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Gott kommt auf die Welt - er schreit
Weihnachtspredigt zu Lukas 2, 1-20
Liebe Gemeinde,
Froh und erleichtert war sie. Ja mehr noch, überglücklich war sie. Und immer wieder konnte sie nur den einen Gedanken denken: es lebt. Ihr Kind lebt. Es hatte geschrien. Laut und deutlich, unüberhörbare Lebenszeichen. Dabei war die Geburt anstrengend gewesen, und das ganze Drumherum auch. Bis sie endlich einen Ort gefunden hatten, hatte es gedauert. An vielen Orten wurden sie abgewiesen, es war kein Bett mehr frei. Doch dann hatten sie Glück gehabt und sie kamen unter. Und nun war doch alles gut gegangen.
Das Kind lebte, es schrie, lag in ihren Armen und suchte nach der Brust. Während es zu saugen begann, und sie spürte, wie die Milch zu fliessen begann, beruhigte sich das Kind langsam. Doch der Schrei lag noch lange in der Luft. Dieser erlösende, lebendige Schrei. So schön, wie diesen, hatte sie noch keinen Schrei empfunden. Gott sei Dank, das Kind lebte. Sein ganzes Leben lag vor ihm. Alles war gut gegangen und alles würde gut werden. Maria fasste Mut.
So, liebe Gemeinde kann ich es mir vorstellen, was dort in Bethlehem passierte. Als dort im Stall Gott zur Welt kam. Als Maria ein Kind gebar und der Schrei von neugeborenen Kind von Leben zeugte. Davon, dass Gott wirklich Mensch geworden war. Diese Szene samt Geräuschkulisse malte ich mir aus, als ich vor ein paar Wochen den Senioren-Nachmittag vorbereitet habe und dabei Fotos vom begehbaren Adventskalender 2013 zusammensuchte. Da fand ich ein Bild vom Fenster im Museum zum Feld und darauf stand: „Noch ist Ruhe im Stall“.
Noch ist Ruhe! Das spielt darauf an, dass es mit der Ruhe bald vorbei sein wird, und statt Ruhe viel Lärm im Stall sein wird. Eine Geburt ist meistens laut. Da sind Schmerzen auszuhalten und Wehen zu durchleben. Und wenn das Kind da ist, dann wird es schreien und niemand wird sich daran stören. Im Gegenteil. Der Schrei wird alle, die bei der Geburt dabei sind, erleichtern und erfreuen.
Und das wird bei der Geburt Jesu genauso gewesen sein. Und Maria wird dasselbe erlebt haben, wie jede Frau, die ein Kind unter Wehen und auf natürliche Weise zur Welt bringt. Und wie jedes Kind wird auch Jesus nach seiner Geburt geschrien haben. Und auch sein Schrei wird seine Lebendigkeit bezeugt haben und alle erleichtert und erfreut haben.
Plötzlich wurde mir bewusst, dass dieser Schrei zur stillen, Heiligen Nacht dazugehört. Und die Nacht vermutlich gar nicht so still war. Mir wurde bewusst, dass der Schrei genauso ein Zeichen für Gottes Menschwerdung ist, wie die Windeln, die Geburt im Stall oder der Stern. All diese Zeichen bekommen die Hirten und Weisen. Daran erkennen sie, dass Gott wirklich Mensch geworden ist und dass in diesem Kind wirklich Gott auf die Welt gekommen ist. Ein König in einem Kind. Das machen die sichtbaren Zeichen deutlich.
Und genauso gehört das hörbare Zeichen dazu. Die Geräuschkulisse im Stall, der Schrei, der sich in die Ruhe der Nacht mischt und die stille heilige Nacht laut werden lässt. Gott kommt auf die Welt, er schreit. Und zeigt darin seine Lebendigkeit, seine Menschlichkeit, seine Nähe zu uns Menschen. Ja: durch die Geburt von Gottes Sohn ist es aus mit der Ruhe im Stall. Nicht nur im Stall: Aus mit der Ruhe ist es z.B. auch für Herodes. Er ist zutiefst beunruhigt über die Geburt dieses Kindes, des neuen Königs. Herodes bangt um seine Macht, er fürchtet den neuen König.
Für andere hingegen bedeutet die Unruhe Hoffnung und Trost. Für die Hirten z.B.. Sie spüren: Wenn der König hier im Stall, ganz nah bei uns und mitten in unserer Alltagswelt geboren wird, wenn Gott uns so nah kommt, sich so klein und schwach macht, dann gibt uns das Hoffnung. Jetzt spüren wir es: Gott ist da, bei uns, in unserem Alltag, sogar im Stall. Er ist da, wo Menschen auf der Suche sind nach einem Ort, wo sie bleiben können. Er ist da, wo Menschen in Verlegenheit sind und nicht wissen, was werden wird. Er ist da, wo Menschen am Ende sind mit ihrer Kraft und auf Hilfe anderer angewiesen sind. Gott ist da, im Stall.
All das sehen die Hirten direkt vor ihren Augen. An Maria und Josef im Stall können sie all das ablesen. Der ganze Stall, mit Kind, Windeln, Krippe und Schrei wird ihnen zur frohen Botschaft. Die Engel haben es ihnen ins Herz geflüstert. Geht schaut, was dort im Stall geschehen ist. Geht und schaut, dass Gott da ist, bei euch. Schaut und hört Gott ein schreiendes Kind in Windeln gewickelt.
Ob die Hirten auch später nochmal mit diesem Kind zusammengetroffen sind? Ich weiß es nicht. Es heisst nur noch, dass die Hirten zurückkehrten und Gott lobten. Mehr nicht. Nichts weiter. Zurück an die Arbeit und Gott loben. Was weiter mit den Hirten geschah. Ob sie später Jünger wurden, wird nicht erzählt. Sie scheinen ihren Frieden im Stall gefunden zu haben. Einen Frieden, der sie hoffentlich weiter trug als nur durch diese Nacht. Jedenfalls erwähnt das Lukasevangelium sie nicht mehr.
Aber ich lese im Evangelium von anderen Menschen, denen es ähnlich ging wie den Hirten. Ich lese von Frauen, die am Rande der Gesellschaft standen. Wie beispielsweise die Witwe, die nicht das Recht bekam, was ihr zustand. Klein gehalten wurde sie vom Richter und der Gesellschaft.
Das Ev. berichtet uns, dass Jesus über diese Witwe ein Gleichnis erzählt. Ihr hartnäckiges Eintreten für ihr Recht ist ein leuchtendes Beispiel fürs Beten.
An anderer Stelle erzählt uns das Evangelium, wie Jesus dafür eintritt, dass Kinder zu ihm kommen können. Mehr noch, an ihnen sollen sich Erwachsene ein Beispiel nehmen. So offen, so neugierig und bedürftig wie ein Kind sollen wir sein. Und dann ist da noch die Geschichte vom blinden Bartimäus. Er sitzt bettelnd auf der Strasse und schreit einfach nur. Schreit sein Elend heraus. Schreit nach Jesus. Und das, obwohl er angefahren wird, er soll still sein und schweigen.
Sie alle, die Witwe, Kinder und Bartimäus begegnen Jesus nicht still und leise. Sie sind laut, hartnäckig, schreien sogar. Sie nehmen in Kauf, dass es mit der Ruhe vorbei ist. Damals im Stall in Bethlehem hat es angefangen. Da war es mit der Geburt aus mit der Ruhe. Da wurde es unruhig. Und das war gut so. Denn das zeigt uns, dass Gott nicht eher Ruhe gibt, bis Frieden in der Welt ist, bis sie so ist, dass es gut ist für alle Menschen, egal ob gross oder klein, reich oder arm, krank oder gesund, schwarz oder weiss, Mann oder Frau.
- Bis alle Kinder dieser Welt einen Platz haben, wo es ihnen gut geht. Auch in den Flüchtlingsgebieten und Kriegsgebieten, auch in Pakistan und an den vielen ungezählten Orten dieser Welt, wo man versucht Kinder klein zu halten, ruhig zu stellen oder schlimmer noch auszubeuten oder zu missbrauchen.
- Bis die Menschen, die am Rande leben oder ausgegrenzt werden, weil sie nicht so sind wie die Masse, wie Bartimäus, einen Platz bekommen in der Gemeinschaft.
- Bis wir gelernt haben, barmherzig und menschlich mit Krankheit und Schwächen umzugehen, ohne Scham und Angst. Sowohl mit körperlichen Gebrechen, als auch mit psychischen Einschränkungen.
- Bis Menschen, Frauen und Männern, die kleingehalten werden, denen Recht verwehrt wird, wie die Witwe wieder zu ihrem Recht kommen.
Dass vor ein paar Wochen Malala aus Pakistan den Friedensnobelpreis bekommen hat, ist ein sehr hoffnungsvolles Zeichen. Sie hat ihn bekommen, weil sie laut war und ihre Meinung sagte ohne Angst. In den Nachrichten hiess es: Nun kann niemand mehr einen Jugendlichen einfach abtun mit den Worten: „Du bist ja erst 17“.
Ein hoffnungsvolles Zeichen ist das. Das Kleine wird gross. Die Hirten sahen und hörten es zuerst. Damals im Stall fing es an, mit einem Schrei vom Kind in Windeln in einer Krippe. Da wurde Gott Mensch, und da wurde es unruhig in der Welt, die Ruhe war vorbei. Die Menschen zur Zeit Jesu erlebten es immer wieder. Sahen, wie Jesus Kleine gross machte: Witwen, Kinder, Bartmäus und viele andere. Heute geht es weiter. Wir dürfen es weitertragen. Laut und manchmal auch störend.
Noch ist Ruhe im Stall. Weihnachten wird es laut, unruhig. In diesem schlichten Satz beim Museum steckt bereits die ganze Weihnachtsbotschaft. Eine sehr tröstliche und ermutigende Botschaft. Sie sagt uns: Auch unsere Schreie und unsere Unruhe sind Gott nicht fremd. Auch unser Suchen und Sehnen nach Gerechtigkeit, nach Frieden nicht. Und es ist gut, dass Gott solange keine Ruhe gibt, bis wirklich alle Menschen Ruhe haben. Ruhe, die trägt. Ruhe, die die ganze Welt und die ganze Menschheit umspannt, weil sie auf Frieden und Gerechtigkeit aufbaut.
Vom Stall ging es damals aus, und es geht weiter, immer weiter. Bis wirklich Ruhe einkehrt in allen Ställen dieser Welt und auf allen Feldern, bei allen Hirten, bei allen Kindern, bei allen Witwen, bei allen Kranken wie Bartimäus, bei uns und der ganzen Menschheit.
Amen
Kerstin Bonk, Pfarrerin in Reigoldswil, Baselland, Dezember 2014