeanne d´Albret war nicht nur Mutter ihres berühmten Sohnes, sie war auch selbst eine machtvolle Frau in Frankreich, da ihre Position als Anführerin der Hugenotten ihr einen Einfluss weit über die Grenzen ihres kleinen Königreiches zusicherte.
Jugend und Ehe (1528-1555)
Jeanne d´Albret wurde am 7. November 1528 auf dem Schloss Blois von Margarete und Heinrich II. von Navarra geboren. Ihre Mutter wusste angeblich, dass sie eine Tochter gebären würde, ihr sehnlichster Wunsch war freilich nach einem Sohn. Jeanne blieb das einzige Kind aus dieser Ehe, Margarete von Navarra gebar zwar kurz danach einen Sohn, der als Kleinkind starb, und alle übrigen Hoffnungen auf Schwangerschaften zerschlugen sich.
Die kleine Prinzessin konnte von ihrem Vater das Königreich Navarra erben, weil dort das salische Gesetz, das in Frankreich weibliche Thronerben verbot, nicht gültig war. Außerdem war das vicomté Béarn selbständig. Deswegen waren die zwei Großmächte Spanien und Frankreich zutiefst an diesen Grenzregionen interessiert. Frankreich wollte seine Südgrenze verteidigen, und Spanien beide Seiten der Pyrenäen besitzen, um in Frankreich einfallen zu können. Zudem war die väterliche Familie von Albret Großgrundbesitzer in Südwestfrankreich und damit Vasall des französischen Königs. Das frühere Aquitanien hatte mehrere hundert Jahre der englischen Krone gehört und war spät von England aufgegeben worden. Im 16. Jahrhundert wurde das Gebiet meistens als Guyenne bezeichnet.
In ihren jungen Jahren wuchs Jeanne in der Normandie auf. Ihre Mutter, Margarete von Navarra, hatte die Aufgabe, die königlichen Kinder ihres Bruders, Franz I., zu erziehen. Sie gab Jeanne in die Obhut ihrer Freundin Aymée de Lafayette, Vogtin von Caen. Man behauptet, sie sei die Vorlage für die Figur Longarine in Heptameron (vgl. Nielsen). Nach meiner Auffassung sind die Erzähler/innen im Heptameron, die sogenannten devisants, eher Typen als historische Persönlichkeiten, die Figur der Longarine ist allerdings eine sehr sympathische Frau mit Humor und Pfiff. Wenn Aymée de Lafayette die Vorlage zu Longarine abgegeben haben soll, deutet alles darauf hin, dass Margarete sie sehr schätzte und meinte, ihre Tochter sei bei ihr gut aufgehoben.
Jeanne wuchs in einem landadligen Milieu auf, umgeben von Wald, Wiesen und Tieren, mit den Mitgliedern der Familie von Aymée de Lafayette als Bezugspersonen, bis sie zehn Jahre alt war. Ihre Mutter sah sie selten, aber jedes Mal, wenn sie krank war, war Margarete sofort zur Stelle. 1538 ließ Franz I. sie nach Plessis-lez-Tours bei der Loire übersiedeln, da sie jetzt ein Alter erreicht hatte, wo sie auf dem Heiratsmarkt von Interesse war. Der König konnte über seine Verwandte entscheiden und Ehen arrangieren, wie es ihm passte.
1540 war es für Jeanne so weit. Herzog Wilhelm der Reiche von Kleve-Jülich-Berg hatte 1538 das Herzogtum Geldern geerbt. Sein Erbanspruch wurde von Kaiser Karl V. angefochten und auf dem Reichstag zu Regensburg wurde dem Kaiser Geldern zugeteilt. 1539 folgte Wilhelm seinem Vater auf dem Thron nach, und um sich vor den Ansprüchen des Kaisers zu schützen, arrangierte er eine Ehe mit Heinrich VIII. von England für seine Schwester Anna, und selbst verbündete er sich mit Franz I. Als Unterpfand für dieses Bündnis sollte er Jeanne d´Albret heiraten.
Was jetzt passierte, ist absolut ungewöhnlich: Jeanne weigerte sich. Die Zwölfjährige ließ ihrem Onkel wissen, dass sie den Herzog nicht heiraten möchte, und sie ließ zwei Schreiben aufsetzen, in welchen sie erklärte, dass sie gegen ihren Willen zu dieser Ehe gezwungen worden sei. Natürlich konnte sie sich nicht auf Dauer gegen den Willen des Königs auflehnen, aber bei der Hochzeitszeremonie am 14. Juni 1541 weigerte sie sich, zum Altar zu schreiten, stattdessen musste sie getragen werden. Ihr Jawort war nicht hörbar und wegen ihres Alters wurde die Ehe nicht vollzogen, der Herzog setzte nur symbolisch ein Bein in ihr Bett. Nach der Hochzeit kehrte er zurück nach Düsseldorf, während Jeanne vorläufig in Frankreich blieb.
1543 griff Kaiser Karl Kleve-Jülich-Berg an, der Herzog wurde geschlagen und musste Geldern Karl V. überlassen. Am Frieden von Venlo im September 1543 hob er das Bündnis mit Franz I. auf und verbündete sich stattdessen mit dem Kaiser. Damit war auch die französische Ehe hinfällig geworden, 1545 wurde sie vom Papst wegen Nichtvollzug annulliert, und der Herzog vermählte sich mit einer Nichte des Kaisers.
Nach kanonischem Recht durfte bei einer Eheschließung keine Zwang im Spiel sei. Die Eheleute mussten ihr Gelübde frei abgeben. Damals konnten junge Frauen aus adligen oder königlichen Familien sich ihre Ehepartner nicht selbst aussuchen, sondern wurden als politische Garanten vermählt, und die meisten fanden sich damit ab, weil das ihr Standesbild entsprach. Jeannes Ablehnung, so wie ihre Kenntnis des kanonischen Rechts, ist erklärungsbedürftig.
Eine mögliche Erklärung ist, dass ihre Eltern für sie eine Ehe mit dem Kronprinzen Philipp von Spanien anstrebten. Königin von Spanien war natürlich prestigeträchtiger als Herzogin von Kleve zu sein, aber vor allem erhoffte sich ihr Vater damit den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. 1512 hatten die Spanier Navarra, das Baskenland, bis zu den Pyrenäen erobert und den Albrets nur das winzige Gebiet auf der französischen Seite gelassen. Seitdem überlegten sich die Könige von Navarra, wie sie zu ihrem ganzen Erbe kommen konnten, und eine Ehe zwischen dem Infanten von Spanien und der zukünftigen Königin von Navarra würde genau dies herbeiführen.
Jeanne war möglicherweise auch beeinflusst von einer Erklärung der Ständeversammlung von Béarn, die eine auswärtige Ehe für ihre Kronprinzessin ablehnte.
Sah Jeanne d´Albret ihre Zukunft gefährdet durch eine Ehe mit dem Herzog von Kleve? Oder tat sie, was ihre Eltern wünschten, statt des Königs Willen zu erfüllen? Stammten ihre Kenntnisse des kanonischen Rechts von denen? Margareta von Navarra schrieb ihrem Bruder, sie habe keine Ahnung, was in das Mädchen gefahren sei, aber stimmt das? Hat sie Jeanne mit ihrer Ablehnung der Ehe geholfen aus Liebe (Cholakian & Cholakian), oder aus Ehrgeiz? Es besteht kein Zweifel, dass königliche Kinder damals frühreif waren und in jungen Jahren schon an ihre späteren Aufgaben geführt wurden, trotzdem ist die Zähigkeit und Sturheit des Mädchens erstaunlich.
1547 starb Franz I. und als Jeanne zwanzig Jahre alt war, bot der Nachfolger, Heinrich II. von Frankreich, ihr gleich zwei Heiratskandidaten an: den Herzog Franz von Aumale (der spätere erzkatholische Herzog Franz von Guise) und Anton von Bourbon, Herzog von Vendôme. Der letztere war Erbprinz und vielleicht deshalb für Jeanne die bessere Partie, obwohl er relativ arm war. Er war hochgewachsen – was für einen Bourbon eher selten war – und charmant, wie alle Männer in seiner Familie scheint er ein unverbesserlicher Schürzenjäger gewesen zu sein. Heinrich IV. von Frankreich, der vert galant, hatte seine ausgelebte Sexualität nicht von Fremden, ebenso wenig wie sein militärisches Können und seinen Mut.
Jeanne und Anton von Bourbon heirateten 1548 und sie war überglücklich. Heinrich II. schrieb in einem Brief, dass er selten eine Braut erlebt habe, die immer nur lachte. Diese Ehe war aus Liebe geschlossen, und Anton von Bourbon nahm seine Frau mit, als er in den Krieg zog. Der Kriegsschauplatz war Flandern, und da der Herzog Güter in Nordfrankreich besaß, zog Jeanne in den ersten Jahren ihrer Ehe von Schloss zu Schloss, immer in der Hoffnung, dass sie und Anton von Bourbon sich treffen könnten.
1551 gebar sie ihren ersten Sohn und gab ihn an Aymée de Lafayette, die sie selbst erzogen hatte. Ob nun Frau de Lafayette alt oder übervorsichtig geworden war, der kleine Herzog von Beaumont starb als Kleinkind, angeblich weil er von Wärme erstickt worden sei.
Bald wurde Jeanne wieder schwanger, und während ihr ältester Sohn in Nordfrankreich geboren war, sollte das zweite Kind in Béarn zu Welt kommen. Sie unternahm die lange Reise nach Süden und kam gerade rechtzeitig in Pau an, 14 Tage bevor sie von ihrem zweiten Sohn, Heinrich, auf dem Schloss in Pau entbunden wurde. Es wurde entschieden, dass dieser Junge in Pau bleiben sollte. Der Großvater, Heinrich d´Albret, wollte wahrscheinlich mit diesem kleinen Prinzen die Erbfolge in Béarn und Navarra sichern. Die Legenden von der rauen Erziehung Heinrichs seitens des Großvaters können jedoch nicht wahr sein, allein weil das Kind die ersten Jahre von Ammen betreut wurde, und der Großvater starb, als es zwei Jahre alt war. Es scheint in Béarn Sitte gewesen zu sein, die Lippen des Täuflings mit Rotwein und Knoblauch einzureiben, eine Taufe à la Gascogne, aber die Mär, dass Heinrich barfuß unter den Hirten in den Bergen aufgewachsen sein soll, ist reine Legende. Der spätere Hauslehrer Heinrichs, Palma Cayet, schrieb, als Heinrich schon König von Frankreich war, seine Biographie, und daher stammt der Bericht vom Opa und von seiner rauen Erziehung. Dieser Kindheitsbericht ist eher Propaganda des Königs, wie er gerne gesehen werden möchte.
Tatsächlich kam Heinrich in die Obhut der Familie de Miossens, die auf dem Schloss Coarraze wohnte. Die Frau, Suzanne de Bourbon-Miossens, war eine Cousine von Jeanne. Heinrich wurde demnach genau wie seine Mutter als Landadliger erzogen, und er wuchs in einer Familie mit anderen Söhnen auf, die als Erwachsene seine Gefolgsleute werden sollten. Als seine Mutter den Thron erbte, wurde er schon als Kleinkind als Kronprinz behandelt.
Die zwei Jahre zwischen Heinrichs Geburt 1553 und ihre Thronbesteigung 1555 verbrachte Jeanne wiederum in Nordfrankreich in der Nähe ihres Gatten. In dieser Zeit gebar sie einen dritten Jungen, der jedoch nicht lange lebte. Es muss hinzugefügt werden, dass Anton von Bourbon 1554 einen außerehelichen Sohn, Karl von Bourbon, mit einer Hofdame bekam. Jeanne hatte bereits mehrere Onkel, die illegitim waren, und sie scheint den kleinen Karl in ihrer Familie aufgenommen zu haben. Er wurde später Erzbischof von Rouen.
Erst als der Vater gestorben war, zog sie als Königin nach Pau und obwohl sie die Erbin war, ließ sich ihr Mann als König huldigen, was die Ständeversammlung eigentlich gar nicht wollte, dennoch ordneten sie sich dem Willen Jeannes unter.
Königin an der Seite von Anton von Bourbon (1555–1560)
Ihr Vater hatte Jeanne ein blühendes Land hinterlassen. Er hatte Industrien nach Béarn geholt, das Steuersystem effektiv gestaltet und für den religiösen Frieden gesorgt. Große Einkünfte entstanden auch durch seine Posten als Gouverneur und Admiral der französischen Krone in Guyenne. Anton von Bourbon bekam diese Posten nach seinem verstorbenen Schwiegervater, und später hat sein Sohn, Heinrich von Navarra, sie übernommen. Jeanne und Antoine standen als die größten Grundbesitzer Südwestfrankreichs finanziell sehr gut da.
1555 find Calvin seine missionarische Tätigkeit in Frankreich an. Reformierte gab es in Südwestfrankreich zu diesem Zeitpunkt längst, weil Margareta von Navarra sie mit Predigern unterstützt hatte und Gérard Roussel, einen Reformkatholiken, als Bischof in Orthez, eingesetzt hatte. Dieser Roussel war einmal Weggefährte Calvins gewesen, und dieser warf ihm vor, nicht konsequent genug zu sein, als er die Stelle als katholischer Bischof trotz seiner reformatorischen Sympathien annahm (CStA I,1).
Als Königin hatte Jeanne bei ihrer Krönung versprechen müssen, die katholische Religion zu verteidigen. Am selben Tag, nachdem sie diesen feierlichen Eid abgelegt hatte, schrieb sie an einen Vasallen, dem vicomte von Gourdon, und erzählte ihm, sie wolle über die Förderung des reformierten Glaubens im kleinem Kreis heimlich beraten. Dieser Brief ist Teil eines Briefwechsels mit zwei vicomtes de Gourdon, Vater und Sohn, die die gesamte Regierungszeit Jeannes überdauerte. Die Briefsammlung wurde im vorigen Jahrhundert entdeckt und gibt viele neue Einsichten in die Vorhaben und die Beweggründe Jeannes. Da die entdeckten Briefe uns nur als teilweise fehlerhafte Kopien vorliegen, haben viele Forscher die Briefe als Fälschungen abgetan (Text und Diskussion bei Bryson).
Der erste Brief vom August 1555 teilt uns mit, dass Jeanne schon zu diesem Zeitpunkt reformierte Sympathien deutlich aussprach. Sie schrieb dem vicomte, dass ihre Mutter sich zwischen den zwei Religionen nicht habe entscheiden können, und dass sie selbst aus Furcht vor ihrem Vater bislang nicht gewagt habe, sich offen zum Protestantismus zu bekennen. Das Edikt von Chateaubriant von 1551 verbot eindeutig jede „Ketzerei“ und deshalb schlug sie vor, die Reformierten sollten sich heimlich auf dem Schloss Odos treffen.
Es gibt sonst keine Quellen, die belegen könnten, dass Jeanne mit dem reformierten Glauben in Berührung kam. Es gab in ganz Frankreich zu der Zeit kleine zerstreute Gemeinden, sowie Prediger und Kolporteure, die reformatorische Bücher schmuggelten. Die wiederholten Verbote des Königs konnten das nicht unterbinden, sie führten nur dazu, dass Protestanten, wie Jeanne, sich heimlich treffen mussten.
In den Jahren nach 1555 verbreitete sich der reformierte Glaube mehr und mehr im Hochadel. Auch Anton von Bourbon wurde davon ergriffen, brachte reformierte Prediger nach Béarn und als er und Jeanne 1558 mit Heinrich nach Paris zogen, nahm er an großen psalmensingenden Demonstrationen außerhalb der Stadtmauern von Paris teil. Calvin war darüber hoch erfreut, denn er setzte in seiner Missionsarbeit gerne auf hochrangige Persönlichkeiten. Jeanne dagegen verhielt sich während dieser Zeit bedeckt.
In Paris kam sie mit ihrem vierten Kind, einer Tochter namens Katharina, nieder. Das kleine Mädchen war das einzige Kind, das bei Jeanne aufwachsen durfte, obwohl sie (natürlich) Erzieherinnen und Gouvernanten hatte.
Anton von Bourbon fiel nicht nur mit protestantischen Sympathien auf, sondern wie sein Schwiegervater versuchte er, den spanischen Teil von Navarra zurückzugewinnen. Heinrich d´Albret hatte seinen Besitz gut und gewinnbringend regiert, während Anton von Bourbon seiner Frau die Regierungsgeschäfte überließ, und selbst nur versuchte, ein größeres Königsreich für sich zu gewinnen. So konnte der spanische König Philipp ihm einen Tausch, erst mit dem Herzogtum Milano und später mit Sardinien, anbieten. Damit hätte Spanien den Sprung über die Pyrenäen geschafft und Südfrankreich bedrohen können. Wir würden solches Taktieren mit dem Feind Hochverrat nennen, damals räumte man freilich Adligen große Freiheiten ein, sich einen Herren auszusuchen, aber Anton von Bourbon wurde auch von den Zeitgenossen als unzuverlässig und unverantwortlich angesehen, und nicht zuletzt war er so politisch ungeschickt, dass es an Dummheit grenzte (Sutherland 1984).
Im Sommer 1559 starb Heinrich II. von Frankreich unerwartet. Sein Sohn Franz II. folgte ihm als nur fünfzehnjähriger Knabe auf dem Thron. In dieser Situation war die traditionelle Lösung, dass der erste erwachsene Erbprinz, Anton von Bourbon, ihn unterstützen sollte, und Calvin ermahnte ihn eindringlich, dieses Amt zu übernehmen und dabei den Hugenotten zu helfen. Anton von Bourbon verspielte diese Chance und überließ die Regierungsgeschäfte der Familie von Guise, besonders dem Herzog von Guise und dem Kardinal von Lorraine, die beide die antiketzerische Politik des verstorbenen Königs weiterführen wollten. Nach dem Tod Heinrichs II. bekannten sich mehrere hochrangige Adlige offen zum Protestantismus und es gab im März 1560 sogar einen hugenottischen Komplott, den König zu entführen und von seinen „schlechten Ratgebern“ zu trennen. Anton von Bourbon und sein jüngerer Bruder, der Prinz von Condé, beide notorische Reformierte, wurden wegen diesem Angriff auf den König angeklagt. Anton von Bourbon versprach Besserung, während sein Bruder, der Prinz Ludwig von Condé zum Tode verurteilt wurde. Nur der plötzliche Tod des jungen Königs rettete ihn vor der Hinrichtung. Da der neue König, Karl IX., ein zehnjähriges Kind war, brauchte Frankreich einen Regenten, nämlich den ranghöchsten Erbprinz Anton von Bourbon. Wiederum ergriff dieser nicht die Chance. Katharina von Medici ließ sich stattdessen als Regentin einsetzen und Anton von Bourbon wurde zum Generalstatthalter ernannt. Die Hugenotten mit Calvin an der Spitze waren zutiefst enttäuscht. In diesen Jahren hatte der reformierte Glaube großen Zulauf, es wurde von mehreren Tausend Gottesdienstbesuchern überall in Frankreich berichtet, von Abendmahlgottesdiensten, die zwei Tage dauerten und von Bekehrungen am Hof und im Hochadel.
1560 verließ Jeanne Paris, um zurück nach Pau zu fahren. Theodorus Beza, der engste Mitarbeiter Calvins, besuchte sie dort, und es entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit, die bis Jeannes Tod dauerte. Beza versorgte sie mit Predigern und Beratern für ihr Land. Im Dezember 1560 unternahm Jeanne den entscheidenden Schritt und bekehrte sich öffentlich zum reformierten Glauben. Während ihr Gatte nicht in der Lage war, sich an die Spitze der Hugenotten zu setzen, wurde sie jetzt die leitende Hugenottin in Frankreich.
Reformierte Königin (1560–1568)
Jeanne d´Albret war zweifelsohne eine tief religiöse Frau. Lange Zeit hatte sie äußerste Diskretion walten lassen, zwar mit ihrem Gatten reformierte Prediger gehört, aber sich niemals offen zum reformierten Glauben bekannt. Erst nachdem Anton von Bourbon sich mit dem Posten als lieutenant générale abgefunden hatte, kam sie aus der Deckung.
Es war eine Zeit, wo alle große Hoffnungen bzw. Ängste für den Protestantismus in Frankreich hegten. Drei wichtige Katholiken – der Herzog von Guise, der Konstabel von Montmorency und der Marschall St. André – schlossen sich zusammen, um Frankreich gegen die Reformierten zu schützen. Sie planten den Sturz von Anton von Bourbon und einen Angriff auf Genf mit der Hilfe des Herzogs von Savoyen, zu dessen Besitz Genf bis 1534 gehört hatte. Dieses Triumvirat war der erste Vorbote der katholischen Liga, die später Heinrich IV. hartnäckig bekämpfte (Sutherland 1973).
1560 war noch zu erwarten, dass der Protestantismus nach Frankreich gekommen war, um zu bleiben. Jeanne war sich sehr bewusst, welche Gefahren ihr von Spanien, vom Papst und von der mächtigen Familie von Guise drohten. Sie hatte noch die Hoffnung, dass der junge König Karl IX., Katharina von Medici und ihr Kanzler, der tolerante Michel de l´Hôpital, die Reformierten unterstützen würden, zumal die Königinmutter sich selbst von denen von Guise bedrängt fühlte.
Diese letzte Hoffnung erwies sich als trügerisch, aber niemals wich Jeanne später vom einmal eingeschlagenen Kurs ab. Sie konnte weder geldwerte Vorteile noch politisches Kapital aus ihren Glauben schlagen, dafür hielt sie konsequent an ihrer Überzeugung fest.
In Béarn machte sie erste vorsichtige Schritte, um das Land zu reformieren. Es gab schon Reformierte dort, und Prediger hatten angefangen, den neuen Glauben zu verbreiten, Jeanne aber träumte von einem reformierten Land, und fing langsam und vorsichtig an, diesen Traum zu verwirklichen.
Der erste Schritt war, den reformierten Glauben dem Katholizismus rechtlich gleich zu stellen. Die Kirchen wurden für beide Religionen geöffnet (das sogenannte simultaneum) und aus den Kirchen in Lescar und Pau wurden Bilder und Statuen entfernt, allerdings nicht in Form eines Bildersturms, sondern von den Behörden. Jeanne beschlagnahmte das kirchliche Vermögen nicht für sich selbst, sondern investierte es in Sozialfürsorge und Bildung.
Es ist klar, dass sie den reformierten Glauben einführen wollte, aber zu keinem Zeitpunkt vefolgte sie Andersgläubige, geschweige denn verbrannte sie. Immer setzte sie auf Überredung.
Im August 1561 begab sie sich wieder zum Hof. Überall wurde sie stürmisch von Hugenotten begrüßt, als ob sie „der Messias sei“, bemerkte verärgert der spanische Gesandte. Katharina von Medici hatte zu einem Religionsgespräch eingeladen. Dieses Gespräch fand in Poissy außerhalb Paris statt. Seitens der Krone war gewiss an eine Versöhnung oder gar einen Ausgleich zwischen den Religionen gedacht, die reformierten Teilnehmer mit Beza an der Spitze mochten jedoch keine Kompromisse eingehen. Beza wurde unterstützt von Calvin in Genf, der selbst zu krank war, um mitzukommen. Calvin war mit den Auftritten und Reden Bezas zufrieden, während z.B. der Admiral Coligny Beza als reichlich provokant wahrnahm.
Im Herbst 1562 blieb Jeanne mit ihren Kindern beim Hofe. Katharina von Medici suchte auch nach den Religionsgesprächen eine Übereinkunft mit den Protestanten, was in dem Edikt vom 17. Januar 1562 – auch Edikt von St. Germain genannt – gipfelte. Dieses Edikt, an dem der Kanzler Michel de l´Hôpital und Beza beteiligt waren, erlaubte es den Hugenotten, außerhalb der Städte Gottesdienste zu halten. Es war das günstigste Edikt, das sie jemals erlangen sollten, das Edikt von Nantes 1598 war ihm sehr ähnlich, aber nicht ganz so großzügig. Der Unterschied war, dass Heinrich IV. dafür sorgte, dass das Edikt von Nantes durchgeführt wurde, während alle frühere Edikte, so wohlgemeint sie auf dem Papier auch waren, von katholischen Behörden unterlaufen wurden, und der König zu schwach war, um für ihre Durchführung zu sorgen.
Im März 1562 massakrierte der Herzog von Guise eine reformierte Gemeinde, die innerhalb des Städtchens Wassy Gottesdienst feierte. Damit war die Versöhnungspolitik Katharinas von Medici gescheitert. Die Hugenotten unter dem Prinzen von Condé griffen zu den Waffen und Anton von Bourbon bat Jeanne den Hof zu verlassen. Er behielt seinen Sohn Heinrich bei sich, entließ aber dessen hugenottischen Hauslehrer. Jeanne beschwor ihren Sohn, nicht zur Messe zu gehen, und der junge Prinz hielt sich wohl auch ein paar Wochen daran, musste sich aber schließlich fügen. Nach ihrem Fortgang vom Hofe trat Jeanne eine monatelange abenteuerliche Reise durch Frankreich an, so gefährlich, dass die ersten Briefen von der Hand Heinrichs seine Ängste um seine Mutter bezeugen. Ihre kleine Tochter Katharina durfte sie behalten.
Im ersten Religionskrieg führte Anton von Bourbon die königlichen katholischen Truppen gegen die Hugenotten. Bei der Belagerung von Rouen wurde er verwundet und starb am 17. November. Der junge Heinrich blieb am Hofe in der Obhut Katharinas von Medici, die allerdings Jeanne gestattete, ihm wieder reformierte Hauslehrer zu geben. Sie sollte ihn erst 1564 wiedersehen.
Die Kirche in Béarn und Navarra
Ihre große Aufgabe sah Jeanne darin, die Reformation in Béarn durchzuführen.
Calvin stellte ihr Jean Raymond Merlin zur Seite, den früheren Professor für Hebräisch in Lausanne, wo er Kollege von Beza, dem Professor für Griechisch, und von Pierre Viret, dem Rektor der Akademie, gewesen war. Pierre Viret arbeitete nach seiner Zeit in Lausanne und Genf vor allem in Frankreich, besonders in den Kirchen von Lyons und Nîmes. Später sollte er für Jeanne d´Albret ihre Akademie in Orthez aufbauen. Merlin war übrigens mit einer Tochter von Marie Dentière verheiratet, derjenigen, die vor Jahren Jeanne eine selbstgeschriebene hebräische Grammatik zugesandt hatte (vgl. Graesslé13f.; Nielsen).
Merlin ging voll Eifer an die Aufgabe, eine reformierte Kirche in Béarn aufzubauen. Es gab viele Reformierte in Südfrankreich, aber meistens unter städtischen Eliten und Handwerkern. Die Reformierten waren meistens des Lesens fähig, vor allem des Lesen französischer Texte. In Südwestfrankreich sprach die Bevölkerung die langue d´oc, die alte oczitanische Sprache, in irgendeiner Form. Die Gascogne hatte ihre Sprache, in der ein Neues Testament und fünfzig Psalmen übersetzt wurden, und Béarn hatte béarnais sogar als Amtssprache. Hinzu kam, dass die Bevölkerung in Navarra Baskisch sprach. Wenn Merlin das ganze Land reformieren sollte, musste er diese Sprachbarrieren überwinden, denn die Landbevölkerung musste erreicht und für die Reformation gewonnen werden.
Jeanne d´Albret beauftragte eine Übersetzung des Neuen Testaments ins Baskische, und eine Übertragung der Psalmen, der Zehn Gebote, der Liturgie und des Katechismus Calvins in die Sprache Béarns. Der Anwalt, später Pastor, Arnaud de la Salette, stellte 1571 diese Übersetzung fertig, und obwohl sie erst 1583 gedruckt wurde, darf man annehmen, dass in der Zwischenzeit Manuskriptkopien verwendet wurden. Pastoren, die die béarnesische oder die baskische Sprache beherrschten, wurde händeringend gesucht, und von den Anderen wurde ausdrücklich verlangt, dass sie es lernen sollten. Katecheten, die vermutlich Landeskinder waren, wurden in die Gemeinden geschickt.
Allmählich verbot Jeanne katholische Riten und Gebräuche, zuerst die Fronleichnamsprozessionen, danach Maibäume und Jahrmärkte. Dann wurde die Messe abgeschafft. Der Dom von Lescar und die Kirche St. Martin in Pau wurden leergeräumt, und die dort befindlichen Schätze verkauft.
Für Merlin konnte dies nicht schnell genug gehen. In seinen Briefen an Calvin klagte er seine Not: die Bevölkerung sei stur – diese Holzköpfe! - und die Königin zu langsam und vorsichtig (CO 20, Nr. 3988 & Nr. 4061). Merlin hatte übrigens auch früher in Montargis Probleme mit Renée de France gehabt, Herzogin von Ferrara, die in ihrem Gebiet so vorsichtig war wie Jeanne in Béarn (vgl. Lambin, 2). Jeanne bekam Klagen auf der jährlichen Ständeversammlung, wo die Katholiken über den Verlust alter Freiheiten und Rechte klagten. In den sechziger Jahren musste sie mehrmals Aufstände niederschlagen.
Der Nachfolger für Merlin war Pierre Viret, der enge Freund Calvins. Er war Pastor und Rektor für die Akademie in Lausanne – mit Beza und Merlin als Kollegen – gewesen. Wegen eines Streits mit dem Stadtrat in Bern, übersiedelten 1559 alle Professoren nach Genf, um dort in der neu errichteten Akademie zu unterrichten. Von Genf begab Viret sich nach Frankreich, wo er in Lyon als Pastor arbeitete, danach leitete er die Nationalsynode in Nîmes und schließlich folgte er dem Ruf nach Béarn. Seine wesentlichste Aufgabe war es, die Akademie in Orthez aufzubauen. Die Fächer Theologie, Hebräisch, Griechisch, Philosophie und Mathematik wurden dort unterrichtet, während es keine Anzeigen für Professuren in Jura und Medizin gibt.
Vor ihrer akademischen Laufbahn absolvierten die Jungen eine fünfjährigen Ausbildung in einer Lateinschule (collège), während die Grundschule sowohl Jungen wie Mädchen unterrichtete, die Mädchen allerdings getrennt mit weiblichen Lehrkräften. Damit wurde das kleine Béarn das erste Land Europas, welches kostenlosen Unterricht für Mädchen zusicherte, und zwar mit der interessanten Begründung, dass sie so im Stande waren, ihr Brot zu verdienen und sich der Gesellschaft nützlich zu machen („Pareil rolle sera aussy faict des filles qui sont en bas aage et qui n´ont nul moyen de vivre et de s´entretenir, par toutes les églises, afin que de mesmes deniers et en écolle séparée elles soient enseignées, nourries et tenues par des femmes sages et pudiques, par leur industrie pouvoir aprés se nourrir et entretenir et servir au public“. Art. 32 der Verfassung der Akademie von 1566, zitiert nach Desplat 2004). Desplat unterstreicht die säkulare Ausrichtung der Ausbildung. Allgemein wird behauptet, der Zweck des Unterrichts in protestantischen Ländern sei, die Bevölkerung des Lesens der Bibel und des Katechismus zu befähigen. Hier werden nur die Vorteile eines Schulunterrichts für die Gesellschaft betont.
Die Akademie wurde 1566 geöffnet. Die ersten protestantischen Akademiegründungen in Frankreich fanden in Nîmes (1562) und Montpellier statt. Vorrangiges Ziel war es, die Kirchen mit Pastoren zu versorgen, da die Akademie in Genf die steigende Nachfrage der Gemeinden kaum nachkommen konnte. Da Papst Pius V. die katholischen Universitäten angewiesen hatte, Protestanten die Abschlüsse zu verweigern (Maag 2002, 140), brauchten junge Hugenotten ihre eigenen Universitäten, die dann auch gegründet wurden, vor allem in Leiden und Heidelberg, aber auch in Frankreich und benachbarten Gebieten wie Béarn, Orange und Sedan, die alle zu diesem Zeitpunkt unabhängig waren.
Jeanne hatte sehr gute Gründe, langsam und überlegt vorzugehen. Der Kardinal von Armagnac ließ sie wissen, dass sie die Bevölkerung Béarns in Ruhe lassen sollte, ihre Untertanen wollten ihren Katholizismus nicht aufgeben. Jeanne antwortete, dass sie in Béarn nur Gott über sich habe, dort könne sie ihrem Gewissen folgen, und in ihrem Land werde niemand wegen seines Glaubens verfolgt. Das letzte war ihr ein Anliegen, denn 1571 schrieb sie an ihren Statthalter, den Baron d´Arros, dass in ihrem Land niemand zum Glauben je gezwungen worden war und es auch nicht werden sollte („...intention n´a point esté et n´est encores qu´ilz soyent contraints par force et violence de se reanger à ladite Religion“, d´Aas 2002, 452).
Als sie sich bei der Einführung der Reformation in ihren Ländern unnachgiebig zeigte, zitierte der Papst sie nach Rom zwecks eines Ketzerprozesses. Da sie dieser Einladung nicht folgte, exkommunizierte er sie. Der Bann war eine ernste Bedrohung, da jeder katholische Herrscher jetzt das Recht hatte, ihre Länder an sich zu reißen und sie abzusetzen, eine Chance, die Philipp II. von Spanien sich nicht entgehen lassen würde. Katharina von Medici verteidigte deshalb Jeanne, weil sie keine spanische Präsenz auf der französischen Seite der Pyrenäen dulden wollte. Außerdem war sie eine Verfechterin der gallikanischen Freiheit der französischen Kirche und meinte deshalb, der Papst solle sich nicht in die Angelegenheiten der Kirche einmischen.
Königin der Hugenotten
Nach dem ersten Religionskrieg (1562-63) ließ Katharina von Medici den jungen Karl IX. mündig erklären und führte ihn mit dem Hof auf eine große Frankreichreise, die mehrere Jahre dauerte. Der Zweck dieser Reise war es, den König dem Volk zu zeigen, und damit die Loyalität der Bevölkerung zu erhalten. Jeanne wurde als Vasallin einberufen und stieß Ende Mai 1564 zum Zug in Macon.
Ihr Sohn Heinrich nahm auch Teil an diese Reise und seinetwegen stritten die zwei Königinnen sich, weil Jeanne ihn bei ihren protestantischen Gottesdiensten dabei haben wollte, und Katharina wünschte, dass er mit der königlichen Familie zur Messe gehe. Schließlich sandte Karl IX. Jeanne zu ihrem Besitz in Vendôme, während Heinrich als Gouverneur von Guyenne den Zug begleitete und in den Städten für den feierlichen Empfang des Königs sorgte.
Jeanne durfte nicht mit nach Bayonne, wo Katharina ihrer Tochter Elizabeth, Königin von Spanien, begegnen wollte. Philipp II. sandte als seinen Gesandten den Herzog von Alba, der auf dem Weg in die Niederlande war. Die Hugenotten waren später überzeugt, dass Alba und die Königinmutter in Bayonne ihre Ausrottung geplant hatten. Sicher ist, dass Alba in den Niederlanden mit aller Härte gegen die Protestanten vorging, und es ist durchaus möglich, dass er versuchte, Katharina auf seinen mörderischen Kurs einzustimmen. Schon 1568 – also vor der Bartholomäusnacht! – schrieb Jeanne, dass die Waffen, die gegen die Hugenotten verwendet werden sollten, in Bayonne geschmiedet worden seien (Ample déclaration).
Jeanne und Heinrich trafen sich später in Paris. 1566 ersuchte sie erneut um Erlaubnis, mit ihren beiden Kindern nach Béarn zu fahren, was ausgeschlagen wurde. Sie erhielt aber Erlaubnis, ihren Sohn in seinen französischen Ländereien herumzuführen, und Anfang 1567 reiste sie dann mit ihm nach Vendôme, und von dort setzte sie sich unerlaubt ab nach Béarn. Damit machte sie laut des Biographen Heinrichs, Pierre Babelon, aus einem französischen Prinzen einen Ausländer, und vor allem einen Hugenotten.
Von 1567 an arbeitete Jeanne für die Zukunft ihres Sohnes. Ihre Lebensaufgabe, schrieb sie selbst, sei: Gott, Königtum und ihr Blut. Mit Gott war die reformierte Religion, die wahre Kirche Gottes, gemeint. Mit dem König ihr Status als Vasallin und – trotz Béarn – als Französin, und mit dem „Blut“, die Familie, zuallererst ihr Sohn Heinrich. Er sollte von jetzt an kein Höfling mehr sein, sondern die Aufgaben eines Regenten lernen. Als ein Aufstand in Navarra niedergeschlagen worden war, wurde er dorthin geschickt, um die Basken zu befrieden. Als 14jähriger hielt er für seine Untertanen eine Rede, in welcher er ihr Fehlverhalten geißelte, ihnen die Gunst der Königin zusicherte, falls sie sich verbessern würden, und seinen berühmten Charme mit seinem Autoritätsanspruch verband.
Im Herbst 1567 versuchten die Hugenotten, die sich von der Aufrüstung des Königs bedroht fühlten, Karl IX. in ihre Gewalt zu bringen. Die Entführung missglückte, und die königliche Familie suchte, beschützt von den schweizerischen Söldnern, die die Ängste der Hugenotten verursacht hatten, Zuflucht in Paris. Die Hugenotten belagerten die Stadt. Im November wurden sie vor den Toren von St. Denis geschlagen und mussten sich in die Provinz zurückziehen, wo sie den Kampf bis zum Friedenschluss von Longjumeau im März 1568 fortsetzen.
Der Friedensvertrag war an sich nicht ungünstig für die Hugenotten, nur haperte es wie immer mit der Umsetzung. Katholische Behörden waren über die für die Hugenotten günstigen Bedingungen empört und setzten sie nicht um. Der Protestant La Noue schrieb in seinen Erinnerungen, dass der Krieg zwar viel Unheil bringe, aber dieser elende kleine Friedensvertrag sei viel schlimmer für die Reformierten, die in ihren Häuser umgebracht wurden, ohne dass sie sich zu wehren wagten („ …une guerre est misérable et qu´elle apporte avec soy beaucoup des maux…cette méchante petite paix est beaucoup pire pour ceux de la Réligion, qu´on assassinoit en leur maisons, et ne s´osoyent encores défendre“, d´Aas 2002, 382) Im Laufe des Sommers 1568 versuchten die Gruppierungen noch einmal miteinander zu reden, Karl IX. sandte einen Botschafter nach Béarn, und Jeanne verfasste ein Sendschreiben an den König mit dem Antrag, den Frieden in Guyenne wiederherzustellen.
In der Zwischenzeit fühlten sich der Prinz von Condé und der Admiral Coligny auf ihre Schlösser in Bourgogne zunehmend bedroht. Der Herzog von Alba wollte in den Niederlanden mit Feuer und Schwert den Protestantismus auszurotten, und Flüchtlinge berichteten ihnen von seinem Terror. Am 23. August 1568 flüchteten sie mit ihren Familien und Angehörigen über die Loire nach La Rochelle. Die Überquerung der Loire erinnerte fast an den biblischen Durchzug durchs Schilfmeer: so viele Hugenotten hatten sich angeschlossen, dass der Zug fast wie eine Völkerwanderung aussah, und die Loire hatte in der Augusthitze einen so niedrigen Wasserstand, dass Sandbanken in der Mitte auftauchten. Dementsprechend sangen alle Psalm 114 vom Auszug der Israeliten aus Ägypten, als sie hinüber waren. Die Parallele wurde noch einmal deutlich, als die königlichen Truppen, die sie verfolgten, wegen plötzlich einsetzenden Hochwassers den Fluss nicht überqueren konnten.
In dieser Situation war Jeanne zutiefst gespalten. Bislang hatte sie die Kriege moralisch unterstützt, aber nicht selbst teilgenommen. Falls es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommen sollte, konnte sie immer mit ihren Kindern in der uneinnehmbaren Festung Navarrenx Zuflucht suchen. Sie hatte jedoch ihren Sohn, der als zukünftiger Führer der Hugenotten das Kriegshandwerk lernen sollte, und so musste sie wählen, ob sie in Béarn unter ihrem Volk bleiben oder sich den Hugenotten anschließen sollte: „ich hatte den Krieg im Bauch“ schrieb sie danach („J´eu la guerre en mes entrailles“, Ample declaration). Sie setzte den Baron d´Arros als Statthalter ein, und Anfang September begab sie sich in Eilmarsch nach La Rochelle (Cocula 2004). Dort konnte sie ihren Sohn dem Prinzen von Condé überantworten. Sie schrieb unterwegs eine Reihe Briefe an Karl IX., an Katharina von Medici, an ihren Schwager, den Kardinal von Bourbon und an die Königin Elizabeth von England, um ihren Entschluss zu begründen. Angekommen in La Rochelle schrieb sie eine Erklärung („Ample declaration“) um der Öffentlichkeit zu erklären, warum sie sich der hugenottischen Armee zugesellte.
Die Hugenotten unter ihren Anführer aus der königlichen Familie wollten nicht als Aufrührer dastehen. Sie behaupteten, die erzkatholische Partei sei schuld daran, dass königliche Befehle nicht vollzogen wurden. Die Katholiken mit ihren Verbindungen nach Spanien und Rom seien Landesverräter. Die Politik des Kardinals von Lorraine verdient laut Sutherland (1974) keinen anderer Namen. Wenn Jeanne vom Frieden sprach, meinte sie eine Duldung der Hugenotten in Frankreich. Die Forderungen der Hugenotten waren immer dieselbe: Erlaubnis, Gottesdienste zu feiern, Gerichte mit zur Hälfte hugenottischen Richtern, sichere Zufluchtsstädte – deren Anzahl schwankte in den Verhandlungen – und Zugang zu Ausbildung und Beamtenstellen gleichrangig mit den Katholiken. Die Provinz Languedoc unter dem moderat katholischen Gouverneur Montmorency-Damville war ein friedlicher Ort in den Religionskriegen, weil Damville den Hugenotten solche Rechte einräumte, und die katholische Bevölkerung sich damit abfand.
Im März 1569 fand eine Schlacht bei Jarnac statt. Der Prinz von Condé kämpfte mit, wurde verwundet und nach der Schlacht ermordet. Es gelang Admiral Coligny, die hugenottischen Truppen zusammenzuhalten, aber der Verlust des Prinzen war ein herber Schlag. Heinrich von Navarra war jetzt der ranghöchste Prinz, und zusammen mit seinem Vetter, dem gleichaltrigen Heinrich von Condé, wurde er jetzt Oberbefehlshaber über die Armee der Prinzen. In Wirklichkeit lag die Verantwortung für die Kriegsführung bei dem erfahrenen Admiral, und die beiden Prinzen wurden seine Pagen genannt.
Jeanne blieb in La Rochelle, während Coligny mit den Prinzen im Krieg war, und sie konnte, unterstützt von einem Rat adliger Hugenotten, die „Regierungsgeschäfte“ regeln. Sie schrieb an England und nach Deutschland. Sie unterzeichnete Erlässe, versuchte Geld für das Heer aufzutreiben, pfändete ihren schönsten Schmuck für einen Kriegsdarlehen an Elizabeth von England und ließ ein Kriegsschiff namens „Die Hugenottin“ bauen.
So wie sie immer behauptete, nicht gegen den König, sondern gegen seine schlechten Ratgeber zu kämpfen, so behauptete Karl IX., dass sie in La Rochelle von den Hugenotten gefangen gehalten wurde, und er ließ den Baron Terride mit einer „Befreiungsarmee“ in Béarn einfallen. In kürzester Zeit waren ganz Béarn und Navarra erobert und zum Katholizismus zurückgeführt. Nur der Baron d`Arros hielt im Navarrenx stand. Um ihre Länder zurückzuerobern, sandte Jeanne den Graf von Montgommery mit einer „Hilfsarmee“ nach Navarrenx. In noch kürzerer Zeit als Terride gebraucht hatte, verjagte er ihn aus Béarn. Die Befreiung von Terride wurde in Pau mit einem Festgottesdienst gefeiert, wobei Pierre Viret über Psalm 124, 7: „Unsere Seele ist aus dem Netz des Vogelfängers entkommen“ predigte.
Vom Winter 1569 bis zum Frühjahr 1570 führte Coligny sein Heer mit den Prinzen Heinrich von Navarra und Heinrich von Condé durch ganz Südfrankreich und von Provence nach Norden, bis er Paris bedrohte. Der König hatte kein Geld mehr, um Krieg zu führen, und musste notgedrungen Friedensverhandlungen einleiten. Im August 1570 wurde dann der Frieden von St. Germain geschlossen. Wiederum war Jeanne d´Albret diejenige, die auf Augenhöhe mit dem König verhandeln konnte. Der Vertragstext erklärt immer wieder, dass der König die Bedingungen seiner Tante erfüllen wollte (Sutherland 1980, Potter 1997).
Jeanne blieb vorläufig in La Rochelle. Im April 1571 fand dort die Nationalsynode der reformierten Kirchen Frankreichs statt. Theodor Beza kam aus Genf angereist, um die Synode zu leiten. Pierre Viret wollte teilnehmen, starb aber vorher, vermutlich hatte seine Gesundheit in der Gefangenschaft unter Baron Terride gelitten. Auf der Synode wurde das französische Glaubensbekenntnis von 1559 neu verhandelt und die endgültige Fassung als „Bekenntnis von La Rochelle“ beschlossen. Darüber hinaus wurde eine Kirchenordnung für Béarn beschlossen, und die Synode diskutierte Fragen, die Jeanne d´Albret gestellt hatte. Als Ersatz für Pierre Viret bekam sie Nicolas des Gallars zur Seite gestellt. Er war Calvins Sekretär gewesen, danach hatte er die „Strangers´ Church“, die Kirche für Ausländer in London, als Nachfolger für Johannes à Lasco geleitet und dann an Bezas Seite im Colloquium von Poissy 1561 gestanden. Er war Pastor in Orléans gewesen und wurde jetzt Seelsorger für Jeanne d´Albret und ihr theologischer Ratgeber für die Kirche in ihrem Land.
Er war eine gute Wahl, denn während Beza sehr an dem Konzept von Genf hing und ein presbyteriales Kirchenverständnis (Kingdon 1967) hatte, war des Gallars in England gewesen, als Königin Elizabeth nach dem Tod ihrer katholischen Schwester die anglikanische Kirche einführte. Außerdem behauptet Bernard Roussel (2004), dass er das Buch Martin Bucers „De regno Christi“ von 1550 mitbrachte. Dieses Buch ist dem englischen König Edward VI. gewidmet und beschreibt, wie ein König eine reformierte Kirche leiten kann. Damit hatte des Gallars ein Konzept für eine von einer Fürstin geleitete Kirche, die dann in den Jahren als Heinrich und Katharina von Navarra das Erbe der Mutter verwalteten, Bestand hatte.
Während Jeanne in La Rochelle noch weilte, ereilte sie ein Angebot von Katharina von Medici, ob ihren Sohn Heinrich die Tochter Katharinas heiraten mochte. Hugenotten und Katholiken würden sich versöhnen und die Häuser Valois und Bourbon sich nahekommen. Dieses Angebot war zu verlockend, um es auszuschlagen, aber Jeanne traute Katharina nicht so recht, jedenfalls wollte sie nicht gleich nach Paris ziehen, um über die Ehe zu verhandeln.
Stattdessen fuhr sie nach Pau zurück, führte die neu beschlossene Kirchenordnung ein und kümmerte sich um ihre Länder. Die Tuberkulose machte sich bemerkbar und sie wollte zur Kur in die Bergen fahren. Währenddessen zogen sich die Eheverhandlungen hin, bis Jeanne endlich im Frühjahr 1572 nach Paris zog. In den Briefen an ihren Sohn hört man von den Verhandlungen, von ihrer Missbilligung des höfischen Lebens und von ihrem Ärger mit Katharina. Jeanne wollte so viele Rechte wie möglich für ihren Sohn und die Hugenotten aushandeln. Am Ende musste sie es aufgeben, Margareta von Valois, Margot genannt, zum reformierten Glauben zu bekehren. Dafür hoffte sie aber, dass das Brautpaar nach Béarn ziehen würde. Eine königliche Mischehe war etwas ganz Neues und musste in Detail besprochen und geplant werden. Jeanne handelte das Meistmögliche für ihren Sohn aus und im April 1572 wurde eine Einigung erzielt. Heinrich sollte allerdings noch eine Weile in Béarn bleiben und Jeanne bereitete in Paris die Hochzeit vor.
Die zähen Verhandlungen im Frühjahr hatten viel Kraft gekostet, Jeanne hielt sich aber tapfer. Im Juni brach sie zusammen und starb am 9. Juni an der Tuberkulose, die sie seit Jahren geplagt hatte. Später entstanden Gerüchte, sie sei von Katharina von Medici vergiftet worden. Diese sollte ihr ein Paar Handschuhe, die von ihrem privaten Giftmischer präpariert worden seien, geschenkt haben. Da Katharina nach den Massakern von St. Bartholomäus, die in der Periode von August bis November 1572 stattfanden, von den Hugenotten als der Inbegriff des Bösen dargestellt wurde, gehört der Giftmord an Jeanne d´Albret zu den Verleumdungen.
Heinrich traf erst etwas später in Paris ein. Im Testament Jeannes hatte sie sich gewünscht, in Béarn bei ihrem Vater beerdigt zu werden. Ihr Sohn setzte sich über ihren letzten Willen hinweg: sie wurde nach Vendôme geführt und neben ihrem Mann, Anton von Bourbon, bestattet.
Trotz ihre Fähigkeiten wurde sie eine Fußnote in der Geschichte Frankreichs: ihr Sohn wurde zwar als Heinrich IV. König von Frankreich, aber er wurde katholisch und aus den Hugenotten wurde, dank des Ediktes von Nantes 1598, eine geduldete Minderheit. Die Kirche, die Jeanne in Béarn aufgebaut hatte, wurde unter ihrem Enkelsohn, Ludwig XIII., verboten. 1685 wurde dann das Edikt von Nantes aufgehoben, und die Reformierten wurden grausam verfolgt. Viele flüchteten, viele konvertierten und viele wurden umgebracht. Die großen Hoffnungen, die die Hugenotten um Jahr 1560, als Jeanne konvertierte, hegten, erwiesen sich als trügerisch.
Wenn auch letztlich nicht erfolgreich, war sie dennoch bewundernswert. Mit dem Admiral Coligny zusammen hatte sie den Frieden von St. Germain errungen, dann eine Landeskirche aufgebaut und ihre Kinder gefördert. Sie war die reformierte Präsenz in der königlichen Familie und in ihren letzten Jahren wurde sie die Königin der Hugenotten.
Stammtafeln der Familie von Valois und der Familie von Bourbon (PDF)
Literatur
Quellen:
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Nielsen, Merete: Marie Dentière,
Christlicher Schöpfungsglaube und naturwissenschaftliches Weltverständnis
Dem Kreationismus argumentativ begegnen
1. Das Problem
2. Ist der Kreationismus ein biblisches Konzept?
2.1 Wann sind sie Schöpfungsberichte entstanden?
2.2 Gibt es ein Darstellungsprinzip („Weltbild“) der Schöpfung?
2.3 In welchem Sinne ist die Schöpfung ein Anfang?
2.4 Kann die Theologie die Evolutionslehre akzeptieren?
3. Die These des Intelligent Design: ein versteckter Gottesbeweis?
3.1 Thema und Problem
3.2 Wo haben wir die „Wahrheit“ der Schöpfungsaussagen zu suchen?
Auf die Frage, wo in seiner Theorie der Planetenentstehung Gott vorkomme, soll der Mathematiker Laplace (1749-1827) Napoleon mit dem berühmten Diktum geantwortet haben: „Sire, ich habe diese Hypothese nicht nötig.“ Die Wissenschaft kommt ohne die Annahme eines Gottes aus. Der moderne Begriff des Wissens und der Wissenschaft hat sich seit Galilei in einer bewussten Absage an das theologische Wissen der biblischen Tradition formiert, und auch die moderne Theologie hat diese Absage in aller Form für rechtens erklärt: „Gott als moralische, politische, naturwissenschaftliche Arbeitshypothese ist abgeschafft, überwunden … Es gehört zur intellektuellen Redlichkeit, diese Arbeitshypothese fallen zu lassen bzw. sie so weit wie irgend möglich auszuschalten“ (D.Bonhoeffer).[1]
Doch damit steht der „mündige“ Christ vor einer nahezu unlösbaren Aufgabe. Er sucht die Kluft zwischen Glaube und Wissen zu überwinden, doch seine Wissenschaft weist schon die Frage nach einem Gott als illegitim zurück. Es ist ein Dilemma, das Viktor von Weizsäcker schon zu Beginn des letzten Jh.s prägnant formuliert hat: „Wo kommt die Wissenschaft hin, welche zulässt, dass ein Gott zwischen unsere Experimente fährt, welche ein abweichendes Experiment als gottbefohlen hinnimmt? Wo aber kommt der religiöse Mensch hin, der in dem Augenblick, in dem er sein Laboratorium betritt, mit Hut und Stock auch seinen Gott an den Nagel hängt?“[2]
Der Glaube fühlt, dass ihn ein empirisch begründetes Wissen bedrängt, dass seinen Worten keine greifbare (verifizierbare) Erfahrung mehr entspricht. Wer diese Spannung nicht auszuhalten vermag, entscheidet sich heute für die atheistische Version eines Richard Dawkins („Der Gotteswahn“): Naturwissenschaftliche Erklärungen der Welt und religiöse Weltinterpre- tationen seien unvereinbar. Der Kosmos und das Leben in ihm sind Produkte von Zufall und Notwendigkeit. Die Welt hat ihre Fugen geschlossen. Sie schweigt von Gott.
1. Das Problem
Der Preis für diese heute fast selbstverständlich gewordene Überzeugung ist jedoch hoch. Das Ungenügen an dem, was wir methodisch wissen und wissen können, wird von nachdenklichen Physikern mit einer erstaunlichen Offenheit eingestanden: „Weder in den Tiefen des Raums noch im Innern der Atome“, schreibt etwa Harald Fritzsch, hat der Mensch gefunden, was er mit all seinen Anstrengungen suchte, „Sinn für sein Dasein und die Möglichkeit, … ethische Werte und Ziele für sich abzuleiten“.[3]
Auf der Bahn der objektiven, rationalen Erkenntnis „geht die Suche nach dem Sinn ins Leere“. Jürgen Audretsch, theoretischer Physiker aus Konstanz, hat diese Diagnose in aller Form bestätigt: „Von der physikalischen Kosmologie geht keine theologische Botschaft aus“.[4] Sie erzwingt keine theologischen Konzepte, legt sie nicht einmal nahe. Ganz abgesehen davon, dass der Theologe, der hier mit seinen Deutungsversuchen ansetzen wollte, den Physikern „etwas ganz und gar Unfertiges aus der Hand nehmen“[5] würde, hätte er auch die Bibel gegen sich, die mit ihrer Rede vom „Anfang“ (Gen 1,1) keine historisch-genetische Erklärung der Weltentste- hung geben will. Hier werden Tatsachen und Interpretationen verwechselt.
Das ist keine ermutigende Auskunft für einen Forscher, der auf wissenschaftlicher Basis nach einer Deutung der Welt sucht, die auch sein Bedürfnis nach einer sinnhaften, seine eigene Existenz mit umfassenden, vielleicht sogar erhellenden Weltorientierung zu befriedigen vermag. Die schmerzhafte Kluft zwischen dem medizinischen Fortschritt und einer Ethik, die das sprunghaft angewachsene technische Können in menschlichen Grenzen zu halten versucht, wenn es um den therapeutischen Eingriff in die Keimbahn geht, die Forschung an und mit Stammzellen oder die Lebensverlängerung eines todkranken Patienten, steht uns heute deutlich genug vor Augen.
Man begreift die Anziehungskraft, die die „alternativen“, an den Rändern der Wissenschaft angesiedelten Deutungsversuche des Kreationismus und des Intelligent Design auf viele Menschen ausüben, wohl erst dann, wenn man sie auf diesem Hintergrund ernst zu nehmen versucht. Die Geschwindigkeit des wissenschaftlichen Fortschritts steht in einem genauen Verhältnis zu unserer Hilflosigkeit, uns in dieser Welt der „zweiten Schöpfung“ zu orientieren. Diese Problematik unseres Wissenschaftsbetriebs anzusprechen, ist sicher eine legitime Aufgabe auch des schulischen Physik- und Biologie – Unterrichts. Eine ganz andere Frage ist es, ob diese Versuche haltbar sind.
Der besonders in den USA zu weltanschaulicher Geltung gekommene Kreationismus sucht den Ursprung irdischen Lebens in Entsprechung zu einem wörtlichen Verständnis von Gen 1 und 2 als göttliche Setzung zu begreifen (wogegen der Theologe noch keinen Einspruch erheben wird), verbindet diese Verständnis aber mit einer fundamentalen Absage an den Gedanken einer Evolution. Er bemüht sich stattdessen darum, wissenschaftliche Beweise für die biblische Darstellung vom Ursprung des Lebens aufzubieten.
Wir haben zu prüfen, ob dieser Weg seinem Anspruch gemäß tatsächlich als ein biblisches Konzept gelten kann. Die These des Intelligent Design ist dagegen ein sehr viel reflektierterer Versuch, mit den geschilderten Problemen umzugehen. Ohne die Evolution zu bestreiten, will sie in kritischer Absicht zeigen, dass die bekannten Gesetze der Physik und die Prinzipien Darwins nicht imstande sind, die Entwicklung des Lebens hinreichend zu erklären, dass vielmehr dem Entstehen und Werden der Welt ein „geistiger“, göttlicher Bauplan zugrunde liegen muss, der die gesamte Entwicklung ermöglicht und trägt und auf ein Ziel hin ausrichtet. Johannes Kepler, aber auch modernen Physikern wie Max Planck oder Werner Heisenberg war diese Fragestellung selbstverständlich.[6] Doch kann man auf diesem Wege Gottes Wirken in der Welt plausibel, geschweige denn evident machen?
Wo also liegt das Problem? An der Einheit der Wirklichkeit, die der Physiker mit dem Theologen teilt, kann man vernünftigerweise nicht zweifeln. Die Relativitätstheorie redet von demselben Universum wie der der 8. und 104. Psalm unserer Bibel. Das Standardmodell der Kosmologie fragt nach dem Anfang derselben Welt wie das erste Kapitel der Genesis. Aber sie tun es auf eine denkbar verschiedene Weise, in einer unterschiedlichen Sprache und mit einer unterschiedlichen Absicht. Die Einheit der Wirklichkeit zerfällt über dem Versuch, sie zu verstehen, in zwei verschiedene Welten.[7]
Es sind nicht erst die inhaltlichen Ergebnisse der neuzeitlichen Wissenschaft und das daraus resultierende „Weltbild“, die uns von den biblischen Berichten trennen; es sind – weit folgenreicher – bereits ihre Fragestellungen und Methoden. Es gibt Fragen, allen voran die nach der Entwicklung des Kosmos und des Lebens in ihm, die sich im Horizont der Antike und so auch der Bibel nicht einmal hätten stellen lassen. Können wir überhaupt voraussetzen, dass im Sprachraum der Bibel und im Horizont heutiger Biologie und Physik dasselbe erfahren wird, so dass hier ein unbegründbarer Glaube gegen ein sich ausweisendes Wissen steht, oder wird die Situation nicht angemessener beschrieben, wenn man davon ausgeht, dass hier zunächst einmal Erfahrung gegen Erfahrung steht? Dann jedenfalls lässt sich die offenkundige Spannung kaum so auflösen, dass man die Symbole der Schöpfungstheologie, das anfängliche „Wort“ oder die tätige „Hand Gottes“, in den Kontext der Physik hineinzuinterpretieren versucht und sie damit erst recht zu unverständlichen Fremdkörpern macht.
Harald Fritzsch nennt die „Welt“ des Glaubens und die „Welt“ der Naturwissenschaft „komplementäre Welten, die sich gegenseitig bedingen“.[8] Ich will dieses Angebot aufnehmen, auch wenn es sich nicht befriedigend einlösen lässt. Denn unter Komplementarität verstehen Physiker den Sachverhalt, dass zwei Begriffe, die derselben Theorie angehören, „nicht gleichzeitig benutzt werden können, gleichwohl aber beide benutzt werden müssen“.[9]
Die Aussagen des Glaubens und die Aussagen der Wissenschaft gehören jedoch nicht derselben Theorie an, wohl aber beziehen sie sich auf denselben Gegenstand, unseren Kosmos und das Leben in ihm, und so tritt auch hier ein ähnliches Dilemma auf: Wie in der Physik Zustände mit bestimmtem Ort und Zustände mit bestimmtem Impuls „nicht zugleich“ vorliegen können, da jeweils nur eine der beiden Größen messbar, nur ein Zustand „scharf“ ist, so können auch wir nur eine der beiden „Welten“ scharf ins Auge fassen, entweder die des Glaubens oder die des Wissens, nie aber, was wir so gerne wollen, beide zugleich.
Hinter diese Situation gibt es kein Zurück, seit die neuzeitliche Methode so entworfen ist, dass sie von der Existenz und Wirksamkeit Gottes völlig absehen kann (ohne darum freilich sein Dasein schon bestreiten zu müssen). Es lässt sich dafür sogar ein präzises Datum angeben: Seit Descartes die Zweckursachen (Finalität) aus dem Kanon brauchbarer (und zulässiger) Methodenregeln gestrichen hat[10], ist die Brücke eingestürzt, über die Jahrhunderte lang der Weg von der Welt zu Gott geführt hat.[11]
Wir sprechen von einem methodischen Atheismus, und das impliziert: Religiöse Deutungen der Naturgesetze haben „jeden logisch zwingenden Zusammenhang mit dem Begriff des Naturgesetzes selbst“ verloren.[12] Damit ist das Band, das die wissenschaftlich erkennbare Natur an einen göttlichen Ursprung binden könnte, definitiv durchschnitten. Diese Einsichten lassen nur einen Schluss zu: Wissen- schaftlich – das Wort in seiner heutigen, strengen Bedeutung genommen – ist der Kreationismus ein unhaltbares Unternehmen. Wie aber steht es mit seinem Anspruch, das biblische Zeugnis der Schöpfung von Himmel und Erde sachgemäß zu interpretieren?
2. Ist der Kreationismus ein biblisches Konzept?
Ich will mit einer elementaren Feststellung beginnen. Eine biblische Lehre von der Schöpfung, die sich auch nur entfernt mit dem kohärenten Wissen moderner Naturerkenntnis vergleichen ließe, gibt es nicht. Von der Schöpfung wird in der Bibel erzählt. Erzählungen aber bewegen sich im Nahbereich menschlicher Erfahrung: über uns der bestirnte Himmel, neben uns Pflanzen und Tiere, hinter uns eine Zeit, deren Erstreckung wir kaum ermessen, vor uns ein Raum, den wir planend gestalten müssen. Und außer der Wirklichkeit, die wir sehen dann die Realität des Unsichtbaren: Angst, Freude und Leiden, auch Liebe, Sorgen, Erinnerungen und Erwartungen.
Mit diesen Grundbedingungen unseres Lebens hat es die Schöpfung zu tun. Sie werden nicht untersucht oder erklärt, schon gar nicht „wissen- schaftlich“; sie werden gedeutet und interpretiert, d.h. auf ihre Bedeutung für unser Dasein befragt. Das moderne Interesse, eine einfache Grundstruktur, also eine Art Bauprinzip in aller Realität freizulegen, ist den biblischen Texten fremd. Sie folgen der Selbstentfaltung alles Lebendigen und konzentrieren sich auf die Schilderung der Relationen und Abhängigkeiten, in die dieses Leben eingebunden ist und in denen es gelingt. Darum führt das Thema einer Konkurrenz zwischen Bibel und Naturwissenschaft auf dieser Ebene in eine sinn- und ausweglose Sackgasse. Es sind zwei verschiedene Perspektiven, unter denen dieselbe Welt hier und dort erscheint. Die Bibel folgt einem anderen Entwurf mit anderen Selbstverständ- lichkeiten und Fragen, als unser Zeitalter sie kennt. Davon soll nun die Rede sein.
Das gilt in erster Linie bereits für die Frage nach dem Ursprung, der Herkunft unserer Welt. Da der Vorgang ihrer Erschaffung keinen menschlichen Zeugen hat, kann von ihm nur in Bildern und Metaphern geredet werden. Schon das Wort „erschaffen“ ist eine aus dem Bereich menschlicher Produktion „ausgeliehene“, nur in „übertragenem“ Sinn brauchbare Sprachfigur. Für die uns geläufigen Begriffe „Welt“, „Kosmos“ oder „Natur“ gibt es in der Bibel kein entsprechendes Wort.
Vollends muss man sich klar machen, dass die Vorstellung einer sukzessiven Entwicklung der Gattungen und Arten ein für die ganze Antike unvollziehbarer Gedanke war (den auch wir erst seit Giordano Bruno und Darwin kennen). Da die Bibel ein von Menschen geschriebenes Buch ist, hat sie uneingeschränkt Anteil an den weltbildhaften Vorstellungen einer vergangenen Zeit, und in diesem Rahmen ist gar nichts anderes denkbar, als dass Pflanzen und Tiere sozusagen „auf einen Schlag“, so wie wir sie heute kennen, aus der Hand ihres Schöpfers hervorgegangen sind (Theorie der Konstanz der Arten).
Es ist unbestreitbar, dass die biblischen Autoren in ihrer Darstellung der Schöpfung einen sehr direkten Gebrauch von den Naturerklärungen ihrer Zeit gemacht haben. „Es kann keinem Zweifel unterliegen“, schreibt Gerhard von Rad in einer der besten Auslegungen von Gen 1, „dass der Schöpfungsbericht nicht ausschließlich theologische, sondern auch Naturerkennt-nisse vermitteln will. … Die Theologie hatte eben in der damaligen Naturerkenntnis ein Instrument gefunden, das ihr völlig angemessen war.“[13] Das aber ist keineswegs mehr das unsere. Wir leben in einer anderen Zeit, und nichts kann uns nötigen, die Bibel als ein physikalisches oder biologisches Lehrbuch zu lesen. Ihre Aussage liegt auf einer anderen Ebene.
Hinzu kommt ein Zweites: Das Thema der Schöpfung wird sehr viel breiter entfaltet, als eine Konzentration auf die beiden ersten Kapitel unserer Bibel erkennen lässt. Es wird in den Psalmen, im zweiten Jesajabuch und in den weisheitlichen Überlieferungen (etwa den großen Schlussreden des Hiobbuches [Hi 40-41]) aufgenommen, Texten, die Jahrhunderte weit auseinanderliegen und von sehr verschiedenen Standorten her mit sehr unterschiedlichen Vorstellungen arbeiten. Heißt es in Gen 2, dass Gott wie ein Töpfer den Menschen aus Lehn bildete, so list man in Ps 139,15: „Mein Gebein war dir nicht verborgen, da ich im Dunkeln gebildet ward, kunstvoll gewirkt in Erdentiefen.
Zu einer förmlichen Lehre ist es erst in frühchristlicher Zeit gekommen, als man die breite Palette biblischer Aussagen auf die Texte einengte, die für das Reden vom Heil notwendig erschienen. Wichtig und wesentlich blieb nun allein die eine Linie, die von der Schöpfung zum Sündenfall und schließlich zur Erlösung führt, also der Zusammenhang von Gen 1 – 3, den allein wir darum auch in den Darstellungen der Kunstgeschichte wiederfinden. Jetzt erst wurde der Vorgang der Schöpfung ein für allemal auf das Sechstage-Werk, festgelegt, das mit der Erschaffung des Menschen seinen Höhepunkt und Abschluss erreicht. Hier war in einer großartigen Einseitigkeit von allem abgesehen, was als grundlegend für Welt und Mensch in der biblischen Urgeschichte ausgesagt wird.
Nimmt man dies alles zusammen, dann fällt vor allem eines auf: Die Erschaffung der Welt durch Gott ist im Alten Testament kein Glaubenssatz! In den Bekenntnisformulierungen der hebräischen Bibel (etwa Dtn 26,5-9) kommt die Schöpfung oder der Glaube an einen Schöpfer nicht vor. Warum? Weil es eine andere Möglichkeit der Weltentstehung, eine Alternative zu der von Gott gesetzten Wirklichkeit, nicht gab. Die Menschen des Alten Testaments „brauchten nicht zu glauben, dass die Welt von Gott geschaffen ist, weil das eine Voraussetzung ihres Denkens war“[14], eine Voraussetzung, die sie mit der ganzen Welt des Alten Orients teilten.
2.1 Wann sind sie Schöpfungsberichte entstanden?
Die Theologie hat erhebliche Mühe und auch Scharfsinn darauf verwandt, aus den verschiedenen Erzählungen, Hymnen und Disputationen ein Bild der Entstehung und Herkunft der Schöpfungsüberlieferungen zu rekonstruieren. Es liegt auf der Hand, dass das nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden, der Prüfung vorab entwickelter Hypothesen im Experiment geschehen kann, obwohl Forschungshypothesen auch hier eine beachtliche Rolle spielen. Das wissenschaftliche Instrumentarium, die historisch-kritische bzw. historisch-narrative Methode, sucht wie der Archäologe in einem Ruinenfeld Hinweise auf das Alter der Texte, charakteristische Stilmerkmale, mögliche Fremdeinflüsse, ursprüngliche Adressaten- und Leserkreise usf. zu gewinnen. Hinzu kommt – für unser Thema von besonderer Bedeu- tung – die Religionsgeschichte, die Aufschluss geben kann über Parallelen, vielleicht auch Abhängigkeiten von und in anderen Kulturkreisen.
Das erste und wichtigste Ergebnis der bis heute andauernden Forschungsarbeit besteht in der Erkenntnis, dass wir es in den Anfangskapiteln unserer Bibel mit zwei verschiedenen (ca. 4 Jh.e auseinander liegenden) Quellen zu tun haben. Die ältere Paradieserzählung (Gen 2,4b-25) stammt aus einem ausgesprochen kontinentalen Lebensbereich. Hier zeigt die Erschaffung des Menschen Gott in kühner Anschaulichkeit wie einen Töpfer mit der Ausformung seines Werkstücks beschäftigt, eine Vorstellung, die im Hiobbuch und in den Psalmen wiederkehrt: „Deine Hände haben mich kunstvoll gemacht und gebildet“ (Hi 10,8), die aber sehr viel älter ist und bereits im babylonischen Gilgamesch-Epos bei der Erschaffung Enkidus begegnet.
– Ganz anders der jüngere Bericht der sog. Priesterschrift (Gen 1), den man heute auf die Zeit des Exils (6.Jh. vor Chr.) datiert. Er hat ein ausgeprägtes kosmologisches Interesse, führt seine LeserInnen in einer bis ins Detail wohlüberlegten Systematik über die Entstehung der kosmischen Räume, der Pflanzen- und Tierwelt bis hin zur Erschaffung des Menschen. Dabei lässt er die handwerkliche Vorstellung der fabricatio mundi weit hinter sich und spricht stattdessen von der Schöpfung durch das Wort. Die weltüberlegene Transzendenz Gottes findet darin einen angemessenen Ausdruck, doch hat auch sie einen weiträumigen religionsgeschichtlichen Hintergrund.[15] – Wieder andere Akzente werden in der späten Weisheit gesetzt, die am ehesten unseren wissenschaftlichen Vorstellungen entgegen kommt.
Im Buch Hiob, den Proverbien und einigen Psalmen (bes. Ps 104) konzentriert sich das Nachdenken auf die rationale Seite der Schöpfung, ihre erkennbaren Gesetzmäßigkeiten und Ordnungen: den Gang der Gestirne, die Stabilisierung der Erdscheibe auf den Urgewässern, die Herkunft des Schnees, den Kreislauf des Wassers, die Gewohnheiten der wilden Tiere und anderes mehr. Man hat die Weisheit mit der ägyptischen Gottheit Maat verglichen, die das Recht und die Weltordnung verkörpert.[16] Auch wenn man von einer direkten Parallele nur unter Vorbehalt reden kann, so ist die Stilanlehnung dieser Texte an ägyptische Vorbilder unverkennbar. Sie arbeiten Hand in Hand mit der Wissenschaft ihrer Zeit und haben ihre Gegenstände, auch deren Abfolge, unmittelbar den naturkundlichen Listenwissenschaften Ägyptens, den sog. Onomastiken, entnommen. Über Aussageabsicht und -ziel der Schöpfungsberichte und -hymnen ist mit diesen religionswissenschaftlichen Hinweisen indessen noch nichts gesagt.
2.2 Gibt es ein Darstellungsprinzip („Weltbild“) der Schöpfung?
Dass sich das biblische Weltbild mit der Erde als Scheibe und dem sie überwölbenden Himmel tiefgreifend von unserm modernen Wissensstand unterscheidet, muss man nicht eigens betonen. Doch schließt das nicht aus, dass der Grundriss der Schöpfung, ihr Weltentwurf, auch hier einer überlegten inneren Ordnung folgt, die ich am Beispiel von Gen 1 kurz skizzieren will: Es ist einleuchtend, dass die Schöpfung mit der Scheidung von Licht und Finsternis beginnt. Denn wie könnte sie als Sechs- bzw. Sieben-Tage-Werk dargestellt werden, wenn nicht zuvor der Rhythmus von Tag und Nacht erschaffen wäre?
Wie aber soll man sich einen Reim darauf machen, dass die Pflanzen – ein altes Problem der Auslegung – vor Sonne und Mond erscheinen? Denn dass sie das Licht der Sonne zu ihrem Wachstum brauchen, wusste man auch in der Antike. Einem plausiblen naturgeschichtlichen Entwicklungsschema folgt der Aufbau von Gen 1 (entgegen den Annahmen des Kreationismus) offenbar nicht. Ihm liegt ein anderes Darstellungsprinzip zugrunde. Der Erzähler gliedert seinen Bericht so, dass er zuerst die Erschaffung der Lebensräume (Firmament = Himmel, Festland und Meer), danach die Erschaffung der ihnen zugeordneten Lebewesen vorführt.
Am Leitfaden der „Häuser“ (griech. oikoi) des Lebendigen wird die Schöpfung erstellt, - ein Prinzip der Anordnung, das man mit Fug und Recht ökologisch nennen darf. Die Gestirne, namentlich Sonne und Mond führen den Reigen der Lebewesen an. Sie gelten in der Antike als Götter, werden also zur belebten Kreatur gezählt. Sie „bewohnen“ das Firmament. Ihnen folgen die Wassertiere, die dem Lebensraum des Meeres, die Vögel, die dem Luftraum zugehören, und schließlich Landtiere und Menschen, die sich den Lebensbereich der Erde teilen müssen. Und die Pflanzen? Sie werden in dieser Systematik zum Lebensraum gezählt und unterstreichen so gewissermaßen den ökologischen Sinn der hier waltenden Logik. Denn wie könnte die Erde als Lebensbereich von Tier und Mensch angesprochen werden, wenn sie nicht mit der Nahrung gewährenden Pflanzenwelt ausgestattet wäre? Die Pflanzen also sind das Kleid der Erde und werden folgerichtig vor den Gestirnen erschaffen.
Ein zweites, noch tieferes Rätsel stellt sich mit dem ersten Schöpfungswerk, dem von Haydn so strahlend intonierten „Es werde Licht!“ Wie aber kann es Licht, wie Abend und Morgen werden, noch ehe Sonne und Mond geschaffen sind? Hier, so deutete ich an, wird der Rhythmus von Tag und Nacht erstellt, das Schema, in dem Zeitordnung und -messung möglich, in dem die Zeit selbst wirklich sein kann. Es trägt den Schöpfungsvorgang, und nur ihn, als Ausdruck einer „von Gott errichteten … und nur bei ihm auch fortbestehenden Ordnung“[17], so dass die Erschaffung der Gestirne als deren sichtbare Entsprechung begriffen werden muss.
Die erfahrbare Zeit der Phänomene wird demnach bedingt und umschlossen gesehen von einer anderen Gestalt der Zeit, in der Gott selbst seiner Welt vorausgeht. Heißt es in Ps 19,2: „Die Himmel verkünden die Herrlichkeit Gottes“, also die Aura, die Gott selbst umgibt, so ist das ein Hinweis darauf, dass sich die Schöpfung dieser von vorn her auf sie zukommenden Zeit öffnet, dass sie nach Gott hin offen ist („sie alle warten auf dich“; Ps 104,27), metaphorisch geredet: dass sie im „Morgenglanz der Ewigkeit“ liegt und auf ihre Vollendung in einem „neuen Himmel und einer neuen Erde“ (Jes 65,17) zugeht.
Mit Bonhoeffer gesprochen: Sie ist ein „Vorletztes“, das auf das „Letzte“ bezogen bleibt. Systematisch müssen wir darum zwischen Natur und Schöpfung unterscheiden, eine Differenz, die der Kreationismus ebenfalls nicht kennt, sondern einebnet. Wiederum metaphorisch gesagt: Die Natur verliert ihre Toten, sie werden wieder zu Staub; die Schöpfung aber kann auch den Tod in sich aufnehmen, ohne die Toten zu verlieren: sie bewahrt sie zur Auferstehung am Ende aller Tage.
Wichtig ist also vor allem dies: Das Schöpfungswerk wird auf dem Grundriss einer zeitbestimmten Ordnung erstellt (Anschlußstelle für die Frage der Evolution!). Das unterscheidet sie von den mythologischen Darstellungen der vorderorientalischen Umwelt. Sie wird als ein zeitlich gegliedertes, auf den Fortbestand der Zeit hin ausgerichtetes Gefüge entworfen. Das Sechs-Tage-Werk ist ein Spiegel der hebräischen, auf den Sabbat zulaufenden Woche. Die Erfahrung der Geschichte hat den Rahmen und die Perspektive bereitgestellt, in dem und unter der vom Ursprung der Welt erzählt wird, und umgekehrt wird mit der Schöpfung der Prospekt der Geschichte eröffnet. Sie wird in einen Geschichtslauf einbezogen, der zur Berufung Abrahams führt (Gen 12) und sich (in der Prophetie Deuterojesajas) bis zur Heimkehr Israels aus dem Exil erstreckt.
2.3 In welchem Sinne ist die Schöpfung ein Anfang?
Die Bilder des Anfangs, die uns im Zeichen der Schöpfung überliefert sind, wollen zunächst als Gegenbilder zu der auch damals allgegenwärtigen Erfahrung einer zerbrechenden Welt verstanden werden. Es ist nicht ohne Bedeutung, dass die berühmte Erzählung der Genesis nach allem, was wir wissen, erst in der Zeit des Babylonischen Exils, also sozusagen über den Trümmern Jerusalems aufgezeichnet ist. Sie ist die theologische Antwort auf die im Chaos der Verbannung versinkende Welt Israels. Angesichts des zerstörten Tempels, der Verwüstung des von Gott verliehenen Landes – die Gewalt der Vertreibung noch vor Augen – fragt man jedoch nicht primär nach den Rätseln der Kosmogonie.
Der Blick ist aufs Überleben gerichtet. Das Reden von Schöpfung und Schöpfer ist das Reden des bedrohten Menschen in einer bedrohten Welt, nicht die Frage des Intellektuellen nach der prima causa des Universums. Das Thema der Schöpfung steht von Anfang an zwischen der unbeirrt festgehaltenen Erkenntnis einer wohlgeordneten Welt und der Erfahrung des Einbruchs menschlicher und außermenschlicher Gewalt. Zur Debatte steht also nicht, ob die Welt tatsächlich so entstanden ist, wie die Bibel es „lehrt“, sondern ob es einen Garanten ihrer Dauer und ihres Bleibens gibt. Wer im Sinne von Gen 1,1 nach ihrem Anfang fragt, muss sich daher von der Vorstellung naturgeschichtlicher Werdeprozesse trennen, die den Rückschluss auf ein Ursprungsdatum von Himmel und Erde nahe legen könnten. Die Schöpfung, von der die Bibel erzählt, lässt sich auf keine Weise wie ein naturhistorischer Anfang „verifizieren“. Diesen Anspruch hat die Bibel auch nie erhoben.
Genau hier liegt denn auch der theologische Grundfehler des Kreationismus. In der Meinung, die „Wahrheit“ der Bibel gegen eine gottlose Aufklärung zu verteidigen, setzt er sich über die Fragerichtung und damit über die Absicht der alten Texte hinweg. Er verfälscht deren Pointe, indem er historisiert, was historisch niemals gemeint war. (Es liegt ja auf der Hand, dass man nach Adam und Eva nicht in derselben Weise fragen kann wie nach David oder Jesaja. Sie sind nicht historisch einmalige Individuen, sondern Repräsentanten der Menschheit. Was sie verkörpern und was die Erzähler an ihnen beschäftigt, ist nicht das unverwechselbar Einmalige einer menschlichen Biographie, sondern das wiederkehrend Typische des menschlichen Daseins.) Der Urgeschichte kommt man mit der Frage: Was ist damals wirklich geschehen? überhaupt nicht bei.
Worum also geht es? Man kann das biblische Thema der Schöpfung vielleicht am einfachsten auf die Formel bringen: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Wachstum und Werden, Natur und Geschichte, ja „Erfahrung“ überhaupt möglich ist und gelingt? Wer den Anfang in der Radikalität der Genesis zu begreifen versucht, wird darum nicht schon an ein zeitliches ‚initium’ denken dürfen, sondern wird nach der Ermöglichung eines solchen Anfangs fragen, d.h. diesen Anfang als Anfang zu allen Anfängen in der Zeit verstehen müssen: als die keineswegs selbstverständliche Fähigkeit, überhaupt einen Anfang zu machen.
Dazu gehören so elementare Gegebenheiten wie der Wechsel von Tag und Nacht, der Rhythmus von Saat und Ernte, aber auch die Institutionen der Ehe oder der Arbeit einschließlich aller Konflikte, die sie mit sich bringen. Hier werden die Konstanten freigelegt, in deren Rahmen sich das Dasein von Welt und Mensch vollzieht. Und sind das nicht auch die Bedingungen, unter denen allein es Wissenschaft gibt? Statt über die Erde zu verfügen, wird der Mensch in ein Gefüge von Bedingungen eingewiesen, von denen er abhängig bleibt, solange er lebt. Das ist der in Gen 1 beschriebene Anfang, dem er sein geschichtliches Dasein verdankt.
Darum erinnert uns die Bibel nicht zuletzt daran, dass die geschaffene Welt eine begrenzte Welt ist. Erschaffen heißt in Gen1 geradezu, Grenzen setzen (zwischen Chaos und Kosmos, Himmel und Erde, Festland und Meer) und dadurch definierte Verhältnisse und Beziehungen stiften, die der Grund dafür sind, dass sich das Leben durch Auswahl und Entscheidung von Möglichkeiten entwickelt. In diesem Netz definierter Beziehungen finden wir uns vor; es ist die unhintergehbare Basis alles Lebens, weshalb seiner Erschaffung auch in Zukunft – alle zweideutigen „Erfolge“ unserer Genetik eingerechnet – kein menschlicher Schöpfungsakt an die Seite zu stellen sein wird.
Zugleich ist damit eine fundamentale anthropologische Einsichtausgesprochen: Wir sind nicht ins Grenzenlose, sondern an eine bestimmten Ort im Raum und in der Zeit gestellt. Geschöpf sein heißt in Grenzen existieren.[18] Die Endlichkeit ist seine Auszeichnung, nicht ein zu behebender Mangel. So werden wir – man halte sich an den 104. Psalm – auch mit unserer unbestreitbaren Kunstfertigkeit und Macht gleichsam zurückgenommen auf die elementare Ebene kreatürlicher Freude, Arbeit und Not, mit allem Lebendigen einbezogen in das Warten auf Gott (V.27), dessen Atem wir mit jedem Sonnen- aufgang den Anfang unseres geschöpflichen Daseins verdanken
2.4 Kann die Theologie die Evolutionslehre akzeptieren?
Der Streit zwischen Evolutionsbiologie und Schöpfungsglaube war von Anfang an ein weltanschaulicher Konflikt. Dafür sprechen am deutlichsten die geradezu gegensätzlichen Argumente, die die Theologie gegen die revolutionär neue Lehre ins Feld geführt hat. Der klassische ältere Einwand richtete sich gegen die (faktisch weit überschätzte) Rolle des Zufalls im Verlauf der Evolution. Genau umgekehrt sah man sich ein halbes Jahrhundert später genötigt, mit dem Protest gegen einen lückenlosen Determinismus auf Ernst Haeckels „Welträtsel“ zu reagieren. Beide Fronten sind wissenschaftlich längst überholt.
Sie sind aber auch theologisch unhaltbar. Sie hätten ja nur dann ein Recht, wenn die Bibel – so das historistische Missverständnis – den Schöpfungsvorgang, insbesondere die Erschaffung des Menschen, auf eine bestimmte Vorstellung festgelegt hätte. Doch abgesehen davon, dass von dem Wie dieses Vorgang kein Wort verlautet – er ist uns (eine unübersteigbare Grenze theologischen Wissens!) gänzlich entzogen – warten die einschlägigen Texte mit einer Vielfalt unterschiedlichster (auch mythologischer) Bilder auf, um das Unbegreifliche menschlicher Anschauung irgendwie nahe zu bringen. Hier lässt sich nichts dogmatisieren, hier hat die wissenschaftliche Erkenntnisbemühung eine unanfechtbaren freien Raum. Gerade dort, wo im 19. Jahrhundert die Gegensätze am unversöhnlichsten aufeinander prallten, in der Frage der Evolution, wird das Gespräch heute mit der größten Verständigungsbereitschaft für die Fragen des anderen Partners geführt.
Dass die Annahme einer schrittweisen Entwicklung der Welt, insbesondere der Gattungen und Arten alles Lebendigen, dem freien Handeln Gottes nicht widerspricht, ihn als Schöpfer des Universums nicht in Frage stellt, wird heute nahezu von allen Theologen mühelos zugestanden. Man lernt die Evolutionstheorie als das „Konzept seiner Welt“ zu verstehen, „die allezeit im Werden begriffen ist“[19], d.h. als das Angebot einer „Theorie der Geschichtlichkeit der Natur“[20], die deterministische Erklärungsmodelle grundsätzlich hinter sich lässt.
Damit ändert sich zwangsläufig die Frage nach Gott. Der Anfang von Gen 1 löst sich in evolutiver Sicht auf in eine Fülle von Neuanfängen, so dass die Theologie mit ihren Überlegungen dort ansetzen muss, wo sie früher vom Werk der Erhaltung, Begleitung und Vollendung der Schöpfung gesprochen hat. Das ist, formal geurteilt, kein wirkliches Problem, denn gerade so wird der eine Anfang ja tatsächlich als „Anfang zu allen Anfängen“ ernst genommen. Nur eben. Wie lässt sich das denken? Wenn das biblische Reden von der Schöpfung und das Konzept der Evolution „grundsätzlich kompatibel“ sind (Bosshard), dann muss das an der schwierigsten Stelle, der Theorie der Selbstorganisation gezeigt werden, Das aber bedeutet: wir brauchen – und man sollte das offen aussprechen – über Gen 1 hinaus einen Schlüssel, der zu diesem Schloss passt. Wer oder was ist das „Selbst“ der Selbst-organisation?
Dazu noch ein paar kurze Bemerkungen: Die Bibel geht in allen Überlieferungsschichten von der Welttranszendenz Gottes aus. Erschaffen – ob in der Form erstmaligen Hervorbrin-gens oder nachfolgenden Gestaltens – ist dann immer ein Handeln bzw. Eingriff von außen. Es scheint aber hoffnungslos verwirrend zu sein, wollte man sagen, ein biologisches oder physikalisches Ereignis, sei es der Urknall oder eine Mutation, finde deshalb statt, weil Gott es von außen angeordnet oder bewirkt habe.
Die neuen Interpretationsversuche, angefangen von dem enthusiastischen Entwurf Teilhard de Chardins, gehen daher von einer Weltimmanenz Gottes aus. Sein schöpferischer Geist wird energetisch als die Innenseite der Materie begriffen, die die Evolution vorantreibt. Die amerikanische, von dem Mathematiker und Philosophen Alfred N. Whitehead angestoßene Prozesstheologie rechnet in ähnlicher Weise mit zwei dem Weltprozess immanenten „Naturen“ Gottes, einer „primordial nature“, kraft der er das Ziel der Entwicklung vorgibt, indem er jede „entity“ zu dem für sie optimalen Zustand „überredet“, und einer „consequent nature“, kraft der er mitempfindend (als „fellow sufferer“) das Werden der Welt begleitet, die Welt gleichsam physisch empfindet und sich dadurch von ihr abhängig macht. Das Problem ist dann in beiden Fällen dasselbe: Gott wird bis zur Selbstpreisgabe in seine Schöpfung hineingezogen mit der Folge, die Whitehead als Philosoph risikolos formulieren kann: „Es ist genau so wahr zu sagen, dass Gott die Welt erschafft, wie zu behaupten, dass die Welt Gott erschafft.[21]
Mit dieser Konsequenz wird sich die Theologie nicht abfinden können. Sie würde Gott als ihr kritisches Gegenüber verlieren. Und so mag der Hinweis auf diese Aporie einstweilen nur erläutern, was für die Theologie wie für jede Wissenschaft gilt: Auch sie kann nur einen Teil der umfassenden Wirklichkeit unter der ihr eigenen Perspektive erfassen. Auch ihr Nach- denken ist ein offener Suchprozess.
3. Die These des Intelligent Design: ein versteckter Gottesbeweis?
Es lässt sich nicht bestreiten, dass die These des Intelligent Design – anders als der Kreationismus – zentrale theologische Fragen aufwirft und zwar in einem ernsthaften Gespräch mit der zeitgenössischen Naturwissenschaft: Ist die Welt das zufällige Produkt physikalischer und biochemischer Vorgänge, das willkürliche Resultat von Versuch und Irrtum ohne tieferen Sinn und Bedeutung? (R.Dawkins) Ist der Mensch „das Ergebnis eines rein materiellen Prozesses ohne Zweckbestimmung und Absicht“? (George Simpson) Oder steht hinter alledem ein planvoller schöpferischer Wille, von dessen verborgener Wirksamkeit die besten Physiker des letzten Jahrhunderts überzeugt waren? „Ein tiefer Naturwissenschaftler“, schrieb Albert Einstein, „vermag sich nicht vorzustellen, dass die ungemein feinen Zusammenhänge, die er erschaut, von ihm zum ersten Mal gedacht werden. Nein: Im unbegreiflichen Weltall offenbart sich eine grenzenlose Vernunft.“[22] Von Walter Nernst ist der Satz überliefert: „Physik treiben heißt, dem Schöpfer hinterhersehen.“
3.1 Thema und Problem
Die Evolution wird von der Theorie des Intelligent Design selbstverständlich anerkannt. Doch angesichts der wachsenden Einsicht in die Komplexität des Lebens geraten viele mechanistischen Vorstellungen, auch die Erklärungskraft der Darwinschen Grundpfeiler (Mutation und Selektion) ins Wanken. Karl Popper ging sogar so weit und nannte die klassische Evolutionstheorie eine „metaphysische Hypothese“, da sie wesentlich theoretischer Natur sei und sich empirisch weder verifizieren noch falsifizieren lasse. So hat Simon Conway Morris, Paläobiologe aus Cambridge, in einem jüngst erschienenen Buch („Jenseits des Zufalls“) darzulegen versucht, warum die Darwinschen Prinzipien allein die Vielfalt und Ordnung des Lebens nicht erklären, geschweige denn in ihrem Sinn erschließen können. Dem Leben müsse ein Plan zugrunde liegen, der es auf ein Ziel hinlenkt.
Ein weiteres in diesem Zusammenhang immer wieder diskutiertes Beispiel ist das unter Physikern nicht unumstrittene sog. „anthropische Prinzip“, die Tatsache, dass einige wenige Naturkonstanten, nämlich die Lichtgeschwindigkeit, das Massenverhältnis von Elektron zu Proton, die Gravitations- und Feinstrukturkonstante gemeinsam mit den klassischen Natur- gesetzen für die Möglichkeit des Lebens unverzichtbar sind.[23]
Wäre etwa die Gravitationskonstante nur 2 Stellen hinter dem Komma kleiner, könnte die Erde ihre Atmosphäre nicht festhalten; Leben wäre unmöglich. Die tatsächlich gegebene Feinabstimmung (fine tuning) dieser Konstanten beschreibt also die Bedingungen, unter denen allein Leben entstehen kann. Sollte dieses Zusammenspiel, so die naheliegende Frage, Zufall sein? Ein weiteres, nicht weniger erstaunliches Forschungsresultat erläutert der Physiker Walter Thirring. Er beschreibt die Zielgenauigkeit des Urknalls und kommt zu dem Ergebnis: Wäre er nur geringfügig stärker ausgefallen, gäbe es uns nicht, wäre er schwächer gewesen, gäbe es uns auch nicht. Wiederum: Reiner Zufall?
Jenseits unseres berechtigten Staunens angesichts dieser Phänomene stellt sich zunächst die Frage, was man aus ihnen tatsächlich schließen kann. Kann, so lautet ein physikalischer Einwand, ein souverän ordnender Geist (ein intelligent designer, wie immer man sich ihn vorstellen mag) überhaupt auf Materie einwirken? Ein durch Naturgesetze bestimmtes Werden und das Wirken eines „geistigen Prinzips“, das die antike Philosophie bis hin zu Thomas von Aquin in Form einer immanenten Teleologie der Natur gleichsam eingestiftet sah, seien unaufhebbare Widersprüche (R.Dawkins).
Dagegen lässt sich immerhin fragen, wer die Naturgesetze und -konstanten für welchen Zweck gerade so geordnet hat. Der Preis jedenfalls ist hoch, wenn man der Materie die Offenheit absprechen wollte, durch ein geistiges Prinzip bestimmt zu werden. Ulrich Eibach, Theologe und Ethiker, hat zweifellos Recht, wenn er dekretiert: „Wenn es kein Bestimmtwerden der Materie durch geistiges Sein gibt, dann kann es kein Wirken Gottes in dieser Welt geben“[24], so wie es die Bibel mit der Erschaffung der Welt durch Gottes Wort und Geist beschreibt (selbst wenn Gott seiner Schöpfung die Freiheit einräumt, ihre Gestaltenvielfalt selber zu „organisieren“ - gemäß dem schönen Diktum von Teilhard de Chardin: „Dieu faisant se faire les choses“). Ich selbst jedenfalls neige zu der These, dass Materie und Geist zwei gleichursprüngliche Realitäten unserer Welt sind.
So umstritten diese Fragen und Thesen heute (noch) sind: Das eigentliche Problem des Intelligent Design liegt nicht hier, sondern an einer anderen Stelle. Problematisch ist die Richtung (und damit auch die Stringenz) des hier intendierten Schlusses von der Welt auf ihren schöpferischen Grund. Sie erinnert an ähnliche Argumentationsfiguren, die Paul Davies entwickelt hat: Er fragt: „Warum ist die Welt so, wie sie ist“?[25], um dann eine passgenaue Antwort auf die Frage nach dem ihr gemäßen Gott zu bekommen. Schon die erste Frage ist jedoch keine wissenschaftliche, d.h. durch Wissenschaft entscheidbare Frage, sondern eine metaphysische Problemstellung, die sich kosmologisch weder angemessen noch sinnvoll bearbeiten lässt, sondern die auf dieser Ebene nur dazu führt, das metaphysische Thema auf problematische Weise in einen Gegenstand der Physik zu transformieren.
Hier nimmt sie zwangsläufig dann die Gestalt der Frage an: Wie muss der (rational verstehbare) Aufbau der Welt gedacht werden, damit ein Gott denkbar ist? – und damit verfangen sich die physikalischen Erklärungsversuche in den in den Alternativen der metaphysischen Tradition. Denn als zuverlässiger Erklärungsgrund des Kosmos muss nun auch Gott der Forderung des „so und nichts anders“ unterliegen. Diese Schwierigkeit spiegelt sich auf dem Boden inhaltlicher physikalischer Erklärungen in einer Fülle von Äquivokationen. Kann etwa die viel diskutierte Hypothese des „Urknalls“ das Rätsel des biblischen Anfangs auflösen? Dagegen spricht schon auf der Ebene der Physik, dass sich die Rekonstruktion dieser Hypothese im Dunkel verliert, sobald man bezweifelt, „ob die uns zugänglichen Naturgesetze (hier) als herrschend angenommen werden dürfen“.[26]
Der theologische Einwand wiegt noch schwerer. Der Hinweis auf den schöpferischen Willen Gottes, der dem Universum diese und keine andere Ordnung gegeben hat, stammt erklärtermaßen nicht aus dem Erfahrungsbereich der Physik. Er ist ein Argument der Schöpfungstheologie. Der vom Intelligent Design gemeinte und zu hier leistende Brücken-schlag aber müsste eine physikalische bzw. biologische Basis haben. Er ist ohne ein teleologisches Argument nicht zu bewältigen. Physikalischen Gleichungen und biochemischen Analysen lässt sich jedoch kein Hinweis auf ein Telos der Welt entnehmen. Sie sind zu formal, als dass sich eine ‚Konsonanz’ mir theologischen Aussagen, die diesen Namen verdient, standfest begründen ließe.
Das Problem dieser sympathischen These ist der unausgesprochene Versuch, auf der Basis unserer Naturerkenntnis noch einmal einen indirekten Gottesbeweis zu führen, ein Unter - nehmen, das schon Kant als eine prinzipiell unbeweisbare Unterstellung unseres Denkens abgewiesen hat.[27] Denn zur Wissenschaft im neuzeitlichen Sinne ist die Naturerkenntnis erst durch den methodischen Verzicht auf die Arbeitshypothese „Gott“ geworden. Die „theolo- gischen“ Bemühungen auch der einsichtsvollsten Forscher, sind – so gesehen – der paradoxe Versuch, den „verlorenen“ Gott auf einer atheistischen Basis zurückzugewinnen. Psychologisch gesprochen: Wir suchen die Antwort auf die Orientierungskrise der gegenwärtigen Situation in den Wissenschaften, also genau dort, wo diese Krise ihren Anfang genommen hat: in jener Überschätzung der Naturwissenschaften, die das, was dort an Wahrheit gefunden und erkannt werden kann, mit Wahrheit überhaupt identifiziert.[28]
Was folgt daraus? Von der Erkenntnis, oder richtiger: von der Gewissheit, dass die Welt „durch Gottes Wort geschaffen ist“ (Hebr 11,3), kann man nur herkommen. Sie ist nicht das Resultat möglicher Schlußfolgerungen. Die Argumentationsrichtung muss umgekehrt werden. Wir kennen Gott aus anderen Quellen als der Physik: aus Bibel und Gottesdienst, und was wir unternehmen können, ist der Versuch, die Spuren seines Wirkens bei und in unseren Forschungen zu entdecken, sie gewisssermaßen in der Natur wiederzufinden. Diesen Weg hat die biblische Weisheit vom Buch Hiob bis zur Bergpredigt beschritten: „Frage doch das Tier, es wird dich lehren / und die Vögel des Himmels, sie werden dir’s anzeigen … Wer wüsste nicht Bescheid von dem allen, dass Gottes Hand dies gemacht hat?“ (Hiob 12,7-9) Dass die Welt eine theologische Aussage hat, lässt sich gar nicht bestreiten.
3.2 Wo haben wir die „Wahrheit“ der Schöpfungsaussagen zu suchen?
Wer von der Schöpfung redet, bewegt sich im Feld der Theologie. Physiker und Biologen sprechen von der Natur, wenn sie den gleichen Sachverhalt meinen. Es sind zwei verschiede Perspektiven, in denen sich die Welt hier und dort unter einer spezifischen, je anderen Beleuchtung zeigt. Man kann nicht fragen, welches die richtige oder gar die „wahre“ Perspektive ist. Es kommt darauf an, wo man steht. „Entscheidend für die Deutung von Erkennt-nissen der Naturforschung“, resumiert Eibach, „sind also die aus der Forschung und ihren Ergebnissen selbst nicht ableitbaren Vorverständnisse und Lebenseinstellungen der Forscher, also nicht zuletzt die Glaubens- oder Unglaubensüberzeugungen“, auf deren Hintergrund sie interpretieren.[29]
Die Frage drängt sich auf, ob der Standort des Theologen sich einem besonderen Offenbarungswissen verdankt. Offenbarung bedeutet Enthüllung, das Hervortreten eines Verborgenen, die Verkündigung des Unbekannten. Gott selbst hat sich auf diese Weise „offenbart“ (Ex 3,6ff.). Von einer solchen expliziten Kundgabe der Schöpfung kann jedoch im Alten Testament nicht gut geredet werden. So kennt die Schöpfung keine Sonderung der Daseinsbereiche in „heilig“ und „profan“. Was hier zur Sprache kommt, hat mit den durch Offenbarung begründeten Themen „Erwählung“ und „Bund“ unmittelbar noch nichts zu tun. Während das Bekenntnis zum Gott Abrahams Israel von der Völkerwelt trennt, schließt die Urgeschichte Israel mit seiner „heidnischen“ Umwelt zusammen. Die Schöpfung liegt allen Menschen in gleicher Weise offen vor Augen. Auf ein exklusives, nur Israel geltendes geoffenbartes „Geheimwissen“ beruft sich die Bibel an keiner Stelle.
Dennoch geht die Bibel wie selbstverständlich davon aus, dass die Schöpfung eine Aussage hat, ja sogar Wahrheit entlässt, dass es durchaus nicht unmöglich ist, in ihren Spuren zu lesen.[30] „Was man von Gott erkennen kann, ist unter (allen) Menschen offenbar“, schreibt Paulus, „denn Gott hat es ihnen offenbart. Sein unsichtbares Wesen … ist seit der Erschaffung der Welt an und in seinen Werken deutlich zu erkennen.“ (Röm 1,19). „Gott hat sich in seiner ganzen Schöpfung in einer Weise öffentlich dargestellt und tut es noch heute“, sekundiert Calvin, „dass die Menschen ihre Augen gar nicht auftun können, ohne ihn geradezu erblicken zu müssen“ (Inst I,5,1); denn die Welt ist “Schauplatz und Bühne seiner Herrlichkeit“.
Dass uns dieses Sehen mit einem wissenschaftlich geschulten Blick die Augen noch für ganz andere Wunder der Schöpfung öffnet, als man in biblischer Zeit ahnen konnte, und so die Möglichkeit des Glaubens an einen schöpferischen Gott auch auf dem Boden der Wissenschaft offen hält, sollte man den Vertretern des Intelligent Design nicht absprechen. Man wird es würdigen müssen, auch wenn ihr Anspruch, auf diese Weise das Wirken Gottes oder gar seinen „Plan mit der Welt“ (P.Davies) beweisfähig zu machen, zum Scheitern verurteilt ist.
[1] D.Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Neuausgabe, München 1977, 393.
[2] V.von Weizsäcker, Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, Göttingen 19636 , 26.
[3] H.Fritzsch, Vom Urknall zum Zerfall, München 1994, 325.
[4] J.Audretsch, Der Blick aufs Ganze, in: J.Audretsch / H.Weder, Kosmologie und Kreativität. Theologie und Naturwissenschaft im Dialog, Leipzig 1999, 44f.
[5] Ebd. 38.
[6] „In der Naturwissenschaft ist die zentrale Ordnung daran zu erkennen, dass man … solche Metaphern verwenden kann wie ‚die Natur ist nach diesem Plan geschaffen’ . Und an dieser Stelle ist mein Wahrheitsbegriff mit dem in den Religionen gemeinten Sachverhalt verbunden“, W.Heisenberg, Positivismus, Metaphysik und Religion, in: Ders, Der Teil und das Ganze, München Zürich 19815, 292. Vgl. dazu U.Eibach, Falsche Fronten: Der Streit um „Intelligent Design“, in: Zeitzeichen 8,2007, Heft 9, 12ff.
[7] Dazu: Chr.Link, Eine Wirklichkeit – zwei Welten. Über die Grenzen der naturwissenschaftlichen Welt- interpretation, in: :Schneider / F.Vogelsang (Hgg.), in welcher Wirklichkeit leben wir?, Neukirchen 2007, 63-75.
[8] H.Fritzsch, a.a.O. 325.
[9] C.F. von Weizsäcker, Komplementarität und Logik, in: ders., Zum Weltbild der Physik, Stuttgart 196310, 284.
[10] R.Descartes, Die Prinzipien der Philosophie III (1647),2 (PhB 28), Hamburg 1965, 64.
[11] In neuerer Zeit haben sich auf unterschiedliche Weise A.N.Whitehead, Die Funktion der Vernunft (1929), Nachdruck: Stuttgart (Reclam) 1974, und H.Jonas, Organismus und Freiheit, Göttingen 1973, mit guten Gründen für eine Rehabilitation der Finalität eingesetzt.
[12] So: C.F. von Weizsäcker, Die Tragweite der Wissenschaft, Stuttgart 1964, 128.
[13] G. von Rad, Theologie des Alten Testaments, Band I, München 19624, 161f.
[14] C.Westermann, Schöpfung. Themen der Theologie. Stuttgart 1971, 14.
[15] Im babylonischen Weltschöpfungs-Epos ‚Enuma elish’ beweist Marduk seine göttliche Macht, indem er durch sein befehlendes Wort einen Gegenstand ins Dasein ruft und wieder verschwinden lässt, und näher noch scheint sich Gen 1 mit Zügen der altägyptischen „memphitischen“ Theologie zu berühren, derzufolge der Allgott Ptah auch die Götterneunheit (einschließlich des Sonnengottes Re) durch sein Wort erschafft. Vgl. G.von Rad, a.a.O. (Anm. 13), 157.
[16] H.H.Schmid, Gerechtigkeit als Weltordnung. Hintergrund und Geschichte des alttestamentlichen Gerechtigkeitsbegriffs, Tübingen 1968; etwas zurückhaltender: J.Assmann, Ma’at. Gerechtigkeit und Unsterblichkeit im Alten Ägypten, München 1990, 164ff.
[17] O.H.Steck, der Schöpfungsbericht der Priesterschrift, Göttingen 1975, 210; zum Ganzen auch: Chr.Link, Schöpfung, HST 7/2, Gütersloh 1991, 360ff.
[18] Vgl. hierzu die hellsichtige Interpretation von D.Bonhoeffer, Schöpfung und Fall (1932/33), München 1968, 59f. bes. 84ff.: „Die Grenze des Menschen ist in der Mitte seines Daseins, nicht am Rand“ (ebd.60).
[19] S.N.Bosshard, Erschafft die Welt sich selbst?, QD 103, Freiburg 1985, bes. 191ff.
[20] G.Altner, Die Überlebenskrise in der Gegenwart, Darmstadt 1987, bes. 86ff.
[21] A.N.Whitehead, Prozess und Realität, Frankfurt 1979, 621.
[22] Das Zitat verdanke ich (ohne Quellenangabe) Herrn Hans Pilgram, Trier. In einer von Carl Seelig zusammengestellten Auswahl: „Albert Einstein, Mein Weltbild“, Zürich-Stuttgart-Wien 1953, 223, heißt es: „Es ist gewiss, dass eine mit religiösem Gefühl verwandte Überzeugung von der Vernunft bzw. der Begreiflichkeit der Welt aller feineren wissenschaftlichen Arbeit zugrunde liegt.“
[23] Dazu: R.Breuer, Das anthropische Prinzip. Der Mensch im Fadenkreuz der Naturgesetze, Frankfurt 194
[24] U.Eibach, Falsche Fronten, a.a.O. ( Anm.5), 14.
[25] P.Davies, Der Plan Gottes. Die Rätsel unserer Existenz und die Wissenschaft, Frankfurt 19962, 192ff.
[26] H.L.Harney, Was ist Zufall – Wirklichkeit oder Bild der Wirklichkeit?, in: R.Bernhardt / U.Link-Wieczorek (Hg), Metapher und Wirklichkeit (FS D.Ritschl), Göttingen 1999, 192ff.
[27] I.Kant, Kritik der Urteilskraft (1799), § 75; PhB 79 a, Hamburg 1959, 262ff.
[28] Zu diesem Problem: Chr.Link. Schwierigkeiten im Gespräch zwischen Naturwissenschaft und Theologie, in: Ders., In welchem Sinne sind theologische Aussagen wahr?, Neukirchen 2003, 143 – 160.
[29] U.Eibach, a.a.O. (Anm.6) 15.
[30] G. von Rad, Weisheit in Israel, Neukirchen 1970, bes.385, hat diesen Satz mit einer Fülle von Beobachtungen und Sentenzen belegt.
© Prof. Dr. Christian Link
Christian Link
In Updikes Roman will Student Dale Kohler die Existenz Gottes mit einem Computerprogramm beweisen. Professor Roger Lambert hält ihm entgegen: Ein Gott, den man „aus dem Herzen der Natur“ beweisen könne, mache den Glauben billig.