EKD-Erklärung zur Aussetzung der Wehrpflicht und den Folgen

''Die Stunde des Freiwilligendienstes''

EKD. In einer gemeinsamen Erklärung haben der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Nikolaus Schneider, der evangelische Militärbischof, Martin Dutzmann, der Friedensbeauftragte des Rates der EKD, Renke Brahms, sowie der Präsident des Diakonischen Werkes der EKD, Klaus-Dieter Kottnik, zur aktuellen Debatte um die Aussetzung der Wehrpflicht Stellung bezogen.

In dem Papier, das am heutigen Freitag unter dem Titel „Freiheit und Dienst – Erwägungen zur Aussetzung der Wehrpflicht und zu den Konsequenzen aus evangelischer Sicht“ veröffentlicht wurde, werden die Überlegungen der Politik zur Aussetzung der Wehrpflicht grundsätzlich begrüßt. Gleichzeitig fordert die EKD die Verantwortlichen in der Politik dazu auf, die politischen und gesellschaftlichen Konsequenzen dieser Entscheidung sorgfältig zu bedenken.

Bereits im Jahr 2007, so heißt es in dem Papier, habe die EKD in ihrer Friedensdenkschrift Kriterien formuliert, an deren Erfüllung sich die Notwendigkeit einer Beibehaltung der Wehrpflicht messen lassen müsse. Da das wichtigste Kriterium, die Wehrgerechtigkeit, in Deutschland seit einiger Zeit nicht mehr erfüllt sei, erscheine die Aussetzung der Wehrpflicht konsequent. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht würde aber auch der Zivildienst wegfallen.

Die EKD sieht in dieser Situation große Herausforderungen und Chancen für die in unserer Gesellschaft bestehenden Freiwilligendienste. Grundsätzlich geht sie davon aus, dass zivile Freiwilligendienste einem allgemeinen Pflichtdienst vorzuziehen sind. Auch der von der Politik in Erwägung gezogene "freiwillige Zivildienst" sollte eine Übergangslösung bleiben. Vielmehr müssten die bestehenden freiwilligen sozialen und ökologischen Dienste sowie die freiwilligen Friedensdienste in ihrer Vielfalt und Eigenart erhalten bleiben und nach Möglichkeit gestärkt werden, so das Papier weiter. Die durch den Wegfall des Zivildienstes frei werdenden finanziellen Mittel sollten vorrangig dazu verwendet werden, die vorhandenen zivilen Freiwilligendienste zu unterstützen und finanziell besser auszustatten.

Auch die Entscheidung für einen Dienst in der Bundeswehr oder einen zivilen Freiwilligendienst sei eine Gewissensentscheidung. Dafür bräuchten junge Menschen sachgemäße Informationen und qualifizierte Beratung. Deshalb solle über zivile Freiwilligendienste und den freiwilligen Wehrdienst in der Öffentlichkeit, vor allem aber in Schulen, in gleicher Intensität informiert werden wie bisher.

Ebenso bedürfe es auch künftig der seelsorglichen Begleitung von Soldatinnen und Soldaten, insbesondere im Blick auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Auch in Zukunft unter möglicherweise neuen Bedingungen stehe die EKD daher zu dem seit 2004 für ganz Deutschland in Geltung stehenden Militärseelsorgevertrag.

Im Blick auf die mit der Aussetzung der Wehrpflicht verbundene Reform der Bundeswehr wünscht sich die EKD einen breiten gesellschaftlichen Diskurs über die neuen Aufgaben der Bundeswehr. Ziel müsse sein, zukunftsfähiges friedens- und sicherheitspolitischen Gesamtkonzept zu entwickeln. Besonders folgende Aspekte seien, so das Papier, auch in Zukunft für Bundeswehr und Freiwilligendienste besonders wichtig:

- Die Bundeswehr muss insbesondere klare Kriterien zur Durchführung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr erhalten.

- Die Bundeswehr muss in der Gesellschaft verankert bleiben.

- Die Konzeption der Inneren Führung nach dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ muss auch für eine Freiwilligenarmee gelten und ist unter deren Bedingungen weiterzuentwickeln.

In dem neuen friedens- und sicherheitspolitischen Gesamtkonzept muss die zivile Konfliktbearbeitung eine wesentliche Rolle spielen.

- Zivile Friedensfachkräfte, die zur Krisen- und Konfliktbearbeitung ins Ausland entsandt werden, sollten nach unserer festen Überzeugung ebenso wie die Soldatinnen und Soldaten eine verbindliche parlamentarische Mandatierung und seitens der Kirchen seelsorgliche Begleitung erhalten.

Hannover, 17. September 2010

Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick


Die Erklärung im Wortlaut:

Freiheit und Dienst

Erwägungen zur Aussetzung der Wehrpflicht und deren Konsequenzen aus Sicht der Evangelischen Kirche in Deutschland

Die Frage der Wehrpflicht stellt keine Bekenntnisfrage dar. Sie ist auf der Grundlage von allgemeinen ethischen Prinzipien im Rahmen der politischen Vernunft zu erwägen und zu entscheiden. Vor diesem Hintergrund nehmen wir zu den Überlegungen des Bundesministeriums für Verteidigung zur Aussetzung der Wehrpflicht Stellung. Zu den Reformüberlegungen gehört die Einrichtung eines freiwilligen Wehrdienstes. Sie berührt auch die Grundlagen des verfassungsrechtlich an die Wehrpflicht gekoppelten Zivildienstes.

In der Friedensdenkschrift der EKD aus dem Jahr 2007 sind Kriterien für die Beibehaltung der Wehrpflicht formuliert:

„(155) Mit der allgemeinen Wehrpflicht werden die von ihr erfassten Bürger einer einzigartigen Zwangspflicht, äußerstenfalls zum Einsatz des eigenen Lebens im Kampf unterworfen. Die Wehrpflicht ist mit so tiefen Eingriffen in die Grundfreiheiten, vor allem in das elementare Recht auf Leben, verbunden, dass sie der demokratische Rechtsstaat seinen Bürgern nur zumutet, wenn sie ausschließlich auf die Aufgabe der Landesverteidigung bezogen und zu diesem Zweck sicherheitspolitisch erforderlich ist. […] Falls die allgemeine Wehrpflicht auch künftig beigehalten werden soll, sind zwei Gesichtspunkte zu beachten: 1. Gerechtigkeit bei der Heranziehung zum Wehrdienst, die auch so empfunden werden kann, 2. eine Gestaltung des Wehrdienstes, die den Wehrpflichtigen eine gute Ausbildung vermittelt, angemessene Ausrüstung bereit stellt und das Bewusstsein gibt, gebraucht zu werden. Beides besitzt entscheidende Bedeutung für eine weitere gesellschaftliche Akzeptanz der Wehrpflicht.“

In der gegenwärtigen Situation werden diese Kriterien kaum noch erfüllt. Deshalb begrüßen wir die Überlegungen zur Aussetzung der Wehrpflicht und in Konsequenz zur Einrichtung eines freiwilligen Wehrdienstes. Ein freiwilliger Wehrdienst würde dazu dienen, die Prinzipien der Freiwilligkeit und der Gleichberechtigung von Männern und Frauen in unserer Gesellschaft zu stärken.

1. Folgende allgemeine Gesichtspunkte sind bei der Umsetzung der Reformbemühungen besonders im Blick zu behalten:

- Wir stehen auch unter den neuen Bedingungen zu dem seit 2004 als gemeinsamer rechtlicher Rahmen für ganz Deutschland in Geltung stehenden Militärseelsorgevertrag.

- Die Entscheidung für einen Dienst in der Bundeswehr oder einen zivilen Freiwilligendienst bleibt auch künftig eine Gewissensentscheidung. Dafür brauchen junge Menschen sachgemäße Informationen und qualifizierte Beratung. Über zivile Freiwilligendienste und freiwilligen Wehrdienst ist in der Öffentlichkeit, vor allem aber in Schulen, in gleicher Intensität zu informieren.

- Zivile Freiwilligendienste sind, wie es in der Argumentationshilfe der EKD "Freiheit und Dienst" (2006) heißt, einem allgemeinen Pflichtdienst vorzuziehen. Die vorhandenen freiwilligen sozialen und ökologischen Dienste sowie die freiwilligen Friedensdienste müssen in ihrer Vielfalt und Eigenart erhalten bleiben und nach Möglichkeit gestärkt werden.

- Wir sehen die angedachte Einrichtung eines "Freiwilligen Zivildienstes" als problematisch an und können in dieser Konstruktion allenfalls eine Übergangslösung erblicken. Keinesfalls dürfen dadurch die bestehenden Jugendfreiwilligendienste gefährdet werden. Im Gegenteil sollten die durch den Wegfall des Zivildienstes in bisheriger Form frei werdenden finanziellen Mittel primär dazu verwendet werden, die vorhandenen zivilen Freiwilligendienste zu unterstützen und finanziell besser auszustatten.

- Es müssen tragfähige Perspektiven für die Weiterführung der bisher vom Zivildienst unterstützten und für unsere Gesellschaft unverzichtbaren sozial-diakonischen Funktionen entwickelt werden.

2. Im Blick auf die mit der Aussetzung der Wehrpflicht verbundene Reform der Bundeswehr muss ein gesellschaftlicher Diskurs über die Aufgaben der Bundeswehr geführt werden mit dem Ziel, ein kohärentes und zukunftsfähiges friedens- und sicherheitspolitischen Gesamtkonzept zu entwickeln. Für diesen Diskurs unterstreichen wir:

- Das Konzept muss insbesondere klare Kriterien zur Durchführung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr enthalten.

- Die Bundeswehr muss in der Gesellschaft verankert bleiben.

- Die Konzeption der Inneren Führung nach dem Leitbild des „Staatsbürgers in Uniform“ muss auch für eine Freiwilligenarmee gelten und ist unter deren Bedingungen weiterzuentwickeln.

- Soldaten und Soldatinnen bedürfen auch weiterhin der seelsorglichen Beratung und Begleitung.

3. In einem neuen friedens- und sicherheitspolitischen Gesamtkonzept muss die zivile Konfliktbearbeitung eine wesentliche Rolle spielen. In der Friedensdenkschrift von 2007 heißt es dazu:

"Zivile Konfliktbearbeitung kann, so viel ist sicher, nur dann gelingen, wenn sie nicht in erster Linie als Reparaturaufgabe verstanden wird, sondern als vorrangiges politisches Handlungsprinzip und als Querschnittsaufgabe."

Zivile Friedensfachkräfte, die zur Krisen- und Konfliktbearbeitung ins Ausland entsandt werden, sollten nach unserer festen Überzeugung ebenso wie die Soldatinnen und Soldaten eine verbindliche parlamentarische Mandatierung erhalten. Für die EKD stellt sich die Aufgabe, auch für diesen Personenkreis eine seelsorgliche Begleitung zu ermöglichen.

Hannover, 17. September 2010

Präses Nikolaus Schneider,
Amtierender Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Landessuperintendent Dr. Martin Dutzmann,
Evangelischer Militärbischof

Schriftführer Renke Brahms,
Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

Pfarrer Klaus-Dieter Kottnik,
Präsident des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland

Die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe und die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR) stellen sich auf die Zeit nach Wehrpflicht und Zivildienst ein.

In Gesprächen mit der Bundesregierung geht es um den Ausbau von Freiwilligendiensten. So sollen die Auswirkungen für soziale Einrichtungen begrenzt und gleichzeitig jungen Menschen weiterhin die Chance gegeben werden, wichtige Erfahrungen für ihr Leben zu machen. „Bei der Diakonie werden keine Arbeitsfelder zusammenbrechen, wenn es keine Zivis mehr gibt. Die Situation wird aber ehrlicher, wenn statt eines Pflichtdienstes freiwillige Angebote ausgebaut werden“, so Dr. Uwe Becker, Vorstand der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe auf einer Pressekonferenz in Solingen.