Das Dekaloggebot der Elternehre heute

Vorurteile und Sozialpolitik

(Notat to go). Es fing harmlos an. In der Altersfalle ist das Thema des Artikels. Der Untertitel verspricht eine Auslegung des Elterngebots.

Aus den ersten Zeilen spritzt das Blut in hohen Fontänen, Leichen säumen den Wegesrand, das Bild für die Taten des alttestamentlichen Gottes ist im Kopf gemalt. Neben dem Zuckerbrot des Versprechens gebe es auch die knallende Peitsche der Vergeltung, so wird er vorgestellt, der himmlische Gesetzesgeber*. Dem gewaltigen Intro folgt ein Urteil: das Gebot sei »ganz banal eine Frage der irdischen Wohlfahrt und des soliden Eigeninteresses«. Nach einem Schlenker über den bescheidenen Reichtum Abrahams, den sein Knecht auf eine Weise pries, wie sie »den Gewinnern heutiger Börsenspekulationen« von ihren PR-Agenten aus dem Redemanuskript gestrichen würde, endlich eine aktuelle Konkretisierung. Nicht um Gehorsam und Höflichkeit im Kinderzimmer gehe es, sondern um eine angemessene Altersversorgung. Diese habe in Mitteleuropa weitestgehend der Staat übernommen. Den erwachsenen Kindern bleibt jedoch die Sorge um das »psychische Wohlbefinden«. Das sei stressig für die 40- bis 60-Jährigen, so Autor Uwe Bork. Unter dem Anspruch, die Kinder zu fördern und die Eltern zu versorgen, werde die »Sandwich-Generation« kraftlos, welk, krank. Wer ist schuld daran? Der »apodiktische Wortlaut« des Gebots. Er bürde »vielen Menschen Lasten auf, die sie nicht tragen können«. Also sei es an der Zeit für ein »christliches Verständnis vom göttlichen Gesetzgeber« und ein neuen Generationenvertrag, der »Geschäfte« abschließe, die auf »Gegenseitigkeit« beruhten. Die Argumentation des Autors Uwe Bork in journalistischer Kürze: Das strenge Gebot des alttestamentlichen Gottes treibt die erwachsenen Kinder ins Burnout. Nein, offen antisemitische Propaganda, die Juden als Kindsmörder verunglimpft, ist der Christ & Welt-Artikel nicht, aber die Argumentationskette ist doch irritierend - und das in einem Text, der auf der Titelseite der Zeit angekündigt wird.

Es geht auch anders. Nicht »banal«, sondern »rational« ist die Argumentation des Gebots: »Du sollst deine Vater und deine Mutter ehren auf dass du lange lebst in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott geben wird.« Erwachsene Landbesitzer wird die Versorgung alter Menschen und ein würdevoller Umgang mit ihnen eingeschärft. Ein langes Leben wird den Kindern verheißen, sprich: auch sie können im Alter die Versorgung durch ihre Kinder erwarten. Der Appell des Dekaloggebots richte sich »durchaus an ein aufgeklärtes Eigeninteresse«, meint der Theologe und Ökonom Traugott Jähnichen. Gänzlich unsentimental analysiert er nach dem Drei-Generationen-Modell unseren Sozialstaat: Rentner seien nur in unterdurchschnittlicher Weise von Armut betroffen, Armut unter Kindern und Jugendlichen sei hingegen überdurchschnittlich verbreitet. Die Rentenkasse gibt's, die Kinderkasse fehlt. Generationengerechtigkeit sieht anders aus. Auch diese Blickrichtung ist alttestamentlich: »Die Vorfahren essen unreife Früchte, den Kindern aber werden die Zähne stumpf!«

Die theologisch im Gebot verankerte sozialpolitische Forderung Jähnichens, das Generationenverhältnis neu zu gestalten, würdigt unsere Eltern auf besondere Weise: Die Elternehre gilt auch unseren Glaubens-Vätern und Müttern im Alten Testament.
Das Blut, übrigens, das im Alten Testament spritzt, ist das Blut, das zum Himmel schreit, das Blut der unschuldig Getöteten. Das wird nicht verschwiegen.

*In der Altersklemme. Von Uwe Bork, in: Christ & Welt vom 9. Januar 2014 (als Beilage zur Zeit); http://www.christundwelt.de/

Literatur
Traugott Jähnichen, Das Alter ehren, der Jugend Gewicht geben? Überlegungen zur Generationensolidarität und Generationsgerechtigkeit in theologischer Perspektive, in: Alternde Gesellschaft, Jahrbuch Sozialer Protestantismus 6, Gütersloh 2013, 113-134.

Barbara Schenck, 15. Januar 2014