Kann denn Rechtfertigung sexy sein?

Notat to go. Die Mittwochs-Kolumne. Von Barbara Schenck

"Wie bekomme ich einen gerechten Gott?" - Kribbelt's schon? In mir nicht. Selbst Martin Luther hat ja herausgefunden: die Frage ist falsch gestellt; denn Gott ist derjenige, der uns gerecht spricht, nicht einer, den wir durch unser Handeln gerecht stimmen müssen."

Kurz und knapp schreibt Karl Barth: "Das ist die Rechtfertigung: Gott, der an unserer Stelle vollbringt, was wir nicht können." Als Beispiel nennt er ein Kind, dem es nicht gelingt, einen Gegenstand zu zeichnen. Der Lehrer setzt sich an den Platz des Kindes und zeichnet den Gegenstand. Wenn jetzt noch etwas gegen das Kind zu sagen sei, treffe es den, der an seiner Stelle sitze. - Schon eingeschlafen? Bei allem Respekt vor meinem großen "Lehrer", prickelnd klingt das Beispiel in meinen Ohren nicht.

Wo ist der Reiz der Rechtfertigung geblieben? In der Philosophie, behaupte ich, namentlich bei Rainer Forst. Die "Praxis der Rechtfertigung" ist für ihn die angemessene Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen sollten. Einer anderen Person mit Respekt zu begegnen bedeute, "dass jede Person, der gegenüber wir zu handeln befugt zu sein glauben, das Recht hat, uns nach unseren Gründen für dieses Handeln zu fragen". Und warum sollte der andere die erstbeste Antwort akzeptieren? Schon sind wir drin in einer Diskussion. Forst nennt das eine "diskursive Praxis". Dabei ist "Rechtfertigung nicht nur eine, die mir geliefert wird, sondern eine, die ich produziere". Die Gerechtigkeit, um die dabei gerungen wird, ist "ein ständiger Prozess". Austausch, Gespräch, ein Geben und Nehmen - ein sanfter erotischer Hauch.
Jetzt reizt es mich, in der Bibel nach solchen Gesprächen Ausschau zu halten. Bei Abraham und Gott auf dem Weg nach Sodom bleibe ich hängen: "Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen?" - Eine Bitte an Gott, sein Handeln zu begründen?
Und wie war das noch mit Jesus und der kanaanäischen Frau (Matthäus 15)? Die Frau schreit: "Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt." Jesus will nicht handeln. Die Jünger drängen ihn. Jetzt spricht Jesus wenigstens, begründet, warum er das Kind nicht heilen will: "Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel." Die Frau lässt nicht locker und sie weiß, ihre Forderung zu begründen. Das ist schon ein aufregendes Gespräch. Auch ein Prozess der Rechtfertigung? Erregend, sexy? Zumindest ist da ein Begehren nach mehr diskursiver Praxis, nach einer intensiveren Verbindung mit dem anderen / mit der anderen. Die beiden finden einen Draht zueinander. Das Verlangen der Frau wird am Ende gebilligt. Erzählt ist das Geschehen als Begegnung zwischen zwei Menschen, wohlgemerkt, auch wenn einer als Messias Israels erkannt wird.
Bei Gott wird's dann vollbracht. Er schenkt die "vollkommene Genugtuung" (HK 60).

Literatur:
Die Zitate von Rainer Forst stammen aus einem Interview mit dem Philosophen, das Tobias Hürter und Thomas Vašek führten, abgedruckt in: Hohe Luft. Philosophie-Zeitschrift, Ausgabe 4 / 2013: "Gerechtigkeit ist ein ständiger Prozess", S. 61-67.
www.hoheluft-magazin.de


Barbara Schenck, 19. Juni 2013