'Konfessionslos glücklich. Wenn Kirche und Menschen mich enttäuscht haben'

Predigt vom 21.3.2021 in der EFG Neustadt am Rübenberge im Rahmen der Predigtreihe 'Stolpersteine des Glaubens'


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Von Marco Hofheinz

Liebe Gemeinde,

brauchen wir denn wirklich die Kirche? Es „menschelt“ doch so oft in unseren Gemeinden. Wie es nun einmal ist, wenn Menschen zusammentreffen, dass Zank, Streit und Zwietracht nicht ausbleiben, so scheint es doch auch in der Kirche empirisch zuzugehen. Da bleiben Enttäuschungen nicht aus. Schreit das nicht nach einem „cut“, einer Zäsur? Können wir all den Ärger und Streit nicht flugs umgehen, indem wir einfach nur für uns selbst glauben – ohne die anderen? Können wir, anders gefragt, nicht einfach nur konfessionslos glücklich sein?1 Ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gemeinde mit einem bestimmten Bekenntnis? Braucht es denn die Organisation Kirche überhaupt?

Fragen über Fragen, die doch sehr ernsthafter Natur sind, und die bisweilen zu echten Stolpersteinen des Glaubens werden. Wir müssen uns indes vor den Stolpersteinen nicht fürchten. „Stolpern fördert!“, so stellte bereits Goethe fest und er hatte Recht. Und wenn wir an die Aktion Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig in vielen unserer Städte (so auch hier, in Neustadt am Rübenberge) denken, die im Jahr 1992 begann, so soll ja die geschichtliche Erinnerung durch eine kleine, im Boden verlegte Gedenktafel gefördert werden. Auf das Schicksal von Menschen wird durch einen solchen Stolperstein aufmerksam gemacht und Interesse geweckt: „Wer war denn das überhaupt? Was hat er/sie denn gemacht?“ Eine gute, didaktisch höchst anregende Sache, wenn wir auf diese Art und Weise ins Fragen kommen! Stolpern fördert!

Es gibt nun auch Stolpersteine des Glaubens. Auch hier kann stolpern fördern. Und wenn wir von „Stolpersteinen des Glaubens“ sprechen, so stolpern wir hier bereits über die Formulierung. Denn welcher Glaube ist gemeint? Oftmals habe ich im volkskirchlichen Kontext Sätze gehört wie: „Ich glaube auch etwas, aber dazu brauche ich die Kirche nicht!“ Mit diesem und ähnlichen Sätzen wurde meist begründet, warum man sich den sonntäglichen Gottesdienst erspart. Doch: „Ist das nicht sehr dünn, dieses ‚etwas‘? ‚Irgend etwas‘ glaubt natürlich jeder. Man kann auch an Götzen glauben und an schlimme Ideologien. Auch im Aberglauben glaubt man immerhin ‚etwas‘. Ich meine freilich, es gehöre zum christlichen Glauben, daß man darin kritisch ist gegenüber solchem ‚Glauben‘. Da glaubt man eben nicht ‚etwas‘, sondern glaubt an Ihn, an ein Du, an die Person [oder besser: die drei Personen; M.H.], in der [denen] Gott uns entgegentritt [als Vater, Sohn und Heiliger Geist; M.H.]. Das mag allerdings [dann tatsächlich] so sein: Solange ich [nur] ‚etwas‘ glaube, ‚brauche ich nicht die Kirche‘.“2 Das stimmt, so gesehen, schon.

Anders sieht es aus, wenn der Betreffende anderes im Sinn hat und eigentlich sagen will: „Ich bin auch ohne Kirche ein Christ. Ich kann auch an Christus glauben, in seinem Namen zu Gott beten. Ich kann auch in der Bibel lesen, aber das geht gut, ja besser, wenn ich nicht zur Kirche gehe.“ Stimmt das? Hat dieser Kirchenkritiker nicht Recht? Ich würde darauf antworten: „Gut, dann mach doch einmal die Probe aufs Exempel. Versuche es und prüfe ernsthaft, ob das tatsächlich funktioniert.“ Um es gleich vorwegzunehmen: Ich glaube nicht, dass das funktioniert.

Spielen wir es doch einmal gedanklich durch und nehmen dabei die Aussage ganz ernst: „Ich bin auch ein Christ. Ich kann auch ohne Kirche an Christus glauben.“ Ja, wenn ich an Christus glaube, dann werde ich ihm doch wohl zugestehen, dass er mich im Zusammenhang der Bibel anspricht. Christus ist ja der lebendige Christus und nicht bloß eine der vielen hochbedeutsamen, aber toten Figuren der Weltgeschichte. Wie aber spricht er mich dort, in der Bibel, an? Gewiss hat er in seiner Freiheit unendlich viele Möglichkeiten, uns anzusprechen. Durch jedes noch so unscheinbare Komma und jede noch so bedeutungslos erscheinende Wendung.

Aber vielleicht gibt es doch Auffälligkeiten in der direkten Anrede an Menschen. Werfen wir einen kurzen Blick ins Johannesevangelium, so fällt etwa auf, dass Jesus vor allem seine Jünger anspricht und zwar zumeist nicht einzeln, sondern als Gruppe: „Wenn ihr bleiben werdet an meinem Wort, so seid ihr wahrhaftig meine Jünger und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,31f.). Immer wieder ist von der Gemeinschaft der Jünger die Rede. Oder: „Ein neues Gebot gebe ich euch, daß ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt. Daran wird jedermann erkennen, daß ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt“ (Joh 13,34f.). Oder: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben“ (Joh 14,19). Oder: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ (Joh 15,5). Oder: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er’s euch gebe“ (Joh 15,16).

Wir könnten die Liste solcher Sprüche noch erheblich verlängern. Doch dies mag hier zunächst genügen, um zu merken: Immer wieder wird der oder die einzelne in der Bibel nicht als einzelne, sondern vielmehr als Teil eines Kollektivs, als Teil der Gemeinde angesprochen. Christ*innen sind offensichtlich keine Einzelgänger*innen in „splendid isolation“, sondern Teil einer Gemeinschaft, genauer: der Gemeinde Jesu Christi.

Doch die Aussage unseres Kirchenkritikers geht ja noch weiter: „Ich bin auch ein Christ. Ich kann auch ohne Kirche an Christus glauben, in seinem Namen zu Gott beten.“ So lautet die Fortsetzung der Aussage. Und auch hier müssen wir einhaken. Denn was beten wir denn, wenn wir in seinem Namen tatsächlich beten? „Unser Vater in Himmel“ (Mt 6,9). So beginnt das Herrengebet, das „Unser Vater“ bzw. „Vaterunser“. Gott Vater wird als Vater seiner Kinder im Plural angesprochen. Er ist der Vater einer Kinderschar.

Gott hat keine Einzelkinder! Er stellt uns vielmehr in den Raum seiner Gemeinde. Und selbst der arme Robinson Crusoe hat auf seiner einsamen Insel gebetet „Unser Vater“, auch wenn die nächste Menschenseele erst viele Seemeilen entfernt zu finden war. Und doch war sie da, noch vor Freitags Ankunft, die für ihn unsichtbare Gemeinde. Überhaupt hat es dieser vielfach unterschätzte Bekehrungsroman von Daniel Defoe aus dem 18. Jahrhundert in sich. Zuvor nicht religiös, erstarkt Robinsons Glauben an Gott ausgerechnet auf der einsamen Insel. Er findet interessanterweise nicht nur zu Gott, sondern auch zur Kirche. Robinson, der jeden Morgen in einer Bibel zu lesen beginnt, die er vom Schiff bergen konnte, ist umgeben von der „Wolke der Zeugen“, die ihn anspornt: Gib nicht auf, mach weiter. Wirf dein Leben nicht weg! „Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist und aufsehen zu Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens“ (Hebr 12,1f.).

Und schließlich zuletzt: „Ich bin auch ein Christ. Ich kann auch ohne Kirche an Christus glauben, in seinem Namen zu Gott beten. Ich kann auch in der Bibel lesen und das geht gut, ja besser, wenn ich nicht zur Kirche gehe.“ Ja, wie sieht es mit dem Bibellesen aus? Werden wir nicht auch – früher oder später – in der Bibel lesen, dass die, die an ihn glauben, sein Leib sind? Legt Paulus dies etwa nicht in 1Kor 12 (V. 12-27) oder Röm 12 (V. 4-8) dar? Kein Glied des Körpers kann für sich sein, sondern braucht die anderen Glieder: „Das Auge kann nicht sagen zu der Hand: Ich brauche dich nicht; oder auch das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht“ (1Kor 12,21).

Vielmehr gilt: „Ihr aber seid der Leib Christi und jeder von euch ein Glied“ (1Kor 12,27). Und brauchen wir die Gemeinschaft der Geschwister nicht gerade beim Bibellesen? Der/die einzelne weiß doch oft nicht weiter beim Verstehen der anspruchsvollen und schwierigen Texte. Da ist es gut, die Hilfe und ggf. die Korrektur der Geschwister zu erfahren. Niemand von uns hat doch die Weisheit mit Schaumlöffeln gegessen und da, wo es hakt, aber auch da, wo wir meinen, alles verstanden zu haben und schnell über einen Text hinweglesen, ist es gut, wenn uns jemand bremst oder anstupst – je nachdem, was nötig ist.3

Wenn man einmal diese Probe in aller Ernsthaftigkeit und Ehrlichkeit macht und einfach nur versucht, still für sich zu glauben, für sich zu beten und für sich die Bibel zu lesen, dann wird man gewiss eines merken: Ich bleibe nicht bei mir selbst stehen. Ich werde vielmehr über mich hinausgedrängt und hineingestellt in die Gemeinschaft. Beim Glauben ist es wie bei Holzscheiten in einem Kaminfeuer – zieht man einige heraus, so dass die Holzscheite unverbunden je für sich nur nebeneinander liegen, raucht es bald nur noch und brennt bald nichts mehr. Ähnlich brennt der Glaube auf die Dauer nur, wenn er mit anderen zusammen auf einem ‚Haufen‘ ist. Sonst qualmt und stinkt es bald nur noch sehr unerfreulich, bevor dann alles ganz erlischt.4

Im Apostolischen Glaubensbekenntnis wird etwas sehr Wichtiges über die Kirche gesagt: Wir glauben nicht an die Kirche, sondern wir glauben die Kirche (credo ecclesiam). Wir glauben hingegen an Gott, den Vater (credo in deum patrem), den Allmächtigen, Schöpfer des Himmels und der Erde. Und wir glauben an Jesus Christus (credo in Iesum Christum), seinen eingeborenen Sohn, und schließlich an den Heiligen Geist (credo in Spiritum sanctum). Aber wir glauben nicht an die Kirche, sondern wir bilden, indem wir glauben, die Kirche. Glauben ist der schlechthin kirchenkonstituierende Akt. Wenn wir glauben, können wir gar nicht anders, als Kirche bilden. So wie Ameisen staatenbildende Wesen sind, sind gläubige Menschen kirchenbildende Wesen.5

Um das nochmals dick zu unterstreichen: „Nach evangelischem Verständnis kann man nicht ‚an‘ die Kirche glauben, weil sie nicht mit Gott verwechselt werden darf. […] Sondern ‚Kirche glauben‘ bedeutet: Die sichtbare Kirche ist nicht nur ein Verein, nicht nur menschliche Institution, sondern tatsächlich gottgewirkt. Dieser Glaube bedeutet nicht, dass alles, was ich in der oder als Kirche wahrnehme, göttlich ist – das würde eine völlige Überhöhung der Gemeinde und eine Vereinnahmung Gottes bedeuten. Kirche glauben heißt: Auch die Gemeinde, in der ich lebe, ist der Leib Jesu Christi.‘ In der Regel wird diese Aussage gerade gegen den Augenschein gesagt werden müssen, weil sich unsere Kirchengemeinden nur selten als reine Erfolgsmodelle darstellen: ‚Ich glaube, dass die Gemeinde, zu der ich gehöre, Leib Jesu Christi ist – obwohl sie so ist, wie sie ist.‘“6

Vom Reichsgrafen Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf (1700-1760) stammt der schöne, treffliche Satz: „Ich statuiere: kein Christentum ohne Gemeinschaft!“ Der Glaube braucht die Gemeinschaft! Von eben diesem Zinzendorf stammt noch ein weiterer wichtiger Gedanke, der uns hilft, nun auch die verschiedenen Konfessionen zu verstehen. Es handelt sich um die sog. Tropenlehre,7die von einer wunderbaren ökumenischen Weite ist. Gott hat sich danach verschiedene Erziehungsweisen (tropoi paideias) für uns Menschen ausgedacht. Jede der großen Konfessionskirchen, die lutherische, reformierte, römisch-katholische usw., stellt eine unterschiedliche Erziehungsweise Gottes dar.

Zinzendorf betont: Den einen schickt Gott dorthin, in diese Schule, die andere anderswohin, in jene Schule. Gott hat dies alles weise geordnet. Denn alle großen Konfessionen haben ein besonderes Charisma, aber auch eine besondere Gefährdung. Sie ergänzen sich wechselseitig. Eine wunderbare Anschauung, diese Tropenlehre, die uns davor schützt, unsere eigene Konfession zu verabsolutieren, so als müssten alle Christen Baptisten sein oder Lutheraner oder Reformierte usw.

Nicht wahr, liebe Geschwister, Gott schickt uns in unterschiedliche Schulen. Wir genießen nicht alle dieselbe Erziehungsweise. Nun könnte freilich jemand kommen und sagen: „Ja, das hört sich in der Kirchentheorie alles ganz wunderbar an und ich bin davon auch in den Grundsätzen überzeugt, aber was mache ich denn nur, wenn ich kein Bedürfnis verspüre, mit anderen zusammen Gottesdienst zu feiern?“ Wir kennen ja den „Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis“8. Wir tun gut daran, diesen Einwand ernst zu nehmen. Insbesondere dann, wenn jemand von anderen Gemeindegliedern furchtbar enttäuscht wurde. Das gibt es ja. Und auch der Apostel Paulus kennt das und spricht es offen aus, etwa im Brief an die Gemeinde in Galatien:9

„1O ihr unverständigen Galater! Wer hat euch bezaubert, denen doch Jesus Christus vor die Augen gemalt war als der Gekreuzigte? 2Das allein will ich von euch erfahren: Habt ihr den Geist empfangen durch des Gesetzes Werke oder durch die Predigt vom Glauben? 3Seid ihr so unverständig? Im Geist habt ihr angefangen, wollt ihr’s denn nun im Fleisch vollenden?“ (Gal 3,1-3).

Paulus ist von den Galatern wirklich vollkommen bedient. Die Galater, ursprünglich Kelten, die sich in Kleinasien in der heutigen Türkei rund um Ankara niedergelassen hatten, ließen sich auf Missionare ein, die von ihnen als Heidenchristen die Beschneidung forderten. Sie sollten, verkürzt gesagt, wie Juden leben. Während Paulus ansonsten in allen seinen Briefen für die Gemeinden dankt, tut er es zu Beginn des Galaterbriefes nicht. Hier gibt es für Paulus schlicht nichts zu danken! Hier gilt es Klartext zu reden, klare Kante zu zeigen:

„Mich wundert, dass ihr euch so bald abwenden lasst von dem, der euch berufen hat in die Gnade Christi, zu einem andern Evangelium, 7obwohl es doch kein andres gibt. Es gibt nur einige, die euch verwirren und wollen das Evangelium Christi verkehren. 8Aber selbst wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch ein Evangelium predigen würden, das anders ist, als wir es euch gepredigt haben, der sei verflucht. 9Wie wir eben gesagt haben, so sage ich abermals: Wenn jemand euch ein Evangelium predigt, anders als ihr es empfangen habt, der sei verflucht“ (Gal 1,6-9).

So hört sich keine Lobhudelei an! Auch Christ*innen müssen nicht immer leisetreten und alles in Watte packen, sondern können sich im Geist der Liebe auch einmal klar die Meinung sagen. Ganz gewiss! Das hat oft reinigende Funktion und man kann anschließend wieder Gottesdienst zusammen feiern. Das muss freilich möglich sein. Und das könnte auch ein Kriterium für unseren Umgang miteinander sein, nämlich so mit dem anderen zu reden, dass wir am Sonntag wieder gemeinsam Gottesdienst feiern können.

Doch wenn uns dies schwerfällt? Nun ja, manchmal verspürt man auch kein Bedürfnis zu essen. Aber wenn das andauert, so ist man krank und muss zum Arzt. Vielleicht brauche ich ja die gottesdienstliche Gemeinschaft ganz besonders dann, wenn ich kein Bedürfnis nach ihr verspüre. Und denken wird daran: Jesus selbst ging, wie in der Perikope über seine Antrittspredigt in Nazareth im Lukasevangelium berichtet wird, in die Synagoge nicht je nach seinem Bedürfnis, sondern „nach seiner Gewohnheit“ (Lk 4,16).10

Aber was, wenn ich in der Kirchenbank mit einem zusammentreffe, den ich nicht mag? Wenn mich das hindert, den Gottesdienst zu besuchen, könnte es dann vielleicht sein, dass ich den Unterschied zwischen der Kirche und einem Verein noch nicht begriffen habe? In einem Verein ist man ja in der Regel durch Sympathie und durch gleiche Interessen verbunden. In einem Verein kann ich mir meine Vereinskamerad*innen aussuchen. Bei Kirche ist das anders: Geschwister sind Schicksal! Es ist völlig unerheblich, ob mir die Geschwister sympathisch sind oder nicht. Es ändert nichts daran, dass sie meine Geschwister sind. In der Kirche werden die gegensätzlichsten Leute zusammengefügt, nicht durch etwas, was in ihnen begründet ist, sondern dadurch, dass Gott zu ihnen allen reden will und er – und nicht ich! – sie alle „mag“.11

Aber wenn die Kirche, zu der ich mich halten soll, auch sonst diese oder jene Unvollkommenheit hat, die mir bitter aufstößt? Vielleicht hilft uns dann ein Wort des berühmten englischen Erweckungspredigers Charles Haddon Spurgeon (1834-1892) weiter: „Nach der vollkommenen Kirche wirst du lange vergeblich suchen. Es gibt sie nicht Und wenn du einmal eine finden wirst, so wird sie dich nicht aufnehmen, da sie aufhören würde, vollkommen zu sein, sobald du ihr Mitglied bist.“12

In diesem Sinne möchte ich schließen mit einem Traum, den John Wesley (1703-1791) einmal erzählte. John Wesley, der ja wider Willen zum Begründer einer eigenen Konfession wurde, nämlich der Methodisten, erzählte, er habe geträumt und sei gestorben und hinüber gegangen in die andere Welt und dort angekommen, sei er an die Höllenpforte gelangt und habe vorsichtig angefragt:

„Sind Anglikaner hier?“ Das waren die Vertreter der englischen Amtskirche, die in furchtbar gepiesackt hatten. „Ja, sehr viele!“ lautete die Antwort. „Sind auch Presbyterianer hier?“ „Ja, eine ganze Menge!“ Ganz ängstlich fragt dann Wesley: „Gibt’s auch Methodisten bei euch in der Hölle?“ „Oh ja, Methodisten haben wir eine ganze Zahl.“

Erschrocken eilte Wesley nach oben an die Himmelstür und fragte auch dort – aber in umgekehrter Reihenfolge: „Sind Methodisten hier?“ „Nein. Kein einziger!“ „Gibt’s vielleicht Presbyterianer hier?“ „Nö, auch nicht.“ „Sind eventuell Anglikaner hier?“ „Wer ist das denn?“ Der arme Wesley erschrak noch mehr und fragte voll Angst und Sorge: „Ja, was für Leute sind denn dann im Himmel?“ „Hier gibt es nur arme erlösungsbedürftige Sünder, die durch das Blut des Lammes reingewaschen wurden.“13

Amen

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1  Vgl. Hans-Martin Barth, Konfessionslos glücklich. Auf dem Weg zu einem religionstranszendenten Christsein, Gütersloh 2013.

2 Eberhard Busch, Laß meinen Gang gewiß sein. Antworten auf Glaubensfragen, Neukirchen-Vluyn 21989, 124. Vgl. auch Dietrich Korsch, Antwort auf Grundfragen des Glaubens. Dogmatik als integrative Disziplin, UTB 4560, Tübingen 2016, 175-188 („Braucht man die Kirche, um Christ zu sein?“).

3 Vgl. Stephen E. Fowl / L. Gregory Jones, Reading in Communion. Scripture and Ethics in Christian Life, Eugene 1998.

4 Vgl. E. Busch, Laß meinen Gang gewiß sein, 125.

5 Vgl. Michael Weinrich, Kirche glauben. Evangelische Annäherungen an eine ökumenische Ekklesiologie, Wuppertal 1998, 15: „Wenn die Kirche im Glaubensbekenntnis ‚bekannt’ wird, so wird damit gesagt, dass sie überall verheißen ist, wo geglaubt wird. Sie ist nicht das Produkt des Glaubens, dennoch wird sie durch den Glauben konstituiert und realisiert, d.h. sie ist nur dort, wo von konkreten Menschen geglaubt wird. Sie wird nicht zunächst geplant, konzipiert, organisiert, operationalisiert und schließlich möglichst geschickt ‚gemanaged’, sondern der Grundakt ihrer Verwirklichung ist, daß sie geglaubt wird, d.h. durch den Glauben errichtet wird und in Erscheinung tritt. Der erste Akt ihrer geschichtlichen Verwirklichung ist das ‚Kirche glauben’ (fides qua creditur) im Horizont des Glaubens an den Heiligen Geist als der lebendigen Wirksamkeit Gottes in unserer Wirklichkeit.“

6 Georg Plasger, Glauben heute mit dem Heidelberger Katechismus, Göttingen 2012, 146f.

7 Vgl. Johannes Wallmann, Der Pietismus, UTB 2598, Göttingen 22019, 198; Hans Scheider, Nikolaus Graf von Zinzendorf, in: Martin Greschat (Hg.), Gestalten der Kirchengeschichte. Bd. 7: Orthodoxie und Pietismus, Stuttgart u.a.1982, (347-372) 366f.; ders., Nikolaus Ludwig von Zinzendorf als Gestalt der Kirchengeschichte, in: Graf ohne Grenzen. Leben und Werk des Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Ausstellung im Völkerkundemuseum Herrnhut. Außenstelle des Staatlichen Museums für Völkerkunde Dresden, und im Heimatmuseum der Stadt Herrnhut vom 26. Mai bis zum 7. Januar 2001, Herrnhut 2000, (10-29) 25.

8 Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nichts für die Praxis, (Ed Weischedel IX, 127-172).

9 Einführend zum Galaterbrief und den Hintergründen: Bernd Kollmann, Neues Testament kompakt, Stuttgart 2014, 238-241.

10  Vgl. zu diesem Abschnitt E. Busch, Laß meinen Gang gewiß sein, 125.

11 Vgl. ebd.

12 Zit. nach E. Busch, ebd.

13 Vgl. https://www.wiesentbote.de/2017/08/13/sonntagsgedanken-nur-ein-traum-2/ (abgerufen: 13.3.2021)


Marco Hofheinz