Fake-News im Namen des Herrn?

Predigt zu Joh 5, 39-47


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Wie können wir Lüge und Wahrheit unterscheiden?

Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der Herr, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe?, spricht der Herr. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?, spricht der Herr.

Ich höre es wohl, was die Propheten reden, die Lüge weissagen in meinem Namen und spre­chen: Mir hat geträumt, mir hat geträumt.

Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weis­sagen und wollen, dass mein Volk meinen Namen vergesse über ihren Träumen, die einer dem an­dern erzählt, so wie ihre Väter meinen Namen vergaßen über dem Baal?

Ein Prophet, der Träume hat, der erzähle Träume; wer aber mein Wort hat, der predige mein Wort recht. Wie reimen sich Stroh und Weizen zusammen?, spricht der Herr. Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zer­schmeißt? Darum siehe, ich will an die Propheten, spricht der Herr, die meine Worte stehlen einer vom andern. Siehe, ich will an die Propheten, spricht der Herr, die ihr eigenes Wort führen und spre­chen: »Er hat's gesagt.« Siehe, ich will an die Propheten, spricht der Herr, die falsche Träume erzählen und ver­füh­ren mein Volk mit ihren Lügen und losem Geschwätz, obgleich ich sie nicht gesandt und ih­nen nichts befohlen habe und sie auch diesem Volk nichts nütze sind, spricht der Herr. (Jeremia 23, 23-32)

Liebe Gemeinde,

der Geist des Herrn erweckt den Geist in Sehern und Propheten …So haben wir gesungen. Kennen Sie welche? Seher und Propheten?

Manchmal sieht man sie noch – Einzelgänger, die in der Fußgängerzone stehen und vom bal­digen Ende der Welt predigen. Sind das Propheten? Oder Frauen in Lateinamerika, die in Ekstase vor Tausenden von ihren Erfahrungen mit dem Hei­ligen Geist predigen. Sind das Pro­phetinnen? Wo­möglich teuer bezahlte Hellseher und Hellseherinnen, bei denen man sich die Zukunft vor­aus­sagen lassen kann. Sind das Prophetinnen und Propheten?

Die meisten Menschen heute können mit der Vorstellung von Prophetie nichts mehr an­fan­gen. Und doch erleben wir sie beinahe täglich: Keine Wahl und keine Volksabstimmung, ohne dass man nicht Wochen vorher in den Medien mit Prognosen überschüttet wird. Keine po­litische Entscheidung, ohne dass nicht Lobbyisten medienwirksam Warnungen oder Emp­feh­lungen ausgeben. Keine populistische Strömung, ohne dass nicht Angstszenarien auf­ge­baut werden vom Untergang des Abendlandes. Wir versuchen all dem mit Vernunft ent­ge­gen­zutreten: Voraussagen müssen wissen­schaft­lich haltbar sein. Ja. Aber hilflos stehen wir vor sich widersprechenden Statistiken und Forschungsdaten.

  • Wem können wir trauen, wenn wir uns informieren wollen über schädigende Auswirkungen von Industrien und Industrieprodukten?
  • Wem können wir trauen, wenn wir nach sozialverträglicher und zukunftserhaltender Wirt­schafts­pla­nung fragen?
  • Wem können wir trauen, wenn wir den Einfluss der Ernährung auf unsere Gesundheit hinter­fra­gen?

Propheten und Seher aller Arten buhlen um unsere Aufmerksamkeit. Und inzwischen beschickt uns das Internet längst auch schon mit automatisierten Nachrichten. Wem können wir trauen?

Es wundert mich nicht, dass es Leute gibt, die nur noch ihren Gesinnungsgenossen und den rechten Meinungsmachern trauen:

  • Der Klimawandel: eine Erfindung der Grünen oder der Weltmacht China! Fake News.
  • Die Enthüllungen über mafiöse Geschäfte eines Präsidenten: eine Erfindung der Linken oder neidischer Nichtstuer! Fake News.
  • Die Warnungen vor der Zunahme von Armut im Neoliberalismus: Gutmenschgerede von den 68ern oder von weltfremden Kirchenmitgliedern! Fake News.

Wem können wir trauen?

Am liebsten würde ich mit dem Propheten aus der Lesung ausrufen: Wann wollen doch die Propheten aufhören, die Lüge weissagen und ihres Herzens Trug weis­sagen! Wünscht man sich da nicht auch einen Gott, der mit starker Hand eingreift: Siehe, ich will an die Propheten, spricht der Herr, die falsche Träume er­zäh­len und ver­füh­ren mein Volk mit ihren Lügen und losem Geschwätz, obgleich ich sie nicht ge­sandt und ih­nen nichts befohlen habe und sie auch diesem Volk nichts nütze sind! Aber die alten Geschichten helfen uns auch nicht weiter: Da beweist JAHWE mit Hilfe des Propheten Elias durch ein Wunder seine Macht. Und der lässt anschließend alle falschen Propheten – die Baalspriester – umbringen. Auf solche Weise kann die Wahrheit nicht ans Licht kommen!

Wem also sollen wir unsere Sorge um die richtigen Entscheidungen in der Gegenwart und für die Zukunft anvertrauen? Welchen Meldungen sollen wir trauen? Ich will versuchen, für uns in dem für heute vorgesehenen Predigttext Rat zu finden. Und die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns.

Joh. 5, 39-47:

Ihr erforscht die Schriften, weil ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben - und sie sind es auch, die Zeugnis über mich ablegen -, und doch wollt ihr nicht zu mir kommen, um Leben zu haben.
Ehre empfange ich nicht von Menschen, aber ich habe euch erkannt und weiß, dass ihr die Liebe Gottes nicht in euch habt.
Ich bin im Namen meines Vaters gekommen, und ihr nehmt mich nicht auf; kommt aber ein anderer in eigenem Namen, so nehmt ihr in auf!
Wie könnt ihr zum Glauben kommen, wenn ihr Ehre voneinander empfangt und nicht die Ehre sucht, die vom alleinigen Gott kommt?
Meint nicht, dass ich euch beim Vater anklagen werde; euer Ankläger ist Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt.
Wenn ihr Mose glaubtet, würdet ihr mir glauben, denn er hat über mich geschrieben.
Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie könnt ihr dann meinen Worten glauben?

Von Ehre ist hier die Rede. Jesus wirft seinen Gegnern vor, dass es ihnen bei der Frage nach den wahren Weisungen und dem richtigen Lieben um Ehre geht. Ehre?! Wir sind heute bei die­sem Wort eher skeptisch. Morde an muslimischen Frauen passieren immer wieder um der Fa­milienehre willen. So wie in katholischen Familien Siziliens noch in den 50er Jahren. Das ha­­ben wir glücklicherweise hinter uns. Und in der Bibel ist mit Ehre ohnehin etwas anderes ge­meint. Kavod / Ehre muss wörtlich mit ‚Gewicht‘ übersetzt werden. Heute würden wir sa­gen: öffentliche Wichtigkeit, so etwas wie Autorität und allgemeine Anerkennung. Und das Stre­ben danach ist aktueller denn je. Denken Sie nur an die Einschaltquoten, auf die die Fern­­sehsender schielen, wenn sie überlegen, welche Leute aus dem öffentlichen Le­ben sie ein­laden. Ehre erweisen Wähler und Wählerinnen den Politikern ihres Vertrauens, Fans ihren Helden auf dem Fußballplatz oder ihren Stars aus dem Showgeschäft, als Ehre gilt man­chen eine Vielzahl von Likes auf Facebook.

Ehre wollen wir voneinander empfangen. Aber Jesus sagt: Ehre empfange ich nicht von Menschen. Und: niemand kann zum Glauben, zur richtigen Lebenseinstellung, kommen, der nicht die Ehre sucht, die vom alleinigen Gott kommt. Wie schön Jesus hier sein eigenes Ver­hal­ten zum Maßstab für uns alle macht. Weil er seine Ehre alleine vom Vater erhält, sollen wir es ihm gleichtun – bei der Ehre, die wir selber suchen und bei der Ehre, die wir anderen erweisen. Autorität, Anerkennung, Gewicht erkennen wir ja den „Prophetinnen“ und „Pro­phe­ten“ zu, auf die wir hören und nach denen wir unser Handeln ausrichten. Aber wie un­ter­schei­den wir die wahren von den falschen? Woran erkennen wir, wer seine Ehre von Gott er­hält und wer nicht?

Erinnern Sie sich an die Lesung! Da war das doch recht deutlich unterschieden.

  • Falsche Propheten, das sind die, die Lüge weissagen in Gottes Namen

Fake News im Namen des Herrn? Haben wir alle erlebt, als George Bush seinen Golfkrieg einen Kreuzzug nannte, der Giftgaseinsätze verhindern sollte. Fake News. Und danach politisches Chaos im Irak, das den IS befeuerte.

  • Falsche Propheten, das sind die, die Gottes Worte stehlen

Fake News im Namen des Herrn? Haben wir doch aus der Geschichte gelernt. Volks­ver­füh­rer, die vorgeben den Willen Gottes zu erfüllen. Und da gibt es doch tatsächlich konservative Chris­ten in Amerika, die das von Donald Trump glauben. Fake News. Lieber einen Bun­des­prä­­sidenten, der sagt, für ihn sei das Evangelium keine konkrete Landkarte, sondern ein Kompass für das Handeln.

  • Falsche Propheten, das sind die, die das Volk ver­füh­ren mit Lügen und losem Geschwätz

Fake News im Namen des Herrn? Erleben wir tagtäglich in Facebook und auf Twitter!  Fake News.

Aber bei all unserer Kritik: nicht immer ist es ja im Einzelfall einfach, Lüge und Wahrheit zu unterscheiden. Jesus freilich hält eine Antwort bereit: Ihr könnt mich aner­ken­nen.

Das ist der Kompass für unsere Haltungen und Handlungen: Jesus anerkennen. Ihm allein die Ehre geben. Wir brauchen den Glauben für unsere Urteile. Denn ethische Ent­schei­dun­gen lassen sich nicht alleine auf Vernunft gründen. Zu kompliziert ist die Wirklichkeit. Wis­sen­­schaftliche Daten können zwar im Modell die Welt erklären. Aber sie helfen uns nicht, das Richtige zu tun. Ein dummer Präsident mag uns vielleicht in der Illusion wiegen, dass  Ver­nünftige gegen Fehler gefeit seien. Er – die Lachnummer. Und wir – die Vernünftigen. Aber wer ist vernünftig? Ein Professor? Prof. Dr. Jörg Meuthen etwa?  Wer ist vernünftig? Der Bankberater etwa, der Wachstumskurven analysiert? Wer ist vernünftig? Die Forscherin, die sich für genetisch veränderte Embryonen einsetzt, um der Volkswirtschaft die Kosten für die Betreuung Behinderter zu ersparen? Nein, für ethische Entscheidungen reicht unsere Ver­­nunft nicht aus. Da brauchen wir grundsätzliche Überzeugungen. Und die wiederum kön­nen unterschiedliche Wurzeln haben. Eine humanistische Gesinnung, die die Würde jedes Men­schen für unantastbar erklärt. Eine sozialistische Gesinnung, die die gerechte Verteilung der Lebenschancen für alle Menschen an oberste Stelle setzt. Eine religiöse Gesinnung, die sich dem Leben aller verpflichtet fühlt, weil sie das eigene Leben als Gabe und Aufgabe sieht. Eine christliche Gesinnung, die sich hineingenommene weiß in Jesu radikale Le­bens­hin­­gabe.

Das ist der Kompass Ich kann nicht erwarten, dass alle, die öffentlich auftreten und Ver­ant­wor­­tung tragen, Christen und Christinnen sind. Leider sind unter denen ja auch oft falsche Propheten. Aber ich kann – gestützt auf meinen christlichen Glauben – entscheiden, wessen Re­den und Handeln ich gelten lassen will. Wer im Namen der Menschenwürde vernünftig ist, wer im Namen sozialer Gleichheit um gerechte Verteilung der Lebensgüter kämpft, wer im Rahmen seiner Religion für das Leben aller eintritt, den oder die können wir Christen im Namen Gottes als Autorität anerkennen. Dem oder der können wir zutrauen, dass sie keine Fake News verbreiten. Mit denen können wir gemeinschaftlich politisch aktiv werden.

Trotzdem – wie soll ich bei so schwierigen Entscheidungen Zuversicht und Selbstvertrauen fin­den? Ich kann mich auf den Heiligen Geist berufen. Dazu hat uns ja das Pfingstfest be­stärkt. Aber wir wissen doch auch, dass im Namen des Heiligen Geistes schon schlimme Din­ge geschehen sind.

Noch einmal also: wie können wir Lüge und Wahrheit unterscheiden? Auch dazu eine Antwort Jesu:  Ihr könnt die Liebe Gottes in euch haben.

Wer sich von Gott anerkannt weiß, der muss nicht um fremde Anerkennung buhlen. Keine Fake News, durch die ich mich selber immer ins beste Licht stelle oder meine eigenen Mei­nun­­­gen als absolut darstelle. Wenn wir auf Gottes Liebe vertrauen, können wir es auch er­tra­gen, wenn wir uns irren, wenn wir auf Lügen hereingefallen sind, wenn unsere Handlungen hinter unseren Über­zeu­gun­gen zurückbleiben. Gott traut uns viel zu: falsche Einstellungen re­vidieren, neue Verbündete finden, Resignation überwinden, Angst in Hoffnung wandeln.

Soweit gut. Nur – was bedeutet das alles im Alltag? Wenn unser Urteil gefragt ist. Noch einmal also: Was ist Wahrheit? Was ist Lüge? Wem können wir trauen? Wie handeln wir selber richtig?

Da wird unser Text ganz konkret. Auch wenn man ein wenig zwischen den Zeilen lesen muss. Jesus erinnert an Mose und an die Schriften. In ihre Tradition stellt er sein eigenes Wirken.

Mose – der Prophet der göttlichen Weisung. Er steht für die Verkündigung einer Un­ter­schei­dung von Wahrheit und Lüge. Und in den Schriften, die unter seinem Namen überliefert sind, fin­det man die einfachste aller Regeln dafür: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« (3. Mose 19,18) Oder wie es Jesus im Matthäusevangelium ausdrückt: Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten. (Matthäus 7,12) Konkreter geht es nicht! Und wenn wir jetzt versucht sind zu entgegnen: Wer ist denn mein Nächster? sollten wir sehr vorsichtig sein. Da gab es nämlich schon einmal einen besonders Schlauen, der so zynisch gefragt hatte. (Lukas 10,29) Ihm antwortet Jesus mit dem Gleichnis vom Barmherzigen Samaritaner. Unsere Nächsten sind die, die unsere Hilfe brauchen. Nicht die, die uns nach Stellung oder Vermögen oder Schön­heit oder Leistung Ehre erweisen. Nein – die, für die Gott uns verantwortlich macht. Und auch dafür haben die alten Schriften konkrete Weisungen unter dem Namen des Mose:

3. Mose 19:

Du sollst deinen Nächsten nicht bedrücken noch berauben. Es soll des Tagelöhners Lohn nicht bei dir bleiben bis zum Morgen.
Du sollst dem Tauben nicht fluchen und sollst vor den Blinden kein Hindernis legen.
Du sollst nicht unrecht handeln im Gericht: Du sollst den Geringen nicht vorziehen, aber auch den Großen nicht begünstigen, sondern du sollst deinen Nächsten recht richten.

Du sollst nicht als Verleumder umhergehen unter deinem Volk. Du sollst auch nicht auftreten gegen deines Nächsten LebenWenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken.
Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst

2. Mose 22:

Ihr sollt Witwen und Waisen nicht bedrücken.
Wenn du Geld verleihst an einen Armen neben dir, so sollst du an ihm nicht wie ein Wucherer handeln; du sollst keinerlei Zinsen von ihm nehmen

Das sind doch nun wirklich klare Worte, wie Lüge und Wahrheit zu unterscheiden sind - in un­se­rem eigenen Handeln und in unserem Urteil über die Prophetinnen und Propheten unserer Zeit.

Allerdings: Müssen wir da nicht verzweifeln über unsere ganz offensichtliche Unvoll­kom­men­heit beim Halten dieser Gebote? – Zum Trost gibt es da ein Versprechen Jesu im Text: 45 Meint nicht, dass ich euch beim Vater anklagen werde. Aber wenn wir darauf ver­trau­en, dann gilt auch: In der Auseinandersetzung mit denen, die wir als falsche Prophetinnen und Propheten erkannt haben, reicht es nicht, sie bei den politischen Kabaretts als lä­cher­li­che Figuren hinzustellen, so sehr mich das amüsiert. Wir müssen um die Wahrheit Wort für Wort kämpfen – im zähen Wechsel der Argumente. Und mit dem Mut, Nein zu sagen, auch wenn wir dafür keine Ehre erringen können.

Dafür brauchen wir wahrlich die Hilfe des Heiligen Geistes. Und tagtäglich Gottes Vergebung.

Amen.


Ältestenpredigerin Gudrun Kuhn