Londonderry
»Jetzt, nach bald sieben Kriegsmonaten, wo die christlichen Völker Europas längst aus tausend und tausend Wunden bluten, jetzt kommen wir auch daher mit unserem Friedensbettag, jetzt möchten wir mit unserem Christenglauben ein Pflästerchen als Beruhigungsmittel daherbringen, als ob nicht diese sieben Monate eine schreckliche Anklage wären gerade gegen unseren Christenglauben: Wo seid ihr gewesen, als der Brand ausbrach? Und vorher, als jahrzehntelang die Scheite zum Brande zusammengetragen wurden, als es bereits drohend glimmte und rauchte? Wo seid ihr gewesen mit eurem Glauben, von dem ihr sagtet, er sei der Sieg, der die Welt überwinde [vgl. 1 Joh 5,4]? Und nun kommt ihr und wollt um den Frieden beten? Und glaubt dabei so stark an das, worum ihr beten wollt, daß ihr euch nicht einmal auf den gleichen Tag einigen konntet, ihr Katholiken und Protestanten, daß der liebe Gott vor zwei Wochen des Papstes und seiner Leute Friedensgebete anhören mußte und nun nächsten Sonntag (heute) die unsrigen (...)! Spüren wir es, meine Freunde, wie das aneinander vorbeigeht: Gott der Herr offenbart uns im Sturm der Weltgeschichte die Tiefe unseres Elends und die Größe seiner Liebe in einer Wucht, wie wir es vielleicht seit vielen Generationen nicht mehr erlebt haben, und wir antworten damit, daß wir wünschen und beten, es möchte nur recht bald wieder Friede geschlossen werden?! Merken wir es, daß wir uns des unvergleichlichen Segens dieser großen Zeit berauben würden, wenn wir jetzt diesen allgemeinen Gedanken und Gefühlen und dieser Gebetsparole folgen würden? Wollen wir uns denn durchaus neben jene falschen Propheten des Volkes Israel stellen, die in ähnlichen schweren Zeiten ›Friede, Friede!‹ zu rufen pflegten, wo doch eben kein Friede war und keiner sein konnte [vgl. Jer 6,14]?« (Karl Barth, Predigt zu Eph 2,14, in: Predigten 1915 (GA I.27), 72)