Ganz überraschend

Eine Adventsandacht


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Von wegen Zeit des Wartens! Auf Jesus hat niemand gewartet. Die Pointe der Weihnachtsgeschichte ist ja gerade, dass mit dem kleinen Kind von Maria und Josef niemand gerechnet hat.

„Einen besinnlichen Advent“ wünschen wir in diesen Tagen oder hören diesen guten Wunsch. Bei den meisten bleibt das ja ein vergeblicher Wunsch. Es wird durch ständiges Wiederholen auch nicht anders: Die Adventszeit ist eine eher hektische Zeit. Verstärkt wird das durch den bevorstehenden Jahreswechsel. Alles Mögliche muss noch fertig werden. Am besten bis zum 23., denn danach soll es ja ruhig und besinnlich zugehen.

Vor zwei Jahren kursierte einmal eine Andacht, in der eine Pfarrerin empfahl, die Geschäftigkeit der Adventszeit doch als stimmig anzunehmen und aufzuhören, ständig dagegen anzukämpfen. Die hektische Vorbereitung auf einen großen Tag sei doch etwas ganz Natürliches und stehe überhaupt nicht im Widerspruch zum Weihnachtsfest.

Das gibt doch immerhin zu denken und hat etwas. Wie es ja oft etwas für sich hat, die Dinge zu akzeptieren und Frieden damit zu schließen. Aber man kann auch auf die Idee kommen, mal ganz naiv zu fragen, was es denn überhaupt mit dieser Adventszeit auf sich hat – mit dieser Zeit des Wartens und des Vorbereitens.

Hat sich auf diesen Jesus eigentlich irgendjemand vorbereitet? Kam etwa zu dem einen König im Morgenland Anfang November der königliche Weihrauch-Lieferant und pries seine neueste Duft-Kreation an: „Seine Majestät, denkt rechtzeitig daran, dass Ihr ein Geschenk für dieses Jesuskind habt. Mit diesem exklusiven orientalischen Duft werdet Ihr ein Lächeln in das Gesicht des Kindes zaubern!“

Haben die Hoteliers von Bethlehem sämtliche Kuhställe im Ort aufgekauft und eine romantische Krippenatmosphäre dekorieren lassen, um die heilige Familie als Kunden zu gewinnen?

Es ist zunächst recht ernüchternd, sich vor Augen zu führen, dass auf diesen Jesus niemand gewartet hat. Jesaja hin oder her. Wenn man nur dessen Prophezeiungen alle ernst nehmen würde, hätte man was zu tun.

Nein, das ist ja gerade die Pointe der Weihnachtsgeschichte, dass mit dem kleinen Kind von Maria und Josef eben niemand gerechnet hat. Erst als es schon passiert war – das eigentliche Wunder der Geburt wird ja interessanterweise nirgends thematisiert – macht der Stern und machen die Engel auf die Familie dort im Stall aufmerksam. Und von da an nimmt die Geschichte ihren Lauf.

Ganz unerwartet, überraschend. Es müssen schnell ein paar Hirten her, damit es überhaupt jemand wahrnimmt. Und so bleibt das ja im Leben Jesu: Die Menschen sind nirgends auf ihn vorbereitet. Er überrascht und verblüfft. Taucht unangemeldet auf, provoziert, verändert das Leben von Menschen und verschwindet wieder. In vielen Fällen geschieht das alles andere als öffentlichkeitswirksam: in der guten Stube der Menschen, in Hütten, auf abgelegenen Hügeln.

Man könnte fast sagen, dass das für Jesus so eine Art Erkennungsmerkmal ist, dass man sich auf ihn eben nicht vorbereiten kann. Die Adventszeit ist von daher ein Anachronismus – ein Widerspruch zu diesem Erkennungsmerkmal.

Es muss also im Advent um etwas ganz Anderes gehen. Jedenfalls nicht um das Nachvollziehen einer historischen Wartezeit.

Nachzulesen ist: Die Adventszeit war ursprünglich eine Fastenzeit und begann am 11. November, dauerte 40 Tage – abzüglich der Sonn- und Feiertage und ging bis zum 6. Januar. Also nix da: Advent ist im Dezember! Zumindest bis Papst Gregor der Große festlegte, dass es vier Sonntage vor Weihnachten sein sollten – symbolisch für die 4000 Jahre, die die Menschheit auf den Erlöser warten musste. Wir verdanken den Advent also dem Kreationismus und einem regelungsfreudigen Papst – na toll!

Aber viel wichtiger ist ja – egal ob vier, sechs oder acht Wochen: Es geht um das Warten auf den Erlöser. Nicht auf Jesus im Speziellen, sondern auf den Erlöser, den Messias im Allgemeinen. Was das für einen Unterschied macht?

Nun, jedenfalls kann es uns einmal aufmerken lassen. Wir können uns mal überlegen, was für Erwartungen wir denn haben. Und zwar mal ausnahmsweise nicht die Erwartungen an uns. Auch nicht die Erwartungen an unsere Mitmenschen. Sondern die Erwartungen an Gott.

Auch wenn Weihnachten über 2000 Jahre her ist und Ostern auch schon sehr lange, sind wir Menschen doch immer wieder vor diese Zeit und auf die Frage zurückgeworfen, was Gott eigentlich für uns tun kann.

Und vielleicht ist es sogar nötiger denn je in einer Zeit, in der wir Menschen die ganze Welt im Blick haben und in gewisser Weise auch im Griff haben. Noch nie hat die Menschheit das Schicksal der Welt so mit bestimmt: Wir tragen Verantwortung für die Temperatur der Erdatmosphäre. Allein das, was uns in diesen Tagen vor Augen geführt wird, ist im Grunde ungeheuerlich. Nicht anders ist es in Sachen Hunger und Frieden.

Wir können, sollen, müssen. In vielen Punkten versagt die Weltgemeinschaft, in wenigen geht etwas voran. Und wir persönlich fühlen uns – im besten Fall – mit verantwortlich und doch wie Rädchen im Getriebe.

Auf Gott zu hoffen, gerät in unserer Lebenswirklichkeit in den Verdacht, sich aus der Verantwortung stehlen zu wollen. Von Gott etwas zu erwarten, hat geradezu etwas Verräterisches.

Wir müssen das tatsächlich erstmal wieder in uns zugänglich machen – diese Erwartungshaltung. Dass es keine Schwäche ist, auf Gott angewiesen zu sein. Und wir müssen uns dann gegenseitig Mut machen, in dieser Haltung auch zu leben. Die eigene und auch gemeinschaftliche Geschäftigkeit, die Verantwortung, das Engagement ist gar nicht so einfach in Einklang zu bringen mit der Offenheit für Gottes Handeln, mit der Demut und dem Vorbehalt, dass erst Gottes Offenbarung uns die Augen öffnen wird für das, was gut und schlecht ist.

Dass wir es Jahr für Jahr nicht schaffen, die Adventszeit richtig besinnlich hinzubekommen, wird uns Gott sehr wahrscheinlich verzeihen. Vielleicht gelingt uns aber ja, diese Zeit ein bisschen weniger als Vorbereitung auf Weihnachten und ein bisschen mehr als Zeit der Erwartung zu leben.

Amen.

(Die Andacht nimmt Bezug auf den Bibeltext 1. Korinther 4, 5)

Herr, unser Gott,
wir danken Dir für die Zeit des Wartens,
die uns die Augen öffnet, was Du für uns bist.
Du bist unser Beschützer, Herr
Wir können uns auf dich verlassen,
hilfst uns in schwierigen Situationen,
gibst uns Rat im Gebet, schickst uns hilfreiche Menschen,
die uns unterstützen.
Du bist unser Erlöser,
machst dich klein, damit wir groß sein können.
Du drehst die Verhältnisse auf den Kopf, damit wir
besser sehen, wo wir wirklich stehen.
Herr, du bist unser Erleuchter,
schenkst uns in deinem Wort
wertvolle Erkenntnis und Trost für jeden Tag.
Herr, wir erwarten dein Kommen
auch wenn wir wissen, dass du längst da warst,
ja schon immer da bist.
Mach uns diese Erwartung auf dich
zu einer Quelle,
aus der wir Kraft für die Tage schöpfen können.
Lenke unsere Gedanken und Worte,
beschütze unser Leben und das unserer Liebsten
Schenke uns Gemeinschaft
und mach unser Denken und Tun fruchtbar für Andere.
Amen.


Georg Rieger