Mose und die Herrlichkeit Gottes - 2. Mose 33,17-23

Predigt am 2. Sonntag nach Epiphanias. Von Martin Filitz, Halle

Gottesdienst am Sonntag, dem 16. Januar 2011 um 10.00 Uhr im Gemeindehaus der Ev.-ref. Domgemeinde Halle (Saale) – 2. Sonntag nach Epiphanias – Gottesdienst mit den Studierenden des Reformierten Convicts.

Predigttext: Exodus 33, 17-23
Predigtlied: EG 70,1-4
Schriftlesung: Johannes 2,1-11
Wochenpsalm: Psalm 105
Wochenlied: EG 5 Gottes Sohn ist kommen
Wochenspruch: Johannes 1,17
Heidelberger Katechismus: Frage 56

Und der HERR sprach zu Mose: Auch was du jetzt gesagt hast, will ich tun, denn du hast Gnade gefunden in meinen Augen, und ich kenne dich mit Namen.
Da sprach er: Lass mich deine Herrlichkeit sehen!
Er aber sprach: Ich selbst werde meine ganze Güte an dir vorüberziehen lassen und den Namen des HERRN vor dir ausrufen: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.
Und er sprach: Du kannst mein Angesicht nicht sehen, denn ein Mensch kann mich nicht sehen und am Leben bleiben.
Dann sprach der HERR: Sieh, da ist ein Platz bei mir, stelle dich da auf den Felsen.
Wenn nun meine Herrlichkeit vorüberzieht, will ich dich in den Felsspalt stellen und meine Hand über dich halten, solange ich vorüberziehe.
Dann werde ich meine Hand wegziehen, und du wirst hinter mir her sehen. Mein Angesicht aber wird nicht zu sehen sein.

Liebe Gemeinde,
Gott sehen, und wenn nicht ihn selbst, dann doch wenigstens seine Herrlichkeit, sein Gewicht, wie es im Hebräischen heißt, das er im Himmel und auf Erden hat. Gott erkennen und ihn nicht sehen – das ist eine Herausforderung. Und wenn er nicht sichtbar ist, kann man ihn nicht wenigstens sichtbar machen? Menschen wollen Gott sehen. Sie wollen sich mit dem Unsichtbaren nicht zufrieden geben. Und sie versuchen, ihn sichtbar zu machen. Und zu diesen Versuchen zählen die größten Kunstwerke der Antike: die kolossalen Götterfiguren der Assyrer und der Babylonier, der blitzeschleudernde Zeus, den man im vergangenen Jahrhundert an der Küste von Griechenland aus dem Meer geborgen hat, die wunderschönen Abbilder der Göttin Athene aus Marmor und natürlich die Götter der Ägypter: Horus mit dem Falken, der Gott Ra mit der Sonnenscheibe, Isis und Osiris und Anubis, der Gott mit dem Schakalskopf. Wenn man solche Götterbilder hat, dann kann man sich wenigstens eine Vorstellung von Gott machen, ihn einordnen in die Bilderwelt, die man auch sonst im Kopf hat, ihn auch plausibel machen: So ist Gott, so sieht er aus. Wenn du an ihn denkst, dann kannst du dir folgendes Bild von ihm machen. Wie soll man eine persönliche Beziehung zu einem göttlichen Gegenüber aufbauen können, wenn man keine Vorstellung von ihm hat? Wie soll man konkurrieren auf dem Markt der Bilder und der Abbildungen, der Filme und der Video Clips, von YouTube und DVD, wenn man nur einen Gott ohne Bild anzubieten hat? Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, sagt man. Was sagt uns ein Gott ohne Bild?

Mose hat nichts dergleichen. Sein Gott zeigt sich nicht, er redet. Kein Mensch weiß, wie man sich das vorstellen soll, wenn Mose mit Gott redet. Wie kann man sein Leben und seine Hoffnung von einem Gott abhängig machen, der dem menschlichen Auge unsichtbar bleibt! Illusionen! Luftschlösser! Einbildung! „Die Menschen schufen sich ihre Götter nach ihrem eigenen Bilde“ – sagte der griechische Philosoph Xenophanes von Kolophon (570-475 v.Chr.) „Wenn die Pferde Götter hätten“ – so schreibt er, „dann sähen diese Götter wie Pferde aus“. Die Menschen machen sich Götter mit menschlichen Eigenschaften.

Mose und die Herrlichkeit Gottes

Aber die gesamte biblische Überlieferung ist sich nun einmal darüber einig, dass der lebendige Gott kein Bild von sich macht oder machen lässt, sondern dass er redet und wir hören. Die Judenheit kennt keine Bilder von Gott – nur sein Wort. Im Islam ist es genau so. Und auch die Christenheit war mit Gottesbildern sehr zurückhaltend, bis sich das Heidentum mehr und mehr in die Kirche einschlich  - und seither gibt es auch in der Christenheit den immer wieder unternommenen und den immer wieder gescheiterten Versuch, Gott sichtbar zu machen.

Nein, kein Bild, auch Mose bekommt weder das Angesicht Gottes noch ein Bild von seinem Angesicht zu sehen. Gott ist eben kein Ding dieser Welt. Er lässt sich weder photographieren noch sonst abbilden. Keine Kamera kann ihn einfangen, kein Maler ihn auf Holz oder Leinwand bannen. Beschreibungen von ihm scheitern an seiner Wirklichkeit. Auch die Bilder, die wir in unserer Sprache für Gott verwenden scheitern letztlich. Ist er wirklich allmächtig? Warum geschehen dann laufend Dinge, die seinem offenen Willen zuwider laufen, warum hat das Böse solch eine Macht? Ist Gott wirklich allgegenwärtig? Ist er auch in der Hölle? Man kann sich nicht einfach damit herausreden, dass man sagt, wir Menschen seien nur zu kurzsichtig, um den Sinn hinter allem zu erkennen. Auch wenn wir von Gott, dem Vater reden, ist das ein Bild, ein Gleichnis, das einen ganz bestimmten Aspekt seines Wesens hervorhebt, aber ihn niemals zulänglich beschreiben kann. Gott ist eben kein Teil dieser Welt – jedenfalls nicht Israels Gott, der mit Mose wie mit einem Freunde redet. Er hat die Welt ins Leben gerufen. Er handelt an der Welt, aber er geht nicht in ihr auf. Er ist nicht alles, was wir auch sind, nur etwas schöner, etwas vollkommener, etwas größer. Er ist Gott. Er ist der Herr. Er ist der Zugewandte und  der Ferne. Er ist nah und zugleich unerreichbar fern.

Mose will ihn sehen. Mose will Gewissheit. Mose will seine Nähe. Er will, dass sich der Schleier des Geheimnisses Gottes für ihn ein wenig lüftet. So könnte er sich getroster auf den Weg machen, der vor ihm und seinem Volk liegt. So könnte er sicherer sein auf dem langen Weg durch die Wüste inmitten der drohenden Lebensgefahr.

Aber es bleibt nicht bei dem riesengroßen Abstand zwischen Gott und Mose. Gott schafft dem Mose einen Raum, in dem die Nähe Gottes erfahren und ertragen kann. „Nicht sieht der Mensch Gott und lebt!“ – heißt es in dieser Geschichte. Der Abstand zwischen Mensch und Gott geschieht auch zum Schutze des Menschen. Wie soll der Mensch, der von der Schuld und der Verkehrtheit der ganzen Welt gezeichnet ist, die Heiligkeit Gottes aushalten können. „Nicht sieht der Mensch Gott und lebt.“
„Weh mir, ich vergehe!“ – sagt der Prophet Jesaja, als er sich selber in der Nähe Gottes wiederfindet: „Ich bin unreiner Lippen und stamme aus einem Volk von unreinen Lippen!“ – In der Nähe Gottes und in der Begegnung mit ihm erkennen Menschen, dass sie selber in diese Nähe nicht gehören. Sie gehören in die Gottesferne. Die Nähe Gottes ertragen sie nur, wenn Gott selbst sie schützt, wenn er einen Raum schafft, in dem sie ihn aushalten, einen Fels, auf dem sie stehen, eine Kluft, in der sie sich verbergen können. So behütet kann Mose den mächtigen Gottesnamen JHWH hören und ertragen, und er kann sogar Gott dem Herrn „hinterher sehen“ als er vorüberzieht. Er kann sehen, wo er gewesen ist, was er getan hat und welche Spuren er hinterlassen hat. Erkennen im Nachhinein – das ist charakteristisch für menschliches Erkennen überhaupt und wohl auch für die Erkenntnis Gottes. Als Gott die Welt schuf, gab es keine Zeugen, und doch erzählen die Menschen später von dem 6-Tagewerk der Schöpfung, und noch später werden sie erzählen, wie Gott den Planeten ihre Umlaufbahnen gegeben hat, der Erde ihre lebenspendende Atmosphäre, der Welt ihre Meere und ihre Kontinente. Später, im Nachhinein. Und so erkenne ich auch die Spuren, die die Liebe Gottes in meinem Leben gezeichnet hat: im Nachhinein: „...der dich erhält, wie es dir selber gefällt, hast du nicht dieses verspüret.“ Wir leben unser Leben nach vorn, aber wir erkennen es im Nachhinein. Wir erleben die freundliche Zuwendung Gottes in der Gegenwart, aber wir erkennen sie im Blick zurück: „nun danket alle Gott..., der uns von Mutterleib und  Kindesbeinen an, unzählig viel zugut und noch jetztund getan!“  Gott erkennt man an dem, was er tut, aber man erkennt es vor allem dann, wenn er es getan hat. Darum ist im Volk Israels die Erinnerung so wichtig. Erst die Erinnerung an die vergangenen Taten Gottes eröffnet die Hoffnung auf neue Taten Gottes: „Vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“

Mose hat die Nähe Gottes erfahren. Davon wird er den Menschen seines Volkes erzählen. Die Erfahrungen des Mose sind kein Beweis für die Wirklichkeit Gottes in der Welt. Der Unsichtbare lässt sich nicht sichtbar machen, der Schöpfer der Welt lässt sich nicht in die Welt einzeichnen. Damit wird Israel leben müssen und Mose als der Repräsentant dieses Volkes auch. Sie sind einem Gott begegnet, der Nähe schafft durch sein Wort, der in seinem Volk und mit seinem Volk handelt, dessen Gebote Lebensraum schaffen in den chaotischen Zuständen, die die Menschen immer wieder herstellen. Der vornehmste Gottesdienst des Gottes Israel besteht nicht darin, dass man ihm Opfer bringt, sondern darin, dass die Menschen im Respekt vor ihm und voreinander leben. Der Gottesdienst besteht darin, dass die Menschen des Volkes Israel ihre Welt als Schöpfung Gottes gestalten und damit eine menschliche Welt schaffen, in der jeder und jede zu ihrem Recht kommen. Dass sie die Welt als einen Ort gestalten, in der die Menschen auch ihren Lebensraum als Schöpfung Gottes achten und behandeln. „Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer“ – sagt Gott zu seinem Volk im Buch des Propheten Amos.

Nähe durch das Wort. Unzählige Bibelworte erzählen davon, sprechen diese Nähe Gottes den enttäuschten und verzweifelten Menschen zu: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ (Jes. 42,1).

Wir sahen seine Herrlichkeit

Die Christen werden diese Geschichte von Mose und der Nähe Gottes nacherzählen, aber sie werden sie auch weitererzählen. Sie werden davon erzählen, dass Gott selbst das Wort von Anfang an war und dass dieses Wort menschliche Gestalt angenommen hat. Das Wort Gottes wurde lebendiger Mensch – heißt es am Anfang des Johannesevangeliums. Und die Herrlichkeit Gottes, der Mose von hinten nach gesehen hat, die haben die Freundinnen und Freunde Jesu von Angesicht zu Angesicht gesehen: im Antlitz des gekreuzigten und auferweckten Herrn Jesus Christus. Gottes Antlitz – ein Menschengesicht. Nicht so ebenmäßig und schön wie die Gesichter der griechischen Götterbilder. Alles andere als perfekt und tadellos. Aber es war das Gesicht Gottes, in dem er sich den Menschen zuwandte. Mit diesem Gesicht sprach er die Ehebrecherin frei von ihrer Schuld und erinnerte die braven Bürger, die sie steinigen wollten, an ihre eigenen dunklen Gedanken und Gefühle. Mit diesem Gesicht rief er den Zachhäus vom Baum und den Lazarus ins Leben zurück. In dieser Gestalt trieb er die bösen Geister aus, und in dieser menschlichen Gestalt pries Gott die Armen und die Friedfertigen selig, verhieß er den Barmherzigen die Zukunft Gottes und seinen Trost den Leidenden.

Gott sichtbar. Ein Gott zum Anfassen. Aber so, dass es wieder kein Beweis war, nichts, was man festschreiben und als gesicherte Tatsache annehmen konnte. Es war ein Mensch ohne besondere Kennzeichen. Er war sterblich wie wir sterblich sind, müde, zornig, durstig und hungrig. Kein über die Erde wandelnder Halbgott wie Herakles, der die Schlangen schon als Kind in der Wiege erwürgt hatte. Ein Mensch mit Namen Jesus – viele in Israel hießen damals so. Ein Rabbi wie es viele gab. An ihm schieden sich die Geister. Die einen rufen „Hosianna“ – die anderen „Kreuzige ihn!“ – Und es waren nur wenige, die in ihm das Angesicht des Gottes Israel erkannten, als er von den Toten auferstanden war.

Auch hier gilt, dass Gott sich oft erst im Nachhinein den Menschen erschließt. „Mein Herr und mein Gott!“ sagt der ungläubige Thomas nach Jesu Tod und Auferstehung, obwohl er doch den Weg Jesu schon von Galiläa mitgegangen war und der die Worte Jesu gehört und seine Zeichen gesehen hatte. Und erst im Nachhinein sammeln die Evangelisten die Geschichten, die von Jesus überliefert sind und in denen sie die Hinweise darauf fanden, dass er das lebendige „Wort Gottes ist, das wir zu hören und dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben“. Wie Mose haben sie Gott hinterher gesehen. Und sie haben sich aufgemacht, ihm nachzufolgen, Schritt für Schritt. Sie haben Menschen gefunden, die ihren Weg mitgegangen sind bis auf den heutigen Tag. „Wir sahen seine Herrlichkeit als die Herrlichkeit des eingeborenen Sohnes voller Gnade und Wahrheit“ - sagt der Evangelist Johannes in seinem Buch über Jesus, und er ruft dazu auf, Jesus zu vertrauen und ihm nachzufolgen. Seinen Weg mitgehen, den Weg der Barmherzigkeit und der Liebe, den Weg der Gewaltlosigkeit und der Versöhnung. Der Weg Gottes zu den Menschen war sein Weg der Liebe, und die Menschen geben die entsprechende Antwort auf Gottes Tun, indem sie die Liebe weitergeben. Denn der Glaube bleibt nicht bei sich selbst. Auch er gewinnt Gestalt. Er äußert sich in der Welt, indem er sie für die Menschen erträglich und bewohnbar macht.

Gott von Angesicht sehen ist nicht menschenmöglich. Auch wir haben Christus nicht gesehen und kein Bild von ihm kann uns im Entferntesten zeigen, wer er ist. „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ – sagt der auferstandene Christus dem ungläubigen Thomas. Aber auch Christus schafft Nähe durch sein Wort. Er sagt uns: „Ich lebe, und ihr sollt auch leben!“
Amen


Domprediger Pfr. Martin Filitz, Halle