Gewitter Gott

Predigt zu Jeremia 23, 16-29 von Kathrin Oxen


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Von Kathrin Oxen

Ich habe Angst vor Gewitter. Schon immer gehabt. Man erzählt mir, ich sei schon als Kind immer unter den Couchtisch gekrochen, wenn nach einem schwülen Tag dunkle Wolken aufzogen. Noch lieber wäre ich in den Keller gegangen. Leider hatten wir aber keinen. Um mich zu beruhigen und abzulenken, lehrte man mich, in der Zeit zwischen Blitz und Donner zu zählen und diese Zahl dann durch drei zu teilen. Dann wüsste ich, wie weit das Gewitter entfernt sei. Diese Rechnung ging nicht immer auf. Denn manchmal brüllte der Donner schon los, bevor ich überhaupt bis drei zählen konnte. Und dann hatte ich erst recht Angst. Mir war klar: Es ist nahe. Es ist über mir.

Ich hatte immer Angst vor Gewitter und das wäre angesichts der momentanen Wetterlage keine so gute Woche für mich. Ich hatte Angst vor Gewitter und das ist angesichts dieser Worte aus dem Buch des Propheten Jeremia noch heute nicht so gut für mich:

Siehe, es wird ein Wetter des HERRN kommen voll Grimm und ein schreckliches Ungewitter auf den Kopf der Gottlosen niedergehen.Und des HERRN Zorn wird nicht ablassen, bis er tue und ausrichte, was er im Sinn hat; zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen.
Ich sandte die Propheten nicht, und doch laufen sie; ich redete nicht zu ihnen, und doch weissagen sie. Denn wenn sie in meinem Rat gestanden hätten, so hätten sie meine Worte meinem Volk gepredigt, um es von seinem bösen Wandel und von seinem bösen Tun zu bekehren.
Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Meinst du, dass sich jemand so heimlich verbergen könne, dass ich ihn nicht sehe?, spricht der HERR. Bin ich es nicht, der Himmel und Erde erfüllt?, spricht der HERR. (Jer 23,19-24)

Dieses Gewitter heißt Gott. Ein Blitz, der alles erleuchtet, ein Donner, der alles ausfüllt. Geblendet vom Licht, betäubt vom Krachen vergeht dir Hören und Sehen, wenn er kommt. Der Couchtisch ist eine nette Idee, wird dir aber nicht viel nützen. Auch Finger in den Ohren und Augen zukneifen, wie es Kinder machen, bringt nichts. Noch hinter die Augenlider blitzt das Licht. Und das Donnern spürst du in dir, bis dorthin, wo das Herz dir schnell schlägt.
Das Gewitter Gott wird über sie kommen, droht Jeremia, über die falschen Propheten: Sie betrügen euch, sie verkünden euch Gesichte aus ihrem Herzen und nicht aus dem Mund des HERRN. Sie sagen denen, die des HERRN Wort verachten: Es wird euch wohlgehen -, und allen, die im Starrsinn ihres Herzens wandeln, sagen sie: Es wird kein Unheil über euch kommen. (Jer 23, 16f.)

Ich zähle eins, zwei, drei. Und jetzt will ich, dass der Donner losbrüllt. Es soll geschehen, wenn ich am Couchtisch sitze, vor dem Fernseher bei der Tagesschau. Ich will den Blitz sehen, in dem einen Moment lang alles gleißend hell wird. Damit ich das wahre Gesicht derer sehen kann, die ich den Nachrichten sehe. Und was sich dahinter verbirgt: Dass sie den Leuten nach dem Mund reden. Leuten mit einem Herz, das aus lauter Starrsinn schon steinhart geworden ist.
Es wird euch wohlgehen, weil ihr dazugehört, weil ihr weiß seid - und den anderen, naja, den geht es dann eben leider schlecht. Die sterben mit dem Gesicht auf dem Pflaster und einem Knie im Nacken. Die bekommen keine Luft in unserem Land. Das wissen wir, und das wollen wir so und es ändert sich seit über fünfzig Jahren nichts. Dann wird es euch wohlgehen. Dann wird kein Unheil über euch kommen.
Ich kann das nicht mehr hören. Ich will, dass der Donner losbrüllt, und zwar so lange und laut wie möglich. Denn dann kann er reden, was er will und er wird nur noch die Lippen bewegen, ohne Ton. Und dann kann jeder sehen, wie lächerlich er ist, wenn er Dekrete unterschreibt und herumzeigt, stolz wie ein Kind, das gerade seinen Namen schreiben gelernt hat. Wenn er sich fotografieren lässt mit der Bibel in der Hand vor einer Kirche und nicht einmal weiß, wie man sie richtig herum hält. Ich will, dass Gott dazwischen brüllt: Ihr verachtet des Herrn Wort. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

Es gibt keinen Bereich unseres Lebens, der von Gottes kräftigem Anspruch ausgenommen ist. Dazu gehört auch die Politik. Im Mai 1934, in Wuppertal, haben sie sich das noch einmal klar gemacht. Da war der Nationalsozialismus gerade mal am Horizont aufgezogen. In der Kirche haben sie die veränderte Wetterlage gespürt und sich deswegen zusammengefunden und noch einmal aufgeschrieben, was wahr ist und was falsch: In der Theologischen Erklärung von Barmen. Es sind Worte gegen das dann wird es euch wohlgehen und es wird kein Unheil über euch kommen. Sie haben die schärfste Form gewählt, mit der Theologen sagen, dass etwas falsch ist: Wir verwerfen die falsche Lehre... Heute wissen wir: Dieser Einspruch hat nichts genützt. Zur letzten Zeit werdet ihr es klar erkennen. Das Unheil ist über unser Land und über ganz Europa gekommen.

Ich zähle eins, zwei, drei. Und ich will, dass das Gewitter Gott schon nah ist. Immer wieder gibt es Wetterleuchten am Horizont und kluge und mutige Christen, die sich an die Barmer Erklärung erinnern.
In den USA haben das jetzt Theologinnen und Theologen schon vor zwei Jahren getan, unter ihnen der für eine Traupredigt berühmt gewordene Michael Curry. „Reclaiming Jesus“ heißt ihre Erklärung, auf deutsch vielleicht: „Nicht unser Jesus!“ Sie sagen, dass es wichtiger ist, Jesus nachzufolgen als allem anderen. Und sie sagen, dass sich die Politik am Maßstab der Liebe Gottes messen lassen muss. Sie sagen:
„DARUM VERWERFEN wir das Aufleben eines weißen Nationalismus und Rassismus (...) Als Nachfolger Jesu lehnen wir jede Form des Rassismus ab, die dazu genutzt wird, um politische Gewinne zu erzielen, wie wir es bereits gesehen haben.
DARUM VERWERFEN wir die Sprache und Politik aller politischen Verantwortlichen, die die schwächsten Kinder Gottes erniedrigen und im Stich lassen. Wir bedauern aufs Äußerste die zunehmenden Angriffe auf Einwanderer und Geflüchtete (...) Wir müssen unsere Kirchen daran erinnern, dass Gott in unserem Verhalten den „Fremden“ gegenüber einen Erweis unseres Glaubens sieht (Lev 19,33-34).
DARUM VERWERFEN wir die Praxis und das System der Lüge, die in unser politisches und bürgerliches Leben eindringt. Politiker sind, wie wir alle, nur Menschen, fehlbar, Sünder und sterblich. Aber wenn das Lügen in der Öffentlichkeit so gewohnheitsmäßig wird, dass es mit Absicht Tatsachen (…) verdreht, dann wird die öffentliche Verpflichtung zur Wahrheit untergraben.“

Diese Art von Politik ist kein amerikanisches Problem. Es gibt sie auch in unserem Land. Das Lügen in der Öffentlichkeit zum Beispiel, eine Sprache, die die Schwachen erniedrigt. Und Nationalismus, um politische Gewinne zu erzielen.
Das ist alles Politik unter dem Couchtisch, die die Augen zukneift und sich die Ohren zuhält. Damit sie nicht hören und sehen muss, dass es sich bei den vielzitierten Werten des christlichen Abendlandes im Grunde nur um zwei handelt: Gott lieben und den Nächsten wie sich selbst.

Ich will, dass das Gewitter Gott nahe ist. Und ich habe gleichzeitig Angst davor, dass ich beim Zählen unterbrochen werde von brüllendem Donner. Wenn mir klar wird: Es ist nahe. Es ist auch über mir, über meinem Leben.
Bin ich nur ein Gott, der nahe ist, spricht der HERR, und nicht auch ein Gott, der ferne ist? Ich bin es gewohnt, mir Gott nahe vorzustellen, mein Leben hindurch, als Kind, als Jugendliche, jetzt. Gott kennt auch mich und hat mich lieb, ist einer, der das Leben kennt und mich versteht, hat über mir Flügel gebreitet. Ich denke Gott an mich heran und halte mir damit gleichzeitig Gott auf Abstand, wenn er für mich nur der liebe, nahe Gott sein kann. Bin ich nur ein Gott, der nahe ist? Damit hinterfragt Gott all die Propheten fragen, die meinen, zu wissen, was Gott will.

Ich wäre gerne eine Prophetin meines eigenen Lebens. Die soll mir immer wieder sagen: Es wird dir wohlergehen. Er wird kein Unheil über dich kommen. Aber so ist das Leben nicht. Ich habe das schon erfahren. Wohl jeder Mensch erfährt das.
Und dann ist es ein Trost, das Gott selbst fragt: Bin ich nicht auch ein Gott, der ferne ist? Gott sieht mein Leben aus einer Entfernung an. Gott weiß mehr davon, als ich übersehen kann. Doch auch der ferne Gott ist mein Gott.

Gott ist nahe und fern, in meinem Leben und über meinem Leben.
Gott ist Zuspruch, ich bin bei dir und Anspruch du sollst.
Wie ein Wetterleuchten am Horizont, bei allem, was ich tue.
Wie die Luft nach einem Gewitterschauer, klar und köstlich.

Amen.