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Harre des Herrn! Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!
Predigt über Psalm 27 von Johannes von Lüpke
Der HERR ist mein Licht und mein Heil;
vor wem sollte ich mich fürchten?
Der HERR ist meines Lebens Kraft;
vor wem sollte mir grauen?
Wenn die Übeltäter an mich wollen,
um mich zu verschlingen,
meine Widersacher und Feinde,
sollen sie selber straucheln und fallen.
Wenn sich auch ein Heer wider mich lagert,
so fürchtet sich dennoch mein Herz nicht;
wenn sich Krieg wider mich erhebt,
so verlasse ich mich auf ihn.
Eines bitte ich vom HERRN, das hätte ich gerne:
dass ich im Hause des HERRN bleiben könne mein Leben lang,
zu schauen die schönen Gottesdienste des HERRN
und seinen Tempel zu betrachten.
Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit,
er birgt mich im Schutz seines Zeltes
und erhöht mich auf einen Felsen.
Und nun erhebt sich mein Haupt
über meine Feinde, die um mich her sind;
darum will ich Lob opfern in seinem Zelt,
ich will singen und Lob sagen dem HERRN.
HERR, höre meine Stimme, wenn ich rufe;
sei mir gnädig und erhöre mich!
Mein Herz hält dir vor dein Wort: »Ihr sollt mein Antlitz suchen.«
Darum suche ich auch, HERR, dein Antlitz.
Verbirg dein Antlitz nicht vor mir,
verstoße nicht im Zorn deinen Knecht!
Denn du bist meine Hilfe; verlass mich nicht
und tu die Hand nicht von mir ab, Gott, mein Heil!
Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich,
aber der HERR nimmt mich auf.
HERR, weise mir deinen Weg
und leite mich auf ebener Bahn um meiner Feinde willen.
Gib mich nicht preis dem Willen meiner Feinde!
Denn es stehen falsche Zeugen wider mich auf
und tun mir Unrecht ohne Scheu.
Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde
die Güte des HERRN im Lande der Lebendigen.
Harre des HERRN!
Sei getrost und unverzagt und harre des HERRN!
Liebe Gemeinde!
„Harre des Herrn! Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!“ Dieser letzte Satz des 27. Psalms ist ein wunderbarer, aber auch ein sonderbarer, ein merkwürdiger Satz. So hat ihn Luther charakterisiert. In lateinischer Sprache hat er ihn für einen uns unbekannten Empfänger aufgeschrieben. Ins Deutsche übersetzt steht da: „Hoffe auf den Herrn, sei tapfer, dein Herz sei stark und hoffe auf den Herrn!“
Was ist daran so merkwürdig? Luther erläutert es: Gott, der doch überall gegenwärtig ist, ja der „Allergegenwärtigste“ ist, fordert uns hier auf, auf ihn zu hoffen, als sei er nirgendwo, ja als sei er der „Nirgendwoste“ – wenn man das Wort „nirgendwo“ überhaupt steigern kann –, als sei er überhaupt nicht da. So empfinden es mitunter gerade die Frommen, dann nämlich, wenn ihr Glaube erschüttert wird durch unbegreifliches Leid oder auch durch spöttische Einreden und Angriffe, wenn andere fragen: Wo ist Gott? Wo ist Gott in eurer Lebensgeschichte und überhaupt in der Weltgeschichte, wenn doch soviel Ungerechtes, Grausames geschieht? Da scheint Gott fern zu sein. Zu vieles steht dazwischen, als dass man seiner Gegenwart gewiss und froh sein könnte.
Auf der anderen Seite sind es – so sieht es Luther – gerade die Unfrommen, die sich da allzu sicher sind, als sei Gott ihnen immer der Nächste, immer an ihrer Seite, so wie ein Nachbar, der neben uns wohnt, mit dem man aber nicht allzu viel zu tun hat. Ihnen müsste man etwas anderes sagen. Genau das Gegenteil, den Gegen-Satz zu unserem Psalmwort. Luther schreibt ihn auf eine zweite Seite: „Fürchtet den Herrn, seid ängstlich, euer Herz zittere und fürchtet den Herrn!“ Das steht auf einem anderen Blatt und gehört doch dazu. Und es trifft nicht nur die anderen, die wir als unfromm ansehen, sondern auch uns, wenn wir doch keineswegs immer nur fromme Gedanken haben.
Müssen wir also beides uns gesagt sein lassen, beides lernen: Hoffnung auf Gott und Furcht vor Gott? Unverzagt sein und doch mit Zittern und mit Zagen? Was für eine Spannung! Merkwürdig, sonderbar, aber vielleicht auch wunderbar. Auf jeden Fall ist es eine Spannung, die in dem Psalm steckt. Wir lernen sie kennen und wir lernen sie auszuhalten, wenn wir die Worte des Psalms lesen und beten.
Nehmen wir Luthers Zettel als Verstehenshilfe und hören wir noch einmal den ersten Vers des Psalms: „Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebenskraft, vor wem sollte mir grauen?“ Das klingt zuversichtlich, aber es schwingt doch auch Furcht mit. Das unerschütterliche Vertrauen lässt doch Raum für das, was erschüttert und uns ängstigt. Ich sollte mich nicht fürchten, aber ich fürchte mich.
Wovor habe ich Angst? Es wird deutlich, wenn ich die Worte des Psalms nachspreche, und mir dann vor Augen steht, was geschehen kann: dass Übeltäter mir nach dem Leben trachten, dass sie ihr Maul aufreißen, als wollten sie mich verschlingen – dass Widersacher und Feinde auftreten, die darauf bedacht sind, dass ich zu Fall komme – dass ich allein dastehe, eingeschlossen von einem ganzen Heer. Es ist Krieg oder wie im Krieg, und ich kann da hineingeraten.
Und noch anderes, nicht weniger Beängstigendes kommt in den Blick: „Mein Vater und meine Mutter verlassen mich.“ Die Menschen, die ich liebe und von denen ich Liebe empfangen habe, ich möchte sie im Leben halten, aber ich kann es nicht. Man könnte noch mancherlei Ängste und Befürchtungen anschließen. Der Psalm lässt dafür Raum. Wir können uns da mit unseren kleineren und größeren Sorgen unterbringen. Es geschieht ja viel zu viel Furchtbares in dieser Welt. Und hier wird es uns nicht ausgeredet, es wird nichts beschönigt, nichts beschwichtigt. Es wird zur Sprache gebracht, so nüchtern, wie es auch Jesus einmal sagt: „In der Welt habt ihr Angst.“ (Joh 16,33) So ist es. Punkt.
Aber sollte man wirklich noch eins draufsetzen und zu aller Angst auch noch die Gottesfurcht hinzufügen: Fürchtet Gott? Reicht nicht die eine Seite: „Hoffe auf den Herrn und sei tapfer und unverzagt“? Müssen wir auch die zweite Seite aufschlagen und Gott zu fürchten lernen? Gott will uns doch die Angst nehmen. Gewiss. Merkwürdig, sonderbar aber ist es, dass gerade die Gottesfurcht uns die Angst austreiben kann.
Gott ist Licht. „Er wohnt in einem Lichte, da niemand zukommen kann“ – so heißt es einmal im Neuen Testament (1Tim 6,16). Gott ist Kraft. Er hat dieses gewaltige Weltgebäude, das Universum, aus dem Nichts geschaffen. Wenn ich das so sage, dann wird mir bewusst: Gottes Kraft ist nicht meine Kraft, nicht der verlängerte Arm, nicht der Hebel, der meine Kraft verstärkt und dessen ich mich so einfach bedienen könnte, wenn ich es will und brauche. Und Gottes Licht ist nicht mein Licht. Ich soll es nicht verwechseln mit dem, was mir einleuchtet und klar erscheint. Da ist ein himmelweiter Unterschied zwischen dem Licht der Sonne und unseren kleinen Lichtern hier auf Erden, zwischen Gottes Geist und unserem menschlichen Verstand. Und nicht die Sonne dreht sich um die Erde, sondern umgekehrt: Wir sind abhängig vom Himmelslicht und müssen hier auf Erden erleben und erleiden, wie unser Licht verlöscht und unsere Kräfte schwinden. Genau an dieser Stelle kommt Gottesfurcht auf. Es geht nicht um unseren Willen, sondern wie Gott es will. Er regiert, allmächtig und allgewaltig. Gerade dann kann man den Eindruck gewinnen, er sei unendlich weit weg. Der Allgegenwärtige ist nirgendwo zu finden. Ist er überhaupt da? Wo ist er?
Folgen wir weiterhin Luther, so ist jetzt noch einmal die erste Seite aufzuschlagen. Die Kehrseite der Gottesfurcht ist die Hoffnung: „Harre des Herrn. Sei getrost und unverzagt und harre des Herrn!“ Das ist in der Tat ein wunderbarer Satz, eine Einladung zu einem Vertrauen, das die Spannungen aushält und in ihnen an Gott festhält. Und wenn wir jetzt fragen: Wie geht das? Wie macht man das? Wie wendet sich die Furcht in ein unerschütterliches Vertrauen? So bietet der Psalm nochmals Worte, die uns helfen können. Zweierlei will ich noch hervorheben:
Das erste ist: Wir dürfen, ja wir sollen Gott beim Wort nehmen. „Mein Herz hält dir vor dein Wort: ‚Ihr sollt mein Antlitz suchen.‘ Darum suche ich auch Herr, dein Antlitz. Verbirg dein Antlitz nicht vor mir.“ Das Herz hat es irgendwann, irgendwie gehört, es solle Gott suchen. Und nun ist es beunruhigt. Es will sich nicht abfinden mit der Abwesenheit Gottes in dieser Welt. Es sucht den Kontakt, die Nähe, einen freundlichen Blick. Vielleicht ist es diese tiefe Sehnsucht, die Augustin in die berühmten Worte gefasst hat: „Du hast uns auf dich hin geschaffen. Und unser Herz ist unruhig, bis es Ruhe findet in dir.“ – „Mein Herz hält dir vor dein Wort!“ Wenn es dein Wort war, das mich ins Leben gerufen hat, so höre doch, wenn ich rede. „Höre meine Stimme, wenn ich rufe, sei mir gnädig und erhöre mich!“ Verhallt diese Bitte im Nichts oder findet sie Antwort?
Der Psalm geht davon aus, dass es einen Ort gibt, an dem sich Antworten einstellen. Es sind die schönen Gottesdienste des Herrn, wo auch immer sie gefeiert wurden und gegenwärtig gefeiert werden. Das ist das Zweite, das noch zu bedenken ist. Wir stehen mit unseren Fragen und auf den Wegen der Suche nicht allein. Vor uns und mit uns stimmen andere in diesen Psalm ein, in Israel, im Tempel in Jerusalem, in den Kirchen der Christenheit, wo auch immer auf dieser Welt Gottesdienste gefeiert werden, und nicht zuletzt auch hier in Schöller. Schön nennt unser Psalm die Gottesdienste, und er stellt uns Bilder vor Augen. Er führt uns an Orte, an denen wir uns umschauen dürfen, Orte, wo wir gern bleiben möchten. Bleiben im Haus des Herrn: Gewiss geht es da auch um Worte, es geht um Botschaften, um Predigten, um Hören und Antworten. In alledem geht es aber auch um ein tief empfundenes Gefühl: dass ich hier Zuflucht finde, einen Ort der Geborgenheit, Schutz wie in einer Hütte zur bösen Zeit, Sicherheit wie auf einem hohen Felsen, von dem aus ich Abstand gewinne, ja Überlegenheit über alle Widersacher und Feinde. Hier finde ich mein Leben gut aufgehoben, als ob sich so etwas bildet wie eine Schutzhülle. Das was uns Angst macht bleibt. Aber letztlich kann es uns nichts anhaben. Denn Gott, der Herr, nimmt mich auf. Er ist mir ganz nahe. Und nun kann ich es sagen, zuversichtlich und gewiss: „Er ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebenskraft, vor wem sollte mir grauen?“
Liebe Gemeinde, das sind in der Tat wunderbare Worte, größer als unsere Erfahrungen. Aber gerade deswegen können wir sie darin unterbringen wie in einem großen Haus: unsere kleineren oder größeren Ängste, und unsere schwachen oder auch starken Hoffnungen. Hier sind die Spannungen auszuhalten. Und der Glaube darf weit vorausschauen: „Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde die Güte des Herrn im Lande der Lebendigen.“
Amen.
Predigt über Psalm 27 von Prof. Dr. Johannes von Lüpke im Gottesdienst in der Ev.-ref. Kirche Schöller am 20. Mai 2012