Die Berufung des Petrus: Matthäus 16,13-19 und Johannes 21,15-19

Predigt von Dorothea Kuhrau

Predigt über die Berufungen des Petrus (Matth 16,13-19 und Joh 21,15 – 19) in der Reihe Herausgerufene – Gottes befremdliche Aufträge. Gemeindesaal der Antoniterkirche am 13.11.2011

Die Lesung während der Liturgie: Matth.16,13 – 19 bot die erste Berufungsgeschichte,
die zweite, Joh. 21,15-19, wird während der Predigt vorgetragen.

Liebe Gemeinde!
„Ich muss über Petrus predigen“, sagte ich zu meiner katholischen Nachbarin Renate. Die sah darin kein Problem. Wörtlich sagte sie: „Petrus war der erste Papst und der Papst ist Gottes Stellvertreter auf Erden.“ Bis heute glaubt die größere Hälfte der Christenheit, dass der Papst in Rom zu Recht seines Amtes walte und er dies durchaus mit Gottes Willen und Zustimmung tue: wegen Petrus.
Wir Evangelischen aber haben erst vor zwei Wochen beim Reformationsfest an Luthers Abgrenzung gegen den Papst in Rom gedacht und an sein neues Vertrauen auf Gottes freie Gnade. Welche Rolle spielt für uns denn Petrus?
„Keinem von uns ist Gott fern“, heißt es in der Apostelgeschichte. Aber wir selbst fühlen uns manchmal allein, weit entfernt von Gott in seiner Erhabenheit. Da ist es gut, von jemandem zu wissen, der ihm offiziell näher steht. Die Berufungsgeschichten, die in unserem Kreis in diesem Jahre nacherzählt und ausgelegt wurden, spiegelten diese besondere Nähe zu Gott. Abraham, Mose, Amos, Paulus, alle folgten sie seinem Ruf.
In unserer Predigt heute geht der Ruf nicht von Jahwe aus, sondern vom historischen Jesus. Er berief den Petrus. Petrus stand Jesus so nahe, dass er sich zu Recht als Bewahrer seiner Anliegen fühlen konnte. Von keinem Jünger spricht das Neue Testament so häufig wie von Petrus. Aber welches waren denn Jesu Anliegen? „Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Treue“ lesen wir etwa in Matth. 23. Und dies wird im Folgenden nicht in einer Berufungsgeschichte entfaltet, sondern in dreien. Wer war dieser Petrus?

Die erste Berufung des Petrus am See zum „Menschenfischer“: Matth. 4,18 - 20

Eigentlich hieß er Simon, Sohn des Jona, Barjona auf aramäisch, aber barjona als Adjektiv heißt auch „impulsiv“. Und so haben wir ihn auch kennen gelernt, seitdem wir im Kindergottesdienst von ihm hörten: Immer mit dem Mund vorneweg, und auch wenn’s sein musste mit dem Schwert. Simon Petrus und sein Bruder Andreas stammten aus Bethsaida in Galiläa. Beide waren Fischer. Ich nenne ihn im Folgenden Petrus, Paulus nennt ihn konsequent Kephas, beides ist als Beiname gedacht und heißt, wie Sie wissen, „Stein“. In Kapernaum, auf der westlichen Seite des Sees Genezareth, kann man heute die ausgegrabenen Reste von Häusern aus der Zeit Jesu besichtigen, darunter eines, das „Haus des Petrus“ heißt. Wohnte er hier in seiner Großfamilie? Versorgte hier die Schwiegermutter die Kinder, als Petrus und seine Frau dem Ruf Jesu gefolgt war?

Jesus hatte den beiden Brüdern befohlen, sofort mit ihm zu kommen. Sofort. Nicht einmal die Netze, die sie ausgeworfen hatten, holten sie noch herein. „Ich will Euch zu Menschenfischern machen“, zu Missionaren für die Königsherrschaft Gottes. Und Simon folgte ihm, sein Bruder Andreas folgte ihm. Und seine Frau! Sie gehörte, wie wir aus 1.Kor. 9 wissen, zu den Frauen, die ihre Männer bei ihrer Mission begleiteten, vielleicht auch schon zu Lebzeiten Jesu.

Die zweite Berufung des Petrus zum Fundament der Kirche Mat.13, 17 – 19

Wir haben diese Berufung eben als Lesung gehört und Sie finden sie auch vor sich als Text „Du bist Petrus (Stein) und auf diesen Fels will ich meine Kirche gründen.“
Was sah Jesus in Petrus? Wozu berief er ihn? Zum Gründer einer Kirche? Einer Großorganisation? Sicher nicht! Jesus wollte die Königsherrschaft Gottes. Er verkündete sie und er brachte sie zugleich seinen Zuhörern, in dem wie er die Kranken gesund machte, in der Art, wie er sie freisprach von schlechtem Gewissen, wie er sie lieb hatte.
Vor allem die Armen, die Landarbeiter, die Krämer und die Kranken. Das sollte auch nach seinem Tod weitergehen. Vielleicht vertraute er deshalb besonders auf Petrus? Der war ein Organisationstalent, ein Macher.
Freilich, den Satz: „Du bist Petrus, der Fels, auf den ich meine Kirche bauen werde“, den hat Jesus wohl nicht zu ihm gesprochen. Denn Jesus konnte sich eine Kirche, gar „seine Kirche“ überhaupt nicht vorstellen. Er lebte als Jude unter Juden. Er hoffte, dass Petrus und Andreas, Jakobus, sein eigener Bruder, Johannes und wohl auch Maria Magdalena dafür in Zukunft Mitstreiter bleiben würden. Freunde, die sich der Herrschaft Gottes auf Erden öffnen würden und sie vorantreiben, beherzt und getrost. So gab er a l l e n Jüngern Geist und Vollmacht, in seinem Sinne zu handeln. (Matth. 18,18 u.a.) Zum Bischof von Rom oder gar zum ersten Papst hat Jesus den eifrigen Petrus sicher nicht gemacht.

Denn erst nach 250 n. Chr. wurde das Amt des Bischofs von Rom als etwas verstanden, das man als Wichtigstes ununterbrochen weiter vergeben durfte. Also Nachfolge Petri auf Dauer über die Jahrhunderte! Dieses Amtsverständnis begann, als der Bischof und die Christen in Rom im weströmischen Reich gegenüber den Bischöfen von Konstantinopel, von Jerusalem und Alexandria im oströmischen Reich eine Vorrangstellung beanspruchen und legitimieren wollten. Entsprechend wurden diese Verse später interpretiert. In dieser Bewertung der Stellung des Petrus sind sich seit etwa 30 Jahren die neutestamentlichen Wissenschaftler einig. Und zwar evangelische wie katholische. Jesus hat Petrus nicht zum Papst berufen. Aber warum ist der dann der bekannteste Jünger Jesu geworden?

Die dritte Berufung des Petrus zum Hirten: Joh 21,15 – 19

Um dies zu beantworten, schauen wir auf den auferstandenen Christus. Er sprach die dritte Berufung des Petrus aus. Sie klingt ganz anders als die erste und die zweite Berufung.
Nicht Petrus, der Macher, das Organisationstalent ist gefragt, sondern der Petrus, der Jesus lieb hat und ihm auch im Alter und im Leid noch vertrauen wird. Wir wollen die beiden jetzt treffen:

Ein kühler Morgen. Frühdunst liegt über dem See Genezareth. Der Auferstandene erwartet seine Jünger am Ufer des Sees. Sie arbeiten ja nach seinem Tod wieder in Galiläa als Fischer. Er hat schon Feuer angezündet, Fische gebraten und Brot bereit gelegt. Fürsorglich sagt er: „Kinder, kommt her und esst.“ Und so geht diese Osterlegende weiter:
Lesung Text Joh.21, 15
Hier wird einer von neuem berufen, der seinen Auftraggeber bereits dreimal verleugnet hat. Und also fragt der ihn dreimal: „Simon Petrus, hast Du mich lieber als diese anderen hier? Ja, dann nimm meinen Auftrag entgegen: Weide meine Schafe!“
Nicht um den Aufbau einer mächtigen Kirche geht es, nicht um Schlüsselgewalt und Exkommunikation. Viel bescheidener lautet dreimal der Befehl: Weide meine Lämmer! So oft fragt Jesus, dass Petrus ganz genervt antwortet: „Du weißt doch alles, also weißt du doch, dass ich dich lieb habe.“ Und beide wissen, was ungesagt bleibt: trotz des Petrus Treulosigkeit in der Verleugnung.

Ich kann nur immer neu staunen über das Vertrauensvolle, das fast Intime dieser Szene. Jesus denkt nicht daran, das Gesicht zu wahren als auferstandener Christus und Gottessohn. Nein, er riskiert sich. Er fragt nach Freundesliebe: „Petrus, sag mal ehrlich, bin ich auch wirklich Dein allerliebster Freund? Schwörst Du? Großes Ehrenwort?“ Fast wie zwei Jungen auf dem Schulhof. Es ist ein ungewohnter Gedanke, dass Jesus so ein Interesse an unserer Freundschaft zu ihm haben sollte. Hat er das nötig? Ja.
Wie lautet die Berufung nun: Hüte meine Schafe. Kümmere dich um die Schutzlosen.
Auch unsere Gesellschaft verlangt nach 2000 Jahren noch nach guten Hirten, denen man die Gemeinde und sich anvertrauen kann. Und es hat diese Hirten gegeben und es wird sie hoffentlich weiter geben: Allerdings erkennt man sie in bösen Zeiten besser.

Harald Poelschau, der Berliner Gefängnispfarrer, der den Verurteilten nach dem 20. Juli bis zur Hinrichtung beistand. Und nachher den hinterbliebenen Frauen. Beim Besuch eines Gefangenen in seiner Zelle holte er oft zuerst einmal ein Butterbrot für ihn aus der Jackentasche.
Christian Führer und seine Freunde, Pfarrer an Leipziger Kirchen, von denen ausging, was dann zur Wende führte. Obwohl die Kirchenleitung die Parole ausgegeben hatte, die Stellung zu halten und Republikflucht verurteilte, eröffnete Führer in den Räumen der Nikolaikirche einen Gesprächskreis für diejenigen, die doch einen Antrag auf Ausreise aus der DDR gestellt hatten, und nun beruflich und privat in der Luft hingen.
Ein Hirte bis zuletzt war auch Leo Baeck, im III. Reich Liberaler Oberrabbiner in Berlin. Er begleitete mehrmals Züge mit jüdischen Kindern nach England, wo sie eine neue Heimat finden würden. Aber immer kehrte er wieder selber nach Deutschland zurück. „Der Rabbiner ist der letzte, der Deutschland verlassen darf,“ sagte er einmal. Im August 1942 wurde der alte Gelehrte selbst ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht.
Und versuchte dort die anderen durch Organisation von interessanten Vorträgen vor der Verzweiflung zu bewahren. Zum Beispiel über Galileo Galilei.
Und schließlich erinnere ich Euch an einen Papst, an einen Nachfolger des Petrus: Johannes XXIII., damals noch Angelo Roncalli, der geführt wurde, wohin er nicht wollte.
Das schöne Venedig, in dem er in den fünfziger Jahren Kardinal war, hatte er sich als letzte Heimat gewünscht. Da wollte er sterben. Er hatte sich für die Krypta von San Marco in Venedig schon einen passenden Steinsarg arbeiten lassen. Er war halbkrank vor Kummer, dass er 1958 nach dem Tod von Pius XII. und nach dem Konklave als Papst Johannes XXIIII. im Vatikan bleiben musste und ein ungeheuer großes neues Amt auf sich nehmen.
Dennoch hütete er die neuen Schafe, die Diözesanbischöfe aus aller Welt, am ungeliebten Ort.
Am 11. Oktober 1962 eröffnete der 81Jährige das II. Vatikanische Konzil mit 2500 Würdenträgern. Er hatte seine Hände nicht von sich aus ausgestreckt, aber Gott hatte sie ergriffen, ihn gegürtet und ihn geführt, wohin er nicht wollte. Wenige Monate später war er tot.
Die Kardinäle tagten aber noch drei Jahre weiter und brachten manche Reformen mit zurück in ihre Länder und Diözesen. Vor allem die Feier der Hl. Messe in der jeweiligen Landessprache.
Ist Benedikt XVI. nicht nur Verfasser von Hirtenbriefen, sondern wirklich ein Hirte, der auch ein Ohr für wehes und aufgeregtes Blöken seiner Schafe hat? Ja? Dann würden auch wir Evangelischen ihn vielleicht einen Nachfolger Petri nennen können.

Weide meine Lämmer, das sagt Jesus zu Petrus. Er hatte von sich selbst gesagt „Ich bin der gute Hirte“ und setzt nun Petrus als seinen Nachfolger ein. Ich will Jesu Wort auch für mich gelten lassen und für jeden Einzelnen von Euch. Wir sind manchmal Hirten wie Petrus und manchmal Schafe. Wir sorgen uns als „Hirten“ und denken nach über Leib und Seele, Vernunft und Gemüt anderer Menschen, unserer Partner, Eltern, Kinder und Enkel, unserer Schüler und Freunde.
Und wir werden manchmal selbst als schwache Schafe von unserem guten Hirten geführt. Auch wenn er uns führt, wohin wir nicht wollen, dann wird er dabei doch bei uns bleiben: auch im Pflegeheim, auch im Sterben.
Vielleicht steht uns das Schwerste im Leben ja überhaupt noch bevor.
Aber er, der Andere, Gott, wird uns helfen, den Gürtel anzuziehen, uns vorzubereiten, und er wird uns, seine Schafe, am Schluss nicht einfach in den Abgrund stürzen lassen. Er wird mit uns gehen und uns führen.
Amen


Dorothea Kuhrau