Einmal im Jahr einen draufmachen?

Einspruch! - von Georg Rieger


©Foto: Georg Rieger

Der Karneval als moralische Ausnahmesituation. Die Zeit als ethische Komponente. Und was der Prediger mit dem Fasching zu tun hat.

Ich gestehe: Ich bin ein Faschingsmuffel. Andere Anlässe dagegen feiere ich gerne und Tanzen gehe ich sogar regelmäßig. Aber Verkleiden ist nicht mein Fall, die typische Faschingsmusik kann ich nicht lange ertragen und die Fröhlichkeit bei Faschingsveranstaltungen empfinde ich (hier in Franken) als aufgesetzt.

Etwas erschrocken war ich dann aber doch, als ich auf www.ekd.de eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Forderung nach einem elften Gebot „Du sollst nicht Karneval feiern“ fand. Da scheinen sich in manchen Regionen Deutschlands ja echte Gräben aufzutun zwischen Jecken und Karnevalsverweigerern.

Die Begründung für das wilde Faschingfeiern ist einfach: Die Tage vor der Fastenzeit (also die Fast-nacht) wurden gewissermaßen moralisch freigegeben, waren Ventil, um die Enthaltsamkeit danach besser ertragen zu können. Karneval war und ist also eine absolute Ausnahmesituation. Angeblich durfte früher nicht einmal die Vaterschaft von neun Monaten nach dem Karneval geborenen Kindern angezweifelt werden. Anders hätte sich die Zügellosigkeit wiederum nicht durchhalten lassen.

Dass man uns Protestanten und insbesondere uns Reformierte für lustfeindlich hält, das ist ja nichts Neues. Dabei hatten Luther und Zwingli zunächst einmal nur etwas gegen das Fasten. Hinter der Selbstkasteiung witterten sie den Versuch der Selbsterlösung. Zeitlich begrenzte Ausschweifungen hatten aber auch in der evangelischen Morallehre keinen Platz. Da hieß es schlicht: falsch oder richtig. Dazwischen gibt es nichts.

Das ist durchaus auch logisch. Keine ernst zu nehmende philosophische Ethik könnte erklären, warum als sinnvoll erachtete Maßstäbe vorübergehend ausgesetzt werden sollten. Dafür ist schon eher die Psychologie zuständig. Die hat für Ausnahmesituationen zur Entladung oder Gleichgewichtsfindung durchaus etwas übrig. Der Psychologe und Karnevalsexperte Wolfgang Oelsner zum Beispiel meint, dass der Mensch die „tollen Tage“ brauche, "weil er dann Gelegenheit habe, sich einmal anders mit der Welt zu unterhalten".

Oelsner beklagt in seinem Buch „Fest der Sehnsüchte“ aber auch, dass der Karneval zunehmend seine kulturelle Verankerung und damit seine Basis verliere: Ausgelassenheit schlägt um in kommerzielle Maßlosigkeit, Melancholie in Kitsch, das Spiel mit der Erotik verkommt zum Grapschen. Rausch wird Suff und vom Sehnen bleibt nur noch Sucht, so Oelsner.

Je weiter der Rhein entfernt ist, desto harmloser werden freilich die Karnevals- oder Fastnachtsbräuche. Hier im protestantischen Franken ist der Fasching nicht wirklich tief verankert. Und so kann ich mich durchmogeln. Eine private Party am Samstag – das war’s.

Aber die Frage bleibt dennoch interessant, ob Jahreszeiten, „tolle Tage“ oder andere Gelegenheiten mir ein außergewöhnliches Verhalten zugestehen. Von den Karnevalstheoretikern wird immer wieder der Prediger Salomo zitiert, in dessen Sammlung von Weisheiten der Satz „Alles hat seine Zeit“ zum Aufhänger einer endlosen Litanei wird. Dass nicht immer das Gleiche zu tun richtig ist, ist eine interessante Komponente, die über das bloße „falsch“ und „richtig“ hinaus geht.

Aber Stopp! Darüber denken wir ab nächsten Mittwoch nach, wenn wieder Zeit für so ernste Themen ist.

Georg Rieger

Prof. Dr. med. Volker Faust, Psychosoziale Gesundheit. Von Angst bis Zwang, http://www.psychosoziale-gesundheit.net/bb/06fasnacht.html

daraus zitiert:

W. Oelsner, Fest der Sehnsüchte. Warum Menschen Karneval brauchen?
Psychologie, Kultur und Unkultur des Narrenfestes, Marzellen-Verlag, Köln 2004, 344 S., € 19,95. ISBN. 3-9806-384-6-4

Nikolaus Schneider im Interview mit epd, EKD-Ratsvorsitzender lehnt anti-karnevalistisches "elftes Gebot" ab, chrismon 2/2011, http://www.ekd.de/aktuell_presse/news_2011_01_31_1_rv_karneval.html

 

Interview mit Peter Bukowski zu Karneval und Fastenzeit

Nachholbedarf haben die Reformierten darin, den Wert des „Äußerlichen“ zur inneren Wandlung wieder zu entdecken, so Peter Bukowski, Moderator des Reformierten Bundes und Direktor des Wuppertaler Seminars für pastorale Ausbildung im Gespräch mit reformiert-info.